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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Dienstreisen

des Reichs durchgeführt worden. Nur über die angemessene Höhe der für
die einzelnen Beamtenklassen aufgestellten Sätze kann eine Meinungsverschieden¬
heit bestehen, wie denn auch thatsächlich in den verschiednen Staaten diese
Sätze verschieden sind. Der richtige Maßstab ist in der Forderung enthalten,
daß es die Tagegelder jedem Beamten ermöglichen sollen, ans den Dienstreisen
anständig und standesgemäß seinen Unterhalt und seine Unterkunft zu finden,
daß sie ihm aber keine über den Bedarf hinausgehende Einnahmequelle ge¬
währen sollen. Die in Preußen geltenden Sätze sind folgende: die Staats¬
minister erhalten 30 Mark, die Beamten der ersten Rangklasse 24 Mark, die
der zweiten und dritten 18 Mark, die der vierten und fünften 12 Mark, die
Subalternbenmten der Zentralbehörde 9 Mark, die übrigen Subalternbeamten
6 Mark, die Unterbeamten 3 Mark. Im Reichsdienst und in Elsaß-Lothringen
sind die Sätze ähnlich. In den deutschen Mittelstaaten sind sie in den obern
Klassen durchgängig etwas niedriger. So erhalten in Baden die Minister
und die Vorstände der obersten Kollegialbehvrden 20 Mark; für die übrigen
Rangklassen aber sind die Sätze den preußischen ungefähr gleich. Thatsächlich
kann auch nur etwa sür die drei obersten Klassen des preußischen Tarifs be¬
hauptet werden, daß sie über das "standesgemäß Notwendige" hinausgingen.
Bei der Beurteilung der sür die höchsten Beamten aufgestellten Sätze ist aber
zu berücksichtigen, daß deren Reisen meist Erkundigung über örtliche Ver¬
hältnisse oder Ausübung einer Aufsicht bezwecken und ihnen deshalb gewisse
Verpflichtungen der Repräsentation und der Gastfreundschaft auferlegen, so¬
wohl gegenüber ihren Untergebnen wie gegenüber den Bevölkerungsklassen,
mit denen sie der Zweck ihrer Reise in Berührung bringt. Ein reisender
Minister oder Regierungspräsident wird seinen Zweck, mit Persönlichkeiten,
die ihn interessiren, Fühlung zu gewinnen und in ein eingehendes Gespräch
zu kommen, oft nur dadurch erreichen, daß er sie in seinen Gasthof zu sich ein¬
ladet; er wird aus demselben Grunde Anlaß haben, Einladungen anzunehmen,
die ihn zu Ausgaben an Wagen, Trinkgeldern u. s. w. nötigen. Die persön¬
liche Berührung der leitenden Staatsmänner mit recht vielen und verschieden¬
artigen Vevölkerungskreisen ist aber in hohem Maß wünschenswert; sie kann
dick dazu beitrage", daß nicht bureaukratisch nach dein "Inhalt der Akten,"
sondern unter Beachtung der im Lande sich zeigenden praktischen Bedürfnisse
und Wünsche regiert wird. Deshalb erscheint der preußische Tagegeldersatz,
der (über den strikten Bedarf etwas hinausgehend) den hohen Beamten er¬
möglicht, auf ihren Dienstreisen in bequemen Verkehr mit Privatleuten wie
mit Untergebnen zu treten, als gerechtfertigt, umso mehr, als er immerhin
nicht fo hoch ist, daß er diese Beamten der Versuchung aussetzte, um der
Tagegelder selbst willen unnötige Reisen zu unternehmen. Ein preußischer
Minister z. B., der auf seinen Dienstreisen den hier geschilderten Verkehr sucht
und pflegt (was ja erfreulicherweise die Regel ist), wird von seinem Tagegeld


Grenzboten II 1895 51
Dienstreisen

des Reichs durchgeführt worden. Nur über die angemessene Höhe der für
die einzelnen Beamtenklassen aufgestellten Sätze kann eine Meinungsverschieden¬
heit bestehen, wie denn auch thatsächlich in den verschiednen Staaten diese
Sätze verschieden sind. Der richtige Maßstab ist in der Forderung enthalten,
daß es die Tagegelder jedem Beamten ermöglichen sollen, ans den Dienstreisen
anständig und standesgemäß seinen Unterhalt und seine Unterkunft zu finden,
daß sie ihm aber keine über den Bedarf hinausgehende Einnahmequelle ge¬
währen sollen. Die in Preußen geltenden Sätze sind folgende: die Staats¬
minister erhalten 30 Mark, die Beamten der ersten Rangklasse 24 Mark, die
der zweiten und dritten 18 Mark, die der vierten und fünften 12 Mark, die
Subalternbenmten der Zentralbehörde 9 Mark, die übrigen Subalternbeamten
6 Mark, die Unterbeamten 3 Mark. Im Reichsdienst und in Elsaß-Lothringen
sind die Sätze ähnlich. In den deutschen Mittelstaaten sind sie in den obern
Klassen durchgängig etwas niedriger. So erhalten in Baden die Minister
und die Vorstände der obersten Kollegialbehvrden 20 Mark; für die übrigen
Rangklassen aber sind die Sätze den preußischen ungefähr gleich. Thatsächlich
kann auch nur etwa sür die drei obersten Klassen des preußischen Tarifs be¬
hauptet werden, daß sie über das „standesgemäß Notwendige" hinausgingen.
Bei der Beurteilung der sür die höchsten Beamten aufgestellten Sätze ist aber
zu berücksichtigen, daß deren Reisen meist Erkundigung über örtliche Ver¬
hältnisse oder Ausübung einer Aufsicht bezwecken und ihnen deshalb gewisse
Verpflichtungen der Repräsentation und der Gastfreundschaft auferlegen, so¬
wohl gegenüber ihren Untergebnen wie gegenüber den Bevölkerungsklassen,
mit denen sie der Zweck ihrer Reise in Berührung bringt. Ein reisender
Minister oder Regierungspräsident wird seinen Zweck, mit Persönlichkeiten,
die ihn interessiren, Fühlung zu gewinnen und in ein eingehendes Gespräch
zu kommen, oft nur dadurch erreichen, daß er sie in seinen Gasthof zu sich ein¬
ladet; er wird aus demselben Grunde Anlaß haben, Einladungen anzunehmen,
die ihn zu Ausgaben an Wagen, Trinkgeldern u. s. w. nötigen. Die persön¬
liche Berührung der leitenden Staatsmänner mit recht vielen und verschieden¬
artigen Vevölkerungskreisen ist aber in hohem Maß wünschenswert; sie kann
dick dazu beitrage», daß nicht bureaukratisch nach dein „Inhalt der Akten,"
sondern unter Beachtung der im Lande sich zeigenden praktischen Bedürfnisse
und Wünsche regiert wird. Deshalb erscheint der preußische Tagegeldersatz,
der (über den strikten Bedarf etwas hinausgehend) den hohen Beamten er¬
möglicht, auf ihren Dienstreisen in bequemen Verkehr mit Privatleuten wie
mit Untergebnen zu treten, als gerechtfertigt, umso mehr, als er immerhin
nicht fo hoch ist, daß er diese Beamten der Versuchung aussetzte, um der
Tagegelder selbst willen unnötige Reisen zu unternehmen. Ein preußischer
Minister z. B., der auf seinen Dienstreisen den hier geschilderten Verkehr sucht
und pflegt (was ja erfreulicherweise die Regel ist), wird von seinem Tagegeld


Grenzboten II 1895 51
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[0409] Dienstreisen des Reichs durchgeführt worden. Nur über die angemessene Höhe der für die einzelnen Beamtenklassen aufgestellten Sätze kann eine Meinungsverschieden¬ heit bestehen, wie denn auch thatsächlich in den verschiednen Staaten diese Sätze verschieden sind. Der richtige Maßstab ist in der Forderung enthalten, daß es die Tagegelder jedem Beamten ermöglichen sollen, ans den Dienstreisen anständig und standesgemäß seinen Unterhalt und seine Unterkunft zu finden, daß sie ihm aber keine über den Bedarf hinausgehende Einnahmequelle ge¬ währen sollen. Die in Preußen geltenden Sätze sind folgende: die Staats¬ minister erhalten 30 Mark, die Beamten der ersten Rangklasse 24 Mark, die der zweiten und dritten 18 Mark, die der vierten und fünften 12 Mark, die Subalternbenmten der Zentralbehörde 9 Mark, die übrigen Subalternbeamten 6 Mark, die Unterbeamten 3 Mark. Im Reichsdienst und in Elsaß-Lothringen sind die Sätze ähnlich. In den deutschen Mittelstaaten sind sie in den obern Klassen durchgängig etwas niedriger. So erhalten in Baden die Minister und die Vorstände der obersten Kollegialbehvrden 20 Mark; für die übrigen Rangklassen aber sind die Sätze den preußischen ungefähr gleich. Thatsächlich kann auch nur etwa sür die drei obersten Klassen des preußischen Tarifs be¬ hauptet werden, daß sie über das „standesgemäß Notwendige" hinausgingen. Bei der Beurteilung der sür die höchsten Beamten aufgestellten Sätze ist aber zu berücksichtigen, daß deren Reisen meist Erkundigung über örtliche Ver¬ hältnisse oder Ausübung einer Aufsicht bezwecken und ihnen deshalb gewisse Verpflichtungen der Repräsentation und der Gastfreundschaft auferlegen, so¬ wohl gegenüber ihren Untergebnen wie gegenüber den Bevölkerungsklassen, mit denen sie der Zweck ihrer Reise in Berührung bringt. Ein reisender Minister oder Regierungspräsident wird seinen Zweck, mit Persönlichkeiten, die ihn interessiren, Fühlung zu gewinnen und in ein eingehendes Gespräch zu kommen, oft nur dadurch erreichen, daß er sie in seinen Gasthof zu sich ein¬ ladet; er wird aus demselben Grunde Anlaß haben, Einladungen anzunehmen, die ihn zu Ausgaben an Wagen, Trinkgeldern u. s. w. nötigen. Die persön¬ liche Berührung der leitenden Staatsmänner mit recht vielen und verschieden¬ artigen Vevölkerungskreisen ist aber in hohem Maß wünschenswert; sie kann dick dazu beitrage», daß nicht bureaukratisch nach dein „Inhalt der Akten," sondern unter Beachtung der im Lande sich zeigenden praktischen Bedürfnisse und Wünsche regiert wird. Deshalb erscheint der preußische Tagegeldersatz, der (über den strikten Bedarf etwas hinausgehend) den hohen Beamten er¬ möglicht, auf ihren Dienstreisen in bequemen Verkehr mit Privatleuten wie mit Untergebnen zu treten, als gerechtfertigt, umso mehr, als er immerhin nicht fo hoch ist, daß er diese Beamten der Versuchung aussetzte, um der Tagegelder selbst willen unnötige Reisen zu unternehmen. Ein preußischer Minister z. B., der auf seinen Dienstreisen den hier geschilderten Verkehr sucht und pflegt (was ja erfreulicherweise die Regel ist), wird von seinem Tagegeld Grenzboten II 1895 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/409>, abgerufen am 24.08.2024.