Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf der Hohen Salzburg

und noch weniger des Sturzes der Amtsgenossen, hoch über dem kleinlichen
und verabscheuungswürdigen Gewebe der Mißgunst, der List und der heim¬
lichen Ränke; dahin richtet er den Blick und -- verzweifelt. Da kommen ihm
dann wohl die hohen Ahnen wie eherne Gestalten vor, gewaltig aus einem
Gusse geformt, hartherzig, wo es not that, aber fest und mit ganzer Person
zu ihrer erwählten Sache stehend, und das, was sie nun einmal waren, es
sei, wie es wolle, ohne Umschweife und ohne Verstecken festhaltend und nicht
zaghaft verhüllend.

Ich habe vor kurzem das Glück gehabt, das schöne Salzburg nicht im
Regen, sondern uuter goldner Sonne und tiefblauem Himmel zu sehen. Als
Mitglied eines Geschichtsvercins durfte ich sehr viel mehr Genuß erwarten,
als ein harmloser andrer Reisender. Ich konnte die hohe, alte Feste beleben
mit Gestalten, die mich nicht vage Phantasie, sondern exakte Geschichtskenntuis
sehen ließ. So wandelte ich denn einen schmalen Waldweg hinauf zur hohen
Feste, voll Empfindungen, die jeder wissenschaftlichen Kritik Stand halten
sollten. Ich sah auf das träumende Gemäuer, das so manches Geschlecht
gesehen hatte, manchen glänzenden Zug und manches Verlorne Opfer des un¬
steten Krieges; die Geschlechter sind gealtert und gestorben, die Jahre haben
neue Menschen und neue Zeiten vorübergeführt, aber dieser majestätische Bau
liegt gewaltig und unerschütterlich im Glänze der Sonne, im Regen und im
Schnee, wie er seit grauer Vergangenheit liegt und in nebelhafter Zukunft
liegen wird. Ob der Anblick der modernen Prunkbauten mit ihrer Pygmäen¬
haften Unruhe den Enkeln auch den Atem nehmen wird, wie uns die steinerne
Wucht der Ahuenbnrg? In die pelasgischen Mauersteine, unerreichbar hoch,
sind die Wappen adlicher Geschlechter eingehauen, trotzig und kühn -- heute
meißelt, schmilzt und gravirt man sie gar zierlich an Cigarrentäschlein, Gigerl¬
stöcke und ähnliche niedliche Dingerchen. Entzückt schweift von oben der Blick
in die Runde, folgt dem silbernen Strom, weilt über prangenden Feldern
und hängt in duftiger Ferne an mächtigen Bergen. So sollten alle Herrscher¬
geschlechter sitzen, von stolzer, einsamer Höhe die Lande überblicken, daß sich
kein eitler Gedanke an sie heranwagt. Das hohe Festgesühl wird nicht ver¬
stimmt, wenn wir die innern Prachträume der Burg betreten. Gewiß, ein
edles Geschlecht hat diesen Sälen den Schmuck gegeben, der Würde, Ein¬
fachheit und köstliches Behagen vereint. Nur der allervornehmste Geschmack
konnte die Wände mit diesem bräunlichen Leder bekleiden, und darüber mit
dem tiefschwarzblciuen Sammet, freundlich durchzogen von Silberstreifen. Ist
es nicht, als säßen tausend Geister der Vergangenheit in diesen ehrwürdigen
Öfen aus grünem Porzellan, und wer nun ein lustiges Feuer in ihnen ent¬
zündete, dem klängen seltsames Summen und phantastische Geschichten im
Ohre? Aber auch eine Spur aus wilden Tagen kann uns nicht stören, eine
arg beschädigte Sünle, die von einer Steinkugel anstürmender Bauern ge-


Auf der Hohen Salzburg

und noch weniger des Sturzes der Amtsgenossen, hoch über dem kleinlichen
und verabscheuungswürdigen Gewebe der Mißgunst, der List und der heim¬
lichen Ränke; dahin richtet er den Blick und — verzweifelt. Da kommen ihm
dann wohl die hohen Ahnen wie eherne Gestalten vor, gewaltig aus einem
Gusse geformt, hartherzig, wo es not that, aber fest und mit ganzer Person
zu ihrer erwählten Sache stehend, und das, was sie nun einmal waren, es
sei, wie es wolle, ohne Umschweife und ohne Verstecken festhaltend und nicht
zaghaft verhüllend.

Ich habe vor kurzem das Glück gehabt, das schöne Salzburg nicht im
Regen, sondern uuter goldner Sonne und tiefblauem Himmel zu sehen. Als
Mitglied eines Geschichtsvercins durfte ich sehr viel mehr Genuß erwarten,
als ein harmloser andrer Reisender. Ich konnte die hohe, alte Feste beleben
mit Gestalten, die mich nicht vage Phantasie, sondern exakte Geschichtskenntuis
sehen ließ. So wandelte ich denn einen schmalen Waldweg hinauf zur hohen
Feste, voll Empfindungen, die jeder wissenschaftlichen Kritik Stand halten
sollten. Ich sah auf das träumende Gemäuer, das so manches Geschlecht
gesehen hatte, manchen glänzenden Zug und manches Verlorne Opfer des un¬
steten Krieges; die Geschlechter sind gealtert und gestorben, die Jahre haben
neue Menschen und neue Zeiten vorübergeführt, aber dieser majestätische Bau
liegt gewaltig und unerschütterlich im Glänze der Sonne, im Regen und im
Schnee, wie er seit grauer Vergangenheit liegt und in nebelhafter Zukunft
liegen wird. Ob der Anblick der modernen Prunkbauten mit ihrer Pygmäen¬
haften Unruhe den Enkeln auch den Atem nehmen wird, wie uns die steinerne
Wucht der Ahuenbnrg? In die pelasgischen Mauersteine, unerreichbar hoch,
sind die Wappen adlicher Geschlechter eingehauen, trotzig und kühn — heute
meißelt, schmilzt und gravirt man sie gar zierlich an Cigarrentäschlein, Gigerl¬
stöcke und ähnliche niedliche Dingerchen. Entzückt schweift von oben der Blick
in die Runde, folgt dem silbernen Strom, weilt über prangenden Feldern
und hängt in duftiger Ferne an mächtigen Bergen. So sollten alle Herrscher¬
geschlechter sitzen, von stolzer, einsamer Höhe die Lande überblicken, daß sich
kein eitler Gedanke an sie heranwagt. Das hohe Festgesühl wird nicht ver¬
stimmt, wenn wir die innern Prachträume der Burg betreten. Gewiß, ein
edles Geschlecht hat diesen Sälen den Schmuck gegeben, der Würde, Ein¬
fachheit und köstliches Behagen vereint. Nur der allervornehmste Geschmack
konnte die Wände mit diesem bräunlichen Leder bekleiden, und darüber mit
dem tiefschwarzblciuen Sammet, freundlich durchzogen von Silberstreifen. Ist
es nicht, als säßen tausend Geister der Vergangenheit in diesen ehrwürdigen
Öfen aus grünem Porzellan, und wer nun ein lustiges Feuer in ihnen ent¬
zündete, dem klängen seltsames Summen und phantastische Geschichten im
Ohre? Aber auch eine Spur aus wilden Tagen kann uns nicht stören, eine
arg beschädigte Sünle, die von einer Steinkugel anstürmender Bauern ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220144"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf der Hohen Salzburg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1838" prev="#ID_1837"> und noch weniger des Sturzes der Amtsgenossen, hoch über dem kleinlichen<lb/>
und verabscheuungswürdigen Gewebe der Mißgunst, der List und der heim¬<lb/>
lichen Ränke; dahin richtet er den Blick und &#x2014; verzweifelt. Da kommen ihm<lb/>
dann wohl die hohen Ahnen wie eherne Gestalten vor, gewaltig aus einem<lb/>
Gusse geformt, hartherzig, wo es not that, aber fest und mit ganzer Person<lb/>
zu ihrer erwählten Sache stehend, und das, was sie nun einmal waren, es<lb/>
sei, wie es wolle, ohne Umschweife und ohne Verstecken festhaltend und nicht<lb/>
zaghaft verhüllend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1839" next="#ID_1840"> Ich habe vor kurzem das Glück gehabt, das schöne Salzburg nicht im<lb/>
Regen, sondern uuter goldner Sonne und tiefblauem Himmel zu sehen. Als<lb/>
Mitglied eines Geschichtsvercins durfte ich sehr viel mehr Genuß erwarten,<lb/>
als ein harmloser andrer Reisender. Ich konnte die hohe, alte Feste beleben<lb/>
mit Gestalten, die mich nicht vage Phantasie, sondern exakte Geschichtskenntuis<lb/>
sehen ließ. So wandelte ich denn einen schmalen Waldweg hinauf zur hohen<lb/>
Feste, voll Empfindungen, die jeder wissenschaftlichen Kritik Stand halten<lb/>
sollten. Ich sah auf das träumende Gemäuer, das so manches Geschlecht<lb/>
gesehen hatte, manchen glänzenden Zug und manches Verlorne Opfer des un¬<lb/>
steten Krieges; die Geschlechter sind gealtert und gestorben, die Jahre haben<lb/>
neue Menschen und neue Zeiten vorübergeführt, aber dieser majestätische Bau<lb/>
liegt gewaltig und unerschütterlich im Glänze der Sonne, im Regen und im<lb/>
Schnee, wie er seit grauer Vergangenheit liegt und in nebelhafter Zukunft<lb/>
liegen wird. Ob der Anblick der modernen Prunkbauten mit ihrer Pygmäen¬<lb/>
haften Unruhe den Enkeln auch den Atem nehmen wird, wie uns die steinerne<lb/>
Wucht der Ahuenbnrg? In die pelasgischen Mauersteine, unerreichbar hoch,<lb/>
sind die Wappen adlicher Geschlechter eingehauen, trotzig und kühn &#x2014; heute<lb/>
meißelt, schmilzt und gravirt man sie gar zierlich an Cigarrentäschlein, Gigerl¬<lb/>
stöcke und ähnliche niedliche Dingerchen. Entzückt schweift von oben der Blick<lb/>
in die Runde, folgt dem silbernen Strom, weilt über prangenden Feldern<lb/>
und hängt in duftiger Ferne an mächtigen Bergen. So sollten alle Herrscher¬<lb/>
geschlechter sitzen, von stolzer, einsamer Höhe die Lande überblicken, daß sich<lb/>
kein eitler Gedanke an sie heranwagt. Das hohe Festgesühl wird nicht ver¬<lb/>
stimmt, wenn wir die innern Prachträume der Burg betreten. Gewiß, ein<lb/>
edles Geschlecht hat diesen Sälen den Schmuck gegeben, der Würde, Ein¬<lb/>
fachheit und köstliches Behagen vereint. Nur der allervornehmste Geschmack<lb/>
konnte die Wände mit diesem bräunlichen Leder bekleiden, und darüber mit<lb/>
dem tiefschwarzblciuen Sammet, freundlich durchzogen von Silberstreifen. Ist<lb/>
es nicht, als säßen tausend Geister der Vergangenheit in diesen ehrwürdigen<lb/>
Öfen aus grünem Porzellan, und wer nun ein lustiges Feuer in ihnen ent¬<lb/>
zündete, dem klängen seltsames Summen und phantastische Geschichten im<lb/>
Ohre? Aber auch eine Spur aus wilden Tagen kann uns nicht stören, eine<lb/>
arg beschädigte Sünle, die von einer Steinkugel anstürmender Bauern ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] Auf der Hohen Salzburg und noch weniger des Sturzes der Amtsgenossen, hoch über dem kleinlichen und verabscheuungswürdigen Gewebe der Mißgunst, der List und der heim¬ lichen Ränke; dahin richtet er den Blick und — verzweifelt. Da kommen ihm dann wohl die hohen Ahnen wie eherne Gestalten vor, gewaltig aus einem Gusse geformt, hartherzig, wo es not that, aber fest und mit ganzer Person zu ihrer erwählten Sache stehend, und das, was sie nun einmal waren, es sei, wie es wolle, ohne Umschweife und ohne Verstecken festhaltend und nicht zaghaft verhüllend. Ich habe vor kurzem das Glück gehabt, das schöne Salzburg nicht im Regen, sondern uuter goldner Sonne und tiefblauem Himmel zu sehen. Als Mitglied eines Geschichtsvercins durfte ich sehr viel mehr Genuß erwarten, als ein harmloser andrer Reisender. Ich konnte die hohe, alte Feste beleben mit Gestalten, die mich nicht vage Phantasie, sondern exakte Geschichtskenntuis sehen ließ. So wandelte ich denn einen schmalen Waldweg hinauf zur hohen Feste, voll Empfindungen, die jeder wissenschaftlichen Kritik Stand halten sollten. Ich sah auf das träumende Gemäuer, das so manches Geschlecht gesehen hatte, manchen glänzenden Zug und manches Verlorne Opfer des un¬ steten Krieges; die Geschlechter sind gealtert und gestorben, die Jahre haben neue Menschen und neue Zeiten vorübergeführt, aber dieser majestätische Bau liegt gewaltig und unerschütterlich im Glänze der Sonne, im Regen und im Schnee, wie er seit grauer Vergangenheit liegt und in nebelhafter Zukunft liegen wird. Ob der Anblick der modernen Prunkbauten mit ihrer Pygmäen¬ haften Unruhe den Enkeln auch den Atem nehmen wird, wie uns die steinerne Wucht der Ahuenbnrg? In die pelasgischen Mauersteine, unerreichbar hoch, sind die Wappen adlicher Geschlechter eingehauen, trotzig und kühn — heute meißelt, schmilzt und gravirt man sie gar zierlich an Cigarrentäschlein, Gigerl¬ stöcke und ähnliche niedliche Dingerchen. Entzückt schweift von oben der Blick in die Runde, folgt dem silbernen Strom, weilt über prangenden Feldern und hängt in duftiger Ferne an mächtigen Bergen. So sollten alle Herrscher¬ geschlechter sitzen, von stolzer, einsamer Höhe die Lande überblicken, daß sich kein eitler Gedanke an sie heranwagt. Das hohe Festgesühl wird nicht ver¬ stimmt, wenn wir die innern Prachträume der Burg betreten. Gewiß, ein edles Geschlecht hat diesen Sälen den Schmuck gegeben, der Würde, Ein¬ fachheit und köstliches Behagen vereint. Nur der allervornehmste Geschmack konnte die Wände mit diesem bräunlichen Leder bekleiden, und darüber mit dem tiefschwarzblciuen Sammet, freundlich durchzogen von Silberstreifen. Ist es nicht, als säßen tausend Geister der Vergangenheit in diesen ehrwürdigen Öfen aus grünem Porzellan, und wer nun ein lustiges Feuer in ihnen ent¬ zündete, dem klängen seltsames Summen und phantastische Geschichten im Ohre? Aber auch eine Spur aus wilden Tagen kann uns nicht stören, eine arg beschädigte Sünle, die von einer Steinkugel anstürmender Bauern ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/468>, abgerufen am 25.08.2024.