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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

ihn einmal. Ich trat in sein Wohnzimmer, wo er, mit dem Rücken gegen die
Thür, an seinem Schreibtisch saß. Guten Morgen, Bär, sagte ich, nahm mir
vom Tisch eine Cigarre, zündete sie an, setzte mich aufs Sofa und rauchte sie
zu Ende. Nachdem ich mir eine zweite angezündet hatte, drehte sich Bär um
und sagte: Guten Morgen, Pohl! Hast du deine Hühner noch?

Bär war mittelgroß, starkknochig und breitschultrig, zwar nicht unförmlich
fett, aber doch hinlänglich beschwert, um beim Gehen wie ein Tanzbär zu
watscheln, hatte einen Stiernacken, die nach Unteroffizierart vor die Ohren
gekämmten Haare waren an den Enden stark auswärts gekrümmt, die Augen,
gewöhnlich schläfrig und halb geschlossen, verrieten mit dem Munde zusammen
Pfiffigkeit; Augen und Lippen waren gewöhnlich feucht, und die erstern
strömten bei Predigten und namentlich bei Grabreden leicht von Thränen über,
die Gesichtsfarbe endlich bekundete den täglichen Alkoholgenuß. Na, sein Se
willkommen, beantwortete er meine Anrede; nächsten Sonntag haben Se hier
Gottesdienst; Dienstag und Freitag um achte geben Se Religionsunterricht in
der kleinen Klasse, jeden Mittwoch fahren Se nach Eliscnbrunn, wo Se Messe
lesen und Religionsunterricht geben, im Sommer halten Se dort jeden Sonntag
Gottesdienst, und hier haben Se im Sommer um halb acht Uhr Schulmesse.
Im Winter können Se auch um dieselbe Zeit zelebriren, wenn Se wollen.
Adjee!

Es war eine lange und anstrengende Rede gewesen, wie er schon lange
keine gehalten hatte, und er hatte augenscheinlich genug. Das Mittagessen ver¬
lief sehr einsilbig; doch ereignete sich dabei etwas, wovon ich erst später erfuhr,
daß es für meine Stellung in Rehberg entscheidend gewesen sei. Zum Rind¬
fleisch wurde eine saure Gurke gegeben. Bär zerschnitt sie mit feierlicher Be¬
dächtigkeit in Scheibchen und schob mir das Tellerchen hin. Natürlich nahm
ich einige Scheibchen. Nun war mein Vorgänger ein cholerischer und magen¬
leidender Mann gewesen, der sich täglich mit der Wirtschafterin gezankt hatte,
teils wegen des gottlosen Treibens auf dem Pfarrhofe, teils wegen der sauern
Gurken, die er nicht vertrug, und dem Pfarrer war gar manches Mittagessen
durch heftige Szenen verdorben worden, soweit einem solchen Phlegmatikns
irgend etwas durch Aufregung verdorben werden kann. Der Krieg war noch
heftiger entbrannt, als die andächtigen Weiblein der Gemeinde von den Seelen-
und Magenleiden ihres verehrten Seelsorgers Kunde erhielten und nun an¬
fingen, ihm mit gebacknen Pflaumen beizuspringen. Wie ein Cerberus Pflegte
die böse Elise die frommen Pflegerinnen anzufallen, und mancher Topf voll
Süßigkeiten ging auf dem gefährlichen Wege zu seiner Bestimmung in Scherben.
Acht Jahre lang hatte dieser Pflaumenkrieg gedauert. Nach jenem meinem
ersten Mittagmahle nun wurde der Pfarrer, als er nach dem Mittagschlaf
wie gewöhnlich zum Kaffee in der Küche erschien, von Elisen gefragt: Na,
wie gefällt er Ihnen? -- 'S wird giehn, a ißt Saures. Und es ging! Ich


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

ihn einmal. Ich trat in sein Wohnzimmer, wo er, mit dem Rücken gegen die
Thür, an seinem Schreibtisch saß. Guten Morgen, Bär, sagte ich, nahm mir
vom Tisch eine Cigarre, zündete sie an, setzte mich aufs Sofa und rauchte sie
zu Ende. Nachdem ich mir eine zweite angezündet hatte, drehte sich Bär um
und sagte: Guten Morgen, Pohl! Hast du deine Hühner noch?

Bär war mittelgroß, starkknochig und breitschultrig, zwar nicht unförmlich
fett, aber doch hinlänglich beschwert, um beim Gehen wie ein Tanzbär zu
watscheln, hatte einen Stiernacken, die nach Unteroffizierart vor die Ohren
gekämmten Haare waren an den Enden stark auswärts gekrümmt, die Augen,
gewöhnlich schläfrig und halb geschlossen, verrieten mit dem Munde zusammen
Pfiffigkeit; Augen und Lippen waren gewöhnlich feucht, und die erstern
strömten bei Predigten und namentlich bei Grabreden leicht von Thränen über,
die Gesichtsfarbe endlich bekundete den täglichen Alkoholgenuß. Na, sein Se
willkommen, beantwortete er meine Anrede; nächsten Sonntag haben Se hier
Gottesdienst; Dienstag und Freitag um achte geben Se Religionsunterricht in
der kleinen Klasse, jeden Mittwoch fahren Se nach Eliscnbrunn, wo Se Messe
lesen und Religionsunterricht geben, im Sommer halten Se dort jeden Sonntag
Gottesdienst, und hier haben Se im Sommer um halb acht Uhr Schulmesse.
Im Winter können Se auch um dieselbe Zeit zelebriren, wenn Se wollen.
Adjee!

Es war eine lange und anstrengende Rede gewesen, wie er schon lange
keine gehalten hatte, und er hatte augenscheinlich genug. Das Mittagessen ver¬
lief sehr einsilbig; doch ereignete sich dabei etwas, wovon ich erst später erfuhr,
daß es für meine Stellung in Rehberg entscheidend gewesen sei. Zum Rind¬
fleisch wurde eine saure Gurke gegeben. Bär zerschnitt sie mit feierlicher Be¬
dächtigkeit in Scheibchen und schob mir das Tellerchen hin. Natürlich nahm
ich einige Scheibchen. Nun war mein Vorgänger ein cholerischer und magen¬
leidender Mann gewesen, der sich täglich mit der Wirtschafterin gezankt hatte,
teils wegen des gottlosen Treibens auf dem Pfarrhofe, teils wegen der sauern
Gurken, die er nicht vertrug, und dem Pfarrer war gar manches Mittagessen
durch heftige Szenen verdorben worden, soweit einem solchen Phlegmatikns
irgend etwas durch Aufregung verdorben werden kann. Der Krieg war noch
heftiger entbrannt, als die andächtigen Weiblein der Gemeinde von den Seelen-
und Magenleiden ihres verehrten Seelsorgers Kunde erhielten und nun an¬
fingen, ihm mit gebacknen Pflaumen beizuspringen. Wie ein Cerberus Pflegte
die böse Elise die frommen Pflegerinnen anzufallen, und mancher Topf voll
Süßigkeiten ging auf dem gefährlichen Wege zu seiner Bestimmung in Scherben.
Acht Jahre lang hatte dieser Pflaumenkrieg gedauert. Nach jenem meinem
ersten Mittagmahle nun wurde der Pfarrer, als er nach dem Mittagschlaf
wie gewöhnlich zum Kaffee in der Küche erschien, von Elisen gefragt: Na,
wie gefällt er Ihnen? — 'S wird giehn, a ißt Saures. Und es ging! Ich


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[0475] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome ihn einmal. Ich trat in sein Wohnzimmer, wo er, mit dem Rücken gegen die Thür, an seinem Schreibtisch saß. Guten Morgen, Bär, sagte ich, nahm mir vom Tisch eine Cigarre, zündete sie an, setzte mich aufs Sofa und rauchte sie zu Ende. Nachdem ich mir eine zweite angezündet hatte, drehte sich Bär um und sagte: Guten Morgen, Pohl! Hast du deine Hühner noch? Bär war mittelgroß, starkknochig und breitschultrig, zwar nicht unförmlich fett, aber doch hinlänglich beschwert, um beim Gehen wie ein Tanzbär zu watscheln, hatte einen Stiernacken, die nach Unteroffizierart vor die Ohren gekämmten Haare waren an den Enden stark auswärts gekrümmt, die Augen, gewöhnlich schläfrig und halb geschlossen, verrieten mit dem Munde zusammen Pfiffigkeit; Augen und Lippen waren gewöhnlich feucht, und die erstern strömten bei Predigten und namentlich bei Grabreden leicht von Thränen über, die Gesichtsfarbe endlich bekundete den täglichen Alkoholgenuß. Na, sein Se willkommen, beantwortete er meine Anrede; nächsten Sonntag haben Se hier Gottesdienst; Dienstag und Freitag um achte geben Se Religionsunterricht in der kleinen Klasse, jeden Mittwoch fahren Se nach Eliscnbrunn, wo Se Messe lesen und Religionsunterricht geben, im Sommer halten Se dort jeden Sonntag Gottesdienst, und hier haben Se im Sommer um halb acht Uhr Schulmesse. Im Winter können Se auch um dieselbe Zeit zelebriren, wenn Se wollen. Adjee! Es war eine lange und anstrengende Rede gewesen, wie er schon lange keine gehalten hatte, und er hatte augenscheinlich genug. Das Mittagessen ver¬ lief sehr einsilbig; doch ereignete sich dabei etwas, wovon ich erst später erfuhr, daß es für meine Stellung in Rehberg entscheidend gewesen sei. Zum Rind¬ fleisch wurde eine saure Gurke gegeben. Bär zerschnitt sie mit feierlicher Be¬ dächtigkeit in Scheibchen und schob mir das Tellerchen hin. Natürlich nahm ich einige Scheibchen. Nun war mein Vorgänger ein cholerischer und magen¬ leidender Mann gewesen, der sich täglich mit der Wirtschafterin gezankt hatte, teils wegen des gottlosen Treibens auf dem Pfarrhofe, teils wegen der sauern Gurken, die er nicht vertrug, und dem Pfarrer war gar manches Mittagessen durch heftige Szenen verdorben worden, soweit einem solchen Phlegmatikns irgend etwas durch Aufregung verdorben werden kann. Der Krieg war noch heftiger entbrannt, als die andächtigen Weiblein der Gemeinde von den Seelen- und Magenleiden ihres verehrten Seelsorgers Kunde erhielten und nun an¬ fingen, ihm mit gebacknen Pflaumen beizuspringen. Wie ein Cerberus Pflegte die böse Elise die frommen Pflegerinnen anzufallen, und mancher Topf voll Süßigkeiten ging auf dem gefährlichen Wege zu seiner Bestimmung in Scherben. Acht Jahre lang hatte dieser Pflaumenkrieg gedauert. Nach jenem meinem ersten Mittagmahle nun wurde der Pfarrer, als er nach dem Mittagschlaf wie gewöhnlich zum Kaffee in der Küche erschien, von Elisen gefragt: Na, wie gefällt er Ihnen? — 'S wird giehn, a ißt Saures. Und es ging! Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/475>, abgerufen am 26.08.2024.