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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Anabenerziehung und Knabenunterricht im alten Hellas

dachten und nicht vergessen hatten, daß sie auch einmal Kinder gewesen waren.
Daß an den zahlreichen Festen der Unterricht ausfiel, ist selbstverständlich, wird
aber für die spätere Zeit auch ausdrücklich durch eine Inschrift aus demselben
Lampsakos bestätigt, worin die Einrichtung eines zweimal jährlich zu feiernden
Asklepiosfestes angeordnet und dabei bestimmt wird, daß an den Festtagen die
Sklaven nicht arbeiten und die Kinder vom Unterricht frei sein sollen.

Aber auch an Belohnungen, und zwar nicht nur an Ehrenkränzen für die
gymnastischen Leistungen und die Neigenaufftthrungen, sondern auch an Aus¬
zeichnungen aller Art, wie Kränzen, Prämien, öffentlichen Belobigungen, Ehren¬
plätzen, ja selbst Spielzeug für die Jüngern, hat es im griechischen sehnlicher
nicht gefehlt. Ebenso wenig freilich an mancherlei Strafen. Die Schulzucht
war streng in der Palästra, streng im Didaskaleion, und trotz Platos Ver¬
langen, daß der Unterricht keine Knechtschaft sein und aller Zwang und jede
Unlust sorgfältig zu vermeiden, dagegen ein mehr spielendes Erlernen anzu¬
streben sei, hat Mencmders oft angeführtes Wort: "Der Mensch, der nicht ge¬
schunden wird, wird nicht erzogen" und der Ausspruch des Aristoteles: "Lernen
ist kein Spiel, sondern mit Schmerz verbunden" im sehnlicher unbestritten
Geltung gehabt. Des Jsokrates Wort von der Wurzel der Bildung, die bitter,
und ihrer Frucht, die süß sei, wurde ein beliebtes Aufsatzthema im rheto¬
rischen Unterricht; und dem Aristoteles sind die Schulstrafen notwendige Heil-
knren. Wenige mögen es gemacht haben wie jener Lehrer Plutarchs, der,
wenn er beim Nachmittagsunterricht bemerkte, daß einige seiner Schüler zu
reichlich gefrühstückt hatten, seinen Sklaven aufpeitschen ließ, indem er ihm
schuld gab, zu üppig getafelt zu haben, und dabei die Schuldigen ins Auge
faßte. Und wenn ferner derselbe Plutarch in einer Schrift über die Erziehung
der Knaben der wohlhabender" Stände statt der Schläge und Beschimpfungen
nur Lob und Tadel angewendet haben will, so zeigen andre Stellen, daß die
meisten Lehrer gegen Knaben und Jünglinge jeder Altersklasse von Rute und
Stock fleißig Gebrauch gemacht haben. So stand namentlich die alte attische
Kinderzucht vor dem peloponnesischen Kriege nach Platos Zeugnis ganz unter
der Herrschaft der Rute, nachdem sie schon vorher in der häuslichen Erziehung
von den Eltern fleißig geschwungen worden war, zumal wenn die Knaben
vorlaut waren, statt den Erwachsenen schweigend zuzuhören, oder wenn sie sich
beikommen ließen, musikalische Weisen und Lieder durch neumodische Schnörkel
zu verhunzen. Weise doch gelegentlich einer, der aus dem Jünglingsalter
nustritt, dem Hermes unter andern Erinnerungen an seine Jugendzeit auch
die Rute, mit der er schlüge bekommen hat. So kamen denn oft genug die
Kinder weinend aus der Schule, oder es hieß beim Nachhausekommen des
Knaben: "Der Junge hat bei Gott schön geschrieben, gebt ihm zu essen; er
hat Fehler gemacht, gebt ihm nichts zu essen!" So fürchten auch in .Lenvphons
Ancibasis die Soldaten den immer rauhen und strengen Klearchos "wie die


Anabenerziehung und Knabenunterricht im alten Hellas

dachten und nicht vergessen hatten, daß sie auch einmal Kinder gewesen waren.
Daß an den zahlreichen Festen der Unterricht ausfiel, ist selbstverständlich, wird
aber für die spätere Zeit auch ausdrücklich durch eine Inschrift aus demselben
Lampsakos bestätigt, worin die Einrichtung eines zweimal jährlich zu feiernden
Asklepiosfestes angeordnet und dabei bestimmt wird, daß an den Festtagen die
Sklaven nicht arbeiten und die Kinder vom Unterricht frei sein sollen.

Aber auch an Belohnungen, und zwar nicht nur an Ehrenkränzen für die
gymnastischen Leistungen und die Neigenaufftthrungen, sondern auch an Aus¬
zeichnungen aller Art, wie Kränzen, Prämien, öffentlichen Belobigungen, Ehren¬
plätzen, ja selbst Spielzeug für die Jüngern, hat es im griechischen sehnlicher
nicht gefehlt. Ebenso wenig freilich an mancherlei Strafen. Die Schulzucht
war streng in der Palästra, streng im Didaskaleion, und trotz Platos Ver¬
langen, daß der Unterricht keine Knechtschaft sein und aller Zwang und jede
Unlust sorgfältig zu vermeiden, dagegen ein mehr spielendes Erlernen anzu¬
streben sei, hat Mencmders oft angeführtes Wort: „Der Mensch, der nicht ge¬
schunden wird, wird nicht erzogen" und der Ausspruch des Aristoteles: „Lernen
ist kein Spiel, sondern mit Schmerz verbunden" im sehnlicher unbestritten
Geltung gehabt. Des Jsokrates Wort von der Wurzel der Bildung, die bitter,
und ihrer Frucht, die süß sei, wurde ein beliebtes Aufsatzthema im rheto¬
rischen Unterricht; und dem Aristoteles sind die Schulstrafen notwendige Heil-
knren. Wenige mögen es gemacht haben wie jener Lehrer Plutarchs, der,
wenn er beim Nachmittagsunterricht bemerkte, daß einige seiner Schüler zu
reichlich gefrühstückt hatten, seinen Sklaven aufpeitschen ließ, indem er ihm
schuld gab, zu üppig getafelt zu haben, und dabei die Schuldigen ins Auge
faßte. Und wenn ferner derselbe Plutarch in einer Schrift über die Erziehung
der Knaben der wohlhabender» Stände statt der Schläge und Beschimpfungen
nur Lob und Tadel angewendet haben will, so zeigen andre Stellen, daß die
meisten Lehrer gegen Knaben und Jünglinge jeder Altersklasse von Rute und
Stock fleißig Gebrauch gemacht haben. So stand namentlich die alte attische
Kinderzucht vor dem peloponnesischen Kriege nach Platos Zeugnis ganz unter
der Herrschaft der Rute, nachdem sie schon vorher in der häuslichen Erziehung
von den Eltern fleißig geschwungen worden war, zumal wenn die Knaben
vorlaut waren, statt den Erwachsenen schweigend zuzuhören, oder wenn sie sich
beikommen ließen, musikalische Weisen und Lieder durch neumodische Schnörkel
zu verhunzen. Weise doch gelegentlich einer, der aus dem Jünglingsalter
nustritt, dem Hermes unter andern Erinnerungen an seine Jugendzeit auch
die Rute, mit der er schlüge bekommen hat. So kamen denn oft genug die
Kinder weinend aus der Schule, oder es hieß beim Nachhausekommen des
Knaben: „Der Junge hat bei Gott schön geschrieben, gebt ihm zu essen; er
hat Fehler gemacht, gebt ihm nichts zu essen!" So fürchten auch in .Lenvphons
Ancibasis die Soldaten den immer rauhen und strengen Klearchos „wie die


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[0416] Anabenerziehung und Knabenunterricht im alten Hellas dachten und nicht vergessen hatten, daß sie auch einmal Kinder gewesen waren. Daß an den zahlreichen Festen der Unterricht ausfiel, ist selbstverständlich, wird aber für die spätere Zeit auch ausdrücklich durch eine Inschrift aus demselben Lampsakos bestätigt, worin die Einrichtung eines zweimal jährlich zu feiernden Asklepiosfestes angeordnet und dabei bestimmt wird, daß an den Festtagen die Sklaven nicht arbeiten und die Kinder vom Unterricht frei sein sollen. Aber auch an Belohnungen, und zwar nicht nur an Ehrenkränzen für die gymnastischen Leistungen und die Neigenaufftthrungen, sondern auch an Aus¬ zeichnungen aller Art, wie Kränzen, Prämien, öffentlichen Belobigungen, Ehren¬ plätzen, ja selbst Spielzeug für die Jüngern, hat es im griechischen sehnlicher nicht gefehlt. Ebenso wenig freilich an mancherlei Strafen. Die Schulzucht war streng in der Palästra, streng im Didaskaleion, und trotz Platos Ver¬ langen, daß der Unterricht keine Knechtschaft sein und aller Zwang und jede Unlust sorgfältig zu vermeiden, dagegen ein mehr spielendes Erlernen anzu¬ streben sei, hat Mencmders oft angeführtes Wort: „Der Mensch, der nicht ge¬ schunden wird, wird nicht erzogen" und der Ausspruch des Aristoteles: „Lernen ist kein Spiel, sondern mit Schmerz verbunden" im sehnlicher unbestritten Geltung gehabt. Des Jsokrates Wort von der Wurzel der Bildung, die bitter, und ihrer Frucht, die süß sei, wurde ein beliebtes Aufsatzthema im rheto¬ rischen Unterricht; und dem Aristoteles sind die Schulstrafen notwendige Heil- knren. Wenige mögen es gemacht haben wie jener Lehrer Plutarchs, der, wenn er beim Nachmittagsunterricht bemerkte, daß einige seiner Schüler zu reichlich gefrühstückt hatten, seinen Sklaven aufpeitschen ließ, indem er ihm schuld gab, zu üppig getafelt zu haben, und dabei die Schuldigen ins Auge faßte. Und wenn ferner derselbe Plutarch in einer Schrift über die Erziehung der Knaben der wohlhabender» Stände statt der Schläge und Beschimpfungen nur Lob und Tadel angewendet haben will, so zeigen andre Stellen, daß die meisten Lehrer gegen Knaben und Jünglinge jeder Altersklasse von Rute und Stock fleißig Gebrauch gemacht haben. So stand namentlich die alte attische Kinderzucht vor dem peloponnesischen Kriege nach Platos Zeugnis ganz unter der Herrschaft der Rute, nachdem sie schon vorher in der häuslichen Erziehung von den Eltern fleißig geschwungen worden war, zumal wenn die Knaben vorlaut waren, statt den Erwachsenen schweigend zuzuhören, oder wenn sie sich beikommen ließen, musikalische Weisen und Lieder durch neumodische Schnörkel zu verhunzen. Weise doch gelegentlich einer, der aus dem Jünglingsalter nustritt, dem Hermes unter andern Erinnerungen an seine Jugendzeit auch die Rute, mit der er schlüge bekommen hat. So kamen denn oft genug die Kinder weinend aus der Schule, oder es hieß beim Nachhausekommen des Knaben: „Der Junge hat bei Gott schön geschrieben, gebt ihm zu essen; er hat Fehler gemacht, gebt ihm nichts zu essen!" So fürchten auch in .Lenvphons Ancibasis die Soldaten den immer rauhen und strengen Klearchos „wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/416>, abgerufen am 25.08.2024.