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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Ldnard Hanslicks Lebenserinnerungen

ja wenig Lebenserinnerungen geben, deren Verfasser nicht bewußt oder un¬
bewußt dieselbe Neigung hätten, aber die Ehrlichkeit, das unumwunden ein¬
zugestehen, ist nicht alle Tage zu finden. Ob der Selbstbiograph gut daran
thut, über Tage des Kummers und der Verzagtheit stillschweigend hinweg¬
zugehen, und ob er nicht dadurch seiner Persönlichkeit einen Zug kräftiger In-
dividualisirung nimmt, ist ja eine Frage sür sich. Jedenfalls bietet die Ehr¬
lichkeit, mit der Hanslick seinen Standpunkt bezeichnet, die Gewähr, daß er,
wenn er auch manches Eckige abgeschliffen und manches Dunkle aufgehellt
haben mag, doch in der Hauptsache ein getreues Bild seiner selbst giebt und
sich von eitler Schönfärberei fernhält. Man hat allen Grund, sich über
die hochbegabte und edle Natur zu freuen, die aus diesen Aufzeichnungen zu
uns spricht. Von ganz besonderm Reiz ist es, den bedeutenden Kritiker, den
wir fast nur aus seinen streitbaren Schriften und den wenig liebevollen Schil¬
derungen seiner Gegner kennen, nun auch als Menschen kennen zu lernen.

Hanslick ist ein guter Sohn, und wer ein guter Sohn ist, ist auch ein
guter Mensch. Die einleitenden Abschnitte, die er seinem Verhältnis zu Vater
und Mutter widmet, sind wohl die reizvollsten und ansprechendsten Partien
der ganzen Selbstbiographie. Nur wer seine Eltern von Herzen lieb hat,
vermag in diesem schlichten und warmen Tone von ihnen zu reden, und nur
wer vortreffliche Eltern hat, vermag sie auch so von Herzen zu lieben. Von
seinen Geschwistern hören wir nicht viel, nur der Schwester Lotti, die einen
Offizier zum Mann bekam, wird mit besondrer Zärtlichkeit gedacht. Hanslick
selbst heiratete erst mit 51 Jahren. Die Art und Weise, wie er die Neigung
andeutet, die sein nicht mehr junges Herz gefangen nahm, und wie er die innige
Liebe durchblicken läßt, die ihn mit seiner Frau verbindet, verrät Zartgefühl
und eine verehrungswürdige Scheu, die Geheimnisse seines Herzens plumper
Neugier preiszugeben.

Als Freund fühlt Hanslick warm und tief. Am nächsten stehen ihm
Vrahms und Billroth, Villroth wohl noch etwas näher als Brahms. Aber
auch für die große Zahl derer, die seinen Lebensweg gekreuzt haben und ent¬
weder zu früh gestorben sind, als daß sie sür sein späteres Leben noch hätten von
Bedeutung werden können, oder zu denen er nicht in ein Verhältnis innigster
Vertraulichkeit getreten ist, hat er ein warmes Herz und stets ein gerechtes
Urteil. Obwohl er doch in seinem langen Leben so manchen kennen gelernt
hat, der ihm nicht gefallen haben mag, so wird er eigentlich niemals bitter.
Und doch ist es recht schwer, in Memoiren, von denen man im voraus weiß,
daß sie weite Verbreitung finden werden, der Versuchung zu widerstehen, dem
einen oder andern Widersacher einen Denkzettel zu geben. Wie hat Wagner
seiner Bitterkeit und seinem Haß oft die Zügel schießen lassen!

Hanslick ist ein Mann von Charakter, der zu keinem Unrecht die Hand
bietet. Der Herausgeber der "Presse" will nnr noch Kritiken über solche


Grenzboten II 189S 41
Ldnard Hanslicks Lebenserinnerungen

ja wenig Lebenserinnerungen geben, deren Verfasser nicht bewußt oder un¬
bewußt dieselbe Neigung hätten, aber die Ehrlichkeit, das unumwunden ein¬
zugestehen, ist nicht alle Tage zu finden. Ob der Selbstbiograph gut daran
thut, über Tage des Kummers und der Verzagtheit stillschweigend hinweg¬
zugehen, und ob er nicht dadurch seiner Persönlichkeit einen Zug kräftiger In-
dividualisirung nimmt, ist ja eine Frage sür sich. Jedenfalls bietet die Ehr¬
lichkeit, mit der Hanslick seinen Standpunkt bezeichnet, die Gewähr, daß er,
wenn er auch manches Eckige abgeschliffen und manches Dunkle aufgehellt
haben mag, doch in der Hauptsache ein getreues Bild seiner selbst giebt und
sich von eitler Schönfärberei fernhält. Man hat allen Grund, sich über
die hochbegabte und edle Natur zu freuen, die aus diesen Aufzeichnungen zu
uns spricht. Von ganz besonderm Reiz ist es, den bedeutenden Kritiker, den
wir fast nur aus seinen streitbaren Schriften und den wenig liebevollen Schil¬
derungen seiner Gegner kennen, nun auch als Menschen kennen zu lernen.

Hanslick ist ein guter Sohn, und wer ein guter Sohn ist, ist auch ein
guter Mensch. Die einleitenden Abschnitte, die er seinem Verhältnis zu Vater
und Mutter widmet, sind wohl die reizvollsten und ansprechendsten Partien
der ganzen Selbstbiographie. Nur wer seine Eltern von Herzen lieb hat,
vermag in diesem schlichten und warmen Tone von ihnen zu reden, und nur
wer vortreffliche Eltern hat, vermag sie auch so von Herzen zu lieben. Von
seinen Geschwistern hören wir nicht viel, nur der Schwester Lotti, die einen
Offizier zum Mann bekam, wird mit besondrer Zärtlichkeit gedacht. Hanslick
selbst heiratete erst mit 51 Jahren. Die Art und Weise, wie er die Neigung
andeutet, die sein nicht mehr junges Herz gefangen nahm, und wie er die innige
Liebe durchblicken läßt, die ihn mit seiner Frau verbindet, verrät Zartgefühl
und eine verehrungswürdige Scheu, die Geheimnisse seines Herzens plumper
Neugier preiszugeben.

Als Freund fühlt Hanslick warm und tief. Am nächsten stehen ihm
Vrahms und Billroth, Villroth wohl noch etwas näher als Brahms. Aber
auch für die große Zahl derer, die seinen Lebensweg gekreuzt haben und ent¬
weder zu früh gestorben sind, als daß sie sür sein späteres Leben noch hätten von
Bedeutung werden können, oder zu denen er nicht in ein Verhältnis innigster
Vertraulichkeit getreten ist, hat er ein warmes Herz und stets ein gerechtes
Urteil. Obwohl er doch in seinem langen Leben so manchen kennen gelernt
hat, der ihm nicht gefallen haben mag, so wird er eigentlich niemals bitter.
Und doch ist es recht schwer, in Memoiren, von denen man im voraus weiß,
daß sie weite Verbreitung finden werden, der Versuchung zu widerstehen, dem
einen oder andern Widersacher einen Denkzettel zu geben. Wie hat Wagner
seiner Bitterkeit und seinem Haß oft die Zügel schießen lassen!

Hanslick ist ein Mann von Charakter, der zu keinem Unrecht die Hand
bietet. Der Herausgeber der „Presse" will nnr noch Kritiken über solche


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[0329] Ldnard Hanslicks Lebenserinnerungen ja wenig Lebenserinnerungen geben, deren Verfasser nicht bewußt oder un¬ bewußt dieselbe Neigung hätten, aber die Ehrlichkeit, das unumwunden ein¬ zugestehen, ist nicht alle Tage zu finden. Ob der Selbstbiograph gut daran thut, über Tage des Kummers und der Verzagtheit stillschweigend hinweg¬ zugehen, und ob er nicht dadurch seiner Persönlichkeit einen Zug kräftiger In- dividualisirung nimmt, ist ja eine Frage sür sich. Jedenfalls bietet die Ehr¬ lichkeit, mit der Hanslick seinen Standpunkt bezeichnet, die Gewähr, daß er, wenn er auch manches Eckige abgeschliffen und manches Dunkle aufgehellt haben mag, doch in der Hauptsache ein getreues Bild seiner selbst giebt und sich von eitler Schönfärberei fernhält. Man hat allen Grund, sich über die hochbegabte und edle Natur zu freuen, die aus diesen Aufzeichnungen zu uns spricht. Von ganz besonderm Reiz ist es, den bedeutenden Kritiker, den wir fast nur aus seinen streitbaren Schriften und den wenig liebevollen Schil¬ derungen seiner Gegner kennen, nun auch als Menschen kennen zu lernen. Hanslick ist ein guter Sohn, und wer ein guter Sohn ist, ist auch ein guter Mensch. Die einleitenden Abschnitte, die er seinem Verhältnis zu Vater und Mutter widmet, sind wohl die reizvollsten und ansprechendsten Partien der ganzen Selbstbiographie. Nur wer seine Eltern von Herzen lieb hat, vermag in diesem schlichten und warmen Tone von ihnen zu reden, und nur wer vortreffliche Eltern hat, vermag sie auch so von Herzen zu lieben. Von seinen Geschwistern hören wir nicht viel, nur der Schwester Lotti, die einen Offizier zum Mann bekam, wird mit besondrer Zärtlichkeit gedacht. Hanslick selbst heiratete erst mit 51 Jahren. Die Art und Weise, wie er die Neigung andeutet, die sein nicht mehr junges Herz gefangen nahm, und wie er die innige Liebe durchblicken läßt, die ihn mit seiner Frau verbindet, verrät Zartgefühl und eine verehrungswürdige Scheu, die Geheimnisse seines Herzens plumper Neugier preiszugeben. Als Freund fühlt Hanslick warm und tief. Am nächsten stehen ihm Vrahms und Billroth, Villroth wohl noch etwas näher als Brahms. Aber auch für die große Zahl derer, die seinen Lebensweg gekreuzt haben und ent¬ weder zu früh gestorben sind, als daß sie sür sein späteres Leben noch hätten von Bedeutung werden können, oder zu denen er nicht in ein Verhältnis innigster Vertraulichkeit getreten ist, hat er ein warmes Herz und stets ein gerechtes Urteil. Obwohl er doch in seinem langen Leben so manchen kennen gelernt hat, der ihm nicht gefallen haben mag, so wird er eigentlich niemals bitter. Und doch ist es recht schwer, in Memoiren, von denen man im voraus weiß, daß sie weite Verbreitung finden werden, der Versuchung zu widerstehen, dem einen oder andern Widersacher einen Denkzettel zu geben. Wie hat Wagner seiner Bitterkeit und seinem Haß oft die Zügel schießen lassen! Hanslick ist ein Mann von Charakter, der zu keinem Unrecht die Hand bietet. Der Herausgeber der „Presse" will nnr noch Kritiken über solche Grenzboten II 189S 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/329>, abgerufen am 26.08.2024.