Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

hervorblickt. Eigentlich wollen die Absoluten nichts von einem Zweck der
Strafe wissen: die Strafe ist Selbstzweck, und die Wiederherstellung der ver"
letzten Gerechtigkeit vollzieht sich wie ein Rechenexempel. Hegel sagt etwa:
Das Recht ist positiv, das Unrecht negativ, durch Negation der Negation
wird das Positive, das Recht, wieder hergestellt. Auch Kants Lehre von dem
kategorischen Imperativ der Gleichheit zwischen Strafübel und Verbrechensübel ist
ganz mathematisch gedacht. Nun heißt es in dem erwähnten Grenzbotenaufsatz,
daß der harte Kopf des Staates an diesem Rechenexempel zu schänden werde,
daß er sich der Aufgabe, Gerechtigkeit zu üben, nur in kümmerlicher Weise
entledige. Da ist es doch nötig, festzustellen, ob die absoluten Theorien mit
ihrer Definition des Strafzwecks im Rechte sind.

In dem Aufsatze wird gesagt, daß der Gedanke, dem Verbrecher das
Strafübel anzuthun, das er verdient, unausführbar sei, weil kein Mensch die
Schuld des andern zu beurteilen vermöge. In der That, um wirklich aus¬
gleichende Gerechtigkeit auszuüben, müßte man das Auge Gottes haben, das
in das Innerste der Menschenbrust dringt und auch aus der Menge der zur
Verfügung stehenden Übel gerade das zu finden vermag, dessen Gewicht das
Zünglein der ins Schwanken geratnen Wage wieder gerade richtet. Welcher
Mensch aber wäre im stände, das dem Verbrecherübel gegenüberstehende
Strafübel zu erkennen, und berechtigt, es zu verordnen? Am ehesten wäre
das noch möglich dem Mörder gegenüber, indem man ihm das raubt, was er einem
andern geraubt hat, das Leben. Aber wenn mau schon bei der Vollziehung
des Todesurteils die mit dem Morde verbunden gewesene Grausamkeit unbe¬
rücksichtigt läßt, so befindet man sich noch mehr bei der Beurteilung einer
Körperverletzung in Verlegenheit, denn einige Monate Gefängnis und eine
Körperverletzung bilden schwerlich eine Gleichung, die Gleichheit des Straf¬
übels und des Verbrechensübels wäre offenbar erst dann erreicht, wenn man
einen Menschen, der einen andern halb tot geschlagen hat, auch wieder halb
tot schlüge. Man kann auch sagen: Der Dieb hat das Arbeitsprodukt andrer
genommen, also nehme man zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit seine Ar¬
beitskraft gefangen. Dann müßte man aber seine Arbeitskraft so lange pro-
duziren lassen, bis das gestohlne Gut wieder ersetzt und außerdem die Unter¬
haltungskosten erstattet wären.

Obwohl die absoluten Theorien gerade bei vielen Juristen Hausrecht
haben, wird doch kein Richter und auch kein Richterkollegium, denn auch
die bestehen ja nur aus Menschen, den Anspruch erheben, ganz im Sinne der
ewigen Gerechtigkeit zu richten, sondern sie werden es immer nur nach
ihrem menschlichen Ermessen, nach ihrem besten Wissen und Gewissen thun.
Schopenhauer sagt nun sehr richtig: "Alle Vergeltung des Unrechts durch
Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft, ist Rache und
kann keinen andern Zweck haben, als durch den Anblick des fremden Leidens,


hervorblickt. Eigentlich wollen die Absoluten nichts von einem Zweck der
Strafe wissen: die Strafe ist Selbstzweck, und die Wiederherstellung der ver»
letzten Gerechtigkeit vollzieht sich wie ein Rechenexempel. Hegel sagt etwa:
Das Recht ist positiv, das Unrecht negativ, durch Negation der Negation
wird das Positive, das Recht, wieder hergestellt. Auch Kants Lehre von dem
kategorischen Imperativ der Gleichheit zwischen Strafübel und Verbrechensübel ist
ganz mathematisch gedacht. Nun heißt es in dem erwähnten Grenzbotenaufsatz,
daß der harte Kopf des Staates an diesem Rechenexempel zu schänden werde,
daß er sich der Aufgabe, Gerechtigkeit zu üben, nur in kümmerlicher Weise
entledige. Da ist es doch nötig, festzustellen, ob die absoluten Theorien mit
ihrer Definition des Strafzwecks im Rechte sind.

In dem Aufsatze wird gesagt, daß der Gedanke, dem Verbrecher das
Strafübel anzuthun, das er verdient, unausführbar sei, weil kein Mensch die
Schuld des andern zu beurteilen vermöge. In der That, um wirklich aus¬
gleichende Gerechtigkeit auszuüben, müßte man das Auge Gottes haben, das
in das Innerste der Menschenbrust dringt und auch aus der Menge der zur
Verfügung stehenden Übel gerade das zu finden vermag, dessen Gewicht das
Zünglein der ins Schwanken geratnen Wage wieder gerade richtet. Welcher
Mensch aber wäre im stände, das dem Verbrecherübel gegenüberstehende
Strafübel zu erkennen, und berechtigt, es zu verordnen? Am ehesten wäre
das noch möglich dem Mörder gegenüber, indem man ihm das raubt, was er einem
andern geraubt hat, das Leben. Aber wenn mau schon bei der Vollziehung
des Todesurteils die mit dem Morde verbunden gewesene Grausamkeit unbe¬
rücksichtigt läßt, so befindet man sich noch mehr bei der Beurteilung einer
Körperverletzung in Verlegenheit, denn einige Monate Gefängnis und eine
Körperverletzung bilden schwerlich eine Gleichung, die Gleichheit des Straf¬
übels und des Verbrechensübels wäre offenbar erst dann erreicht, wenn man
einen Menschen, der einen andern halb tot geschlagen hat, auch wieder halb
tot schlüge. Man kann auch sagen: Der Dieb hat das Arbeitsprodukt andrer
genommen, also nehme man zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit seine Ar¬
beitskraft gefangen. Dann müßte man aber seine Arbeitskraft so lange pro-
duziren lassen, bis das gestohlne Gut wieder ersetzt und außerdem die Unter¬
haltungskosten erstattet wären.

Obwohl die absoluten Theorien gerade bei vielen Juristen Hausrecht
haben, wird doch kein Richter und auch kein Richterkollegium, denn auch
die bestehen ja nur aus Menschen, den Anspruch erheben, ganz im Sinne der
ewigen Gerechtigkeit zu richten, sondern sie werden es immer nur nach
ihrem menschlichen Ermessen, nach ihrem besten Wissen und Gewissen thun.
Schopenhauer sagt nun sehr richtig: „Alle Vergeltung des Unrechts durch
Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft, ist Rache und
kann keinen andern Zweck haben, als durch den Anblick des fremden Leidens,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219710"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_75" prev="#ID_74"> hervorblickt. Eigentlich wollen die Absoluten nichts von einem Zweck der<lb/>
Strafe wissen: die Strafe ist Selbstzweck, und die Wiederherstellung der ver»<lb/>
letzten Gerechtigkeit vollzieht sich wie ein Rechenexempel. Hegel sagt etwa:<lb/>
Das Recht ist positiv, das Unrecht negativ, durch Negation der Negation<lb/>
wird das Positive, das Recht, wieder hergestellt. Auch Kants Lehre von dem<lb/>
kategorischen Imperativ der Gleichheit zwischen Strafübel und Verbrechensübel ist<lb/>
ganz mathematisch gedacht. Nun heißt es in dem erwähnten Grenzbotenaufsatz,<lb/>
daß der harte Kopf des Staates an diesem Rechenexempel zu schänden werde,<lb/>
daß er sich der Aufgabe, Gerechtigkeit zu üben, nur in kümmerlicher Weise<lb/>
entledige. Da ist es doch nötig, festzustellen, ob die absoluten Theorien mit<lb/>
ihrer Definition des Strafzwecks im Rechte sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_76"> In dem Aufsatze wird gesagt, daß der Gedanke, dem Verbrecher das<lb/>
Strafübel anzuthun, das er verdient, unausführbar sei, weil kein Mensch die<lb/>
Schuld des andern zu beurteilen vermöge. In der That, um wirklich aus¬<lb/>
gleichende Gerechtigkeit auszuüben, müßte man das Auge Gottes haben, das<lb/>
in das Innerste der Menschenbrust dringt und auch aus der Menge der zur<lb/>
Verfügung stehenden Übel gerade das zu finden vermag, dessen Gewicht das<lb/>
Zünglein der ins Schwanken geratnen Wage wieder gerade richtet. Welcher<lb/>
Mensch aber wäre im stände, das dem Verbrecherübel gegenüberstehende<lb/>
Strafübel zu erkennen, und berechtigt, es zu verordnen? Am ehesten wäre<lb/>
das noch möglich dem Mörder gegenüber, indem man ihm das raubt, was er einem<lb/>
andern geraubt hat, das Leben. Aber wenn mau schon bei der Vollziehung<lb/>
des Todesurteils die mit dem Morde verbunden gewesene Grausamkeit unbe¬<lb/>
rücksichtigt läßt, so befindet man sich noch mehr bei der Beurteilung einer<lb/>
Körperverletzung in Verlegenheit, denn einige Monate Gefängnis und eine<lb/>
Körperverletzung bilden schwerlich eine Gleichung, die Gleichheit des Straf¬<lb/>
übels und des Verbrechensübels wäre offenbar erst dann erreicht, wenn man<lb/>
einen Menschen, der einen andern halb tot geschlagen hat, auch wieder halb<lb/>
tot schlüge. Man kann auch sagen: Der Dieb hat das Arbeitsprodukt andrer<lb/>
genommen, also nehme man zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit seine Ar¬<lb/>
beitskraft gefangen. Dann müßte man aber seine Arbeitskraft so lange pro-<lb/>
duziren lassen, bis das gestohlne Gut wieder ersetzt und außerdem die Unter¬<lb/>
haltungskosten erstattet wären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_77" next="#ID_78"> Obwohl die absoluten Theorien gerade bei vielen Juristen Hausrecht<lb/>
haben, wird doch kein Richter und auch kein Richterkollegium, denn auch<lb/>
die bestehen ja nur aus Menschen, den Anspruch erheben, ganz im Sinne der<lb/>
ewigen Gerechtigkeit zu richten, sondern sie werden es immer nur nach<lb/>
ihrem menschlichen Ermessen, nach ihrem besten Wissen und Gewissen thun.<lb/>
Schopenhauer sagt nun sehr richtig: &#x201E;Alle Vergeltung des Unrechts durch<lb/>
Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft, ist Rache und<lb/>
kann keinen andern Zweck haben, als durch den Anblick des fremden Leidens,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] hervorblickt. Eigentlich wollen die Absoluten nichts von einem Zweck der Strafe wissen: die Strafe ist Selbstzweck, und die Wiederherstellung der ver» letzten Gerechtigkeit vollzieht sich wie ein Rechenexempel. Hegel sagt etwa: Das Recht ist positiv, das Unrecht negativ, durch Negation der Negation wird das Positive, das Recht, wieder hergestellt. Auch Kants Lehre von dem kategorischen Imperativ der Gleichheit zwischen Strafübel und Verbrechensübel ist ganz mathematisch gedacht. Nun heißt es in dem erwähnten Grenzbotenaufsatz, daß der harte Kopf des Staates an diesem Rechenexempel zu schänden werde, daß er sich der Aufgabe, Gerechtigkeit zu üben, nur in kümmerlicher Weise entledige. Da ist es doch nötig, festzustellen, ob die absoluten Theorien mit ihrer Definition des Strafzwecks im Rechte sind. In dem Aufsatze wird gesagt, daß der Gedanke, dem Verbrecher das Strafübel anzuthun, das er verdient, unausführbar sei, weil kein Mensch die Schuld des andern zu beurteilen vermöge. In der That, um wirklich aus¬ gleichende Gerechtigkeit auszuüben, müßte man das Auge Gottes haben, das in das Innerste der Menschenbrust dringt und auch aus der Menge der zur Verfügung stehenden Übel gerade das zu finden vermag, dessen Gewicht das Zünglein der ins Schwanken geratnen Wage wieder gerade richtet. Welcher Mensch aber wäre im stände, das dem Verbrecherübel gegenüberstehende Strafübel zu erkennen, und berechtigt, es zu verordnen? Am ehesten wäre das noch möglich dem Mörder gegenüber, indem man ihm das raubt, was er einem andern geraubt hat, das Leben. Aber wenn mau schon bei der Vollziehung des Todesurteils die mit dem Morde verbunden gewesene Grausamkeit unbe¬ rücksichtigt läßt, so befindet man sich noch mehr bei der Beurteilung einer Körperverletzung in Verlegenheit, denn einige Monate Gefängnis und eine Körperverletzung bilden schwerlich eine Gleichung, die Gleichheit des Straf¬ übels und des Verbrechensübels wäre offenbar erst dann erreicht, wenn man einen Menschen, der einen andern halb tot geschlagen hat, auch wieder halb tot schlüge. Man kann auch sagen: Der Dieb hat das Arbeitsprodukt andrer genommen, also nehme man zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit seine Ar¬ beitskraft gefangen. Dann müßte man aber seine Arbeitskraft so lange pro- duziren lassen, bis das gestohlne Gut wieder ersetzt und außerdem die Unter¬ haltungskosten erstattet wären. Obwohl die absoluten Theorien gerade bei vielen Juristen Hausrecht haben, wird doch kein Richter und auch kein Richterkollegium, denn auch die bestehen ja nur aus Menschen, den Anspruch erheben, ganz im Sinne der ewigen Gerechtigkeit zu richten, sondern sie werden es immer nur nach ihrem menschlichen Ermessen, nach ihrem besten Wissen und Gewissen thun. Schopenhauer sagt nun sehr richtig: „Alle Vergeltung des Unrechts durch Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft, ist Rache und kann keinen andern Zweck haben, als durch den Anblick des fremden Leidens,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/34>, abgerufen am 26.08.2024.