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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Auf der Hohen Salzburg

troffen ist. Nur zu! Kraftvoll war der Kampf, und edel die Kriegsweise
im Vergleich mit unsern Massenmordmaschinen, unsern tückischen Maxim¬
geschossen, unsern höllischen Torpedos.

Da geleitet uns der unvermeidliche Führer eine steile Wendeltreppe hinauf
in Räume, in denen das Blut zu Eis erschauert: es sind die Folterkammern.
Hier hinauf schleppte man aus jenen grausigen Gewölben da unten unselige
Menschen, längst geschieden von aller Hilfe und aller Hoffnung, um sie zu
schlachten, nachdem man ihre Glieder mit Qualen auseiucmdergereckt hatte,
deren jede einzelne von einer ganzen Hölle ersonnen scheint! Ist es möglich?
Diese Sonne verhüllte nicht ihren Glanz, der helle Fluß rauschte so munter
wie heute durch die Felder, wenn hier so namenlos grausiges von Menschen
gelitten wurde? Und nicht das allein: wenn das Menschen von andern Men¬
schen angethan wurde? Und die es gethan, sie konnten noch in den blauen
Himmel sehen, sie sahen noch etwas andres als in Martern zuckende Menschen¬
leiber, freuten sich noch klingender Worte, tönender Musik, und hörten nicht
ewig nur das Stöhnen und Jammern der Verdammten, das nicht mehr mensch¬
lich klang? Hinab in die Stadt, weg von dieser Stätte, damit ich weiß, daß
ich unter meinesgleichen bin, und mich nicht die Angst befüllt, die toten Henker
und ihre Opfer könnten wieder lebendig werden und mir das Grauen des
Wahnsinns in die Seele jagen!

Die geängstete Seele hascht nach Vorstellungen, die das Entsetzliche mildern
könnten. Gewiß haben jene kraftvollen Gestalten, nicht so zart behaltet wie
unser nervenschwaches Geschlecht, Todesangst, Qual und Folter weniger deut¬
lich empfunden. Gewiß, es muß so sein. Hieße es nicht an der Güte mensch¬
licher Natur verzweifeln, wenn man glauben wollte, daß Menschen mit Be¬
wußtsein so außermenschliche Qualen für ihresgleichen erdacht haben? Aber
doch! Sollten die Nerven unsrer Ahnen unempfindlicher gewesen sein als die
eines Ochsen? Und wenn jemand die Glieder eines Ochsen mit diesen Werk¬
zeugen auseinanderreißen wollte, so würde der Ochse vor Qual brüllen, daß
jeden, der es hörte, ein Entsetzen befiele. Aber sie haben ausgelitten. Die
knirschenden Glieder haben sich zur ewigen Ruhe gestreckt, das Geschrei der
letzten Qualen ist verstummt im Schweigen des Todes. Jahrhunderte sind
darüber hingezogen. Und doch, warum wollen mich diese Vorstellungen nicht
loslassen! Was frommte es den Unseligen, daß die Zeit jede Qual einmal
beenden muß? Wurde ihnen dadurch eine Minute ihrer Marter erspart? Was
frommte es ihnen, daß heute mildere Sitten jene Folterwerkzeuge in die Museen
zurückgedrängt haben, wo sie mit behaglichem Schauder betrachtet werden? Sie
haben gelebt. Blauer Himmel, goldne Sonne und alle Lebenslust war für
sie in ihre Zeit eingeschlossen. Wenn sie im Kampfe des Lebens unter¬
legen sind, so sind sie es für immer. Wenn sie hinabgeschleppt wurden in
jene schauerlichen Verließe, dann ging für sie die ganze goldne Welt unter in


Auf der Hohen Salzburg

troffen ist. Nur zu! Kraftvoll war der Kampf, und edel die Kriegsweise
im Vergleich mit unsern Massenmordmaschinen, unsern tückischen Maxim¬
geschossen, unsern höllischen Torpedos.

Da geleitet uns der unvermeidliche Führer eine steile Wendeltreppe hinauf
in Räume, in denen das Blut zu Eis erschauert: es sind die Folterkammern.
Hier hinauf schleppte man aus jenen grausigen Gewölben da unten unselige
Menschen, längst geschieden von aller Hilfe und aller Hoffnung, um sie zu
schlachten, nachdem man ihre Glieder mit Qualen auseiucmdergereckt hatte,
deren jede einzelne von einer ganzen Hölle ersonnen scheint! Ist es möglich?
Diese Sonne verhüllte nicht ihren Glanz, der helle Fluß rauschte so munter
wie heute durch die Felder, wenn hier so namenlos grausiges von Menschen
gelitten wurde? Und nicht das allein: wenn das Menschen von andern Men¬
schen angethan wurde? Und die es gethan, sie konnten noch in den blauen
Himmel sehen, sie sahen noch etwas andres als in Martern zuckende Menschen¬
leiber, freuten sich noch klingender Worte, tönender Musik, und hörten nicht
ewig nur das Stöhnen und Jammern der Verdammten, das nicht mehr mensch¬
lich klang? Hinab in die Stadt, weg von dieser Stätte, damit ich weiß, daß
ich unter meinesgleichen bin, und mich nicht die Angst befüllt, die toten Henker
und ihre Opfer könnten wieder lebendig werden und mir das Grauen des
Wahnsinns in die Seele jagen!

Die geängstete Seele hascht nach Vorstellungen, die das Entsetzliche mildern
könnten. Gewiß haben jene kraftvollen Gestalten, nicht so zart behaltet wie
unser nervenschwaches Geschlecht, Todesangst, Qual und Folter weniger deut¬
lich empfunden. Gewiß, es muß so sein. Hieße es nicht an der Güte mensch¬
licher Natur verzweifeln, wenn man glauben wollte, daß Menschen mit Be¬
wußtsein so außermenschliche Qualen für ihresgleichen erdacht haben? Aber
doch! Sollten die Nerven unsrer Ahnen unempfindlicher gewesen sein als die
eines Ochsen? Und wenn jemand die Glieder eines Ochsen mit diesen Werk¬
zeugen auseinanderreißen wollte, so würde der Ochse vor Qual brüllen, daß
jeden, der es hörte, ein Entsetzen befiele. Aber sie haben ausgelitten. Die
knirschenden Glieder haben sich zur ewigen Ruhe gestreckt, das Geschrei der
letzten Qualen ist verstummt im Schweigen des Todes. Jahrhunderte sind
darüber hingezogen. Und doch, warum wollen mich diese Vorstellungen nicht
loslassen! Was frommte es den Unseligen, daß die Zeit jede Qual einmal
beenden muß? Wurde ihnen dadurch eine Minute ihrer Marter erspart? Was
frommte es ihnen, daß heute mildere Sitten jene Folterwerkzeuge in die Museen
zurückgedrängt haben, wo sie mit behaglichem Schauder betrachtet werden? Sie
haben gelebt. Blauer Himmel, goldne Sonne und alle Lebenslust war für
sie in ihre Zeit eingeschlossen. Wenn sie im Kampfe des Lebens unter¬
legen sind, so sind sie es für immer. Wenn sie hinabgeschleppt wurden in
jene schauerlichen Verließe, dann ging für sie die ganze goldne Welt unter in


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[0469] Auf der Hohen Salzburg troffen ist. Nur zu! Kraftvoll war der Kampf, und edel die Kriegsweise im Vergleich mit unsern Massenmordmaschinen, unsern tückischen Maxim¬ geschossen, unsern höllischen Torpedos. Da geleitet uns der unvermeidliche Führer eine steile Wendeltreppe hinauf in Räume, in denen das Blut zu Eis erschauert: es sind die Folterkammern. Hier hinauf schleppte man aus jenen grausigen Gewölben da unten unselige Menschen, längst geschieden von aller Hilfe und aller Hoffnung, um sie zu schlachten, nachdem man ihre Glieder mit Qualen auseiucmdergereckt hatte, deren jede einzelne von einer ganzen Hölle ersonnen scheint! Ist es möglich? Diese Sonne verhüllte nicht ihren Glanz, der helle Fluß rauschte so munter wie heute durch die Felder, wenn hier so namenlos grausiges von Menschen gelitten wurde? Und nicht das allein: wenn das Menschen von andern Men¬ schen angethan wurde? Und die es gethan, sie konnten noch in den blauen Himmel sehen, sie sahen noch etwas andres als in Martern zuckende Menschen¬ leiber, freuten sich noch klingender Worte, tönender Musik, und hörten nicht ewig nur das Stöhnen und Jammern der Verdammten, das nicht mehr mensch¬ lich klang? Hinab in die Stadt, weg von dieser Stätte, damit ich weiß, daß ich unter meinesgleichen bin, und mich nicht die Angst befüllt, die toten Henker und ihre Opfer könnten wieder lebendig werden und mir das Grauen des Wahnsinns in die Seele jagen! Die geängstete Seele hascht nach Vorstellungen, die das Entsetzliche mildern könnten. Gewiß haben jene kraftvollen Gestalten, nicht so zart behaltet wie unser nervenschwaches Geschlecht, Todesangst, Qual und Folter weniger deut¬ lich empfunden. Gewiß, es muß so sein. Hieße es nicht an der Güte mensch¬ licher Natur verzweifeln, wenn man glauben wollte, daß Menschen mit Be¬ wußtsein so außermenschliche Qualen für ihresgleichen erdacht haben? Aber doch! Sollten die Nerven unsrer Ahnen unempfindlicher gewesen sein als die eines Ochsen? Und wenn jemand die Glieder eines Ochsen mit diesen Werk¬ zeugen auseinanderreißen wollte, so würde der Ochse vor Qual brüllen, daß jeden, der es hörte, ein Entsetzen befiele. Aber sie haben ausgelitten. Die knirschenden Glieder haben sich zur ewigen Ruhe gestreckt, das Geschrei der letzten Qualen ist verstummt im Schweigen des Todes. Jahrhunderte sind darüber hingezogen. Und doch, warum wollen mich diese Vorstellungen nicht loslassen! Was frommte es den Unseligen, daß die Zeit jede Qual einmal beenden muß? Wurde ihnen dadurch eine Minute ihrer Marter erspart? Was frommte es ihnen, daß heute mildere Sitten jene Folterwerkzeuge in die Museen zurückgedrängt haben, wo sie mit behaglichem Schauder betrachtet werden? Sie haben gelebt. Blauer Himmel, goldne Sonne und alle Lebenslust war für sie in ihre Zeit eingeschlossen. Wenn sie im Kampfe des Lebens unter¬ legen sind, so sind sie es für immer. Wenn sie hinabgeschleppt wurden in jene schauerlichen Verließe, dann ging für sie die ganze goldne Welt unter in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/469>, abgerufen am 25.08.2024.