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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Auffindung der Gebeine Johann Sebastian Bachs

Menschen wissen, daß es Bach darstellt, geht nicht zu Grunde, das ist un¬
denkbar. Wo mag es also sein?

Das Ölbild, das die Leipziger Thomasschule besitzt, ist ihr von ihrem
ehemaligen Kantor Müller geschenkt worden, als dieser 1809 einem Rufe nach
Weimar folgte. Es soll das Bild sein, das Bach 1747 der "Societät
der musikalischen Wissenschaften in Deutschland" übergeben hat. Diese So¬
cietät war 1738 gestiftet worden, Bach ließ sich (als vierzehntes Mitglied) im
Juni 1747 aufnehmen, nachdem 1746 Graun beigetreten, 1745 Händel zum
Ehrenmitgliede ernannt worden war. Der 21. Paragraph der damaligen
Gesetze der Societät -- die ursprünglichen von 1738 enthalten noch nichts
davon -- schrieb vor: "Auch soll ein jedes Mitglied sein Bildnis, gut auf
Leinwand gemalet, nach seiner Bequemlichkeit zur Bibliothek einschicken, wo¬
selbst es zum Andenken wohl aufbehalten und seinem Lebenslaufe, wenn solcher
in den Schriften der Societät erzählet wird, in Kupfer gestochen vorgesetzet
werden M^." (Vgl. L. Mizlers Musikalische Bibliothek I, 4. S. 73. III. 2.
S. 346. IV, 1, S. 103.) Dieser Bestimmung soll Bach mit dem Bilde der
Thomasschule nachgekommen sein. Die Societät löste sich schon 1755 auf, und
dabei beging sie leider den Fehler, ihre Bibliothek und ihr sonstiges Besitztum
nicht an eine öffentliche Sammlung abzugeben, sondern in Privatbauten zu
lassen. Infolgedessen ist gänzlich unbekannt, was aus ihr geworden ist. Bachs
Bild taucht zuerst in den Händen des Kantors Müller wieder auf, wenn die ge¬
wöhnliche Angabe Recht hat; einen Beweis dafür giebt es nicht. Es ist aber auch
nirgends gesagt, daß sich Bach 1747 für die Societät habe malen lassen; er könnte
ihr ebenso gut ein bereits vorhandnes Bild übergeben haben. Auffällig ist es,
daß Bachs Familie bei seinem Tode kein Bild des Vaters hatte. Da er kein
Testament gemacht hatte, so wurde sein Nachlaß gerichtlich verzeichnet, ab¬
geschätzt und verteilt. Das Verzeichnis nennt alles mögliche: Geld, musikalische
Instrumente, Möbel, Kleider, Bücher; Bilder werden nicht genannt. (Vgl. das
Nnchlaßverzeichnis in PH. Spittäh Bach Bd. II, Aus.) Es kommt dazu,
daß 1747 Bach im zweiundsechzigsten Jahre stand, das Bild der Thomas¬
schule aber keinen Zweiundsechzigjührigen, sondern höchstens einen Fünfziger
darzustellen scheint. Nun steht aber auf dem Stiche darnach, den Weger 1865
für den ersten Band der Bitterschen Biographie Bachs angefertigt hat: Nach
dem Gemälde v. Hausmann 1735. Woher hat Weger diese Jahreszahl ge¬
habt, die genau zu dem Fünfzigjähriger passen würde? Hausmann pflegte
auf die Rückseite seiner Bilder zu setzen: Hg.usrQg.un pinxit und die Jahres¬
zahl. Das Bild der Thomasschule ist vor einiger Zeit auf neue Leinwand
geklebt und dann mit der Jahreszahl 1746 versehen worden, für die gar
nichts spricht.

Ebenso unaufgeklärt ist die Geschichte des Petersschen Bildes. Es wurde
1886 in Wien Herrn Alfred Grenser abgekauft, dessen Vater, der Leip-


Die Auffindung der Gebeine Johann Sebastian Bachs

Menschen wissen, daß es Bach darstellt, geht nicht zu Grunde, das ist un¬
denkbar. Wo mag es also sein?

Das Ölbild, das die Leipziger Thomasschule besitzt, ist ihr von ihrem
ehemaligen Kantor Müller geschenkt worden, als dieser 1809 einem Rufe nach
Weimar folgte. Es soll das Bild sein, das Bach 1747 der „Societät
der musikalischen Wissenschaften in Deutschland" übergeben hat. Diese So¬
cietät war 1738 gestiftet worden, Bach ließ sich (als vierzehntes Mitglied) im
Juni 1747 aufnehmen, nachdem 1746 Graun beigetreten, 1745 Händel zum
Ehrenmitgliede ernannt worden war. Der 21. Paragraph der damaligen
Gesetze der Societät — die ursprünglichen von 1738 enthalten noch nichts
davon — schrieb vor: „Auch soll ein jedes Mitglied sein Bildnis, gut auf
Leinwand gemalet, nach seiner Bequemlichkeit zur Bibliothek einschicken, wo¬
selbst es zum Andenken wohl aufbehalten und seinem Lebenslaufe, wenn solcher
in den Schriften der Societät erzählet wird, in Kupfer gestochen vorgesetzet
werden M^." (Vgl. L. Mizlers Musikalische Bibliothek I, 4. S. 73. III. 2.
S. 346. IV, 1, S. 103.) Dieser Bestimmung soll Bach mit dem Bilde der
Thomasschule nachgekommen sein. Die Societät löste sich schon 1755 auf, und
dabei beging sie leider den Fehler, ihre Bibliothek und ihr sonstiges Besitztum
nicht an eine öffentliche Sammlung abzugeben, sondern in Privatbauten zu
lassen. Infolgedessen ist gänzlich unbekannt, was aus ihr geworden ist. Bachs
Bild taucht zuerst in den Händen des Kantors Müller wieder auf, wenn die ge¬
wöhnliche Angabe Recht hat; einen Beweis dafür giebt es nicht. Es ist aber auch
nirgends gesagt, daß sich Bach 1747 für die Societät habe malen lassen; er könnte
ihr ebenso gut ein bereits vorhandnes Bild übergeben haben. Auffällig ist es,
daß Bachs Familie bei seinem Tode kein Bild des Vaters hatte. Da er kein
Testament gemacht hatte, so wurde sein Nachlaß gerichtlich verzeichnet, ab¬
geschätzt und verteilt. Das Verzeichnis nennt alles mögliche: Geld, musikalische
Instrumente, Möbel, Kleider, Bücher; Bilder werden nicht genannt. (Vgl. das
Nnchlaßverzeichnis in PH. Spittäh Bach Bd. II, Aus.) Es kommt dazu,
daß 1747 Bach im zweiundsechzigsten Jahre stand, das Bild der Thomas¬
schule aber keinen Zweiundsechzigjührigen, sondern höchstens einen Fünfziger
darzustellen scheint. Nun steht aber auf dem Stiche darnach, den Weger 1865
für den ersten Band der Bitterschen Biographie Bachs angefertigt hat: Nach
dem Gemälde v. Hausmann 1735. Woher hat Weger diese Jahreszahl ge¬
habt, die genau zu dem Fünfzigjähriger passen würde? Hausmann pflegte
auf die Rückseite seiner Bilder zu setzen: Hg.usrQg.un pinxit und die Jahres¬
zahl. Das Bild der Thomasschule ist vor einiger Zeit auf neue Leinwand
geklebt und dann mit der Jahreszahl 1746 versehen worden, für die gar
nichts spricht.

Ebenso unaufgeklärt ist die Geschichte des Petersschen Bildes. Es wurde
1886 in Wien Herrn Alfred Grenser abgekauft, dessen Vater, der Leip-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/428>, abgerufen am 22.12.2024.