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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Knabenerziehung und Rnabeiiiniterricht im alten Hellas

nehmen. Was diese Männer meist für ein sehr hohes Honorar lehrten oder sich doch
zu lehren anheischig machten, umfaßte thatsächlich den ganzen Kreis des Wissens:
Philosophie, Naturwissenschaften, Staats- und Gesetzeskunde, Moral, Grammatik,
Etymologie, Litteraturgeschichte und Dichtererklürung, Arithmetik, Geometrie,
Astronomie, Mythologie, Geschichte, Politik und praktische Lebensweisheit nicht
minder als Musik, Zeichnen, Malen, Militärwissenschaft, Fechtkunst und Gym¬
nastik. In Athen, das für sie und für Philosophen der günstigste Platz war
und deshalb von Protagoras als das Prytaneion griechischer Weisheit ge¬
feiert wird, wimmelte es von Sophisten. Meist waren es Ausländer, daher
wohl Platos Forderung in den "Gesetzen," der Staat solle Ausländer, aber
uicht unter vierzig Jahren als besoldete Jugendlehrer anstellen.

Weniger vielseitig als diese Sophisten waren die Rhetoren und Sophisten
der Kaiserzeit, Redekünstler und Redelehrer, sowie die Grammatiker, die zu¬
weilen auch Kritiker genannt werden. Von diesen übernahmen die erstern den
Unterricht in der Beredsamkeit, die auch in Hellas seit der Römerherrschaft
immer mehr Wichtigkeit erlangte, die andern den Sprachunterricht an der Hand
nationaler Litteraturwerke, besonders des Homer. Daneben lehrte der Geo-
meter Mathematik und Astronomie, während die Philosophen, soweit sie ihre
Lehrthütigkeit der Jugenderziehung im öffentlichen Unterrichte widmeten, als
Lehrer der Moral etwa die Stelle unsrer Religionslehrer einnahmen. Von
solchen Rhetoren und noch mehr von Grammatikern war das römische Reich
voll vom Ostgestade des Schwarzen Meeres und den Katarakten des Nils
bis zu den Säulen des Herakles und der Grenze des heutigen Schottlands.
Aber besonders in Rom selbst wimmelte es von ihnen schon seit den Tagen
des Polybios. Reiche Ehren in Gestalt von Statuen, Bildern, Kränzen,
Geld, später, seit Vespasian und Hadrian, gut bemessene feste Gehalte
für die vom Staate in jeder Stadt nach dem Verhältnis der Bewohnerzahl
angestellten unter thuen, schließlich gegen den Beginn der Byzantinerzeit auch
Titel und Orden blühten den tüchtigen oder vom Glück begünstigten Gliedern
dieses Standes. Aber es fehlte unter ihnen auch uicht an armen Teufeln,
die froh waren, wenn sie die bei der schlechten und oft vorenthaltenen Bezah¬
lung nur wenig eindringende Homererklärung an den Nagel hängen und in
einem andern Gewerbe einen Unterschlupf finden konnten, oder die schließlich
ihre Bücher zu Geld machen mußten, um uicht Hungers zu sterben. So
wurde der Grammatiker Helvius Pertinax, als ihn die Schulmeisteret nicht
vorwärts brachte, Soldat und zuletzt -- Kaiser des Römerreichs, und Kaiser
Bonosus war der Sohn eines Lehrers. Für den griechischen Witz bildeten
diese Grammatiker zu allen Zeiten eine beliebte Zielscheibe, ein Schicksal, das
sie mit den Ärzten teilten. Wenn es die Ärzte nicht gäbe, heißt es bei
Athenäos, so wären die Grammatiker die größten Thoren. In ein paar
Dutzend Epigrammen der griechischen Anthologie werden sie wegen Recht-


Knabenerziehung und Rnabeiiiniterricht im alten Hellas

nehmen. Was diese Männer meist für ein sehr hohes Honorar lehrten oder sich doch
zu lehren anheischig machten, umfaßte thatsächlich den ganzen Kreis des Wissens:
Philosophie, Naturwissenschaften, Staats- und Gesetzeskunde, Moral, Grammatik,
Etymologie, Litteraturgeschichte und Dichtererklürung, Arithmetik, Geometrie,
Astronomie, Mythologie, Geschichte, Politik und praktische Lebensweisheit nicht
minder als Musik, Zeichnen, Malen, Militärwissenschaft, Fechtkunst und Gym¬
nastik. In Athen, das für sie und für Philosophen der günstigste Platz war
und deshalb von Protagoras als das Prytaneion griechischer Weisheit ge¬
feiert wird, wimmelte es von Sophisten. Meist waren es Ausländer, daher
wohl Platos Forderung in den „Gesetzen," der Staat solle Ausländer, aber
uicht unter vierzig Jahren als besoldete Jugendlehrer anstellen.

Weniger vielseitig als diese Sophisten waren die Rhetoren und Sophisten
der Kaiserzeit, Redekünstler und Redelehrer, sowie die Grammatiker, die zu¬
weilen auch Kritiker genannt werden. Von diesen übernahmen die erstern den
Unterricht in der Beredsamkeit, die auch in Hellas seit der Römerherrschaft
immer mehr Wichtigkeit erlangte, die andern den Sprachunterricht an der Hand
nationaler Litteraturwerke, besonders des Homer. Daneben lehrte der Geo-
meter Mathematik und Astronomie, während die Philosophen, soweit sie ihre
Lehrthütigkeit der Jugenderziehung im öffentlichen Unterrichte widmeten, als
Lehrer der Moral etwa die Stelle unsrer Religionslehrer einnahmen. Von
solchen Rhetoren und noch mehr von Grammatikern war das römische Reich
voll vom Ostgestade des Schwarzen Meeres und den Katarakten des Nils
bis zu den Säulen des Herakles und der Grenze des heutigen Schottlands.
Aber besonders in Rom selbst wimmelte es von ihnen schon seit den Tagen
des Polybios. Reiche Ehren in Gestalt von Statuen, Bildern, Kränzen,
Geld, später, seit Vespasian und Hadrian, gut bemessene feste Gehalte
für die vom Staate in jeder Stadt nach dem Verhältnis der Bewohnerzahl
angestellten unter thuen, schließlich gegen den Beginn der Byzantinerzeit auch
Titel und Orden blühten den tüchtigen oder vom Glück begünstigten Gliedern
dieses Standes. Aber es fehlte unter ihnen auch uicht an armen Teufeln,
die froh waren, wenn sie die bei der schlechten und oft vorenthaltenen Bezah¬
lung nur wenig eindringende Homererklärung an den Nagel hängen und in
einem andern Gewerbe einen Unterschlupf finden konnten, oder die schließlich
ihre Bücher zu Geld machen mußten, um uicht Hungers zu sterben. So
wurde der Grammatiker Helvius Pertinax, als ihn die Schulmeisteret nicht
vorwärts brachte, Soldat und zuletzt — Kaiser des Römerreichs, und Kaiser
Bonosus war der Sohn eines Lehrers. Für den griechischen Witz bildeten
diese Grammatiker zu allen Zeiten eine beliebte Zielscheibe, ein Schicksal, das
sie mit den Ärzten teilten. Wenn es die Ärzte nicht gäbe, heißt es bei
Athenäos, so wären die Grammatiker die größten Thoren. In ein paar
Dutzend Epigrammen der griechischen Anthologie werden sie wegen Recht-


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[0418] Knabenerziehung und Rnabeiiiniterricht im alten Hellas nehmen. Was diese Männer meist für ein sehr hohes Honorar lehrten oder sich doch zu lehren anheischig machten, umfaßte thatsächlich den ganzen Kreis des Wissens: Philosophie, Naturwissenschaften, Staats- und Gesetzeskunde, Moral, Grammatik, Etymologie, Litteraturgeschichte und Dichtererklürung, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Mythologie, Geschichte, Politik und praktische Lebensweisheit nicht minder als Musik, Zeichnen, Malen, Militärwissenschaft, Fechtkunst und Gym¬ nastik. In Athen, das für sie und für Philosophen der günstigste Platz war und deshalb von Protagoras als das Prytaneion griechischer Weisheit ge¬ feiert wird, wimmelte es von Sophisten. Meist waren es Ausländer, daher wohl Platos Forderung in den „Gesetzen," der Staat solle Ausländer, aber uicht unter vierzig Jahren als besoldete Jugendlehrer anstellen. Weniger vielseitig als diese Sophisten waren die Rhetoren und Sophisten der Kaiserzeit, Redekünstler und Redelehrer, sowie die Grammatiker, die zu¬ weilen auch Kritiker genannt werden. Von diesen übernahmen die erstern den Unterricht in der Beredsamkeit, die auch in Hellas seit der Römerherrschaft immer mehr Wichtigkeit erlangte, die andern den Sprachunterricht an der Hand nationaler Litteraturwerke, besonders des Homer. Daneben lehrte der Geo- meter Mathematik und Astronomie, während die Philosophen, soweit sie ihre Lehrthütigkeit der Jugenderziehung im öffentlichen Unterrichte widmeten, als Lehrer der Moral etwa die Stelle unsrer Religionslehrer einnahmen. Von solchen Rhetoren und noch mehr von Grammatikern war das römische Reich voll vom Ostgestade des Schwarzen Meeres und den Katarakten des Nils bis zu den Säulen des Herakles und der Grenze des heutigen Schottlands. Aber besonders in Rom selbst wimmelte es von ihnen schon seit den Tagen des Polybios. Reiche Ehren in Gestalt von Statuen, Bildern, Kränzen, Geld, später, seit Vespasian und Hadrian, gut bemessene feste Gehalte für die vom Staate in jeder Stadt nach dem Verhältnis der Bewohnerzahl angestellten unter thuen, schließlich gegen den Beginn der Byzantinerzeit auch Titel und Orden blühten den tüchtigen oder vom Glück begünstigten Gliedern dieses Standes. Aber es fehlte unter ihnen auch uicht an armen Teufeln, die froh waren, wenn sie die bei der schlechten und oft vorenthaltenen Bezah¬ lung nur wenig eindringende Homererklärung an den Nagel hängen und in einem andern Gewerbe einen Unterschlupf finden konnten, oder die schließlich ihre Bücher zu Geld machen mußten, um uicht Hungers zu sterben. So wurde der Grammatiker Helvius Pertinax, als ihn die Schulmeisteret nicht vorwärts brachte, Soldat und zuletzt — Kaiser des Römerreichs, und Kaiser Bonosus war der Sohn eines Lehrers. Für den griechischen Witz bildeten diese Grammatiker zu allen Zeiten eine beliebte Zielscheibe, ein Schicksal, das sie mit den Ärzten teilten. Wenn es die Ärzte nicht gäbe, heißt es bei Athenäos, so wären die Grammatiker die größten Thoren. In ein paar Dutzend Epigrammen der griechischen Anthologie werden sie wegen Recht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/418>, abgerufen am 25.08.2024.