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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Diktatur und Verfassung

neue Bürgerliche Gesetzbuch einfach durch kaiserliche Verordnung eingeführt! ^ ,
so würde je länger je mehr eine ungeheure Unsicherheit des alltäglichen Rechts¬
verkehrs eintreten, die das wirtschaftliche Leben der Nation völlig zum Stocken
bringen müßte.

Die sonstigen politischen Folgen eines Staatsstreichs auszumalen, ist kaum
nötig. Eins ist gewiß, die vielbeklagte Zersplitterung der deutschen politischen
Parteien würde mit einem Schlage aufhören. Am Tage nach dem Staats¬
streich würde eine einzige große und gewaltige Partei, die deutsche Verfassungs¬
partei, auferstehen, die von der Sozialdemokratie bis tief in die Reihen der
Konservativen hineinreichen würde. In leichten Umrissen war sie dem aufmerk¬
samen Beobachter schon während des Kampfes gegen die jüngst verflossene
Umsturzvorlage erkennbar. Ja gerade die Konservativen hätten, wenn ihr
Name nicht zum Kindergespött werden sollte, den Beruf, die Kerntruppe einer
solchen Verfassuugspartei zu bilden. Heißt doch konserviren wörtlich: erhalten,
das Bestehende verteidigen, auch wenn es nicht gefällt, jedenfalls aber den
Versuchen, die rechtliche und geschichtliche Entwicklung durch unvermittelte
Sprunghafte Übergänge zu unterbrechen, nach Kräften widerstehen. Die
Majestät des Rechts strahlt nie in reinerm Glänze, als wenn versucht wird,
es zu beugen. Gilt es schon in der auswärtigen Politik als die beste Di¬
plomatie, den Gegner ins Unrecht zu setzen, so gewinnt auch in innern
Kämpfen die Seite, die sich unerschütterlich auf den Boden des strengen Rechts
stellt, ein ungeheures und nicht bloß moralisches Übergewicht, das früher oder
später, nach allen Erfahrungen der Geschichte, den Gegner zur Sühne des
Unrechts zwingt. Auch die christliche Sittenlehre heischt Gehorsam nur gegen
die Obrigkeit, die Gewalt über uns hat. Sie gebietet nicht, ihr zu Hilfe zu
eilen, wenn ihrer rechtswidrigen Gewalt nun wieder Gewalt entgegengesetzt
wird. Und daß es früher oder später zu einer im Namen des Gesetzes und
der Verfassung kämpfenden Gegenrevolution von unten gegen die voraus-
gegangne Revolution von oben kommen würde, ist gewiß. Eine auf der
Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht gebildete Armee ist ein gewaltiger und
voraussichtlich niemals versagender Schutz der bestehenden Ordnung, so lange
sich diese selbst wieder auf die bestehenden Gesetze gründet. Es mag auch
sein, daß die eisernen Klammern der Disziplin, von denen das deutsche Heer,
wenigstens die aktive Armee, umspannt wird, eine Zeit lang fest genug
bleiben, die Nation nach einem Staatsstreich mit militärischer Gewalt nieder¬
zuhalten. Aber kein Volksheer wird sich auf die Dauer als Unterdrückungs-
instrument gegen die eignen Väter und Brüder gebrauchen lassen, um so
weniger, wenn es sich aus einer wehrhaften, an politisches Denken gewöhnten,
bis zu ihren gebildetsten Elementen hinauf schwer in ihren Rechten gekränkten
Bevölkerung rekrutiren müßte, die vielleicht zu neun Zehnteln den neuen Ge¬
walthabern in offner Feindschaft gegenüberstünde. Die Geschichte kennt Bei-


Diktatur und Verfassung

neue Bürgerliche Gesetzbuch einfach durch kaiserliche Verordnung eingeführt! ^ ,
so würde je länger je mehr eine ungeheure Unsicherheit des alltäglichen Rechts¬
verkehrs eintreten, die das wirtschaftliche Leben der Nation völlig zum Stocken
bringen müßte.

Die sonstigen politischen Folgen eines Staatsstreichs auszumalen, ist kaum
nötig. Eins ist gewiß, die vielbeklagte Zersplitterung der deutschen politischen
Parteien würde mit einem Schlage aufhören. Am Tage nach dem Staats¬
streich würde eine einzige große und gewaltige Partei, die deutsche Verfassungs¬
partei, auferstehen, die von der Sozialdemokratie bis tief in die Reihen der
Konservativen hineinreichen würde. In leichten Umrissen war sie dem aufmerk¬
samen Beobachter schon während des Kampfes gegen die jüngst verflossene
Umsturzvorlage erkennbar. Ja gerade die Konservativen hätten, wenn ihr
Name nicht zum Kindergespött werden sollte, den Beruf, die Kerntruppe einer
solchen Verfassuugspartei zu bilden. Heißt doch konserviren wörtlich: erhalten,
das Bestehende verteidigen, auch wenn es nicht gefällt, jedenfalls aber den
Versuchen, die rechtliche und geschichtliche Entwicklung durch unvermittelte
Sprunghafte Übergänge zu unterbrechen, nach Kräften widerstehen. Die
Majestät des Rechts strahlt nie in reinerm Glänze, als wenn versucht wird,
es zu beugen. Gilt es schon in der auswärtigen Politik als die beste Di¬
plomatie, den Gegner ins Unrecht zu setzen, so gewinnt auch in innern
Kämpfen die Seite, die sich unerschütterlich auf den Boden des strengen Rechts
stellt, ein ungeheures und nicht bloß moralisches Übergewicht, das früher oder
später, nach allen Erfahrungen der Geschichte, den Gegner zur Sühne des
Unrechts zwingt. Auch die christliche Sittenlehre heischt Gehorsam nur gegen
die Obrigkeit, die Gewalt über uns hat. Sie gebietet nicht, ihr zu Hilfe zu
eilen, wenn ihrer rechtswidrigen Gewalt nun wieder Gewalt entgegengesetzt
wird. Und daß es früher oder später zu einer im Namen des Gesetzes und
der Verfassung kämpfenden Gegenrevolution von unten gegen die voraus-
gegangne Revolution von oben kommen würde, ist gewiß. Eine auf der
Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht gebildete Armee ist ein gewaltiger und
voraussichtlich niemals versagender Schutz der bestehenden Ordnung, so lange
sich diese selbst wieder auf die bestehenden Gesetze gründet. Es mag auch
sein, daß die eisernen Klammern der Disziplin, von denen das deutsche Heer,
wenigstens die aktive Armee, umspannt wird, eine Zeit lang fest genug
bleiben, die Nation nach einem Staatsstreich mit militärischer Gewalt nieder¬
zuhalten. Aber kein Volksheer wird sich auf die Dauer als Unterdrückungs-
instrument gegen die eignen Väter und Brüder gebrauchen lassen, um so
weniger, wenn es sich aus einer wehrhaften, an politisches Denken gewöhnten,
bis zu ihren gebildetsten Elementen hinauf schwer in ihren Rechten gekränkten
Bevölkerung rekrutiren müßte, die vielleicht zu neun Zehnteln den neuen Ge¬
walthabern in offner Feindschaft gegenüberstünde. Die Geschichte kennt Bei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/362>, abgerufen am 26.08.2024.