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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Aeitenstrome

u. s. w. Ich weiß nicht mehr, wie ich meiner Entrüstung über eine solche
Beichte Luft gemacht habe, nur soviel weiß ich, daß ich um Punkt drei Uhr
bei Schwärtners anklopfte. Als ich die Thür öffnete, fielen zu meinem Schrecken
sämtliche Anwesende auf ihre Kniee nieder, und ein junger Mann sagte: Ihr
Herr Vorgänger hat uns jedesmal beim Kommen und beim Gehen den Segen
gespendet, wir bitten, daß Sie es auch so halten. Mir war das furchtbar
Peinlich, aber es blieb mir nichts übrig, als mich zu fügen. Dem Vater
Schwärtner half man dann wieder auf die Beine und setzte ihn in die Ofenecke,
wo er seinen Kaffee bekam und darauf einnickte, wir andern aber setzten uns
um den Tisch herum, auf lauter Rosen. Die Frau Schwärter nämlich, eine
schlanke Frau mit einem kindlichen frischen Gesichtchen, die reine Unschuld und
Herzensgüte, hatte die einzige Leidenschaft, auf Kaffeesackzeug Rosenbouquets
und Rosenguirlanden zu sticken und damit die Sofas, die Stühle, die Fenster-
Polster, die Kommoden zu überziehen. Der junge Mann, namens Fuchs, hatte
ein bartloses runzliges Gesicht, wie ein älterer Bauer. Bauer war er auch,
indem er zwar das Handwerk seines Vaters, die Sattlerei gelernt hatte, damals
aber die Ackerwirtschaft seiner Eltern besorgte. Außerdem war noch ein Bahn¬
meister mit seiner Frau anwesend. Das war eine lebhafte hübsche Person,
die Scherze und Gedichte in schlesischer Mundart aus dem, Ärmel schüttelte,
gleichzeitig aber -- sie war Konvertitin -- zusammen mit dem jungen Fuchs
dafür sorgte, daß der kleine Zirkel die Religiosität im streng nltrcunontcmen
Sinne pflegte und der in der Gemeinde herrschenden Lauheit und Gottlosig¬
keit durch das Beispiel fleißigen Kirchenbesuchs, öfterer Beichte und auffälliger
Andachtsübungen entgegenwirkte, und ihr Mann, ein kreuzbraver Kerl "von
der Artollerie," mußte eben wohl oder übel mit. Gar zu schlimm hatte ers
ja nicht dabei, da ihn vor übermüßigem Kirchenbesuch sein Dienst behütete,
bei den Zusammenkünften aber für gute Naturalverpflegung und im allge¬
meinen verständige Unterhaltung, die mit harmlosen Scherz gewürzt wurde,
gesorgt war. Wenn der überspannte Fuchs, der, ebenfalls Konvertit, die
Frömmigkeit von seiner Wanderschaft, und zwar aus Tirol mit heimgebracht
hatte und sich bemühte, dieses exotische Gewächs aus dem kalten Herzensacker
der derb realistischen Rehberger zu akklimatistren, wenn dieser junge Schwärmer
auf Flügeln der Mystik ins Blane zu enteilen Miene machte, holte ihn die
Frau Bahnmeisterin, die ihn fest an der Strippe hielt, immer wieder mit einem
kräftigen Ruck auf die Erde herunter. Essen Sie doch, fuhr sie ihn an, als
er mit andächtig gefalteten Händen verzückten Blicks bald auf die Heiligenbilder
an der Wand bald auf mich starrte. -- Wie kann man sich mit dem Erdenkot
besassen, der nur mit Füßen getreten zu werden verdient, wenn man himm¬
lisches Manna erwartet! -- Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl für mich,
daß ich etwas erbauliches loslassen sollte. -- Sie baulicher Kerl, antwortete
sie, wie können Sie so von Gottes Gaben sprechen; überhaupt Sie, der Sie


Wandlungen des Ich im Aeitenstrome

u. s. w. Ich weiß nicht mehr, wie ich meiner Entrüstung über eine solche
Beichte Luft gemacht habe, nur soviel weiß ich, daß ich um Punkt drei Uhr
bei Schwärtners anklopfte. Als ich die Thür öffnete, fielen zu meinem Schrecken
sämtliche Anwesende auf ihre Kniee nieder, und ein junger Mann sagte: Ihr
Herr Vorgänger hat uns jedesmal beim Kommen und beim Gehen den Segen
gespendet, wir bitten, daß Sie es auch so halten. Mir war das furchtbar
Peinlich, aber es blieb mir nichts übrig, als mich zu fügen. Dem Vater
Schwärtner half man dann wieder auf die Beine und setzte ihn in die Ofenecke,
wo er seinen Kaffee bekam und darauf einnickte, wir andern aber setzten uns
um den Tisch herum, auf lauter Rosen. Die Frau Schwärter nämlich, eine
schlanke Frau mit einem kindlichen frischen Gesichtchen, die reine Unschuld und
Herzensgüte, hatte die einzige Leidenschaft, auf Kaffeesackzeug Rosenbouquets
und Rosenguirlanden zu sticken und damit die Sofas, die Stühle, die Fenster-
Polster, die Kommoden zu überziehen. Der junge Mann, namens Fuchs, hatte
ein bartloses runzliges Gesicht, wie ein älterer Bauer. Bauer war er auch,
indem er zwar das Handwerk seines Vaters, die Sattlerei gelernt hatte, damals
aber die Ackerwirtschaft seiner Eltern besorgte. Außerdem war noch ein Bahn¬
meister mit seiner Frau anwesend. Das war eine lebhafte hübsche Person,
die Scherze und Gedichte in schlesischer Mundart aus dem, Ärmel schüttelte,
gleichzeitig aber — sie war Konvertitin — zusammen mit dem jungen Fuchs
dafür sorgte, daß der kleine Zirkel die Religiosität im streng nltrcunontcmen
Sinne pflegte und der in der Gemeinde herrschenden Lauheit und Gottlosig¬
keit durch das Beispiel fleißigen Kirchenbesuchs, öfterer Beichte und auffälliger
Andachtsübungen entgegenwirkte, und ihr Mann, ein kreuzbraver Kerl „von
der Artollerie," mußte eben wohl oder übel mit. Gar zu schlimm hatte ers
ja nicht dabei, da ihn vor übermüßigem Kirchenbesuch sein Dienst behütete,
bei den Zusammenkünften aber für gute Naturalverpflegung und im allge¬
meinen verständige Unterhaltung, die mit harmlosen Scherz gewürzt wurde,
gesorgt war. Wenn der überspannte Fuchs, der, ebenfalls Konvertit, die
Frömmigkeit von seiner Wanderschaft, und zwar aus Tirol mit heimgebracht
hatte und sich bemühte, dieses exotische Gewächs aus dem kalten Herzensacker
der derb realistischen Rehberger zu akklimatistren, wenn dieser junge Schwärmer
auf Flügeln der Mystik ins Blane zu enteilen Miene machte, holte ihn die
Frau Bahnmeisterin, die ihn fest an der Strippe hielt, immer wieder mit einem
kräftigen Ruck auf die Erde herunter. Essen Sie doch, fuhr sie ihn an, als
er mit andächtig gefalteten Händen verzückten Blicks bald auf die Heiligenbilder
an der Wand bald auf mich starrte. — Wie kann man sich mit dem Erdenkot
besassen, der nur mit Füßen getreten zu werden verdient, wenn man himm¬
lisches Manna erwartet! — Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl für mich,
daß ich etwas erbauliches loslassen sollte. — Sie baulicher Kerl, antwortete
sie, wie können Sie so von Gottes Gaben sprechen; überhaupt Sie, der Sie


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[0479] Wandlungen des Ich im Aeitenstrome u. s. w. Ich weiß nicht mehr, wie ich meiner Entrüstung über eine solche Beichte Luft gemacht habe, nur soviel weiß ich, daß ich um Punkt drei Uhr bei Schwärtners anklopfte. Als ich die Thür öffnete, fielen zu meinem Schrecken sämtliche Anwesende auf ihre Kniee nieder, und ein junger Mann sagte: Ihr Herr Vorgänger hat uns jedesmal beim Kommen und beim Gehen den Segen gespendet, wir bitten, daß Sie es auch so halten. Mir war das furchtbar Peinlich, aber es blieb mir nichts übrig, als mich zu fügen. Dem Vater Schwärtner half man dann wieder auf die Beine und setzte ihn in die Ofenecke, wo er seinen Kaffee bekam und darauf einnickte, wir andern aber setzten uns um den Tisch herum, auf lauter Rosen. Die Frau Schwärter nämlich, eine schlanke Frau mit einem kindlichen frischen Gesichtchen, die reine Unschuld und Herzensgüte, hatte die einzige Leidenschaft, auf Kaffeesackzeug Rosenbouquets und Rosenguirlanden zu sticken und damit die Sofas, die Stühle, die Fenster- Polster, die Kommoden zu überziehen. Der junge Mann, namens Fuchs, hatte ein bartloses runzliges Gesicht, wie ein älterer Bauer. Bauer war er auch, indem er zwar das Handwerk seines Vaters, die Sattlerei gelernt hatte, damals aber die Ackerwirtschaft seiner Eltern besorgte. Außerdem war noch ein Bahn¬ meister mit seiner Frau anwesend. Das war eine lebhafte hübsche Person, die Scherze und Gedichte in schlesischer Mundart aus dem, Ärmel schüttelte, gleichzeitig aber — sie war Konvertitin — zusammen mit dem jungen Fuchs dafür sorgte, daß der kleine Zirkel die Religiosität im streng nltrcunontcmen Sinne pflegte und der in der Gemeinde herrschenden Lauheit und Gottlosig¬ keit durch das Beispiel fleißigen Kirchenbesuchs, öfterer Beichte und auffälliger Andachtsübungen entgegenwirkte, und ihr Mann, ein kreuzbraver Kerl „von der Artollerie," mußte eben wohl oder übel mit. Gar zu schlimm hatte ers ja nicht dabei, da ihn vor übermüßigem Kirchenbesuch sein Dienst behütete, bei den Zusammenkünften aber für gute Naturalverpflegung und im allge¬ meinen verständige Unterhaltung, die mit harmlosen Scherz gewürzt wurde, gesorgt war. Wenn der überspannte Fuchs, der, ebenfalls Konvertit, die Frömmigkeit von seiner Wanderschaft, und zwar aus Tirol mit heimgebracht hatte und sich bemühte, dieses exotische Gewächs aus dem kalten Herzensacker der derb realistischen Rehberger zu akklimatistren, wenn dieser junge Schwärmer auf Flügeln der Mystik ins Blane zu enteilen Miene machte, holte ihn die Frau Bahnmeisterin, die ihn fest an der Strippe hielt, immer wieder mit einem kräftigen Ruck auf die Erde herunter. Essen Sie doch, fuhr sie ihn an, als er mit andächtig gefalteten Händen verzückten Blicks bald auf die Heiligenbilder an der Wand bald auf mich starrte. — Wie kann man sich mit dem Erdenkot besassen, der nur mit Füßen getreten zu werden verdient, wenn man himm¬ lisches Manna erwartet! — Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl für mich, daß ich etwas erbauliches loslassen sollte. — Sie baulicher Kerl, antwortete sie, wie können Sie so von Gottes Gaben sprechen; überhaupt Sie, der Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/479>, abgerufen am 22.12.2024.