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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hanslicks Lebenseriimerungen

Aufführung des Tannhäuser in Dresden nennt er "ein ersehntes, unverge߬
liches Theatererlebnis." Die Oper hatte auf ihn eine bedeutende, stellenweise
berauschende Wirkung ausgeübt, während Schumann und seine Fran sehr
schweigsam daneben saßen. So tief war der Eindruck, daß Hanslick, in Wien
angekommen, eine ausführliche Analyse des Werkes schrieb, die sich durch elf
Nummern der Wiener Musikzeitung hinzog. Daraufhin erhielt er von Wagner
einen schönen Brief, der inzwischen auch bekannt geworden ist, und zwischen
dein Komponisten und dem Kritiker schien alles in bester Ordnung zu sein.
Auch als es sich später darum handelte, welche Musiker im neuen Hofopern¬
theater durch Büsten geehrt werden sollten, war es Hanslick, der Wagner vor¬
schlug. Innerlich hatte sich aber vieles geändert. Schon der Lohengrin fand
nicht mehr Hcmslicks vollen Beifall. Was Wagner vollends später veröffent¬
lichte, wurde von ihm als totale Verirrung bekämpft. Über die Meistersinger
denkt er allerdings heute günstiger als nach der ersten Münchner Aufführung.
Er war damals nervös und abgespannt und hätte, wenn ihm ein Tag der
Ruhe und ein nochmaliges Anhören des Werkes gegönnt gewesen wäre, viel¬
leicht weniger scharf geurteilt als in seinem ersten Berichte. Aber von den
Kritiken der übrigen Opern nimmt er nicht ein Jota zurück. In Tristan und
Isolde ist ihm die Unnatur von Text und Musik nach wie vor ..einfach un-
aushaltbar." und auch die Nibelungen erscheinen ihm umso widerwärtiger und
verfehlter, je öfter er sie hört. Wagner nnter die Spitzen der modernen Musik
einzureihen, kann er sich nicht entschließen, da ihn seine Musik nur erhitze,
aber nicht erwärme. Er weiß recht wohl, daß er mit diesen Ansichten nur
eine kleine Minderheit vertritt, und daß er selbst eine Wandlung des Ge¬
schmacks nicht mehr erleben wird. Er hofft aber auf die Zukunft, die sicher¬
lich einst "die Schriften der Wagnerianer als Monumente einer geistigen Epi¬
demie anstaunen wird."

Wie weit Hanslick mit diesen Urteilen im einzelnen Recht hat, kann hier
nicht untersucht ^werden. Jedenfalls hat sich Hanslick ein bleibendes Verdienst
erworben durch die Einsicht und den unbeugsamen Mut, mit dem er der fana¬
tischen Urteilslosigkeit und Unselbständigkeit der Wagnerianer gegenüber immer
wieder auf die prinzipiellen Fehler hingewiesen, zu denen Wagner fortschritt,
als die Ergiebigkeit seiner schöpferischen Phantasie nachließ, und die er. der
Not gehorchend, für ganz besondre Vorzüge, als das lange gesuchte musik¬
dramatische Ideal ausgab.

Mag sich Hanslick in Einzelheiten getäuscht haben, im Prmzrp hat er
Recht, und die Macht, die unser geistiges Leben lenkt, wird dafür "orge
tragen, daß der von ihm so tapfer begonnene und fortgeführte Kampf von
jüngern Kräften aufgenommen und einem guten Ende zugeführt wird. Es
wiederholt sich bei den Wagnerianern dasselbe Spiel, das uns in der Kunst¬
geschichte immer und immer wieder mit fürchterlicher Regelmäßigkeit entgegen-


Grcuzbvten II 1895 ^
Eduard Hanslicks Lebenseriimerungen

Aufführung des Tannhäuser in Dresden nennt er „ein ersehntes, unverge߬
liches Theatererlebnis." Die Oper hatte auf ihn eine bedeutende, stellenweise
berauschende Wirkung ausgeübt, während Schumann und seine Fran sehr
schweigsam daneben saßen. So tief war der Eindruck, daß Hanslick, in Wien
angekommen, eine ausführliche Analyse des Werkes schrieb, die sich durch elf
Nummern der Wiener Musikzeitung hinzog. Daraufhin erhielt er von Wagner
einen schönen Brief, der inzwischen auch bekannt geworden ist, und zwischen
dein Komponisten und dem Kritiker schien alles in bester Ordnung zu sein.
Auch als es sich später darum handelte, welche Musiker im neuen Hofopern¬
theater durch Büsten geehrt werden sollten, war es Hanslick, der Wagner vor¬
schlug. Innerlich hatte sich aber vieles geändert. Schon der Lohengrin fand
nicht mehr Hcmslicks vollen Beifall. Was Wagner vollends später veröffent¬
lichte, wurde von ihm als totale Verirrung bekämpft. Über die Meistersinger
denkt er allerdings heute günstiger als nach der ersten Münchner Aufführung.
Er war damals nervös und abgespannt und hätte, wenn ihm ein Tag der
Ruhe und ein nochmaliges Anhören des Werkes gegönnt gewesen wäre, viel¬
leicht weniger scharf geurteilt als in seinem ersten Berichte. Aber von den
Kritiken der übrigen Opern nimmt er nicht ein Jota zurück. In Tristan und
Isolde ist ihm die Unnatur von Text und Musik nach wie vor ..einfach un-
aushaltbar." und auch die Nibelungen erscheinen ihm umso widerwärtiger und
verfehlter, je öfter er sie hört. Wagner nnter die Spitzen der modernen Musik
einzureihen, kann er sich nicht entschließen, da ihn seine Musik nur erhitze,
aber nicht erwärme. Er weiß recht wohl, daß er mit diesen Ansichten nur
eine kleine Minderheit vertritt, und daß er selbst eine Wandlung des Ge¬
schmacks nicht mehr erleben wird. Er hofft aber auf die Zukunft, die sicher¬
lich einst „die Schriften der Wagnerianer als Monumente einer geistigen Epi¬
demie anstaunen wird."

Wie weit Hanslick mit diesen Urteilen im einzelnen Recht hat, kann hier
nicht untersucht ^werden. Jedenfalls hat sich Hanslick ein bleibendes Verdienst
erworben durch die Einsicht und den unbeugsamen Mut, mit dem er der fana¬
tischen Urteilslosigkeit und Unselbständigkeit der Wagnerianer gegenüber immer
wieder auf die prinzipiellen Fehler hingewiesen, zu denen Wagner fortschritt,
als die Ergiebigkeit seiner schöpferischen Phantasie nachließ, und die er. der
Not gehorchend, für ganz besondre Vorzüge, als das lange gesuchte musik¬
dramatische Ideal ausgab.

Mag sich Hanslick in Einzelheiten getäuscht haben, im Prmzrp hat er
Recht, und die Macht, die unser geistiges Leben lenkt, wird dafür «orge
tragen, daß der von ihm so tapfer begonnene und fortgeführte Kampf von
jüngern Kräften aufgenommen und einem guten Ende zugeführt wird. Es
wiederholt sich bei den Wagnerianern dasselbe Spiel, das uns in der Kunst¬
geschichte immer und immer wieder mit fürchterlicher Regelmäßigkeit entgegen-


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[0377] Eduard Hanslicks Lebenseriimerungen Aufführung des Tannhäuser in Dresden nennt er „ein ersehntes, unverge߬ liches Theatererlebnis." Die Oper hatte auf ihn eine bedeutende, stellenweise berauschende Wirkung ausgeübt, während Schumann und seine Fran sehr schweigsam daneben saßen. So tief war der Eindruck, daß Hanslick, in Wien angekommen, eine ausführliche Analyse des Werkes schrieb, die sich durch elf Nummern der Wiener Musikzeitung hinzog. Daraufhin erhielt er von Wagner einen schönen Brief, der inzwischen auch bekannt geworden ist, und zwischen dein Komponisten und dem Kritiker schien alles in bester Ordnung zu sein. Auch als es sich später darum handelte, welche Musiker im neuen Hofopern¬ theater durch Büsten geehrt werden sollten, war es Hanslick, der Wagner vor¬ schlug. Innerlich hatte sich aber vieles geändert. Schon der Lohengrin fand nicht mehr Hcmslicks vollen Beifall. Was Wagner vollends später veröffent¬ lichte, wurde von ihm als totale Verirrung bekämpft. Über die Meistersinger denkt er allerdings heute günstiger als nach der ersten Münchner Aufführung. Er war damals nervös und abgespannt und hätte, wenn ihm ein Tag der Ruhe und ein nochmaliges Anhören des Werkes gegönnt gewesen wäre, viel¬ leicht weniger scharf geurteilt als in seinem ersten Berichte. Aber von den Kritiken der übrigen Opern nimmt er nicht ein Jota zurück. In Tristan und Isolde ist ihm die Unnatur von Text und Musik nach wie vor ..einfach un- aushaltbar." und auch die Nibelungen erscheinen ihm umso widerwärtiger und verfehlter, je öfter er sie hört. Wagner nnter die Spitzen der modernen Musik einzureihen, kann er sich nicht entschließen, da ihn seine Musik nur erhitze, aber nicht erwärme. Er weiß recht wohl, daß er mit diesen Ansichten nur eine kleine Minderheit vertritt, und daß er selbst eine Wandlung des Ge¬ schmacks nicht mehr erleben wird. Er hofft aber auf die Zukunft, die sicher¬ lich einst „die Schriften der Wagnerianer als Monumente einer geistigen Epi¬ demie anstaunen wird." Wie weit Hanslick mit diesen Urteilen im einzelnen Recht hat, kann hier nicht untersucht ^werden. Jedenfalls hat sich Hanslick ein bleibendes Verdienst erworben durch die Einsicht und den unbeugsamen Mut, mit dem er der fana¬ tischen Urteilslosigkeit und Unselbständigkeit der Wagnerianer gegenüber immer wieder auf die prinzipiellen Fehler hingewiesen, zu denen Wagner fortschritt, als die Ergiebigkeit seiner schöpferischen Phantasie nachließ, und die er. der Not gehorchend, für ganz besondre Vorzüge, als das lange gesuchte musik¬ dramatische Ideal ausgab. Mag sich Hanslick in Einzelheiten getäuscht haben, im Prmzrp hat er Recht, und die Macht, die unser geistiges Leben lenkt, wird dafür «orge tragen, daß der von ihm so tapfer begonnene und fortgeführte Kampf von jüngern Kräften aufgenommen und einem guten Ende zugeführt wird. Es wiederholt sich bei den Wagnerianern dasselbe Spiel, das uns in der Kunst¬ geschichte immer und immer wieder mit fürchterlicher Regelmäßigkeit entgegen- Grcuzbvten II 1895 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/377>, abgerufen am 27.08.2024.