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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Behandlung des Verbrechers

Saale. Bedingung ist nur, daß für jeden zehn bis zwölf Kubikmeter Luft¬
raum vorhanden ist. Da steht nnn Bett an Bett, und da ruhen sie, während
draußen noch freundlicher Sonnenschein glänzt und die Kinder noch auf den
Straßen spielen. Eine Beobachtung der Gefangnen von außen ist nur zeitweise
und in beschränktem Maße möglich, Gefangne selbst führen eine Art von Aufsicht.
Man denke sich so Hunderte von Menschen zusammengesperrt, Tag und Nacht,
vielleicht Jahre, vielleicht bis an ihr Lebensende, man bedenke, daß unter ihnen
viele mit eigentümlichem Charakter und ausgeprägtem Selbstgefühl sind, wie
sie dem? ja auch nicht wegen ihrer gesellschaftlichen Talente gefangen sind,
sondern weil sie sich nicht in das Leben und die Ordnung der menschlichen
Gesellschaft zu schicken wußten, und man wird begreifen, daß in dem Los des
Gefangnen genug Demütigendes, Bittres, ja Furchtbares liegt. Ich weiß nicht
mehr, wo ich es gelesen habe, aber mir klingt ein Wort in diese Gedanken
hinein: Wenn Gott die Menschen für ihre Sünden so strafte, wie der Mensch
den Menschen straft, dann wehe den Kindern Adams! In der Einzelhaft ist
das Leben Nieniger trostlos und sklavenmäßig, auch in der gemeinsamen Haft
mag es mitunter einen Schimmer Heller sein, das hangt von Personeuverhült-
nissen ab; aber ich glaube, daß man das Leben in der Gefangenschaft nicht
viel härter und öder gestalten kann, ohne sich an -den Gesetzen der Menschlich¬
keit zu versündigen.

Dennoch läßt sich nicht in Abrede stellen, daß es eine große Anzahl
von Menschen giebt, denen die Aufnahme in das Strafhaus, abgesehen von
der immer schmerzlich entbehrten Freiheit, eine Erlösung von vielen Leiden be¬
deutet. Sie können sich einmal satt essen, haben ihre Ordnung und Reinlich¬
keit, liegen einmal in einem wirklichen Bett. Es giebt manchen Armenhäusler,
der in seinen alten Tagen das Brot des Gefangnen noch begehrenswert finden
muß. Ich denke weiter an das Heer der Arbeitslosen, der "armen Reisenden."
Es giebt doch eigentlich nichts erbarmeuswürdigcres, als einen Trupp solcher ver¬
witterten Gestalten, die im Schnee, mit erfvrenen Füßen und verbundnen Ge¬
sichtern, in zerrissenem Anzug, hungrig und klappernd vor Kälte daher gewankt
kommen. Es giebt ja darunter wirklich aufgetragne Lumpen, aber die Heer¬
straße ist groß und breit, und die Gesellschaft, die darauf hin und her zieht,
ist sehr verschieden. Viele wollen nicht arbeite", andre möchten gern, aber es
dingt sie niemand, höchstens daß man ihnen erlaubt, ein Fuder Kohle" ein-
znschippen; es ist mich vorgekvmme", daß jemand, nur um kein Almosen zu
geben, einen Arbeitslosen anwies, ein Loch im Garten zu graben und es dann
wieder auszufüllen, was dieser aber verweigerte. Schwer kommt ein herunter-
gekvmmuer Me"sah in eine wirklich fördernde Arbeit hinein, selbst dann, wenn
er von Rat"r der beste und edelste Mensch wäre und den Schade" nicht am
Charakter, sondern nur an der Kleidung hätte. Deu Kuckuck auch, man ka""
doch auch einmal schuldlos henmterkommen! Hat man da"" leine" Freund,


Grenzboten it IMS 5
Die Behandlung des Verbrechers

Saale. Bedingung ist nur, daß für jeden zehn bis zwölf Kubikmeter Luft¬
raum vorhanden ist. Da steht nnn Bett an Bett, und da ruhen sie, während
draußen noch freundlicher Sonnenschein glänzt und die Kinder noch auf den
Straßen spielen. Eine Beobachtung der Gefangnen von außen ist nur zeitweise
und in beschränktem Maße möglich, Gefangne selbst führen eine Art von Aufsicht.
Man denke sich so Hunderte von Menschen zusammengesperrt, Tag und Nacht,
vielleicht Jahre, vielleicht bis an ihr Lebensende, man bedenke, daß unter ihnen
viele mit eigentümlichem Charakter und ausgeprägtem Selbstgefühl sind, wie
sie dem? ja auch nicht wegen ihrer gesellschaftlichen Talente gefangen sind,
sondern weil sie sich nicht in das Leben und die Ordnung der menschlichen
Gesellschaft zu schicken wußten, und man wird begreifen, daß in dem Los des
Gefangnen genug Demütigendes, Bittres, ja Furchtbares liegt. Ich weiß nicht
mehr, wo ich es gelesen habe, aber mir klingt ein Wort in diese Gedanken
hinein: Wenn Gott die Menschen für ihre Sünden so strafte, wie der Mensch
den Menschen straft, dann wehe den Kindern Adams! In der Einzelhaft ist
das Leben Nieniger trostlos und sklavenmäßig, auch in der gemeinsamen Haft
mag es mitunter einen Schimmer Heller sein, das hangt von Personeuverhült-
nissen ab; aber ich glaube, daß man das Leben in der Gefangenschaft nicht
viel härter und öder gestalten kann, ohne sich an -den Gesetzen der Menschlich¬
keit zu versündigen.

Dennoch läßt sich nicht in Abrede stellen, daß es eine große Anzahl
von Menschen giebt, denen die Aufnahme in das Strafhaus, abgesehen von
der immer schmerzlich entbehrten Freiheit, eine Erlösung von vielen Leiden be¬
deutet. Sie können sich einmal satt essen, haben ihre Ordnung und Reinlich¬
keit, liegen einmal in einem wirklichen Bett. Es giebt manchen Armenhäusler,
der in seinen alten Tagen das Brot des Gefangnen noch begehrenswert finden
muß. Ich denke weiter an das Heer der Arbeitslosen, der „armen Reisenden."
Es giebt doch eigentlich nichts erbarmeuswürdigcres, als einen Trupp solcher ver¬
witterten Gestalten, die im Schnee, mit erfvrenen Füßen und verbundnen Ge¬
sichtern, in zerrissenem Anzug, hungrig und klappernd vor Kälte daher gewankt
kommen. Es giebt ja darunter wirklich aufgetragne Lumpen, aber die Heer¬
straße ist groß und breit, und die Gesellschaft, die darauf hin und her zieht,
ist sehr verschieden. Viele wollen nicht arbeite», andre möchten gern, aber es
dingt sie niemand, höchstens daß man ihnen erlaubt, ein Fuder Kohle» ein-
znschippen; es ist mich vorgekvmme», daß jemand, nur um kein Almosen zu
geben, einen Arbeitslosen anwies, ein Loch im Garten zu graben und es dann
wieder auszufüllen, was dieser aber verweigerte. Schwer kommt ein herunter-
gekvmmuer Me»sah in eine wirklich fördernde Arbeit hinein, selbst dann, wenn
er von Rat»r der beste und edelste Mensch wäre und den Schade» nicht am
Charakter, sondern nur an der Kleidung hätte. Deu Kuckuck auch, man ka»»
doch auch einmal schuldlos henmterkommen! Hat man da»» leine» Freund,


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[0041] Die Behandlung des Verbrechers Saale. Bedingung ist nur, daß für jeden zehn bis zwölf Kubikmeter Luft¬ raum vorhanden ist. Da steht nnn Bett an Bett, und da ruhen sie, während draußen noch freundlicher Sonnenschein glänzt und die Kinder noch auf den Straßen spielen. Eine Beobachtung der Gefangnen von außen ist nur zeitweise und in beschränktem Maße möglich, Gefangne selbst führen eine Art von Aufsicht. Man denke sich so Hunderte von Menschen zusammengesperrt, Tag und Nacht, vielleicht Jahre, vielleicht bis an ihr Lebensende, man bedenke, daß unter ihnen viele mit eigentümlichem Charakter und ausgeprägtem Selbstgefühl sind, wie sie dem? ja auch nicht wegen ihrer gesellschaftlichen Talente gefangen sind, sondern weil sie sich nicht in das Leben und die Ordnung der menschlichen Gesellschaft zu schicken wußten, und man wird begreifen, daß in dem Los des Gefangnen genug Demütigendes, Bittres, ja Furchtbares liegt. Ich weiß nicht mehr, wo ich es gelesen habe, aber mir klingt ein Wort in diese Gedanken hinein: Wenn Gott die Menschen für ihre Sünden so strafte, wie der Mensch den Menschen straft, dann wehe den Kindern Adams! In der Einzelhaft ist das Leben Nieniger trostlos und sklavenmäßig, auch in der gemeinsamen Haft mag es mitunter einen Schimmer Heller sein, das hangt von Personeuverhült- nissen ab; aber ich glaube, daß man das Leben in der Gefangenschaft nicht viel härter und öder gestalten kann, ohne sich an -den Gesetzen der Menschlich¬ keit zu versündigen. Dennoch läßt sich nicht in Abrede stellen, daß es eine große Anzahl von Menschen giebt, denen die Aufnahme in das Strafhaus, abgesehen von der immer schmerzlich entbehrten Freiheit, eine Erlösung von vielen Leiden be¬ deutet. Sie können sich einmal satt essen, haben ihre Ordnung und Reinlich¬ keit, liegen einmal in einem wirklichen Bett. Es giebt manchen Armenhäusler, der in seinen alten Tagen das Brot des Gefangnen noch begehrenswert finden muß. Ich denke weiter an das Heer der Arbeitslosen, der „armen Reisenden." Es giebt doch eigentlich nichts erbarmeuswürdigcres, als einen Trupp solcher ver¬ witterten Gestalten, die im Schnee, mit erfvrenen Füßen und verbundnen Ge¬ sichtern, in zerrissenem Anzug, hungrig und klappernd vor Kälte daher gewankt kommen. Es giebt ja darunter wirklich aufgetragne Lumpen, aber die Heer¬ straße ist groß und breit, und die Gesellschaft, die darauf hin und her zieht, ist sehr verschieden. Viele wollen nicht arbeite», andre möchten gern, aber es dingt sie niemand, höchstens daß man ihnen erlaubt, ein Fuder Kohle» ein- znschippen; es ist mich vorgekvmme», daß jemand, nur um kein Almosen zu geben, einen Arbeitslosen anwies, ein Loch im Garten zu graben und es dann wieder auszufüllen, was dieser aber verweigerte. Schwer kommt ein herunter- gekvmmuer Me»sah in eine wirklich fördernde Arbeit hinein, selbst dann, wenn er von Rat»r der beste und edelste Mensch wäre und den Schade» nicht am Charakter, sondern nur an der Kleidung hätte. Deu Kuckuck auch, man ka»» doch auch einmal schuldlos henmterkommen! Hat man da»» leine» Freund, Grenzboten it IMS 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/41>, abgerufen am 25.08.2024.