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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

imstande, auch das Leben des Volkes, dessen Gast man ist, zu verfolgen,
sich mit Italienern zu unterhalten, Zeitungen u. dergl. zu lesen und sich über
etwaige auch den Fremden interessirende Vorgänge und Einrichtungen rasch zu
unterrichten. Es fällt den Italienern kaum jemals ein, ihre Firmen und An¬
kündigungen anders als italienisch abzufassen; die alberne Afferei, die man
z. V. in rheinischen Städten trifft, wo es vou englischen und französischen
Schildern wimmelt, ist diesem uationalstolzen Volke gänzlich fremd.

Was die Reisegelegenheiten betrifft, so sind diese in Italien im ganzen
nicht schlechter als bei uns. Daß man erster Klasse fahren müsse, ist eine ganz
unbegründete Ansicht; die dritte wird man vermeiden, aber die zweite ist, wenn
auch nicht so elegant wie bei uns, doch auf den großen Linien und bei Schnell¬
zügen, die der Fremde ja meist benutzen wird, durchaus bequem und sauber,
jedenfalls z. B. viel besser als die oft miserabeln alten Wagen, die die öster¬
reichische Südbahngesellschaft auch in durchgehenden Zügen durch Tirol laufen
läßt und zu besondrer Erbauung, der berühmten "Gleichberechtigung" zu liebe,
mit deutschen und -- ungarischen Aufschriften versieht. Eine besondre Anerken¬
nung verdient es, daß die italienischen Eisenbahnen nicht, wie die unsrigen, Kupees
"für Nichtraucher" kennen, sondern Kupees "für Raucher"; in allen andern
steht kurzweg: visww lüraars (Rauchen verboten). Die Fahrzeiten werden im
ganzen pünktlich innegehalten, die "Bummelzüge" bummeln, ihrem Spitznamen
entsprechend, wie überall. Die Beamten sind höflich und gefällig und in
mancher Beziehung liberaler als bei uns. An der Ausgangsstation des Zuges
hat niemand etwas dagegen, wenn man sich seinen Platz etwa eine halbe Stunde
vor der Abfahrt sucht, was sich bei dem häufig sehr starken Zudrange em¬
pfiehlt, und reicht der Raum für das oft massenhaft mitgeführte Handgepäck
-- namentlich die Engländer sind darin groß -- oben in den Netzen nicht
aus, so stellt man es eben zwischen oder auf die Sitze, wenn Platz ist, und
niemand verbietet das. Sehr erleichtert wird das Reisen durch die wohlfeilen
Rundreisebillets (ol^Wi viroolMi), die allerdings an bestimmte Routen binden,
aber sehr viel Auswahl ermöglichen und auch uoch das Recht geben, vou irgend
einer Station der Reiseroute aus nach einem andern Punkte eine Hin- und
Rückfahrkarte (die sonst in Italien nur für einen Tag gilt, außer Sonn- und
Festtags) mit verlängerter Giltigkeitsdauer zu ermäßigtem Preise zu lösen. In
den größern Städten sind Dampfstraßenbahnen, Pferdebahnen, Drahtseilbahnen
(z. B. in Neapel) und Omnibuslinien eher mehr entwickelt als in Deutschland,
die Wagen bequem und luftig, die Fahrten sehr billig, und doch giebt es
außerdem noch in Städten wie Rom und Neapel viel mehr Droschken als in
deutschen Städten von entsprechendem Range (in Rom gegen 3000), und zwar
leichte, gutbespannte Wagen, die sehr gut fahren, selbst bei Steigungen. Der
Italiener geht eben im ganzen nicht viel zu Fuß, und auch der Fremde ge¬
wöhnt sich das bald ab, namentlich auf der Landstraße. Für Gebirgstoureu


Italienische Eindrücke

imstande, auch das Leben des Volkes, dessen Gast man ist, zu verfolgen,
sich mit Italienern zu unterhalten, Zeitungen u. dergl. zu lesen und sich über
etwaige auch den Fremden interessirende Vorgänge und Einrichtungen rasch zu
unterrichten. Es fällt den Italienern kaum jemals ein, ihre Firmen und An¬
kündigungen anders als italienisch abzufassen; die alberne Afferei, die man
z. V. in rheinischen Städten trifft, wo es vou englischen und französischen
Schildern wimmelt, ist diesem uationalstolzen Volke gänzlich fremd.

Was die Reisegelegenheiten betrifft, so sind diese in Italien im ganzen
nicht schlechter als bei uns. Daß man erster Klasse fahren müsse, ist eine ganz
unbegründete Ansicht; die dritte wird man vermeiden, aber die zweite ist, wenn
auch nicht so elegant wie bei uns, doch auf den großen Linien und bei Schnell¬
zügen, die der Fremde ja meist benutzen wird, durchaus bequem und sauber,
jedenfalls z. B. viel besser als die oft miserabeln alten Wagen, die die öster¬
reichische Südbahngesellschaft auch in durchgehenden Zügen durch Tirol laufen
läßt und zu besondrer Erbauung, der berühmten „Gleichberechtigung" zu liebe,
mit deutschen und — ungarischen Aufschriften versieht. Eine besondre Anerken¬
nung verdient es, daß die italienischen Eisenbahnen nicht, wie die unsrigen, Kupees
„für Nichtraucher" kennen, sondern Kupees „für Raucher"; in allen andern
steht kurzweg: visww lüraars (Rauchen verboten). Die Fahrzeiten werden im
ganzen pünktlich innegehalten, die „Bummelzüge" bummeln, ihrem Spitznamen
entsprechend, wie überall. Die Beamten sind höflich und gefällig und in
mancher Beziehung liberaler als bei uns. An der Ausgangsstation des Zuges
hat niemand etwas dagegen, wenn man sich seinen Platz etwa eine halbe Stunde
vor der Abfahrt sucht, was sich bei dem häufig sehr starken Zudrange em¬
pfiehlt, und reicht der Raum für das oft massenhaft mitgeführte Handgepäck
— namentlich die Engländer sind darin groß — oben in den Netzen nicht
aus, so stellt man es eben zwischen oder auf die Sitze, wenn Platz ist, und
niemand verbietet das. Sehr erleichtert wird das Reisen durch die wohlfeilen
Rundreisebillets (ol^Wi viroolMi), die allerdings an bestimmte Routen binden,
aber sehr viel Auswahl ermöglichen und auch uoch das Recht geben, vou irgend
einer Station der Reiseroute aus nach einem andern Punkte eine Hin- und
Rückfahrkarte (die sonst in Italien nur für einen Tag gilt, außer Sonn- und
Festtags) mit verlängerter Giltigkeitsdauer zu ermäßigtem Preise zu lösen. In
den größern Städten sind Dampfstraßenbahnen, Pferdebahnen, Drahtseilbahnen
(z. B. in Neapel) und Omnibuslinien eher mehr entwickelt als in Deutschland,
die Wagen bequem und luftig, die Fahrten sehr billig, und doch giebt es
außerdem noch in Städten wie Rom und Neapel viel mehr Droschken als in
deutschen Städten von entsprechendem Range (in Rom gegen 3000), und zwar
leichte, gutbespannte Wagen, die sehr gut fahren, selbst bei Steigungen. Der
Italiener geht eben im ganzen nicht viel zu Fuß, und auch der Fremde ge¬
wöhnt sich das bald ab, namentlich auf der Landstraße. Für Gebirgstoureu


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[0518] Italienische Eindrücke imstande, auch das Leben des Volkes, dessen Gast man ist, zu verfolgen, sich mit Italienern zu unterhalten, Zeitungen u. dergl. zu lesen und sich über etwaige auch den Fremden interessirende Vorgänge und Einrichtungen rasch zu unterrichten. Es fällt den Italienern kaum jemals ein, ihre Firmen und An¬ kündigungen anders als italienisch abzufassen; die alberne Afferei, die man z. V. in rheinischen Städten trifft, wo es vou englischen und französischen Schildern wimmelt, ist diesem uationalstolzen Volke gänzlich fremd. Was die Reisegelegenheiten betrifft, so sind diese in Italien im ganzen nicht schlechter als bei uns. Daß man erster Klasse fahren müsse, ist eine ganz unbegründete Ansicht; die dritte wird man vermeiden, aber die zweite ist, wenn auch nicht so elegant wie bei uns, doch auf den großen Linien und bei Schnell¬ zügen, die der Fremde ja meist benutzen wird, durchaus bequem und sauber, jedenfalls z. B. viel besser als die oft miserabeln alten Wagen, die die öster¬ reichische Südbahngesellschaft auch in durchgehenden Zügen durch Tirol laufen läßt und zu besondrer Erbauung, der berühmten „Gleichberechtigung" zu liebe, mit deutschen und — ungarischen Aufschriften versieht. Eine besondre Anerken¬ nung verdient es, daß die italienischen Eisenbahnen nicht, wie die unsrigen, Kupees „für Nichtraucher" kennen, sondern Kupees „für Raucher"; in allen andern steht kurzweg: visww lüraars (Rauchen verboten). Die Fahrzeiten werden im ganzen pünktlich innegehalten, die „Bummelzüge" bummeln, ihrem Spitznamen entsprechend, wie überall. Die Beamten sind höflich und gefällig und in mancher Beziehung liberaler als bei uns. An der Ausgangsstation des Zuges hat niemand etwas dagegen, wenn man sich seinen Platz etwa eine halbe Stunde vor der Abfahrt sucht, was sich bei dem häufig sehr starken Zudrange em¬ pfiehlt, und reicht der Raum für das oft massenhaft mitgeführte Handgepäck — namentlich die Engländer sind darin groß — oben in den Netzen nicht aus, so stellt man es eben zwischen oder auf die Sitze, wenn Platz ist, und niemand verbietet das. Sehr erleichtert wird das Reisen durch die wohlfeilen Rundreisebillets (ol^Wi viroolMi), die allerdings an bestimmte Routen binden, aber sehr viel Auswahl ermöglichen und auch uoch das Recht geben, vou irgend einer Station der Reiseroute aus nach einem andern Punkte eine Hin- und Rückfahrkarte (die sonst in Italien nur für einen Tag gilt, außer Sonn- und Festtags) mit verlängerter Giltigkeitsdauer zu ermäßigtem Preise zu lösen. In den größern Städten sind Dampfstraßenbahnen, Pferdebahnen, Drahtseilbahnen (z. B. in Neapel) und Omnibuslinien eher mehr entwickelt als in Deutschland, die Wagen bequem und luftig, die Fahrten sehr billig, und doch giebt es außerdem noch in Städten wie Rom und Neapel viel mehr Droschken als in deutschen Städten von entsprechendem Range (in Rom gegen 3000), und zwar leichte, gutbespannte Wagen, die sehr gut fahren, selbst bei Steigungen. Der Italiener geht eben im ganzen nicht viel zu Fuß, und auch der Fremde ge¬ wöhnt sich das bald ab, namentlich auf der Landstraße. Für Gebirgstoureu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/518>, abgerufen am 28.08.2024.