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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Lügen Dühring und die Größen der moderne" Litteratur

Dühring eingeschlagen hat, eine so erfreuliche Wirkung nicht zu erwarten ist.
Gilt es schon im allgemeinen, daß positives Eintreten für das Vorzügliche,
das Entwicklungsfähige weiter fordert, als der leidenschaftliche Angriff auf
Scheinwerte und Trugerscheinungen, so wird Kraft und Erfolg des Angriffs
vollends geschwächt, wenn er sich gegen eine zu breite Front und wenn er
sich gegen Geistesheroen richtet, die, wenn auch so wenig als irgend etwas
irdisches unangreifbar, aber die kraft ihrer Leistungen unverwundbar und un-
überwindbar geworden sind. Der Berserkerzorn, mit dem Dühring Lessing als
"Thcaterlitteraten und Judenanwalt" in den Staub zu werfen trachtet, Goethes
Genius zu "einem leichten, wenn schon eigcnwüchsigen Talent zur Gelegenheits¬
lyrik" herabzudrücken meint, Schiller zwar um seiner Lebensidealität willen
preist, aber seine Ideale von unstichhaltiger Art findet, die zur Selbst-
abschwächuug und gleichsam zum Bankrott geführt habe, Rousseau wohl um
seiner revolutionäre" Individualität, um der Freiheit seiner Antriebe und Ge¬
fühle willen feiert, aber wegen des Mangels jenes wahren geistigen Stolzes
bitter schilt, "der die Unterordnung unter ein sogenanntes höchstes Wesen
ungehörig und unedel findet," muß die überzeugende Kraft von Dührings
Kritik von vornherein schwer gefährden. Einige der "Jüngsten" werden zwar
geneigt sein, ihm für den vermeinten "Sturz" falscher Größen zu danken, aber
er erklärt selber zu oft in seinem Buche (und es ist ihm offenbar bittrer Ernst
damit), daß der Fortschritt nicht in der Verflachung, nicht in der Herab¬
ziehung alles Hervorragenden liege. "Wo sich Großes nicht mehr gegen das
Mittelmäßige abheben kaun, da ist schon Rückgang vorhanden und Auflösung
im Spiele. Der Kommunismus ist für die geistigen Ausstattungen fast noch
unwahrer und ungerechter als für die materielle". Auch er stützt sich auf die
Borherrschaft der Gemeinheit, ja der Niedertracht. Auch er eutstanuut, wo er
zum Prinzip gemacht wird, den schlechtesten Trieben und den Trieben der
Schlechtesten. Was die diebischen und räuberischen Neigungen im Materiellen,
das sind Neid und beschränkte Eitelkeit nach der fraglichen Seite hin im
Geistigen." Dühring greift Goethe und Schiller wahrhaftig nicht zu Gunsten
von Ibsen und Tolstoi an. Aber er hat durch eine maßlose und dogmatisch
starre Polemik gar zu viele von ihm mit Recht gering geschätzte und beiseite
geschobue Talente und Halbtalente in den für sie günstigen Fall gesetzt, sich
mit unsterblichen Größen der Dichtung in gleicher Verdammnis zu befinde,'.

Dührings Maßstäbe für die Größe" der Litteratur sind, wie nicht erst
gesagt zu werden braucht, in keiner Richtung die üblichen. "Es bleibt dabei,
daß nur Geister, die sich in ihren Gegenstand angemessen zu vertiefen vermögen,
ihm auch gerecht werden können. Solche wollen und können sich aber nicht
auf alles und jedes einlassen; sie scheuen die ihrer unwürdige Arbeit und die
zu ihnen nicht passende Gesellschaft. Sie sind ausnehmend wählerisch, und diese
Eigenschaft ist auch zuträglich für ihr Volk und die Menschheit; denn Erinne-


Lügen Dühring und die Größen der moderne» Litteratur

Dühring eingeschlagen hat, eine so erfreuliche Wirkung nicht zu erwarten ist.
Gilt es schon im allgemeinen, daß positives Eintreten für das Vorzügliche,
das Entwicklungsfähige weiter fordert, als der leidenschaftliche Angriff auf
Scheinwerte und Trugerscheinungen, so wird Kraft und Erfolg des Angriffs
vollends geschwächt, wenn er sich gegen eine zu breite Front und wenn er
sich gegen Geistesheroen richtet, die, wenn auch so wenig als irgend etwas
irdisches unangreifbar, aber die kraft ihrer Leistungen unverwundbar und un-
überwindbar geworden sind. Der Berserkerzorn, mit dem Dühring Lessing als
„Thcaterlitteraten und Judenanwalt" in den Staub zu werfen trachtet, Goethes
Genius zu „einem leichten, wenn schon eigcnwüchsigen Talent zur Gelegenheits¬
lyrik" herabzudrücken meint, Schiller zwar um seiner Lebensidealität willen
preist, aber seine Ideale von unstichhaltiger Art findet, die zur Selbst-
abschwächuug und gleichsam zum Bankrott geführt habe, Rousseau wohl um
seiner revolutionäre» Individualität, um der Freiheit seiner Antriebe und Ge¬
fühle willen feiert, aber wegen des Mangels jenes wahren geistigen Stolzes
bitter schilt, „der die Unterordnung unter ein sogenanntes höchstes Wesen
ungehörig und unedel findet," muß die überzeugende Kraft von Dührings
Kritik von vornherein schwer gefährden. Einige der „Jüngsten" werden zwar
geneigt sein, ihm für den vermeinten „Sturz" falscher Größen zu danken, aber
er erklärt selber zu oft in seinem Buche (und es ist ihm offenbar bittrer Ernst
damit), daß der Fortschritt nicht in der Verflachung, nicht in der Herab¬
ziehung alles Hervorragenden liege. „Wo sich Großes nicht mehr gegen das
Mittelmäßige abheben kaun, da ist schon Rückgang vorhanden und Auflösung
im Spiele. Der Kommunismus ist für die geistigen Ausstattungen fast noch
unwahrer und ungerechter als für die materielle». Auch er stützt sich auf die
Borherrschaft der Gemeinheit, ja der Niedertracht. Auch er eutstanuut, wo er
zum Prinzip gemacht wird, den schlechtesten Trieben und den Trieben der
Schlechtesten. Was die diebischen und räuberischen Neigungen im Materiellen,
das sind Neid und beschränkte Eitelkeit nach der fraglichen Seite hin im
Geistigen." Dühring greift Goethe und Schiller wahrhaftig nicht zu Gunsten
von Ibsen und Tolstoi an. Aber er hat durch eine maßlose und dogmatisch
starre Polemik gar zu viele von ihm mit Recht gering geschätzte und beiseite
geschobue Talente und Halbtalente in den für sie günstigen Fall gesetzt, sich
mit unsterblichen Größen der Dichtung in gleicher Verdammnis zu befinde,'.

Dührings Maßstäbe für die Größe» der Litteratur sind, wie nicht erst
gesagt zu werden braucht, in keiner Richtung die üblichen. „Es bleibt dabei,
daß nur Geister, die sich in ihren Gegenstand angemessen zu vertiefen vermögen,
ihm auch gerecht werden können. Solche wollen und können sich aber nicht
auf alles und jedes einlassen; sie scheuen die ihrer unwürdige Arbeit und die
zu ihnen nicht passende Gesellschaft. Sie sind ausnehmend wählerisch, und diese
Eigenschaft ist auch zuträglich für ihr Volk und die Menschheit; denn Erinne-


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[0048] Lügen Dühring und die Größen der moderne» Litteratur Dühring eingeschlagen hat, eine so erfreuliche Wirkung nicht zu erwarten ist. Gilt es schon im allgemeinen, daß positives Eintreten für das Vorzügliche, das Entwicklungsfähige weiter fordert, als der leidenschaftliche Angriff auf Scheinwerte und Trugerscheinungen, so wird Kraft und Erfolg des Angriffs vollends geschwächt, wenn er sich gegen eine zu breite Front und wenn er sich gegen Geistesheroen richtet, die, wenn auch so wenig als irgend etwas irdisches unangreifbar, aber die kraft ihrer Leistungen unverwundbar und un- überwindbar geworden sind. Der Berserkerzorn, mit dem Dühring Lessing als „Thcaterlitteraten und Judenanwalt" in den Staub zu werfen trachtet, Goethes Genius zu „einem leichten, wenn schon eigcnwüchsigen Talent zur Gelegenheits¬ lyrik" herabzudrücken meint, Schiller zwar um seiner Lebensidealität willen preist, aber seine Ideale von unstichhaltiger Art findet, die zur Selbst- abschwächuug und gleichsam zum Bankrott geführt habe, Rousseau wohl um seiner revolutionäre» Individualität, um der Freiheit seiner Antriebe und Ge¬ fühle willen feiert, aber wegen des Mangels jenes wahren geistigen Stolzes bitter schilt, „der die Unterordnung unter ein sogenanntes höchstes Wesen ungehörig und unedel findet," muß die überzeugende Kraft von Dührings Kritik von vornherein schwer gefährden. Einige der „Jüngsten" werden zwar geneigt sein, ihm für den vermeinten „Sturz" falscher Größen zu danken, aber er erklärt selber zu oft in seinem Buche (und es ist ihm offenbar bittrer Ernst damit), daß der Fortschritt nicht in der Verflachung, nicht in der Herab¬ ziehung alles Hervorragenden liege. „Wo sich Großes nicht mehr gegen das Mittelmäßige abheben kaun, da ist schon Rückgang vorhanden und Auflösung im Spiele. Der Kommunismus ist für die geistigen Ausstattungen fast noch unwahrer und ungerechter als für die materielle». Auch er stützt sich auf die Borherrschaft der Gemeinheit, ja der Niedertracht. Auch er eutstanuut, wo er zum Prinzip gemacht wird, den schlechtesten Trieben und den Trieben der Schlechtesten. Was die diebischen und räuberischen Neigungen im Materiellen, das sind Neid und beschränkte Eitelkeit nach der fraglichen Seite hin im Geistigen." Dühring greift Goethe und Schiller wahrhaftig nicht zu Gunsten von Ibsen und Tolstoi an. Aber er hat durch eine maßlose und dogmatisch starre Polemik gar zu viele von ihm mit Recht gering geschätzte und beiseite geschobue Talente und Halbtalente in den für sie günstigen Fall gesetzt, sich mit unsterblichen Größen der Dichtung in gleicher Verdammnis zu befinde,'. Dührings Maßstäbe für die Größe» der Litteratur sind, wie nicht erst gesagt zu werden braucht, in keiner Richtung die üblichen. „Es bleibt dabei, daß nur Geister, die sich in ihren Gegenstand angemessen zu vertiefen vermögen, ihm auch gerecht werden können. Solche wollen und können sich aber nicht auf alles und jedes einlassen; sie scheuen die ihrer unwürdige Arbeit und die zu ihnen nicht passende Gesellschaft. Sie sind ausnehmend wählerisch, und diese Eigenschaft ist auch zuträglich für ihr Volk und die Menschheit; denn Erinne-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/48>, abgerufen am 24.08.2024.