Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches durch allerlei Beschränkungen: Überwachung, Vorschriften für die Einrichtung des Während so das Reich für die Besitzenden Sozialismus treibt, thut es der Maßgebliches und Unmaßgebliches durch allerlei Beschränkungen: Überwachung, Vorschriften für die Einrichtung des Während so das Reich für die Besitzenden Sozialismus treibt, thut es der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220072"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1524" prev="#ID_1523"> durch allerlei Beschränkungen: Überwachung, Vorschriften für die Einrichtung des<lb/> Betriebs und für die Art des Verkaufs. In letzterer Beziehung leisten die Herren<lb/> von der Freien wirtschaftlichen Vereinigung das stärkste, indem sie beantragen, das;<lb/> jede Anlage zur Herstellung von Butter, Margarine und Käse bei der Ortspolizei<lb/> angemeldet werden, und diese den Betrieb ständig überwachen soll, sodaß also,<lb/> wenn es den Herren nach geht, zu jedem Butterfaß ein Polizist gestellt werden<lb/> wird. Daß die Schutzzollpolitik bankrott und nichts als ein wüster, aussichtsloser<lb/> Krieg aller gegen alle sei, hat am 13. der Prinz Ludwig, selbst ein tüchtiger<lb/> Landwirt, auf der Waudervcrsammluug bairischer Landwirte zu Nürnberg sehr<lb/> schön klar gemacht; der Landwirt, sagte er unter anderen, wolle gerade so wie der<lb/> Industrielle Schutzzoll sür seiue eignen Erzeugnisse und Freihandel für das, was<lb/> er kaufen muß, und das sei eben unmöglich. Da bleibt denn weiter nichts übrig,<lb/> als „die anarchische Produktion zu regeln," wie es die Sozialisten verlangen,<lb/> denn das Ende aller Betrachtungen über die neuen Entwürfe lautet immer (auch<lb/> in der Reichstagsrede des Staatssekretärs Grase» Posadowsty am 17.): wenn es<lb/> nicht gelingt, die Produktion einzuschränken, dann nutzt alles nichts. Freilich, gerade<lb/> darin sind diese Entwürfe nicht sozialistisch, denn nicht die Einschränkung zum<lb/> Zwecke der Preissteigerung, sondern die Anpassung der Produktion an den Bedarf<lb/> würde man bei einer echt sozialistischen Regelung im Auge haben müssen; aber<lb/> ans dem ersten ergiebt sich das zweite mit der Zeit von selbst; nimmt der Staat<lb/> einen Produktionszweig nach dem andern in die Hand, so kann er ans die Dauer<lb/> nicht Sonderinteressen fördern, sondern muß zwischen den widerstreitenden Inter¬<lb/> essen das Gleichgewicht herstellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1525" next="#ID_1526"> Während so das Reich für die Besitzenden Sozialismus treibt, thut es der<lb/> Staat Preuße» für die Besitzlosen, indem die Negierung dem Landtage die Ver¬<lb/> staatlichung der Vervflcgungsstntionen vorschlägt. Die Präposition „für" hat zwar<lb/> an der zweiten Stelle einen etwas andern Sinn als an der ersten, indem es bei<lb/> den „notleidenden" Landwirten wirklich auf ihren eignen Nutzen, bei den wäl¬<lb/> zenden Arbeitern aber mehr auf die Bequemlichkeit der von ihnen Heimgesuchten<lb/> abgesehen ist, doch ändert das nichts an der Hauptsache. Schilu ist diese „Ver¬<lb/> staatlichung der Nächstenliebe" ja nicht, darin haben Stöcker, von Heereman und<lb/> die Christliche Welt Recht; aber was bleibt andres übrig? Die „christliche Liebe,"<lb/> der übrigens schon recht viel Polizei beigemischt war, hat eben nicht hingereicht,<lb/> und dabei schmilzt die Zahl der Verpfleguugsstationeu immer mehr zusammen;<lb/> 1892 gab es in Preußen noch 897, jetzt giebt es mir noch 163, individuelle Be¬<lb/> thätigung der Privatwohlthätigkeit aber ist durch das Bettelverbvt ausgeschlossen.<lb/> Wir haben schon vor ein paar Jahren gesagt, es bleibe nur eins von zweien übrig:<lb/> entweder das Bettelverbot aufheben, oder von Staats wegen für Arbeit sorgen.<lb/> Gerade so urteilt jetzt auch der Reichsbote: der gegenwärtige Zustand sei unerträg¬<lb/> lich und unhaltbar; für die Wanderburschen bestehe gesetzlich das Bettelverbvt, that¬<lb/> sächlich aber der Bettelzwang. Die Freizügigkeit aufzuheben, sei auch uicht mög¬<lb/> lich, denn da müßte jedem an seinem Geburtsorte lebenslängliche Arbeit zugesichert<lb/> werden. Demnach sei der von der Regierung eingeschlagne Ausweg der einzig<lb/> gangbare und vernünftige. Das Land solle mit einem Netz von Verpflegungs¬<lb/> stationen überzogen werden, die zugleich Wanderarbeitsstätten und deren Benutzung<lb/> obligatorisch sein würde. Dadurch werde dem „Mißbrauch" der Freizügigkeit ein<lb/> Ende gemacht. „Jedem mittellosen Wanderer... wird sein Wanderweg ganz be¬<lb/> stimmt vorgeschrieben, und das Verlassen dieses Weges macht ihn sofort der Wohl¬<lb/> that verlustig und setzt ihn der verdienten Strafe aus. . . . Wer sich weigert, eine</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0396]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
durch allerlei Beschränkungen: Überwachung, Vorschriften für die Einrichtung des
Betriebs und für die Art des Verkaufs. In letzterer Beziehung leisten die Herren
von der Freien wirtschaftlichen Vereinigung das stärkste, indem sie beantragen, das;
jede Anlage zur Herstellung von Butter, Margarine und Käse bei der Ortspolizei
angemeldet werden, und diese den Betrieb ständig überwachen soll, sodaß also,
wenn es den Herren nach geht, zu jedem Butterfaß ein Polizist gestellt werden
wird. Daß die Schutzzollpolitik bankrott und nichts als ein wüster, aussichtsloser
Krieg aller gegen alle sei, hat am 13. der Prinz Ludwig, selbst ein tüchtiger
Landwirt, auf der Waudervcrsammluug bairischer Landwirte zu Nürnberg sehr
schön klar gemacht; der Landwirt, sagte er unter anderen, wolle gerade so wie der
Industrielle Schutzzoll sür seiue eignen Erzeugnisse und Freihandel für das, was
er kaufen muß, und das sei eben unmöglich. Da bleibt denn weiter nichts übrig,
als „die anarchische Produktion zu regeln," wie es die Sozialisten verlangen,
denn das Ende aller Betrachtungen über die neuen Entwürfe lautet immer (auch
in der Reichstagsrede des Staatssekretärs Grase» Posadowsty am 17.): wenn es
nicht gelingt, die Produktion einzuschränken, dann nutzt alles nichts. Freilich, gerade
darin sind diese Entwürfe nicht sozialistisch, denn nicht die Einschränkung zum
Zwecke der Preissteigerung, sondern die Anpassung der Produktion an den Bedarf
würde man bei einer echt sozialistischen Regelung im Auge haben müssen; aber
ans dem ersten ergiebt sich das zweite mit der Zeit von selbst; nimmt der Staat
einen Produktionszweig nach dem andern in die Hand, so kann er ans die Dauer
nicht Sonderinteressen fördern, sondern muß zwischen den widerstreitenden Inter¬
essen das Gleichgewicht herstellen.
Während so das Reich für die Besitzenden Sozialismus treibt, thut es der
Staat Preuße» für die Besitzlosen, indem die Negierung dem Landtage die Ver¬
staatlichung der Vervflcgungsstntionen vorschlägt. Die Präposition „für" hat zwar
an der zweiten Stelle einen etwas andern Sinn als an der ersten, indem es bei
den „notleidenden" Landwirten wirklich auf ihren eignen Nutzen, bei den wäl¬
zenden Arbeitern aber mehr auf die Bequemlichkeit der von ihnen Heimgesuchten
abgesehen ist, doch ändert das nichts an der Hauptsache. Schilu ist diese „Ver¬
staatlichung der Nächstenliebe" ja nicht, darin haben Stöcker, von Heereman und
die Christliche Welt Recht; aber was bleibt andres übrig? Die „christliche Liebe,"
der übrigens schon recht viel Polizei beigemischt war, hat eben nicht hingereicht,
und dabei schmilzt die Zahl der Verpfleguugsstationeu immer mehr zusammen;
1892 gab es in Preußen noch 897, jetzt giebt es mir noch 163, individuelle Be¬
thätigung der Privatwohlthätigkeit aber ist durch das Bettelverbvt ausgeschlossen.
Wir haben schon vor ein paar Jahren gesagt, es bleibe nur eins von zweien übrig:
entweder das Bettelverbot aufheben, oder von Staats wegen für Arbeit sorgen.
Gerade so urteilt jetzt auch der Reichsbote: der gegenwärtige Zustand sei unerträg¬
lich und unhaltbar; für die Wanderburschen bestehe gesetzlich das Bettelverbvt, that¬
sächlich aber der Bettelzwang. Die Freizügigkeit aufzuheben, sei auch uicht mög¬
lich, denn da müßte jedem an seinem Geburtsorte lebenslängliche Arbeit zugesichert
werden. Demnach sei der von der Regierung eingeschlagne Ausweg der einzig
gangbare und vernünftige. Das Land solle mit einem Netz von Verpflegungs¬
stationen überzogen werden, die zugleich Wanderarbeitsstätten und deren Benutzung
obligatorisch sein würde. Dadurch werde dem „Mißbrauch" der Freizügigkeit ein
Ende gemacht. „Jedem mittellosen Wanderer... wird sein Wanderweg ganz be¬
stimmt vorgeschrieben, und das Verlassen dieses Weges macht ihn sofort der Wohl¬
that verlustig und setzt ihn der verdienten Strafe aus. . . . Wer sich weigert, eine
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