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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hcmslicks Lebenserinnerungen

Künstler veröffentlichen, die zuvor ihre Konzertanzeigen in seinem Blatte bringen.
Hanslick geht darauf nicht ein, lieber will er seiner kritischen Thätigkeit ent¬
sagen, die ihm doch so am Herzen liegt: "Es steht in Ihrer Macht, erwidert
er dem Zeitungsmenschen, eine so merkwürdige Neuerung in Ihrem Blatte
einzuführen, aber ich werde es nicht sein, der sie ausführt. Von heute an
bitte ich mich als ausgetreten zu betrachten." Das wird aber nicht etwa mit
besonderm Nachdruck erzählt, gewissermaßen unterstrichen, sondern als etwas,
das sich für einen Gentleman von selbst versteht und worüber kein Wort weiter
zu verlieren ist.

Hanslick versteht auch nicht zu schmeicheln, er haßt die Gepflogenheit, sich
in das Herz berühmter Männer durch schone Worte einzudrängen: "Ich habe
niemals den schlechten und unverschämten Geschmack gehabt, berühmten Männern
Schmeicheleien zu sagen. Es ist immer etwas verletzendes, ein Jusgesichtwerfeu,
wenn auch mit Blumen. Von feiner empfindenden Naturen verträgt dies
weder der Bewvrfne noch der Werfer."

Großen Leuten gegenüber ist Hanslick aber auch zurückhaltend bis zur
Schüchternheit. So sehr ihn sein Herz treibt, wagt er doch nicht, Grill-
parzer anzureden, den er jeden Morgen in Baden auf einer Bank im Park
sitzen sieht: "Was konnte ich ihm auch bedeuten, was konnte er von mir
wissen?" Nachträglich stellte sich freilich heraus, daß Grillparzer Hcmslicks
Namen wohl gekannt und seine Kritiken regelmäßig gelesen hatte. Aber es
war zu spät, die Gelegenheit, den verehrten Dichter kennen zu lernen, war
versäumt.

In London ist Hanslick mit Freiligrath und Kinkel zusammen. Das Los
dieser Männer in der Fremde bedrückt ihn schwer: "Wie viel und mühsam
müssen in London so hervorragende Männer arbeiten! Man schämt sich vor
ihnen in die Seele hinein und meint doch selbst nicht gefaulenzt zu haben."

Natürlich kann Hanslick auch abweisend sein, wenn er glaubt, man trete
ihm mit ungebührlichen Ansprüchen zu nahe. Aber er bleibt auch dabei in
den Grenzen feiner Formen. Sehr hübsch erzählt er, wie er der schönen
Wagnerianerin und Gräfin sah., die ihm nach der ersten Meiftersinger-
aufführung mit der größten Unbefangenheit ein günstiges Urteil über die Oper
entlocken wollte, durch ein ebenso tiefes wie stummes Kompliment zu verstehen
gab, daß er sich nicht die Pistole auf die Brust setzen lasse.

Besonders sympathisch berührt die seelische Reinheit Hcmslicks -- sein
Buch kann jedem Mädchen von sechzehn Jahren in die Hand gegeben werden.
Wo das ewig Weibliche hereinspielt, zeigt es sich nur in seiner edelsten und
verehrungswürdigsten Form. Und doch ist ein angesehener Kritiker der Ver¬
suchung mehr ausgesetzt, als Joseph im Hause Potiphars. Hanslick erzählt
eine kleine Geschichte von einem Ball in einem Nonnenkloster, bei dem er der
einzige tanzende Herr war. Was wäre unter manchen andern Händen aus


Eduard Hcmslicks Lebenserinnerungen

Künstler veröffentlichen, die zuvor ihre Konzertanzeigen in seinem Blatte bringen.
Hanslick geht darauf nicht ein, lieber will er seiner kritischen Thätigkeit ent¬
sagen, die ihm doch so am Herzen liegt: „Es steht in Ihrer Macht, erwidert
er dem Zeitungsmenschen, eine so merkwürdige Neuerung in Ihrem Blatte
einzuführen, aber ich werde es nicht sein, der sie ausführt. Von heute an
bitte ich mich als ausgetreten zu betrachten." Das wird aber nicht etwa mit
besonderm Nachdruck erzählt, gewissermaßen unterstrichen, sondern als etwas,
das sich für einen Gentleman von selbst versteht und worüber kein Wort weiter
zu verlieren ist.

Hanslick versteht auch nicht zu schmeicheln, er haßt die Gepflogenheit, sich
in das Herz berühmter Männer durch schone Worte einzudrängen: „Ich habe
niemals den schlechten und unverschämten Geschmack gehabt, berühmten Männern
Schmeicheleien zu sagen. Es ist immer etwas verletzendes, ein Jusgesichtwerfeu,
wenn auch mit Blumen. Von feiner empfindenden Naturen verträgt dies
weder der Bewvrfne noch der Werfer."

Großen Leuten gegenüber ist Hanslick aber auch zurückhaltend bis zur
Schüchternheit. So sehr ihn sein Herz treibt, wagt er doch nicht, Grill-
parzer anzureden, den er jeden Morgen in Baden auf einer Bank im Park
sitzen sieht: „Was konnte ich ihm auch bedeuten, was konnte er von mir
wissen?" Nachträglich stellte sich freilich heraus, daß Grillparzer Hcmslicks
Namen wohl gekannt und seine Kritiken regelmäßig gelesen hatte. Aber es
war zu spät, die Gelegenheit, den verehrten Dichter kennen zu lernen, war
versäumt.

In London ist Hanslick mit Freiligrath und Kinkel zusammen. Das Los
dieser Männer in der Fremde bedrückt ihn schwer: „Wie viel und mühsam
müssen in London so hervorragende Männer arbeiten! Man schämt sich vor
ihnen in die Seele hinein und meint doch selbst nicht gefaulenzt zu haben."

Natürlich kann Hanslick auch abweisend sein, wenn er glaubt, man trete
ihm mit ungebührlichen Ansprüchen zu nahe. Aber er bleibt auch dabei in
den Grenzen feiner Formen. Sehr hübsch erzählt er, wie er der schönen
Wagnerianerin und Gräfin sah., die ihm nach der ersten Meiftersinger-
aufführung mit der größten Unbefangenheit ein günstiges Urteil über die Oper
entlocken wollte, durch ein ebenso tiefes wie stummes Kompliment zu verstehen
gab, daß er sich nicht die Pistole auf die Brust setzen lasse.

Besonders sympathisch berührt die seelische Reinheit Hcmslicks — sein
Buch kann jedem Mädchen von sechzehn Jahren in die Hand gegeben werden.
Wo das ewig Weibliche hereinspielt, zeigt es sich nur in seiner edelsten und
verehrungswürdigsten Form. Und doch ist ein angesehener Kritiker der Ver¬
suchung mehr ausgesetzt, als Joseph im Hause Potiphars. Hanslick erzählt
eine kleine Geschichte von einem Ball in einem Nonnenkloster, bei dem er der
einzige tanzende Herr war. Was wäre unter manchen andern Händen aus


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[0330] Eduard Hcmslicks Lebenserinnerungen Künstler veröffentlichen, die zuvor ihre Konzertanzeigen in seinem Blatte bringen. Hanslick geht darauf nicht ein, lieber will er seiner kritischen Thätigkeit ent¬ sagen, die ihm doch so am Herzen liegt: „Es steht in Ihrer Macht, erwidert er dem Zeitungsmenschen, eine so merkwürdige Neuerung in Ihrem Blatte einzuführen, aber ich werde es nicht sein, der sie ausführt. Von heute an bitte ich mich als ausgetreten zu betrachten." Das wird aber nicht etwa mit besonderm Nachdruck erzählt, gewissermaßen unterstrichen, sondern als etwas, das sich für einen Gentleman von selbst versteht und worüber kein Wort weiter zu verlieren ist. Hanslick versteht auch nicht zu schmeicheln, er haßt die Gepflogenheit, sich in das Herz berühmter Männer durch schone Worte einzudrängen: „Ich habe niemals den schlechten und unverschämten Geschmack gehabt, berühmten Männern Schmeicheleien zu sagen. Es ist immer etwas verletzendes, ein Jusgesichtwerfeu, wenn auch mit Blumen. Von feiner empfindenden Naturen verträgt dies weder der Bewvrfne noch der Werfer." Großen Leuten gegenüber ist Hanslick aber auch zurückhaltend bis zur Schüchternheit. So sehr ihn sein Herz treibt, wagt er doch nicht, Grill- parzer anzureden, den er jeden Morgen in Baden auf einer Bank im Park sitzen sieht: „Was konnte ich ihm auch bedeuten, was konnte er von mir wissen?" Nachträglich stellte sich freilich heraus, daß Grillparzer Hcmslicks Namen wohl gekannt und seine Kritiken regelmäßig gelesen hatte. Aber es war zu spät, die Gelegenheit, den verehrten Dichter kennen zu lernen, war versäumt. In London ist Hanslick mit Freiligrath und Kinkel zusammen. Das Los dieser Männer in der Fremde bedrückt ihn schwer: „Wie viel und mühsam müssen in London so hervorragende Männer arbeiten! Man schämt sich vor ihnen in die Seele hinein und meint doch selbst nicht gefaulenzt zu haben." Natürlich kann Hanslick auch abweisend sein, wenn er glaubt, man trete ihm mit ungebührlichen Ansprüchen zu nahe. Aber er bleibt auch dabei in den Grenzen feiner Formen. Sehr hübsch erzählt er, wie er der schönen Wagnerianerin und Gräfin sah., die ihm nach der ersten Meiftersinger- aufführung mit der größten Unbefangenheit ein günstiges Urteil über die Oper entlocken wollte, durch ein ebenso tiefes wie stummes Kompliment zu verstehen gab, daß er sich nicht die Pistole auf die Brust setzen lasse. Besonders sympathisch berührt die seelische Reinheit Hcmslicks — sein Buch kann jedem Mädchen von sechzehn Jahren in die Hand gegeben werden. Wo das ewig Weibliche hereinspielt, zeigt es sich nur in seiner edelsten und verehrungswürdigsten Form. Und doch ist ein angesehener Kritiker der Ver¬ suchung mehr ausgesetzt, als Joseph im Hause Potiphars. Hanslick erzählt eine kleine Geschichte von einem Ball in einem Nonnenkloster, bei dem er der einzige tanzende Herr war. Was wäre unter manchen andern Händen aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/330>, abgerufen am 22.12.2024.