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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenslrome

gebeten und predigen Se morgen für mich. Morgen kann ich nicht aus der
Stube; denn da kommen die Bauern mit der Ackerpacht, und wenn ich da
nicht zu Hause bin, haben wir im nächsten Jahre nichts zu leben!

Das erschreckte mich zwar ein wenig, denn auf so kurze Vorbereitungszeit
war ich damals noch nicht eingerichtet, aber die Ackerpacht erregte doch an¬
genehme Gedanken. Aha. dachte ich, da wird es wohl endlich einmal Geld
setzen. Denn Neujahr war vorübergegangen, ohne daß ich etwas erhalten
hätte. Als Weihnachtsgeschenk hatte ich 5 Thaler bekommen. Es kam aber
auch die nächsten Tage noch nichts. Endlich fragte ich einmal beim Mittag¬
essen: Giebts hier auch Gehalt? Und wie viel wohl? -- Fuszen Tholer post-
numercmdo. -- Na, dachte ich, das ist ja ein recht bequemer Dlvidendus. Da
kannst du fünf Thaler der Mutter geben, fünf aufs Schuldenbezahlen ver¬
wenden und behältst fünf übrig, was reichlich für Kleider, Bücher und Taschen¬
geld langt. Als daun aber das Geld endlich kam, waren es 15 Thaler aufs
Vierteljahr, und mein schöner Einteilungsplan ging in die Brüche.

An und für sich sind 60 Thaler im Jahr bei ganz freier sehr guter
Station für einen jungen Geistlichen kein schlechtes Einkommen, obwohl nicht
sehr standesgemäß, weil schon damals jeder Großknecht ebensoviel bezog. Aber
wenn man Schulden zu bezahlen und arme Verwandte zu unterstützen hat,
würde man ein paar Thaler mehr bei einer weniger üppigen Beköstigung vor¬
ziehen. Übrigens erhöhte sich das Einkommen mit der Zeit durch Meßstipen¬
dien beinahe auf das Doppelte. In Rehberg gab es keine; aber ein Freund
schrieb mir, man bringe ihm soviel, daß er den Verpflichtungen nicht genügen
könne, ob ich ihm die überschüssigen abnehmen wolle. Natürlich war ich bereit,
obwohl mir diese Art Bankgeschäft wunderlich und anstößig vorkam. Allein
ich erfuhr, daß das allgemein üblich sei.

Da ich den ganzen Tag allein war mit den Büchern, die ich aus ver-
schiednen Bibliotheken bezog, der Mittagstisch, das Viertelstündchen in der Küche
und der Spaziergang die einzige Abwechslung bildeten, so wurde mir jede der
spärlichen Amtshandlungen zum Feste. Das Predigen macht in der ersten Zeit
um so mehr Freude, als man eine Menge Weisheit aufgestapelt hat, die man
doch gern an den Mann bringen möchte. Und daß es auch den nicht zahl¬
reichen Zuhörern Freude mache, erfuhr ich gelegentlich vom Glöckner Menzel.
Menzel war ein alter Unteroffizier: lang, dürr, steif, von stets kerzengerader
Haltung, in allem streng militärisch. Beim Hochamt trat er mit dem Klingel¬
beutel in die Sakristeithür, sobald der Geistliche das vreäo in unum venin
anstimmte, und genau gleichzeitig mit der Silbe um fiel sein ausgestreckter
linker Fuß aufs Pflaster nieder, und es wurde losmarschiert. Jeden Morgen
Punkt ^8 Uhr erschien er in unsrer Wohnung, um die Kelche zu holen und
zu fragen, ob wir Messe lesen würden, was bei mir überflüssig war. da ich
Ule aussetzte; aber er wich nicht vom Herkommen. Zum Pfarrer sagte er:


Wandlungen des Ich im Zeitenslrome

gebeten und predigen Se morgen für mich. Morgen kann ich nicht aus der
Stube; denn da kommen die Bauern mit der Ackerpacht, und wenn ich da
nicht zu Hause bin, haben wir im nächsten Jahre nichts zu leben!

Das erschreckte mich zwar ein wenig, denn auf so kurze Vorbereitungszeit
war ich damals noch nicht eingerichtet, aber die Ackerpacht erregte doch an¬
genehme Gedanken. Aha. dachte ich, da wird es wohl endlich einmal Geld
setzen. Denn Neujahr war vorübergegangen, ohne daß ich etwas erhalten
hätte. Als Weihnachtsgeschenk hatte ich 5 Thaler bekommen. Es kam aber
auch die nächsten Tage noch nichts. Endlich fragte ich einmal beim Mittag¬
essen: Giebts hier auch Gehalt? Und wie viel wohl? — Fuszen Tholer post-
numercmdo. — Na, dachte ich, das ist ja ein recht bequemer Dlvidendus. Da
kannst du fünf Thaler der Mutter geben, fünf aufs Schuldenbezahlen ver¬
wenden und behältst fünf übrig, was reichlich für Kleider, Bücher und Taschen¬
geld langt. Als daun aber das Geld endlich kam, waren es 15 Thaler aufs
Vierteljahr, und mein schöner Einteilungsplan ging in die Brüche.

An und für sich sind 60 Thaler im Jahr bei ganz freier sehr guter
Station für einen jungen Geistlichen kein schlechtes Einkommen, obwohl nicht
sehr standesgemäß, weil schon damals jeder Großknecht ebensoviel bezog. Aber
wenn man Schulden zu bezahlen und arme Verwandte zu unterstützen hat,
würde man ein paar Thaler mehr bei einer weniger üppigen Beköstigung vor¬
ziehen. Übrigens erhöhte sich das Einkommen mit der Zeit durch Meßstipen¬
dien beinahe auf das Doppelte. In Rehberg gab es keine; aber ein Freund
schrieb mir, man bringe ihm soviel, daß er den Verpflichtungen nicht genügen
könne, ob ich ihm die überschüssigen abnehmen wolle. Natürlich war ich bereit,
obwohl mir diese Art Bankgeschäft wunderlich und anstößig vorkam. Allein
ich erfuhr, daß das allgemein üblich sei.

Da ich den ganzen Tag allein war mit den Büchern, die ich aus ver-
schiednen Bibliotheken bezog, der Mittagstisch, das Viertelstündchen in der Küche
und der Spaziergang die einzige Abwechslung bildeten, so wurde mir jede der
spärlichen Amtshandlungen zum Feste. Das Predigen macht in der ersten Zeit
um so mehr Freude, als man eine Menge Weisheit aufgestapelt hat, die man
doch gern an den Mann bringen möchte. Und daß es auch den nicht zahl¬
reichen Zuhörern Freude mache, erfuhr ich gelegentlich vom Glöckner Menzel.
Menzel war ein alter Unteroffizier: lang, dürr, steif, von stets kerzengerader
Haltung, in allem streng militärisch. Beim Hochamt trat er mit dem Klingel¬
beutel in die Sakristeithür, sobald der Geistliche das vreäo in unum venin
anstimmte, und genau gleichzeitig mit der Silbe um fiel sein ausgestreckter
linker Fuß aufs Pflaster nieder, und es wurde losmarschiert. Jeden Morgen
Punkt ^8 Uhr erschien er in unsrer Wohnung, um die Kelche zu holen und
zu fragen, ob wir Messe lesen würden, was bei mir überflüssig war. da ich
Ule aussetzte; aber er wich nicht vom Herkommen. Zum Pfarrer sagte er:


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[0477] Wandlungen des Ich im Zeitenslrome gebeten und predigen Se morgen für mich. Morgen kann ich nicht aus der Stube; denn da kommen die Bauern mit der Ackerpacht, und wenn ich da nicht zu Hause bin, haben wir im nächsten Jahre nichts zu leben! Das erschreckte mich zwar ein wenig, denn auf so kurze Vorbereitungszeit war ich damals noch nicht eingerichtet, aber die Ackerpacht erregte doch an¬ genehme Gedanken. Aha. dachte ich, da wird es wohl endlich einmal Geld setzen. Denn Neujahr war vorübergegangen, ohne daß ich etwas erhalten hätte. Als Weihnachtsgeschenk hatte ich 5 Thaler bekommen. Es kam aber auch die nächsten Tage noch nichts. Endlich fragte ich einmal beim Mittag¬ essen: Giebts hier auch Gehalt? Und wie viel wohl? — Fuszen Tholer post- numercmdo. — Na, dachte ich, das ist ja ein recht bequemer Dlvidendus. Da kannst du fünf Thaler der Mutter geben, fünf aufs Schuldenbezahlen ver¬ wenden und behältst fünf übrig, was reichlich für Kleider, Bücher und Taschen¬ geld langt. Als daun aber das Geld endlich kam, waren es 15 Thaler aufs Vierteljahr, und mein schöner Einteilungsplan ging in die Brüche. An und für sich sind 60 Thaler im Jahr bei ganz freier sehr guter Station für einen jungen Geistlichen kein schlechtes Einkommen, obwohl nicht sehr standesgemäß, weil schon damals jeder Großknecht ebensoviel bezog. Aber wenn man Schulden zu bezahlen und arme Verwandte zu unterstützen hat, würde man ein paar Thaler mehr bei einer weniger üppigen Beköstigung vor¬ ziehen. Übrigens erhöhte sich das Einkommen mit der Zeit durch Meßstipen¬ dien beinahe auf das Doppelte. In Rehberg gab es keine; aber ein Freund schrieb mir, man bringe ihm soviel, daß er den Verpflichtungen nicht genügen könne, ob ich ihm die überschüssigen abnehmen wolle. Natürlich war ich bereit, obwohl mir diese Art Bankgeschäft wunderlich und anstößig vorkam. Allein ich erfuhr, daß das allgemein üblich sei. Da ich den ganzen Tag allein war mit den Büchern, die ich aus ver- schiednen Bibliotheken bezog, der Mittagstisch, das Viertelstündchen in der Küche und der Spaziergang die einzige Abwechslung bildeten, so wurde mir jede der spärlichen Amtshandlungen zum Feste. Das Predigen macht in der ersten Zeit um so mehr Freude, als man eine Menge Weisheit aufgestapelt hat, die man doch gern an den Mann bringen möchte. Und daß es auch den nicht zahl¬ reichen Zuhörern Freude mache, erfuhr ich gelegentlich vom Glöckner Menzel. Menzel war ein alter Unteroffizier: lang, dürr, steif, von stets kerzengerader Haltung, in allem streng militärisch. Beim Hochamt trat er mit dem Klingel¬ beutel in die Sakristeithür, sobald der Geistliche das vreäo in unum venin anstimmte, und genau gleichzeitig mit der Silbe um fiel sein ausgestreckter linker Fuß aufs Pflaster nieder, und es wurde losmarschiert. Jeden Morgen Punkt ^8 Uhr erschien er in unsrer Wohnung, um die Kelche zu holen und zu fragen, ob wir Messe lesen würden, was bei mir überflüssig war. da ich Ule aussetzte; aber er wich nicht vom Herkommen. Zum Pfarrer sagte er:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/477>, abgerufen am 25.08.2024.