Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Dienstreisen über die Notwendigkeit von Ortsbesichtigungen oder Vernehmungen von Zeugen Aber diese Bestimmungen haben noch eine zweite bedenkliche Wirkung. Die Dienstreisen über die Notwendigkeit von Ortsbesichtigungen oder Vernehmungen von Zeugen Aber diese Bestimmungen haben noch eine zweite bedenkliche Wirkung. Die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220089"/> <fw type="header" place="top"> Dienstreisen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1560" prev="#ID_1559"> über die Notwendigkeit von Ortsbesichtigungen oder Vernehmungen von Zeugen<lb/> an Ort und Stelle, die Untersuchungsrichter über die Frage, ob sie in ent¬<lb/> legnen Teilen ihres Bezirks die Amtshandlungen selber vornehmen oder me<lb/> Amtsrichter jener Gegenden um Vornahme ersuchen sollen, und solche Beispiele<lb/> wären noch manche anzuführen. Es bedarf wohl keiner weitern Ausführung,<lb/> welche große Gefahr für die Beamten darin liegt, daß sie durch die freie Ent¬<lb/> scheidung über die Vornahme einer Dienstreise sich selber einen ansehnlichen<lb/> Geldvorteil zuwenden können. Die Menschen müßten anders sein, als sie es<lb/> nun einmal sind, wenn nicht eine große Zahl jahraus jahrein der Versuchung<lb/> erliegen sollte. Dienstreisen amtlich für notwendig zu erklären und zu unter¬<lb/> nehmen, die ganz überflüssig und nur ein Vorwand zur Erreichung einer<lb/> Geldeinnahme sind. Auch der redlichste Beamtenstand wird auf die Dauer<lb/> nicht widerstehen, wenn ihm die Versuchung zum pflichtwidrigem Geldmacher<lb/> durch das Gesetz nahe gelegt wird. Daß aber eine aus dieser Veranlassung<lb/> angenommene schlechte Gewohnheit abstumpfend wirkt und manchen verleiten<lb/> wird, dann auch auf andern Gebieten die Ehrenhaftigkeit einer zu erzielenden<lb/> Einnahme minder streng zu prüfen, die Richtigkeit einer auszustellenden amt¬<lb/> lichen Bescheinigung weniger gewissenhaft zu untersuchen, ist ebenfalls nicht<lb/> zu bezweifeln. Die in Preußen, im Reich und im Reichslande bestehenden<lb/> Bestimmungen über die Reisekosten der Beamten müssen demoralisirend wirken,<lb/> sie sind entschieden geeignet, die in Bezug aus Gewissenhaftigkeit und Red¬<lb/> lichkeit im Beamtenstande herrschenden Anschauungen und Gewohnheiten herab¬<lb/> zudrücken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1561" next="#ID_1562"> Aber diese Bestimmungen haben noch eine zweite bedenkliche Wirkung. Die<lb/> Entscheidung über Vornahme einer Dienstreise steht vorzugsweise bei den höhern<lb/> Beamten; Subciltcrnbecunte sind meist nur als Sekretäre oder sonstige Gehilfen<lb/> der höhern Beamten an der Reise selbst beteiligt, nicht aber an der Entscheidung<lb/> über ihre Vornahme. Dagegen erfahren sie gewöhnlich ganz genau, welche<lb/> Dienstreisen von den höhern Beamten ihrer Behörde unternommen und welche<lb/> Gebühren dafür bezahlt werden, da die Aufstellung und Prüfung der Rechnungen<lb/> meist durch ihre Hände geht. Sie sind oft auch über den Gegenstand, um<lb/> deswillen die Reise unternommen wird, ausreichend unterrichtet, um es ganz<lb/> genau zu merken, ob und wann eine Dienstreise ohne hinreichenden sachlichen<lb/> Grund unternommen wird. Wenn sie zu solchen Wahrnehmungen gelangen,<lb/> so wird nicht nur ihre Achtung vor den Vorgesetzten leiden, sondern es wird<lb/> auch das Gefühl des Neides, das in unsern Tagen ohnehin in der Luft liegt,<lb/> reichlich Nahrung erhalten; und dieser Neid wird, wenn er einmal Wurzel<lb/> gefaßt hat. oft dahin führen, daß die untern Beamten (insbesondre die von<lb/> Dienstreisen ganz ausgeschlossenen) bei jeder Dienstreise eines Vorgesetzten, auch<lb/> der notwendigsten, den Verdacht hegen, sie werde nur aus Geldgier unter¬<lb/> nommen. Also auch die Rücksicht auf die Disziplin des Beamtentums, auf</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0413]
Dienstreisen
über die Notwendigkeit von Ortsbesichtigungen oder Vernehmungen von Zeugen
an Ort und Stelle, die Untersuchungsrichter über die Frage, ob sie in ent¬
legnen Teilen ihres Bezirks die Amtshandlungen selber vornehmen oder me
Amtsrichter jener Gegenden um Vornahme ersuchen sollen, und solche Beispiele
wären noch manche anzuführen. Es bedarf wohl keiner weitern Ausführung,
welche große Gefahr für die Beamten darin liegt, daß sie durch die freie Ent¬
scheidung über die Vornahme einer Dienstreise sich selber einen ansehnlichen
Geldvorteil zuwenden können. Die Menschen müßten anders sein, als sie es
nun einmal sind, wenn nicht eine große Zahl jahraus jahrein der Versuchung
erliegen sollte. Dienstreisen amtlich für notwendig zu erklären und zu unter¬
nehmen, die ganz überflüssig und nur ein Vorwand zur Erreichung einer
Geldeinnahme sind. Auch der redlichste Beamtenstand wird auf die Dauer
nicht widerstehen, wenn ihm die Versuchung zum pflichtwidrigem Geldmacher
durch das Gesetz nahe gelegt wird. Daß aber eine aus dieser Veranlassung
angenommene schlechte Gewohnheit abstumpfend wirkt und manchen verleiten
wird, dann auch auf andern Gebieten die Ehrenhaftigkeit einer zu erzielenden
Einnahme minder streng zu prüfen, die Richtigkeit einer auszustellenden amt¬
lichen Bescheinigung weniger gewissenhaft zu untersuchen, ist ebenfalls nicht
zu bezweifeln. Die in Preußen, im Reich und im Reichslande bestehenden
Bestimmungen über die Reisekosten der Beamten müssen demoralisirend wirken,
sie sind entschieden geeignet, die in Bezug aus Gewissenhaftigkeit und Red¬
lichkeit im Beamtenstande herrschenden Anschauungen und Gewohnheiten herab¬
zudrücken.
Aber diese Bestimmungen haben noch eine zweite bedenkliche Wirkung. Die
Entscheidung über Vornahme einer Dienstreise steht vorzugsweise bei den höhern
Beamten; Subciltcrnbecunte sind meist nur als Sekretäre oder sonstige Gehilfen
der höhern Beamten an der Reise selbst beteiligt, nicht aber an der Entscheidung
über ihre Vornahme. Dagegen erfahren sie gewöhnlich ganz genau, welche
Dienstreisen von den höhern Beamten ihrer Behörde unternommen und welche
Gebühren dafür bezahlt werden, da die Aufstellung und Prüfung der Rechnungen
meist durch ihre Hände geht. Sie sind oft auch über den Gegenstand, um
deswillen die Reise unternommen wird, ausreichend unterrichtet, um es ganz
genau zu merken, ob und wann eine Dienstreise ohne hinreichenden sachlichen
Grund unternommen wird. Wenn sie zu solchen Wahrnehmungen gelangen,
so wird nicht nur ihre Achtung vor den Vorgesetzten leiden, sondern es wird
auch das Gefühl des Neides, das in unsern Tagen ohnehin in der Luft liegt,
reichlich Nahrung erhalten; und dieser Neid wird, wenn er einmal Wurzel
gefaßt hat. oft dahin führen, daß die untern Beamten (insbesondre die von
Dienstreisen ganz ausgeschlossenen) bei jeder Dienstreise eines Vorgesetzten, auch
der notwendigsten, den Verdacht hegen, sie werde nur aus Geldgier unter¬
nommen. Also auch die Rücksicht auf die Disziplin des Beamtentums, auf
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