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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

Vergnügen einer Hamburger Familie, die zweimal Pompeji besucht hatte, und
eines Stuttgarter Kaufmanns, eines wackern Schwaben, der von Tunis und
Sizilien kam, und zwar nicht in Geschäften. Auch alleinreisende junge Damen
aus Deutschland sind mir vorgekommen, die fertig Italienisch sprachen und
sehr gut Bescheid wußten. Dazu gehören aber vor allem eine gewisse Kenntnis
der Geschichte des Landes und seiner stolzen Städte, etwas Verständnis
für die Kunst und ihre Entwicklung und der Wille, in Italien nicht deutsch
oder englisch, sondern nach Landessitte zu leben. Eins ist dafür freilich die
unerläßliche Vorbedingung: die Beherrschung der Landessprache bis zu dem
Grade, daß man sich ohne besondre Mühe verständlich machen kann, und dazu
gehört gar nicht so sehr viel. Viele denken, mit Französisch komme man überall
durch. Das ist wohl richtig für die größern Hotels und die Sammlungen in den
großen Städten, aber im allgemeinen ist es einfach nicht wahr; Leute aus dem
Volke verstehen so wenig Französisch wie bei uns, und gerade mit diesen, mit
Kellnern, Hausdienern, Droschkenkutschern, Schaffnern, Packträgern, Barken¬
führern, Eseltreibern u. a. in. hat der Fremde am meisten zu thun. In ab¬
gelegnere Gegenden wird er sich allein gar nicht wagen können, denn dort
wird er nicht verstanden, er wird überall auch sonst abhängig von dem günstigen
Zufall bleiben, daß er einen französisch oder deutsch sprechenden Menschen trifft.
Nur die Kenntnis des Italienischen giebt die Freiheit der Bewegung, die den
wahren Genuß verbürgt; sie ermöglicht es vor allem, in Italien italienisch zu
leben. Da höre ich natürlich gleich reden von schlechter italienischer Küche,
von ranzigem Ol, von ewigen Macaroni (mit demselben Rechte, als wenn
man von den Deutschen behaupten wollte, sie äßen nur Sauerkraut), von
Schmutz und Ungeziefer u. f. w. in inönitum. Man müsse in deutsche oder
französische oder englische Hotels gehen, um ohne Schaden für die Gesundheit
durchzukommen. Nichts ist verkehrter. Ich habe, wenn es irgend ging, immer
in italienischen Häusern gewohnt und in italienischen Wirtschaften (Trattoria,
Nistoratvre, Osteria) gegessen und mich dabei in jeder Hinsicht sehr Wohl befunden.
Elegant war es dort meist nicht, aber die Reinlichkeit ließ, auch in kleinern
Orten, gewöhnlich nichts zu wünschen übrig, das Essen war gut und reichlich
und, wie der vortreffliche Landwein (vino nel xgZss), an den mau sich sehr
bald gewöhnt, durchweg billig. Teuer reist man in Italien nur, wenn man
aus Vorurteil oder Zwang in die Allerweltshotels geht und seinen Schoppen
nicht entbehren kann; dort bezahlt man natürlich für den Wein mindestens das
Dreifache, ohne daß er besser wäre, und andres im Verhältnis, und zwar von
Rechts wegen, denn es ist selbstverständlich, daß sich die Leute die Sprach¬
kenntnis, die der Reisende selber nicht hat, aber bei andern voraussetzt, und
die Befriedigung der besondern Ansprüche, die er macht, bezahlen lassen. Lebt
man italienisch, so giebt es keine große Stadt Europas, wo man angenehmer
und wohlfeiler leben könnte als Rom. Und nicht nur das. Man ist dann


Italienische Eindrücke

Vergnügen einer Hamburger Familie, die zweimal Pompeji besucht hatte, und
eines Stuttgarter Kaufmanns, eines wackern Schwaben, der von Tunis und
Sizilien kam, und zwar nicht in Geschäften. Auch alleinreisende junge Damen
aus Deutschland sind mir vorgekommen, die fertig Italienisch sprachen und
sehr gut Bescheid wußten. Dazu gehören aber vor allem eine gewisse Kenntnis
der Geschichte des Landes und seiner stolzen Städte, etwas Verständnis
für die Kunst und ihre Entwicklung und der Wille, in Italien nicht deutsch
oder englisch, sondern nach Landessitte zu leben. Eins ist dafür freilich die
unerläßliche Vorbedingung: die Beherrschung der Landessprache bis zu dem
Grade, daß man sich ohne besondre Mühe verständlich machen kann, und dazu
gehört gar nicht so sehr viel. Viele denken, mit Französisch komme man überall
durch. Das ist wohl richtig für die größern Hotels und die Sammlungen in den
großen Städten, aber im allgemeinen ist es einfach nicht wahr; Leute aus dem
Volke verstehen so wenig Französisch wie bei uns, und gerade mit diesen, mit
Kellnern, Hausdienern, Droschkenkutschern, Schaffnern, Packträgern, Barken¬
führern, Eseltreibern u. a. in. hat der Fremde am meisten zu thun. In ab¬
gelegnere Gegenden wird er sich allein gar nicht wagen können, denn dort
wird er nicht verstanden, er wird überall auch sonst abhängig von dem günstigen
Zufall bleiben, daß er einen französisch oder deutsch sprechenden Menschen trifft.
Nur die Kenntnis des Italienischen giebt die Freiheit der Bewegung, die den
wahren Genuß verbürgt; sie ermöglicht es vor allem, in Italien italienisch zu
leben. Da höre ich natürlich gleich reden von schlechter italienischer Küche,
von ranzigem Ol, von ewigen Macaroni (mit demselben Rechte, als wenn
man von den Deutschen behaupten wollte, sie äßen nur Sauerkraut), von
Schmutz und Ungeziefer u. f. w. in inönitum. Man müsse in deutsche oder
französische oder englische Hotels gehen, um ohne Schaden für die Gesundheit
durchzukommen. Nichts ist verkehrter. Ich habe, wenn es irgend ging, immer
in italienischen Häusern gewohnt und in italienischen Wirtschaften (Trattoria,
Nistoratvre, Osteria) gegessen und mich dabei in jeder Hinsicht sehr Wohl befunden.
Elegant war es dort meist nicht, aber die Reinlichkeit ließ, auch in kleinern
Orten, gewöhnlich nichts zu wünschen übrig, das Essen war gut und reichlich
und, wie der vortreffliche Landwein (vino nel xgZss), an den mau sich sehr
bald gewöhnt, durchweg billig. Teuer reist man in Italien nur, wenn man
aus Vorurteil oder Zwang in die Allerweltshotels geht und seinen Schoppen
nicht entbehren kann; dort bezahlt man natürlich für den Wein mindestens das
Dreifache, ohne daß er besser wäre, und andres im Verhältnis, und zwar von
Rechts wegen, denn es ist selbstverständlich, daß sich die Leute die Sprach¬
kenntnis, die der Reisende selber nicht hat, aber bei andern voraussetzt, und
die Befriedigung der besondern Ansprüche, die er macht, bezahlen lassen. Lebt
man italienisch, so giebt es keine große Stadt Europas, wo man angenehmer
und wohlfeiler leben könnte als Rom. Und nicht nur das. Man ist dann


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[0517] Italienische Eindrücke Vergnügen einer Hamburger Familie, die zweimal Pompeji besucht hatte, und eines Stuttgarter Kaufmanns, eines wackern Schwaben, der von Tunis und Sizilien kam, und zwar nicht in Geschäften. Auch alleinreisende junge Damen aus Deutschland sind mir vorgekommen, die fertig Italienisch sprachen und sehr gut Bescheid wußten. Dazu gehören aber vor allem eine gewisse Kenntnis der Geschichte des Landes und seiner stolzen Städte, etwas Verständnis für die Kunst und ihre Entwicklung und der Wille, in Italien nicht deutsch oder englisch, sondern nach Landessitte zu leben. Eins ist dafür freilich die unerläßliche Vorbedingung: die Beherrschung der Landessprache bis zu dem Grade, daß man sich ohne besondre Mühe verständlich machen kann, und dazu gehört gar nicht so sehr viel. Viele denken, mit Französisch komme man überall durch. Das ist wohl richtig für die größern Hotels und die Sammlungen in den großen Städten, aber im allgemeinen ist es einfach nicht wahr; Leute aus dem Volke verstehen so wenig Französisch wie bei uns, und gerade mit diesen, mit Kellnern, Hausdienern, Droschkenkutschern, Schaffnern, Packträgern, Barken¬ führern, Eseltreibern u. a. in. hat der Fremde am meisten zu thun. In ab¬ gelegnere Gegenden wird er sich allein gar nicht wagen können, denn dort wird er nicht verstanden, er wird überall auch sonst abhängig von dem günstigen Zufall bleiben, daß er einen französisch oder deutsch sprechenden Menschen trifft. Nur die Kenntnis des Italienischen giebt die Freiheit der Bewegung, die den wahren Genuß verbürgt; sie ermöglicht es vor allem, in Italien italienisch zu leben. Da höre ich natürlich gleich reden von schlechter italienischer Küche, von ranzigem Ol, von ewigen Macaroni (mit demselben Rechte, als wenn man von den Deutschen behaupten wollte, sie äßen nur Sauerkraut), von Schmutz und Ungeziefer u. f. w. in inönitum. Man müsse in deutsche oder französische oder englische Hotels gehen, um ohne Schaden für die Gesundheit durchzukommen. Nichts ist verkehrter. Ich habe, wenn es irgend ging, immer in italienischen Häusern gewohnt und in italienischen Wirtschaften (Trattoria, Nistoratvre, Osteria) gegessen und mich dabei in jeder Hinsicht sehr Wohl befunden. Elegant war es dort meist nicht, aber die Reinlichkeit ließ, auch in kleinern Orten, gewöhnlich nichts zu wünschen übrig, das Essen war gut und reichlich und, wie der vortreffliche Landwein (vino nel xgZss), an den mau sich sehr bald gewöhnt, durchweg billig. Teuer reist man in Italien nur, wenn man aus Vorurteil oder Zwang in die Allerweltshotels geht und seinen Schoppen nicht entbehren kann; dort bezahlt man natürlich für den Wein mindestens das Dreifache, ohne daß er besser wäre, und andres im Verhältnis, und zwar von Rechts wegen, denn es ist selbstverständlich, daß sich die Leute die Sprach¬ kenntnis, die der Reisende selber nicht hat, aber bei andern voraussetzt, und die Befriedigung der besondern Ansprüche, die er macht, bezahlen lassen. Lebt man italienisch, so giebt es keine große Stadt Europas, wo man angenehmer und wohlfeiler leben könnte als Rom. Und nicht nur das. Man ist dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/517>, abgerufen am 22.12.2024.