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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hanslicks Tebensermnerungen

Diese Elemente können in ihrem Werte gleich oder auch grundverschieden sein.
Wenn Schubert das Gedicht eines Stümpers genial komponirt, so ist es nicht
das Gedicht, das dem Inhalt des gemeinsamen Produkts das Gepräge giebt,
sondern die Musik; und wenn Schillers "Mädchen aus der Fremde" von einem
langlvckigen Jüngling mit sentimentalen Akkorden Übergossen wird, dann ist
es wieder nicht der Dichter, der für die zweifelhafte Beschaffenheit des musi¬
kalisch-poetischen Inhalts verantwortlich zu machen ist.

Aber es wäre sehr Unrecht, dieser prinzipiellen Irrtümer wegen die Be¬
deutung der Hanslickscheu Untersuchung unterschätzen zu wollen. Hanslick war
der Hecht im Karpfenteich. Er hat durch die Klarheit und Logik seines
Denkens die eingeschlafn? Musikästhetik aufgerüttelt aus ihrem thatenloser,
vcrschwommnen Hindämmern. Er hat den Augiasstall der alten Gefühls¬
theorie gründlich gesäubert und hat dadurch, daß er das andre Extrem vertrat,
wie E. von Hartmann sagt, "einer konkret idealistischen Musikästhetik den Weg
gewiesen." Er kann auf seine ästhetische Leistung mit dem befriedigenden
Gefühle zurüblicken, tausendmal Besseres und Wertvolleres geschaffen zu haben
als die vielen, die seine formalististische Verirrung zwar erkannten und tadelten,
selbst aber nichts positives zu erringen vermochten.

Noch verfehlter wäre es, aus der formalistischen Theorie Hanslicks einen
Rückschluß ans seine kritische Thätigkeit ziehen und etwa glauben zu wollen,
daß der, der theoretisch dem Formalismus huldigt, auch in seinen praktischen
Urteilen des lebendigen musikalischen Empfindens entbehren müsse. Theorie
und Praxis haben hier nichts mit einander zu thun. Die Kenntnis Kants,
Schellings, Hegels und Schopenhauers Schutze niemand vor den verkehrtesten
künstlerischen Urteilen, und ein in wissenschaftlich ästhetischen Dingen ganz un¬
erfahrner und zu Irrtümern neigender Kopf kann über ein glänzendes und
zuverlässiges künstlerisches Urteil verfügen. Wenn also die Gegner Hanslicks
glauben, aus seinem ästhetischen Irrtum Kapital für ihre musikalisch-praktischen
Zwecke schlagen zu können, so täuschen sie sich.

(Schluß folgt)




Eduard Hanslicks Tebensermnerungen

Diese Elemente können in ihrem Werte gleich oder auch grundverschieden sein.
Wenn Schubert das Gedicht eines Stümpers genial komponirt, so ist es nicht
das Gedicht, das dem Inhalt des gemeinsamen Produkts das Gepräge giebt,
sondern die Musik; und wenn Schillers „Mädchen aus der Fremde" von einem
langlvckigen Jüngling mit sentimentalen Akkorden Übergossen wird, dann ist
es wieder nicht der Dichter, der für die zweifelhafte Beschaffenheit des musi¬
kalisch-poetischen Inhalts verantwortlich zu machen ist.

Aber es wäre sehr Unrecht, dieser prinzipiellen Irrtümer wegen die Be¬
deutung der Hanslickscheu Untersuchung unterschätzen zu wollen. Hanslick war
der Hecht im Karpfenteich. Er hat durch die Klarheit und Logik seines
Denkens die eingeschlafn? Musikästhetik aufgerüttelt aus ihrem thatenloser,
vcrschwommnen Hindämmern. Er hat den Augiasstall der alten Gefühls¬
theorie gründlich gesäubert und hat dadurch, daß er das andre Extrem vertrat,
wie E. von Hartmann sagt, „einer konkret idealistischen Musikästhetik den Weg
gewiesen." Er kann auf seine ästhetische Leistung mit dem befriedigenden
Gefühle zurüblicken, tausendmal Besseres und Wertvolleres geschaffen zu haben
als die vielen, die seine formalististische Verirrung zwar erkannten und tadelten,
selbst aber nichts positives zu erringen vermochten.

Noch verfehlter wäre es, aus der formalistischen Theorie Hanslicks einen
Rückschluß ans seine kritische Thätigkeit ziehen und etwa glauben zu wollen,
daß der, der theoretisch dem Formalismus huldigt, auch in seinen praktischen
Urteilen des lebendigen musikalischen Empfindens entbehren müsse. Theorie
und Praxis haben hier nichts mit einander zu thun. Die Kenntnis Kants,
Schellings, Hegels und Schopenhauers Schutze niemand vor den verkehrtesten
künstlerischen Urteilen, und ein in wissenschaftlich ästhetischen Dingen ganz un¬
erfahrner und zu Irrtümern neigender Kopf kann über ein glänzendes und
zuverlässiges künstlerisches Urteil verfügen. Wenn also die Gegner Hanslicks
glauben, aus seinem ästhetischen Irrtum Kapital für ihre musikalisch-praktischen
Zwecke schlagen zu können, so täuschen sie sich.

(Schluß folgt)




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[0335] Eduard Hanslicks Tebensermnerungen Diese Elemente können in ihrem Werte gleich oder auch grundverschieden sein. Wenn Schubert das Gedicht eines Stümpers genial komponirt, so ist es nicht das Gedicht, das dem Inhalt des gemeinsamen Produkts das Gepräge giebt, sondern die Musik; und wenn Schillers „Mädchen aus der Fremde" von einem langlvckigen Jüngling mit sentimentalen Akkorden Übergossen wird, dann ist es wieder nicht der Dichter, der für die zweifelhafte Beschaffenheit des musi¬ kalisch-poetischen Inhalts verantwortlich zu machen ist. Aber es wäre sehr Unrecht, dieser prinzipiellen Irrtümer wegen die Be¬ deutung der Hanslickscheu Untersuchung unterschätzen zu wollen. Hanslick war der Hecht im Karpfenteich. Er hat durch die Klarheit und Logik seines Denkens die eingeschlafn? Musikästhetik aufgerüttelt aus ihrem thatenloser, vcrschwommnen Hindämmern. Er hat den Augiasstall der alten Gefühls¬ theorie gründlich gesäubert und hat dadurch, daß er das andre Extrem vertrat, wie E. von Hartmann sagt, „einer konkret idealistischen Musikästhetik den Weg gewiesen." Er kann auf seine ästhetische Leistung mit dem befriedigenden Gefühle zurüblicken, tausendmal Besseres und Wertvolleres geschaffen zu haben als die vielen, die seine formalististische Verirrung zwar erkannten und tadelten, selbst aber nichts positives zu erringen vermochten. Noch verfehlter wäre es, aus der formalistischen Theorie Hanslicks einen Rückschluß ans seine kritische Thätigkeit ziehen und etwa glauben zu wollen, daß der, der theoretisch dem Formalismus huldigt, auch in seinen praktischen Urteilen des lebendigen musikalischen Empfindens entbehren müsse. Theorie und Praxis haben hier nichts mit einander zu thun. Die Kenntnis Kants, Schellings, Hegels und Schopenhauers Schutze niemand vor den verkehrtesten künstlerischen Urteilen, und ein in wissenschaftlich ästhetischen Dingen ganz un¬ erfahrner und zu Irrtümern neigender Kopf kann über ein glänzendes und zuverlässiges künstlerisches Urteil verfügen. Wenn also die Gegner Hanslicks glauben, aus seinem ästhetischen Irrtum Kapital für ihre musikalisch-praktischen Zwecke schlagen zu können, so täuschen sie sich. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/335>, abgerufen am 25.08.2024.