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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Stehendes Heer und Miliz

Kriegstüchtigkeit betrachtet. Major Gertsch") schreibt: "Wir brauchen in der
Armee Soldaten, die gehorchen; nicht uniformirte Menschen, in denen überall
der souveräne Bürger respektirt werden muß."

Die Behauptung vollends, daß der "militärische Geist" nicht die ge¬
ringste Gewähr sür militärische Tüchtigkeit bilde, ist so absurd, daß sie eigentlich
einer Erwiderung nicht bedarf; ein Heer ohne militärischen Geist ist eben
kein Heer mehr, denn alle die Tugenden, die die Tüchtigkeit eines Heeres
ausmachen: Disziplin, Tapferkeit, Selbstverleugnung, Genügsamkeit, Gehorsam.
Ehrgefühl u. s. w. werden eben unter "militärischem Geist" verstanden. Wenn
die Vorwürfe, die Major Gertsch dem Heere seines Vaterlandes macht, wahr
sind oder, sagen wir, wahr wären, so lüge das daran, daß ihm bis zu einem
gewissen Punkte der "militärische Geist" fehlt. Gertsch hätte alle seine Klagen
und Beschwerden in den einen Ausspruch zusammenfassen können: Es fehlt
unsrer Miliz an militärischem Geiste! Und über diesen Geist im deutschen
Heere beklagt sich Herr Liebknecht!

Aber auch den weitern Ausspruch des sozialdemokratischen Redners, daß
der Schweizer Soldat ganz auf der Höhe des deutschen Soldaten stehe, ver¬
lohnt es kaum der Mühe, zu widerlegen. Die Beurteilung eines Heeres ist
nach dem, was man im Frieden sieht, sehr schwer, die Vergleichung mehrerer
Heere nach ihren Leistungen auf Exerzir- und Manöverplatz noch weit schwerer.
Fast unmöglich aber wird sie. wo es sich um zwei so verschiedne Organisationen
handelt, wie die des deutschen und des schweizerischen Heeres, und wir könnten
Herrn Liebrecht zahlreiche Aussprüche aus schweizerischen Militärkreisen mit¬
teilen, die hiermit vollständig übereinstimmen. Es liegt auch gar nicht in
der Absicht der schweizerischen Heeresverwaltung, sich mit den stehenden Heeren
der Nachbarstaaten zu vergleichen. Damit soll an der Tüchtigkeit des eid¬
genössischen Soldaten durchaus nicht gemäkelt werden, wir erkennen seine guten
Eigenschaften und seine trefflichen Leistungen vollständig an, aber zu einem
Vergleich mit dem ausgebildeten deutschen Soldaten eignet er sich nicht; dazu
liegen alle Verhältnisse gar zu verschieden. Oberst Gutzwiller, einer der be¬
kanntesten und tüchtigsten der eidgenössischen Trnppenführer, hat im Bernischen
Offiziersverein einen Vortrag über die Manöver des sechzehnten deutschen
Armeekorps gehalten, denen er im vorigen Herbst beiwohnte. Er hebt darin
besonders hervor die "herrliche Disziplin." die Tüchtigkeit und Bescheidenheit
unsrer Führer und ihre Sorge für die Untergebnen, das große Vertrauen
der Soldaten zu ihren Führern, die Klarheit der Befehle in schwierigen Lagen
und ihre rasche und genaue Ausführung, die innige Verbindung aller Waffen
beim Gefecht u. f. w. "Fast in allen Punkten, sagte er vom schweizerischen
Heere, stehen wir zurück; vor allem muß es bei den Führern anders werden,



*) Fritz Gertsch (Major im Generalstabe). Disziplin oder Abrüstenl Bern, 1894
Stehendes Heer und Miliz

Kriegstüchtigkeit betrachtet. Major Gertsch") schreibt: „Wir brauchen in der
Armee Soldaten, die gehorchen; nicht uniformirte Menschen, in denen überall
der souveräne Bürger respektirt werden muß."

Die Behauptung vollends, daß der „militärische Geist" nicht die ge¬
ringste Gewähr sür militärische Tüchtigkeit bilde, ist so absurd, daß sie eigentlich
einer Erwiderung nicht bedarf; ein Heer ohne militärischen Geist ist eben
kein Heer mehr, denn alle die Tugenden, die die Tüchtigkeit eines Heeres
ausmachen: Disziplin, Tapferkeit, Selbstverleugnung, Genügsamkeit, Gehorsam.
Ehrgefühl u. s. w. werden eben unter „militärischem Geist" verstanden. Wenn
die Vorwürfe, die Major Gertsch dem Heere seines Vaterlandes macht, wahr
sind oder, sagen wir, wahr wären, so lüge das daran, daß ihm bis zu einem
gewissen Punkte der „militärische Geist" fehlt. Gertsch hätte alle seine Klagen
und Beschwerden in den einen Ausspruch zusammenfassen können: Es fehlt
unsrer Miliz an militärischem Geiste! Und über diesen Geist im deutschen
Heere beklagt sich Herr Liebknecht!

Aber auch den weitern Ausspruch des sozialdemokratischen Redners, daß
der Schweizer Soldat ganz auf der Höhe des deutschen Soldaten stehe, ver¬
lohnt es kaum der Mühe, zu widerlegen. Die Beurteilung eines Heeres ist
nach dem, was man im Frieden sieht, sehr schwer, die Vergleichung mehrerer
Heere nach ihren Leistungen auf Exerzir- und Manöverplatz noch weit schwerer.
Fast unmöglich aber wird sie. wo es sich um zwei so verschiedne Organisationen
handelt, wie die des deutschen und des schweizerischen Heeres, und wir könnten
Herrn Liebrecht zahlreiche Aussprüche aus schweizerischen Militärkreisen mit¬
teilen, die hiermit vollständig übereinstimmen. Es liegt auch gar nicht in
der Absicht der schweizerischen Heeresverwaltung, sich mit den stehenden Heeren
der Nachbarstaaten zu vergleichen. Damit soll an der Tüchtigkeit des eid¬
genössischen Soldaten durchaus nicht gemäkelt werden, wir erkennen seine guten
Eigenschaften und seine trefflichen Leistungen vollständig an, aber zu einem
Vergleich mit dem ausgebildeten deutschen Soldaten eignet er sich nicht; dazu
liegen alle Verhältnisse gar zu verschieden. Oberst Gutzwiller, einer der be¬
kanntesten und tüchtigsten der eidgenössischen Trnppenführer, hat im Bernischen
Offiziersverein einen Vortrag über die Manöver des sechzehnten deutschen
Armeekorps gehalten, denen er im vorigen Herbst beiwohnte. Er hebt darin
besonders hervor die „herrliche Disziplin." die Tüchtigkeit und Bescheidenheit
unsrer Führer und ihre Sorge für die Untergebnen, das große Vertrauen
der Soldaten zu ihren Führern, die Klarheit der Befehle in schwierigen Lagen
und ihre rasche und genaue Ausführung, die innige Verbindung aller Waffen
beim Gefecht u. f. w. „Fast in allen Punkten, sagte er vom schweizerischen
Heere, stehen wir zurück; vor allem muß es bei den Führern anders werden,



*) Fritz Gertsch (Major im Generalstabe). Disziplin oder Abrüstenl Bern, 1894
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[0455] Stehendes Heer und Miliz Kriegstüchtigkeit betrachtet. Major Gertsch") schreibt: „Wir brauchen in der Armee Soldaten, die gehorchen; nicht uniformirte Menschen, in denen überall der souveräne Bürger respektirt werden muß." Die Behauptung vollends, daß der „militärische Geist" nicht die ge¬ ringste Gewähr sür militärische Tüchtigkeit bilde, ist so absurd, daß sie eigentlich einer Erwiderung nicht bedarf; ein Heer ohne militärischen Geist ist eben kein Heer mehr, denn alle die Tugenden, die die Tüchtigkeit eines Heeres ausmachen: Disziplin, Tapferkeit, Selbstverleugnung, Genügsamkeit, Gehorsam. Ehrgefühl u. s. w. werden eben unter „militärischem Geist" verstanden. Wenn die Vorwürfe, die Major Gertsch dem Heere seines Vaterlandes macht, wahr sind oder, sagen wir, wahr wären, so lüge das daran, daß ihm bis zu einem gewissen Punkte der „militärische Geist" fehlt. Gertsch hätte alle seine Klagen und Beschwerden in den einen Ausspruch zusammenfassen können: Es fehlt unsrer Miliz an militärischem Geiste! Und über diesen Geist im deutschen Heere beklagt sich Herr Liebknecht! Aber auch den weitern Ausspruch des sozialdemokratischen Redners, daß der Schweizer Soldat ganz auf der Höhe des deutschen Soldaten stehe, ver¬ lohnt es kaum der Mühe, zu widerlegen. Die Beurteilung eines Heeres ist nach dem, was man im Frieden sieht, sehr schwer, die Vergleichung mehrerer Heere nach ihren Leistungen auf Exerzir- und Manöverplatz noch weit schwerer. Fast unmöglich aber wird sie. wo es sich um zwei so verschiedne Organisationen handelt, wie die des deutschen und des schweizerischen Heeres, und wir könnten Herrn Liebrecht zahlreiche Aussprüche aus schweizerischen Militärkreisen mit¬ teilen, die hiermit vollständig übereinstimmen. Es liegt auch gar nicht in der Absicht der schweizerischen Heeresverwaltung, sich mit den stehenden Heeren der Nachbarstaaten zu vergleichen. Damit soll an der Tüchtigkeit des eid¬ genössischen Soldaten durchaus nicht gemäkelt werden, wir erkennen seine guten Eigenschaften und seine trefflichen Leistungen vollständig an, aber zu einem Vergleich mit dem ausgebildeten deutschen Soldaten eignet er sich nicht; dazu liegen alle Verhältnisse gar zu verschieden. Oberst Gutzwiller, einer der be¬ kanntesten und tüchtigsten der eidgenössischen Trnppenführer, hat im Bernischen Offiziersverein einen Vortrag über die Manöver des sechzehnten deutschen Armeekorps gehalten, denen er im vorigen Herbst beiwohnte. Er hebt darin besonders hervor die „herrliche Disziplin." die Tüchtigkeit und Bescheidenheit unsrer Führer und ihre Sorge für die Untergebnen, das große Vertrauen der Soldaten zu ihren Führern, die Klarheit der Befehle in schwierigen Lagen und ihre rasche und genaue Ausführung, die innige Verbindung aller Waffen beim Gefecht u. f. w. „Fast in allen Punkten, sagte er vom schweizerischen Heere, stehen wir zurück; vor allem muß es bei den Führern anders werden, *) Fritz Gertsch (Major im Generalstabe). Disziplin oder Abrüstenl Bern, 1894

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/455>, abgerufen am 26.08.2024.