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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Diktatur und Verfassung

spiele genug, daß unkriegerische oder sittlich verkommene Nationen durch Palast-
trnppen oder Prätorianerkohorten niedergehalten worden sind. Eine Diktatur,
die am Ende ihres Lateins angekommen, das Säbelregiment proklamiren
wollte, wäre schließlich auch zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht ge¬
nötigt. Dies wäre aber, wenn es nicht schon vorher geschehen wäre, für
unsre östlichen und westlichen Nachbarn das willkommene Signal, über das
ohnmächtig gewordne Deutschland herzufallen und es nach mühelosem Kampfe
in Stücke zu schlagen.

Doch fort mit düstern Träumen! Kehren wir wieder zu der tröstlichen
Wirklichkeit zurück, daß Deutschlands Verfassung in der geschichtlichen Entwick¬
lung, in den Herzen wie in den Lebensinteressen der deutschen Fürsten und Stämme
und in dem klaren, unzweideutig geschriebn?" Rechte so fest verankert ist, daß der
Versuch, an ihr zu rütteln, weniger als Verbrechen geahndet, denn als Thor¬
heit belächelt zu werden verdient. Eher könnte man bedauern, daß die Reichsver¬
fassung selbst den Weg ihrer Abänderung so leicht gemacht hat. Können doch mit
einer Vierfünftelmehrheit im Bundesrat und mit einfacher Mehrheit im Reichs¬
tage so wichtige Dinge wie die Ordnung des Neichstagswnhlrechts jederzeit
auf streng verfassungsmäßigen Wege zu Falle gebracht werden. Gönnen wir
jedem, an der Ansklügelung neuer Verfassungsbestimmungen seinen Witz zu
üben. Je krauser und bunter die Weisheit der Broschüreuschreiber, desto tiefer
nur kann sich die Erkenntnis befestigen, welch kostbaren Schatz uns die Männer
der That einst mit der Reichsverfassung beschert haben. Die leichtfertigen
Planmacher mögen sich die Worte des englischen Erzreaktionärs Edmund Burke
gesagt sein lassen: "Die Änderung der Verfassung ist eine Sache voll der
größten Schwierigkeiten, in der ein überlegender Mann nicht zu schneller Ent¬
scheidung, ein kluger nicht zu raschem Wagen, ein ehrlicher nicht zu raschen
Versprechungen geneigt sein kann." Dann werden auch unsre Nachkommen
einst mit demselben Burke rufen können: "Ich sehe mit kindlicher Ehrfurcht
auf die Verfassung meines Landes und werde sie nie in Stücke schlagen, sondern
im Gegenteil ihr ehrwürdiges Alter hegen und pflegen!"




Diktatur und Verfassung

spiele genug, daß unkriegerische oder sittlich verkommene Nationen durch Palast-
trnppen oder Prätorianerkohorten niedergehalten worden sind. Eine Diktatur,
die am Ende ihres Lateins angekommen, das Säbelregiment proklamiren
wollte, wäre schließlich auch zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht ge¬
nötigt. Dies wäre aber, wenn es nicht schon vorher geschehen wäre, für
unsre östlichen und westlichen Nachbarn das willkommene Signal, über das
ohnmächtig gewordne Deutschland herzufallen und es nach mühelosem Kampfe
in Stücke zu schlagen.

Doch fort mit düstern Träumen! Kehren wir wieder zu der tröstlichen
Wirklichkeit zurück, daß Deutschlands Verfassung in der geschichtlichen Entwick¬
lung, in den Herzen wie in den Lebensinteressen der deutschen Fürsten und Stämme
und in dem klaren, unzweideutig geschriebn?» Rechte so fest verankert ist, daß der
Versuch, an ihr zu rütteln, weniger als Verbrechen geahndet, denn als Thor¬
heit belächelt zu werden verdient. Eher könnte man bedauern, daß die Reichsver¬
fassung selbst den Weg ihrer Abänderung so leicht gemacht hat. Können doch mit
einer Vierfünftelmehrheit im Bundesrat und mit einfacher Mehrheit im Reichs¬
tage so wichtige Dinge wie die Ordnung des Neichstagswnhlrechts jederzeit
auf streng verfassungsmäßigen Wege zu Falle gebracht werden. Gönnen wir
jedem, an der Ansklügelung neuer Verfassungsbestimmungen seinen Witz zu
üben. Je krauser und bunter die Weisheit der Broschüreuschreiber, desto tiefer
nur kann sich die Erkenntnis befestigen, welch kostbaren Schatz uns die Männer
der That einst mit der Reichsverfassung beschert haben. Die leichtfertigen
Planmacher mögen sich die Worte des englischen Erzreaktionärs Edmund Burke
gesagt sein lassen: „Die Änderung der Verfassung ist eine Sache voll der
größten Schwierigkeiten, in der ein überlegender Mann nicht zu schneller Ent¬
scheidung, ein kluger nicht zu raschem Wagen, ein ehrlicher nicht zu raschen
Versprechungen geneigt sein kann." Dann werden auch unsre Nachkommen
einst mit demselben Burke rufen können: „Ich sehe mit kindlicher Ehrfurcht
auf die Verfassung meines Landes und werde sie nie in Stücke schlagen, sondern
im Gegenteil ihr ehrwürdiges Alter hegen und pflegen!"




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/363>, abgerufen am 26.08.2024.