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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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'Kurzschrift und Sprache

hat Laute oder Lautklassen an Zeichcnklnsseu darzustellen und ist hierbei zum
Teil an bestimmte Orte ini Wortbilde gebunden. Wir werden also unser Augen¬
merk -weder den einzelnen Lauten noch auch einzelnen Lautverbindungen zu¬
wenden, sondern uns umsehen, welche Verbindnngsklasseu nur in der Sprache
am häufigsten finden, und welchen Platz im Worte sie einnehmen. Hiermit ist
auch über den zweiten Teil der Küduigscheu Zählungen das Urteil gesprochen.

Einen genauen Plan für etwa vorzunehmende Untersuchungen der Sprache
kann ich hier nicht entwickeln, doch will ich einige allgemeine Ergebnisse eigner
Betrachtungen anführen.

Die meisten Wörter fangen mit einem Konsonanten an, die Mehrzahl
endet ans einen Konsonanten. Am Anfang der Wörter kommen fast alle Kon¬
sonanten vor, am Ende nur ein beschränkter Teil, jeder einzelne aber desto
häusiger. Auch giebt es am Ende mehr Kousonanteuhäusuugen als am Anfang.
Die meisten Verbindungen mit andern Konsonanten gehen die Zahnlaute t, s
und n ein, hauptsächlich verbinden sie sich unter einander, doch stehen t und s (s)
am Ende der Wörter auch sehr häusig nach andern Konsonanten. N, der
häufigste aller Konsonanten, findet sich zu einem Drittel in Endungen, zu
einem Viertel in Konsonantenverbindnngen, in denen er die erste Stelle ein¬
nimmt, während ihm fast ausschließlich ein Zahnlaut folgt. R und l dagegen,
die nächst jenen drei Zahnlauten am meisten in Konsonantenverbiuduugcu an¬
zutreffen sind, haben fast alle Konsonanten neben sich, am Anfang vor sich,
am Ende hinter sich. N, r und l finden sich besonders im Wortinnern,
außerdem am Wortende, aber hier fast nur uach Vokal, t und s (s) stehen vor¬
nehmlich an den Wortausgängen neben Konsonant und neben Vokal u. s. w.

Es bedarf wohl keines langen Beweises, daß sich solche Thatsachen in
den Schriftbestimmungen fruchtbar verwerten lassen. Der Weg, der zu ihnen
führte, giebt die Gewähr. Nur die Schriftgesetze selbst haben ihn vorge-
zeichnet. In der That, es lassen sich Kürzungen von einem gewaltigen An¬
wendungsbereiche finden. Eine einzige Kürzungsregel kann alle Anfangskonso-
minten ober alle Endkonsonanten und außerdem fast alle Endvokale an allen
Nachbarzeicheu kürzen, eine zweite besonders häufige Laute des andern Wort¬
ausgangs, eine dritte die geeignetsten Laute mitten im Worte. Beide Laut¬
klassen können Gegenstand der Kürzung werden, die Konsonanten haben aber
im allgemeinen die günstigsten Plätze hierzu inne. Man wird daher be¬
sonders die Vokalzeichen zu Trägern von Kürznngsinerkmalen ausbilde" müssen.
Das heißt die bisher beliebte Anlage von Systemen auf deu Kopf stellen.
Aber die Schriftgesetze sind unerbittlich, und die Struktur der Sprache ist
gegeben.

Doch ich will diese Untersuchungen hier nicht zu weit ausdehnen, sondern
nur noch zusammenfassend sagen: in der ans der Wandelbarkeit der Zeichen
beruhenden Kürzung liegt eine solche Anpassungsfähigkeit an die Sprache, daß


'Kurzschrift und Sprache

hat Laute oder Lautklassen an Zeichcnklnsseu darzustellen und ist hierbei zum
Teil an bestimmte Orte ini Wortbilde gebunden. Wir werden also unser Augen¬
merk -weder den einzelnen Lauten noch auch einzelnen Lautverbindungen zu¬
wenden, sondern uns umsehen, welche Verbindnngsklasseu nur in der Sprache
am häufigsten finden, und welchen Platz im Worte sie einnehmen. Hiermit ist
auch über den zweiten Teil der Küduigscheu Zählungen das Urteil gesprochen.

Einen genauen Plan für etwa vorzunehmende Untersuchungen der Sprache
kann ich hier nicht entwickeln, doch will ich einige allgemeine Ergebnisse eigner
Betrachtungen anführen.

Die meisten Wörter fangen mit einem Konsonanten an, die Mehrzahl
endet ans einen Konsonanten. Am Anfang der Wörter kommen fast alle Kon¬
sonanten vor, am Ende nur ein beschränkter Teil, jeder einzelne aber desto
häusiger. Auch giebt es am Ende mehr Kousonanteuhäusuugen als am Anfang.
Die meisten Verbindungen mit andern Konsonanten gehen die Zahnlaute t, s
und n ein, hauptsächlich verbinden sie sich unter einander, doch stehen t und s (s)
am Ende der Wörter auch sehr häusig nach andern Konsonanten. N, der
häufigste aller Konsonanten, findet sich zu einem Drittel in Endungen, zu
einem Viertel in Konsonantenverbindnngen, in denen er die erste Stelle ein¬
nimmt, während ihm fast ausschließlich ein Zahnlaut folgt. R und l dagegen,
die nächst jenen drei Zahnlauten am meisten in Konsonantenverbiuduugcu an¬
zutreffen sind, haben fast alle Konsonanten neben sich, am Anfang vor sich,
am Ende hinter sich. N, r und l finden sich besonders im Wortinnern,
außerdem am Wortende, aber hier fast nur uach Vokal, t und s (s) stehen vor¬
nehmlich an den Wortausgängen neben Konsonant und neben Vokal u. s. w.

Es bedarf wohl keines langen Beweises, daß sich solche Thatsachen in
den Schriftbestimmungen fruchtbar verwerten lassen. Der Weg, der zu ihnen
führte, giebt die Gewähr. Nur die Schriftgesetze selbst haben ihn vorge-
zeichnet. In der That, es lassen sich Kürzungen von einem gewaltigen An¬
wendungsbereiche finden. Eine einzige Kürzungsregel kann alle Anfangskonso-
minten ober alle Endkonsonanten und außerdem fast alle Endvokale an allen
Nachbarzeicheu kürzen, eine zweite besonders häufige Laute des andern Wort¬
ausgangs, eine dritte die geeignetsten Laute mitten im Worte. Beide Laut¬
klassen können Gegenstand der Kürzung werden, die Konsonanten haben aber
im allgemeinen die günstigsten Plätze hierzu inne. Man wird daher be¬
sonders die Vokalzeichen zu Trägern von Kürznngsinerkmalen ausbilde» müssen.
Das heißt die bisher beliebte Anlage von Systemen auf deu Kopf stellen.
Aber die Schriftgesetze sind unerbittlich, und die Struktur der Sprache ist
gegeben.

Doch ich will diese Untersuchungen hier nicht zu weit ausdehnen, sondern
nur noch zusammenfassend sagen: in der ans der Wandelbarkeit der Zeichen
beruhenden Kürzung liegt eine solche Anpassungsfähigkeit an die Sprache, daß


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[0327] 'Kurzschrift und Sprache hat Laute oder Lautklassen an Zeichcnklnsseu darzustellen und ist hierbei zum Teil an bestimmte Orte ini Wortbilde gebunden. Wir werden also unser Augen¬ merk -weder den einzelnen Lauten noch auch einzelnen Lautverbindungen zu¬ wenden, sondern uns umsehen, welche Verbindnngsklasseu nur in der Sprache am häufigsten finden, und welchen Platz im Worte sie einnehmen. Hiermit ist auch über den zweiten Teil der Küduigscheu Zählungen das Urteil gesprochen. Einen genauen Plan für etwa vorzunehmende Untersuchungen der Sprache kann ich hier nicht entwickeln, doch will ich einige allgemeine Ergebnisse eigner Betrachtungen anführen. Die meisten Wörter fangen mit einem Konsonanten an, die Mehrzahl endet ans einen Konsonanten. Am Anfang der Wörter kommen fast alle Kon¬ sonanten vor, am Ende nur ein beschränkter Teil, jeder einzelne aber desto häusiger. Auch giebt es am Ende mehr Kousonanteuhäusuugen als am Anfang. Die meisten Verbindungen mit andern Konsonanten gehen die Zahnlaute t, s und n ein, hauptsächlich verbinden sie sich unter einander, doch stehen t und s (s) am Ende der Wörter auch sehr häusig nach andern Konsonanten. N, der häufigste aller Konsonanten, findet sich zu einem Drittel in Endungen, zu einem Viertel in Konsonantenverbindnngen, in denen er die erste Stelle ein¬ nimmt, während ihm fast ausschließlich ein Zahnlaut folgt. R und l dagegen, die nächst jenen drei Zahnlauten am meisten in Konsonantenverbiuduugcu an¬ zutreffen sind, haben fast alle Konsonanten neben sich, am Anfang vor sich, am Ende hinter sich. N, r und l finden sich besonders im Wortinnern, außerdem am Wortende, aber hier fast nur uach Vokal, t und s (s) stehen vor¬ nehmlich an den Wortausgängen neben Konsonant und neben Vokal u. s. w. Es bedarf wohl keines langen Beweises, daß sich solche Thatsachen in den Schriftbestimmungen fruchtbar verwerten lassen. Der Weg, der zu ihnen führte, giebt die Gewähr. Nur die Schriftgesetze selbst haben ihn vorge- zeichnet. In der That, es lassen sich Kürzungen von einem gewaltigen An¬ wendungsbereiche finden. Eine einzige Kürzungsregel kann alle Anfangskonso- minten ober alle Endkonsonanten und außerdem fast alle Endvokale an allen Nachbarzeicheu kürzen, eine zweite besonders häufige Laute des andern Wort¬ ausgangs, eine dritte die geeignetsten Laute mitten im Worte. Beide Laut¬ klassen können Gegenstand der Kürzung werden, die Konsonanten haben aber im allgemeinen die günstigsten Plätze hierzu inne. Man wird daher be¬ sonders die Vokalzeichen zu Trägern von Kürznngsinerkmalen ausbilde» müssen. Das heißt die bisher beliebte Anlage von Systemen auf deu Kopf stellen. Aber die Schriftgesetze sind unerbittlich, und die Struktur der Sprache ist gegeben. Doch ich will diese Untersuchungen hier nicht zu weit ausdehnen, sondern nur noch zusammenfassend sagen: in der ans der Wandelbarkeit der Zeichen beruhenden Kürzung liegt eine solche Anpassungsfähigkeit an die Sprache, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/327>, abgerufen am 26.08.2024.