Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
List und <Larey

auf der untersten Stufe der Armut festgehalten werden, die den Menschen
nicht allein aller Verteidigungsmittel, sondern anch aller Energie beraubt und
ihn dumm macht (Bd. 2, S. 91), Carey selbst sagt, die Kinderarbeit sei nötig
gewesen, um die indischen Weber unterbieten und die indische Weberei ver¬
nichten zu können; der englische Weber, schrieb damals der London spectator,
vorks so ouögP, tllg,t lis starvss dirs xoor Hincloo, g.na insu se^roof liimsslk
(Bd. 1, S. 349).

Das Kommerzsystem, wie es Carey als Ideal aufstellt, wirkt mich ihm
in doppelter Weise wohlthätig. Erstens läßt es keine überflüssigen Vermittler
aufkomme". Die Produzenten: Bauer und Handwerker, Schuster und Fleischer,
Schafzüchter und Tuchweber, tauschen ihre Erzeugnisse unmittelbar aus, und
jeder empfängt als Kaufpreis den vollen Wert seines Produkts. Zweitens
entfalte sich nur im Nahverkehr eine in die verschiedensten Berufsarten reich
gegliederte Gesellschaft und damit die höchste Kultur; denn von der Mensch¬
heit gelte dasselbe, was Goethe von den organischen Wesen sagt, daß jedes
desto vollkommner sei, je zahlreicher und verschiedner seine Teile seien. Das
Handelssystem wirke in beiden Beziehungen entgegengesetzt. Es lasse den Pro¬
duzenten nur einen geringen Teil ihres Arbeitserzeugnisses, indem sich allerlei
Vermittler des größten Teils bemächtigten. Als solche nennt er, und zwar
sehr oft, außer den Händlern, Schiffsbauern und Reedern, die Agenten und
Makler, die Bankiers, Geldverleiher und Spekulanten, dann die Advokaten,
die sich die aus dem verwickelten Verkehr entstehenden Streitigkeiten zu nutze
machen, Büreaukraten, die dieses ganze verwickelte Wesen in Ordnung halten
sollen, endlich "die allerunnützeste Klasse: die Säbel- und Musketenträger."
Diese würden dadurch nötig, daß zur Durchführung einer solchen Räuber¬
politik, die sich natürlich kein Volk gutwillig gefallen lasse, fortwährend Krieg
geführt werden muß. Gleichzeitig reiße diese Politik das Zusammengehörige
weit aus einander; sie häufe in dem einen Lande (oder in der einen Gegend
eines Landes) lauter Spinner und Weber an, und zwinge die Bewohner andrer
Länder (oder Provinzen), auf der Stufe des reinen Ackerbaustaats zu verharren.
Dazu müsse ihr Ackerbau auf der niedrigsten Stufe zurückbleiben, weil nur
der Einfluß städtischer Bildung, die eben fehle, die Landwirtschaft rationell
machen könne. So werde zugleich der Fortschritt zu höherer Kultur unmög¬
lich gemacht, indem einerseits die ganz einseitig beschäftigten Fabrikarbeiter,
andrerseits die von allen Bildungsquellen ausgeschlossenen Bauern oder länd¬
lichen Arbeiter nicht anders als roh und unwissend sein könnten. Und unter
dem Druck der Ausbeutung, der beide Klassen unterlagen, komme es soweit,
daß die Fabrikarbeiter die Nahrungsmittel, die ihnen von den Agrarstaaten,
die Bewohner dieser die Fabrikate, die ihnen von den Industriestaaten im Über¬
fluß angeboten würden, nicht bezahlen könnten.

Das Kommerzsystem Careys ist aber nur ein Teil oder eine Folge eines


List und <Larey

auf der untersten Stufe der Armut festgehalten werden, die den Menschen
nicht allein aller Verteidigungsmittel, sondern anch aller Energie beraubt und
ihn dumm macht (Bd. 2, S. 91), Carey selbst sagt, die Kinderarbeit sei nötig
gewesen, um die indischen Weber unterbieten und die indische Weberei ver¬
nichten zu können; der englische Weber, schrieb damals der London spectator,
vorks so ouögP, tllg,t lis starvss dirs xoor Hincloo, g.na insu se^roof liimsslk
(Bd. 1, S. 349).

Das Kommerzsystem, wie es Carey als Ideal aufstellt, wirkt mich ihm
in doppelter Weise wohlthätig. Erstens läßt es keine überflüssigen Vermittler
aufkomme». Die Produzenten: Bauer und Handwerker, Schuster und Fleischer,
Schafzüchter und Tuchweber, tauschen ihre Erzeugnisse unmittelbar aus, und
jeder empfängt als Kaufpreis den vollen Wert seines Produkts. Zweitens
entfalte sich nur im Nahverkehr eine in die verschiedensten Berufsarten reich
gegliederte Gesellschaft und damit die höchste Kultur; denn von der Mensch¬
heit gelte dasselbe, was Goethe von den organischen Wesen sagt, daß jedes
desto vollkommner sei, je zahlreicher und verschiedner seine Teile seien. Das
Handelssystem wirke in beiden Beziehungen entgegengesetzt. Es lasse den Pro¬
duzenten nur einen geringen Teil ihres Arbeitserzeugnisses, indem sich allerlei
Vermittler des größten Teils bemächtigten. Als solche nennt er, und zwar
sehr oft, außer den Händlern, Schiffsbauern und Reedern, die Agenten und
Makler, die Bankiers, Geldverleiher und Spekulanten, dann die Advokaten,
die sich die aus dem verwickelten Verkehr entstehenden Streitigkeiten zu nutze
machen, Büreaukraten, die dieses ganze verwickelte Wesen in Ordnung halten
sollen, endlich „die allerunnützeste Klasse: die Säbel- und Musketenträger."
Diese würden dadurch nötig, daß zur Durchführung einer solchen Räuber¬
politik, die sich natürlich kein Volk gutwillig gefallen lasse, fortwährend Krieg
geführt werden muß. Gleichzeitig reiße diese Politik das Zusammengehörige
weit aus einander; sie häufe in dem einen Lande (oder in der einen Gegend
eines Landes) lauter Spinner und Weber an, und zwinge die Bewohner andrer
Länder (oder Provinzen), auf der Stufe des reinen Ackerbaustaats zu verharren.
Dazu müsse ihr Ackerbau auf der niedrigsten Stufe zurückbleiben, weil nur
der Einfluß städtischer Bildung, die eben fehle, die Landwirtschaft rationell
machen könne. So werde zugleich der Fortschritt zu höherer Kultur unmög¬
lich gemacht, indem einerseits die ganz einseitig beschäftigten Fabrikarbeiter,
andrerseits die von allen Bildungsquellen ausgeschlossenen Bauern oder länd¬
lichen Arbeiter nicht anders als roh und unwissend sein könnten. Und unter
dem Druck der Ausbeutung, der beide Klassen unterlagen, komme es soweit,
daß die Fabrikarbeiter die Nahrungsmittel, die ihnen von den Agrarstaaten,
die Bewohner dieser die Fabrikate, die ihnen von den Industriestaaten im Über¬
fluß angeboten würden, nicht bezahlen könnten.

Das Kommerzsystem Careys ist aber nur ein Teil oder eine Folge eines


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220044"/>
          <fw type="header" place="top"> List und &lt;Larey</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1349" prev="#ID_1348"> auf der untersten Stufe der Armut festgehalten werden, die den Menschen<lb/>
nicht allein aller Verteidigungsmittel, sondern anch aller Energie beraubt und<lb/>
ihn dumm macht (Bd. 2, S. 91), Carey selbst sagt, die Kinderarbeit sei nötig<lb/>
gewesen, um die indischen Weber unterbieten und die indische Weberei ver¬<lb/>
nichten zu können; der englische Weber, schrieb damals der London spectator,<lb/>
vorks so ouögP, tllg,t lis starvss dirs xoor Hincloo, g.na insu se^roof liimsslk<lb/>
(Bd. 1, S. 349).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1350"> Das Kommerzsystem, wie es Carey als Ideal aufstellt, wirkt mich ihm<lb/>
in doppelter Weise wohlthätig. Erstens läßt es keine überflüssigen Vermittler<lb/>
aufkomme». Die Produzenten: Bauer und Handwerker, Schuster und Fleischer,<lb/>
Schafzüchter und Tuchweber, tauschen ihre Erzeugnisse unmittelbar aus, und<lb/>
jeder empfängt als Kaufpreis den vollen Wert seines Produkts. Zweitens<lb/>
entfalte sich nur im Nahverkehr eine in die verschiedensten Berufsarten reich<lb/>
gegliederte Gesellschaft und damit die höchste Kultur; denn von der Mensch¬<lb/>
heit gelte dasselbe, was Goethe von den organischen Wesen sagt, daß jedes<lb/>
desto vollkommner sei, je zahlreicher und verschiedner seine Teile seien. Das<lb/>
Handelssystem wirke in beiden Beziehungen entgegengesetzt. Es lasse den Pro¬<lb/>
duzenten nur einen geringen Teil ihres Arbeitserzeugnisses, indem sich allerlei<lb/>
Vermittler des größten Teils bemächtigten. Als solche nennt er, und zwar<lb/>
sehr oft, außer den Händlern, Schiffsbauern und Reedern, die Agenten und<lb/>
Makler, die Bankiers, Geldverleiher und Spekulanten, dann die Advokaten,<lb/>
die sich die aus dem verwickelten Verkehr entstehenden Streitigkeiten zu nutze<lb/>
machen, Büreaukraten, die dieses ganze verwickelte Wesen in Ordnung halten<lb/>
sollen, endlich &#x201E;die allerunnützeste Klasse: die Säbel- und Musketenträger."<lb/>
Diese würden dadurch nötig, daß zur Durchführung einer solchen Räuber¬<lb/>
politik, die sich natürlich kein Volk gutwillig gefallen lasse, fortwährend Krieg<lb/>
geführt werden muß. Gleichzeitig reiße diese Politik das Zusammengehörige<lb/>
weit aus einander; sie häufe in dem einen Lande (oder in der einen Gegend<lb/>
eines Landes) lauter Spinner und Weber an, und zwinge die Bewohner andrer<lb/>
Länder (oder Provinzen), auf der Stufe des reinen Ackerbaustaats zu verharren.<lb/>
Dazu müsse ihr Ackerbau auf der niedrigsten Stufe zurückbleiben, weil nur<lb/>
der Einfluß städtischer Bildung, die eben fehle, die Landwirtschaft rationell<lb/>
machen könne. So werde zugleich der Fortschritt zu höherer Kultur unmög¬<lb/>
lich gemacht, indem einerseits die ganz einseitig beschäftigten Fabrikarbeiter,<lb/>
andrerseits die von allen Bildungsquellen ausgeschlossenen Bauern oder länd¬<lb/>
lichen Arbeiter nicht anders als roh und unwissend sein könnten. Und unter<lb/>
dem Druck der Ausbeutung, der beide Klassen unterlagen, komme es soweit,<lb/>
daß die Fabrikarbeiter die Nahrungsmittel, die ihnen von den Agrarstaaten,<lb/>
die Bewohner dieser die Fabrikate, die ihnen von den Industriestaaten im Über¬<lb/>
fluß angeboten würden, nicht bezahlen könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1351" next="#ID_1352"> Das Kommerzsystem Careys ist aber nur ein Teil oder eine Folge eines</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] List und <Larey auf der untersten Stufe der Armut festgehalten werden, die den Menschen nicht allein aller Verteidigungsmittel, sondern anch aller Energie beraubt und ihn dumm macht (Bd. 2, S. 91), Carey selbst sagt, die Kinderarbeit sei nötig gewesen, um die indischen Weber unterbieten und die indische Weberei ver¬ nichten zu können; der englische Weber, schrieb damals der London spectator, vorks so ouögP, tllg,t lis starvss dirs xoor Hincloo, g.na insu se^roof liimsslk (Bd. 1, S. 349). Das Kommerzsystem, wie es Carey als Ideal aufstellt, wirkt mich ihm in doppelter Weise wohlthätig. Erstens läßt es keine überflüssigen Vermittler aufkomme». Die Produzenten: Bauer und Handwerker, Schuster und Fleischer, Schafzüchter und Tuchweber, tauschen ihre Erzeugnisse unmittelbar aus, und jeder empfängt als Kaufpreis den vollen Wert seines Produkts. Zweitens entfalte sich nur im Nahverkehr eine in die verschiedensten Berufsarten reich gegliederte Gesellschaft und damit die höchste Kultur; denn von der Mensch¬ heit gelte dasselbe, was Goethe von den organischen Wesen sagt, daß jedes desto vollkommner sei, je zahlreicher und verschiedner seine Teile seien. Das Handelssystem wirke in beiden Beziehungen entgegengesetzt. Es lasse den Pro¬ duzenten nur einen geringen Teil ihres Arbeitserzeugnisses, indem sich allerlei Vermittler des größten Teils bemächtigten. Als solche nennt er, und zwar sehr oft, außer den Händlern, Schiffsbauern und Reedern, die Agenten und Makler, die Bankiers, Geldverleiher und Spekulanten, dann die Advokaten, die sich die aus dem verwickelten Verkehr entstehenden Streitigkeiten zu nutze machen, Büreaukraten, die dieses ganze verwickelte Wesen in Ordnung halten sollen, endlich „die allerunnützeste Klasse: die Säbel- und Musketenträger." Diese würden dadurch nötig, daß zur Durchführung einer solchen Räuber¬ politik, die sich natürlich kein Volk gutwillig gefallen lasse, fortwährend Krieg geführt werden muß. Gleichzeitig reiße diese Politik das Zusammengehörige weit aus einander; sie häufe in dem einen Lande (oder in der einen Gegend eines Landes) lauter Spinner und Weber an, und zwinge die Bewohner andrer Länder (oder Provinzen), auf der Stufe des reinen Ackerbaustaats zu verharren. Dazu müsse ihr Ackerbau auf der niedrigsten Stufe zurückbleiben, weil nur der Einfluß städtischer Bildung, die eben fehle, die Landwirtschaft rationell machen könne. So werde zugleich der Fortschritt zu höherer Kultur unmög¬ lich gemacht, indem einerseits die ganz einseitig beschäftigten Fabrikarbeiter, andrerseits die von allen Bildungsquellen ausgeschlossenen Bauern oder länd¬ lichen Arbeiter nicht anders als roh und unwissend sein könnten. Und unter dem Druck der Ausbeutung, der beide Klassen unterlagen, komme es soweit, daß die Fabrikarbeiter die Nahrungsmittel, die ihnen von den Agrarstaaten, die Bewohner dieser die Fabrikate, die ihnen von den Industriestaaten im Über¬ fluß angeboten würden, nicht bezahlen könnten. Das Kommerzsystem Careys ist aber nur ein Teil oder eine Folge eines

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/368>, abgerufen am 26.08.2024.