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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hanslicks Lebenserinnerungeii

Kritiken: "Er geht um den Brei herum, weiß oft nicht recht, was er sagen
soll, geht nicht recht mit der Sprache heraus -- das macht, weil er vom
Kern der Sache eigentlich gar nichts versteht, aber sein Wort gilt in Oster¬
reich, was er sagt, ist wie ein Evangelium, und das muß man ihm lassen,
er versteht zu schreiben." Eine andre Äußerung lautet: "Hanslick kennt meme
Lieder gar nicht, was ihm zu Gebote steht, ist eine große Beherrschung der
Sprache, des Ausdruckes, darauf beruht sein ganzes Wirken." Da ist es doch
zu verwundern, daß sich Franz so große Mühe gab. Hanslick zu semen An¬
sichten zu bekehren. Wahrscheinlich waren seine spätern Urteile über Hansuck
beeinflußt durch gekränkten Künstlerstolz, da sich Hanslick nicht dazu verstehen
wollte, Franzens Lieder so hoch zu stellen wie die Schumanns, womit er in
seinem vollen Rechte war.

Ganz besonders ansprechend und rührend ist, was wir über Schumann
und seine stille Art erfahren. Hebbel dagegen tritt uns in Hcmslicks Schilde¬
rung als reizbarer Sonderling entgegen.

Adelina Patti, bei der Hanslick in England eine etwas förmliche Gast¬
freundschaft in Frack und weißer Kravatte genoß, wird die "erste lebende Ge¬
sangskünstlerin, ein musikalisches Genie" genannt. Wer Gelegenheit gehabt
hat, die Patti neuerdings zu hören. wird dieses Urteil kaum begreifen. Daß
die Stimme ihren Schmelz verloren hat, füllt ja nicht ins Gewicht, aber zu
einem Genie gehört vor allem Geist, sehr viel Geist. Die Patti bleibt aber
mit dem. was sie jetzt an Ausdruck und Vortragskuust bietet, weit hinter den
Leistungen der besten deutschen Sängerinnen zurück, und doch machen die keinen
Anspruch darauf, Genies zu heißen, sie sind zufrieden, wenn man ihnen einiges
Talent zuspricht. Worin der Grund dieser verschiednen Schätzung liegt, ist
schwer zu sagen; entweder hat sich die Patti oder es haben sich die musika¬
lischen Anschauungen und Anforderungen geändert, vielleicht auch beides.

Ausführlich erzählt Hanslick von Berlioz und seinem tragischen Geschick,
das den stolz und kühn blickenden Mann zum gebrochnen Greise machte; den
breitesten Raum aber gönnt er dem Andenken seines Herzensfreundes Billroth,
von dem zum Schluß eine Anzahl interessanter und schöner Briefe mitgeteilt
wird. So klingen auch Hanslicks Lebenserinnerungen schön aus; nicht er
nimmt das kelte Wort sondern er läßt es dem Freunde, dessen hohe geistige
Bedeutung und dessen reines Herz auf ihn selbst wieder ein verklärendes Acht
zurückwerfen.

Es wäre zu viel gesagt, wenn man Hanslick einen großen Mann nennen
wollte. Er ist eine harmonische Natur, der nach allen Seiten hohe Gaben
zu teil geworden sind. Er hat einen scharfen Verstand, musikalisches Arten
von seltener Sicherheit und Kraft, er ist besonnen, aller Affektation seind, wohl¬
wollenden Herzens und von edler Gesinnung. Durch alle diese Eigenschaften zu¬
sammen ist er zum ersten Musikkritiker seiner Zeit geworden. Die aber, dre


Eduard Hanslicks Lebenserinnerungeii

Kritiken: „Er geht um den Brei herum, weiß oft nicht recht, was er sagen
soll, geht nicht recht mit der Sprache heraus — das macht, weil er vom
Kern der Sache eigentlich gar nichts versteht, aber sein Wort gilt in Oster¬
reich, was er sagt, ist wie ein Evangelium, und das muß man ihm lassen,
er versteht zu schreiben." Eine andre Äußerung lautet: „Hanslick kennt meme
Lieder gar nicht, was ihm zu Gebote steht, ist eine große Beherrschung der
Sprache, des Ausdruckes, darauf beruht sein ganzes Wirken." Da ist es doch
zu verwundern, daß sich Franz so große Mühe gab. Hanslick zu semen An¬
sichten zu bekehren. Wahrscheinlich waren seine spätern Urteile über Hansuck
beeinflußt durch gekränkten Künstlerstolz, da sich Hanslick nicht dazu verstehen
wollte, Franzens Lieder so hoch zu stellen wie die Schumanns, womit er in
seinem vollen Rechte war.

Ganz besonders ansprechend und rührend ist, was wir über Schumann
und seine stille Art erfahren. Hebbel dagegen tritt uns in Hcmslicks Schilde¬
rung als reizbarer Sonderling entgegen.

Adelina Patti, bei der Hanslick in England eine etwas förmliche Gast¬
freundschaft in Frack und weißer Kravatte genoß, wird die „erste lebende Ge¬
sangskünstlerin, ein musikalisches Genie" genannt. Wer Gelegenheit gehabt
hat, die Patti neuerdings zu hören. wird dieses Urteil kaum begreifen. Daß
die Stimme ihren Schmelz verloren hat, füllt ja nicht ins Gewicht, aber zu
einem Genie gehört vor allem Geist, sehr viel Geist. Die Patti bleibt aber
mit dem. was sie jetzt an Ausdruck und Vortragskuust bietet, weit hinter den
Leistungen der besten deutschen Sängerinnen zurück, und doch machen die keinen
Anspruch darauf, Genies zu heißen, sie sind zufrieden, wenn man ihnen einiges
Talent zuspricht. Worin der Grund dieser verschiednen Schätzung liegt, ist
schwer zu sagen; entweder hat sich die Patti oder es haben sich die musika¬
lischen Anschauungen und Anforderungen geändert, vielleicht auch beides.

Ausführlich erzählt Hanslick von Berlioz und seinem tragischen Geschick,
das den stolz und kühn blickenden Mann zum gebrochnen Greise machte; den
breitesten Raum aber gönnt er dem Andenken seines Herzensfreundes Billroth,
von dem zum Schluß eine Anzahl interessanter und schöner Briefe mitgeteilt
wird. So klingen auch Hanslicks Lebenserinnerungen schön aus; nicht er
nimmt das kelte Wort sondern er läßt es dem Freunde, dessen hohe geistige
Bedeutung und dessen reines Herz auf ihn selbst wieder ein verklärendes Acht
zurückwerfen.

Es wäre zu viel gesagt, wenn man Hanslick einen großen Mann nennen
wollte. Er ist eine harmonische Natur, der nach allen Seiten hohe Gaben
zu teil geworden sind. Er hat einen scharfen Verstand, musikalisches Arten
von seltener Sicherheit und Kraft, er ist besonnen, aller Affektation seind, wohl¬
wollenden Herzens und von edler Gesinnung. Durch alle diese Eigenschaften zu¬
sammen ist er zum ersten Musikkritiker seiner Zeit geworden. Die aber, dre


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[0379] Eduard Hanslicks Lebenserinnerungeii Kritiken: „Er geht um den Brei herum, weiß oft nicht recht, was er sagen soll, geht nicht recht mit der Sprache heraus — das macht, weil er vom Kern der Sache eigentlich gar nichts versteht, aber sein Wort gilt in Oster¬ reich, was er sagt, ist wie ein Evangelium, und das muß man ihm lassen, er versteht zu schreiben." Eine andre Äußerung lautet: „Hanslick kennt meme Lieder gar nicht, was ihm zu Gebote steht, ist eine große Beherrschung der Sprache, des Ausdruckes, darauf beruht sein ganzes Wirken." Da ist es doch zu verwundern, daß sich Franz so große Mühe gab. Hanslick zu semen An¬ sichten zu bekehren. Wahrscheinlich waren seine spätern Urteile über Hansuck beeinflußt durch gekränkten Künstlerstolz, da sich Hanslick nicht dazu verstehen wollte, Franzens Lieder so hoch zu stellen wie die Schumanns, womit er in seinem vollen Rechte war. Ganz besonders ansprechend und rührend ist, was wir über Schumann und seine stille Art erfahren. Hebbel dagegen tritt uns in Hcmslicks Schilde¬ rung als reizbarer Sonderling entgegen. Adelina Patti, bei der Hanslick in England eine etwas förmliche Gast¬ freundschaft in Frack und weißer Kravatte genoß, wird die „erste lebende Ge¬ sangskünstlerin, ein musikalisches Genie" genannt. Wer Gelegenheit gehabt hat, die Patti neuerdings zu hören. wird dieses Urteil kaum begreifen. Daß die Stimme ihren Schmelz verloren hat, füllt ja nicht ins Gewicht, aber zu einem Genie gehört vor allem Geist, sehr viel Geist. Die Patti bleibt aber mit dem. was sie jetzt an Ausdruck und Vortragskuust bietet, weit hinter den Leistungen der besten deutschen Sängerinnen zurück, und doch machen die keinen Anspruch darauf, Genies zu heißen, sie sind zufrieden, wenn man ihnen einiges Talent zuspricht. Worin der Grund dieser verschiednen Schätzung liegt, ist schwer zu sagen; entweder hat sich die Patti oder es haben sich die musika¬ lischen Anschauungen und Anforderungen geändert, vielleicht auch beides. Ausführlich erzählt Hanslick von Berlioz und seinem tragischen Geschick, das den stolz und kühn blickenden Mann zum gebrochnen Greise machte; den breitesten Raum aber gönnt er dem Andenken seines Herzensfreundes Billroth, von dem zum Schluß eine Anzahl interessanter und schöner Briefe mitgeteilt wird. So klingen auch Hanslicks Lebenserinnerungen schön aus; nicht er nimmt das kelte Wort sondern er läßt es dem Freunde, dessen hohe geistige Bedeutung und dessen reines Herz auf ihn selbst wieder ein verklärendes Acht zurückwerfen. Es wäre zu viel gesagt, wenn man Hanslick einen großen Mann nennen wollte. Er ist eine harmonische Natur, der nach allen Seiten hohe Gaben zu teil geworden sind. Er hat einen scharfen Verstand, musikalisches Arten von seltener Sicherheit und Kraft, er ist besonnen, aller Affektation seind, wohl¬ wollenden Herzens und von edler Gesinnung. Durch alle diese Eigenschaften zu¬ sammen ist er zum ersten Musikkritiker seiner Zeit geworden. Die aber, dre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/379>, abgerufen am 27.08.2024.