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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik

treiben. Nach einem Zeitraum, der so bemessen ist, daß der Boden gerade
gut sür das Zuckerrohr vorbereitet worden ist, kündet der weiße I'rsödoläör
seinem gelben Mieter, der nun eine Strecke weiter in die Wildnis hineinzieht
und dasselbe Geschäft von neuem beginnt: eine selbstthätige Urbarmachungs¬
maschine, die man, wenn man sie nicht mehr nötig hat, ruhig des Landes
verweist. Wer die stille, fleißige Arbeit dieser genügsamen Leute gesehen hat,
zweifelt nicht, daß sie der Kolonie wertvolle Dienste leisten. Der weiße Pöbel
kann sich aber doch nicht versagen, wiewohl sie sorgsam jede Berührung mit
ihm vermeiden, sie seine Überlegenheit fühlen zu lassen, indem er zeitweilig
einen kleinen Auflauf in Szene setzt, bei dem einige Chinesen totgeschlagen,
ihre Wohnstätten beraubt und verbrannt werden. In Zukunft werden sich
diese Helden wohl in acht nehmen, daß ihre zivilisatorischer Faustschläge nicht
zufällig einen von den Japanern treffen, die in den letzten Jahren in zu¬
nehmender Zahl in das nördliche Queensland als Arbeiter in den Zucker¬
pflanzungen und -mühten eingewandert sind. Übrigens hat England alle Ver¬
anlassung, auch die Beziehungen zu China im Interesse seines enormen Handels
in Ostasien -- England und seine Kolonien Indien, Hongkong und die Straits
settlements nahmen 1893 85 Prozent der chinesischen Einfuhr in Anspruch --
so ruhig wie möglich zu erhalten. Die Aufgabe ist aber nicht leicht. Da ver¬
bietet plötzlich eine australische Kolonie die vertragsmäßig zugestandne Ein-
wandrung der Chinesen, gedrängt von ihren Arbeitervertretern; chinesische
Unterthanen werden mißhandelt, totgeschlagen; England droht nach Melbourne
und begütigt nach Peking hin und flickt notdürftig das Loch in der Freund¬
schaft. Spricht der Leiter der englischen Politik in London eine Ansicht über
solche Dinge aus, so widerspricht ihm gleich darauf der Leiter der Politik einer
Kolonie mit der Rücksichtslosigkeit, die schon die alten Griechen als eine un¬
angenehme Eigenschaft der Kolonialpolitiker gekannt hatten. Diese Erfahrungen
gehören auch zu denen, die der Föderation in London schon früher Freunde
geworben haben.

Australien, und besonders Queensland, beschäftigt außer Chinesen eine
nicht geringe Zahl von Malayen, Singhalesen, Javanern, besonders aber Polh-
nester und Papuas von den pazifischen Inseln. Einige Jahrzehnte waren diese
in der Mehrzahl fleißigen und gelehrigen Leute der Gegenstand einer unglaub¬
lich unmenschlichen Behandlung, die die vielbeschrieenen Greuel der Sklaverei
weit hinter sich ließ. Schiffe wurden ausgesandt, fast nur unter englischer
Flagge, die die Archipele von Neubritannien bis zu den Paumotu durchkreuzten,
mit Vorspiegelungen und Flittertand die Eingebornen an sich lockten, um sie
den queensländischen Pflanzern zuzuführen, an die sie für eine bestimmte Reihe
von Jahren vermietet wurden. Der Sprachen und Gesetze unkundig, waren
diese armen Leute ihren Mietern ohne Schutz Preisgegeben, die willkürlich ihre
Kontrakte verlängerten, bis sie der harten Arbeit oder dem Heimweh erlegen


Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik

treiben. Nach einem Zeitraum, der so bemessen ist, daß der Boden gerade
gut sür das Zuckerrohr vorbereitet worden ist, kündet der weiße I'rsödoläör
seinem gelben Mieter, der nun eine Strecke weiter in die Wildnis hineinzieht
und dasselbe Geschäft von neuem beginnt: eine selbstthätige Urbarmachungs¬
maschine, die man, wenn man sie nicht mehr nötig hat, ruhig des Landes
verweist. Wer die stille, fleißige Arbeit dieser genügsamen Leute gesehen hat,
zweifelt nicht, daß sie der Kolonie wertvolle Dienste leisten. Der weiße Pöbel
kann sich aber doch nicht versagen, wiewohl sie sorgsam jede Berührung mit
ihm vermeiden, sie seine Überlegenheit fühlen zu lassen, indem er zeitweilig
einen kleinen Auflauf in Szene setzt, bei dem einige Chinesen totgeschlagen,
ihre Wohnstätten beraubt und verbrannt werden. In Zukunft werden sich
diese Helden wohl in acht nehmen, daß ihre zivilisatorischer Faustschläge nicht
zufällig einen von den Japanern treffen, die in den letzten Jahren in zu¬
nehmender Zahl in das nördliche Queensland als Arbeiter in den Zucker¬
pflanzungen und -mühten eingewandert sind. Übrigens hat England alle Ver¬
anlassung, auch die Beziehungen zu China im Interesse seines enormen Handels
in Ostasien — England und seine Kolonien Indien, Hongkong und die Straits
settlements nahmen 1893 85 Prozent der chinesischen Einfuhr in Anspruch —
so ruhig wie möglich zu erhalten. Die Aufgabe ist aber nicht leicht. Da ver¬
bietet plötzlich eine australische Kolonie die vertragsmäßig zugestandne Ein-
wandrung der Chinesen, gedrängt von ihren Arbeitervertretern; chinesische
Unterthanen werden mißhandelt, totgeschlagen; England droht nach Melbourne
und begütigt nach Peking hin und flickt notdürftig das Loch in der Freund¬
schaft. Spricht der Leiter der englischen Politik in London eine Ansicht über
solche Dinge aus, so widerspricht ihm gleich darauf der Leiter der Politik einer
Kolonie mit der Rücksichtslosigkeit, die schon die alten Griechen als eine un¬
angenehme Eigenschaft der Kolonialpolitiker gekannt hatten. Diese Erfahrungen
gehören auch zu denen, die der Föderation in London schon früher Freunde
geworben haben.

Australien, und besonders Queensland, beschäftigt außer Chinesen eine
nicht geringe Zahl von Malayen, Singhalesen, Javanern, besonders aber Polh-
nester und Papuas von den pazifischen Inseln. Einige Jahrzehnte waren diese
in der Mehrzahl fleißigen und gelehrigen Leute der Gegenstand einer unglaub¬
lich unmenschlichen Behandlung, die die vielbeschrieenen Greuel der Sklaverei
weit hinter sich ließ. Schiffe wurden ausgesandt, fast nur unter englischer
Flagge, die die Archipele von Neubritannien bis zu den Paumotu durchkreuzten,
mit Vorspiegelungen und Flittertand die Eingebornen an sich lockten, um sie
den queensländischen Pflanzern zuzuführen, an die sie für eine bestimmte Reihe
von Jahren vermietet wurden. Der Sprachen und Gesetze unkundig, waren
diese armen Leute ihren Mietern ohne Schutz Preisgegeben, die willkürlich ihre
Kontrakte verlängerten, bis sie der harten Arbeit oder dem Heimweh erlegen


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[0318] Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik treiben. Nach einem Zeitraum, der so bemessen ist, daß der Boden gerade gut sür das Zuckerrohr vorbereitet worden ist, kündet der weiße I'rsödoläör seinem gelben Mieter, der nun eine Strecke weiter in die Wildnis hineinzieht und dasselbe Geschäft von neuem beginnt: eine selbstthätige Urbarmachungs¬ maschine, die man, wenn man sie nicht mehr nötig hat, ruhig des Landes verweist. Wer die stille, fleißige Arbeit dieser genügsamen Leute gesehen hat, zweifelt nicht, daß sie der Kolonie wertvolle Dienste leisten. Der weiße Pöbel kann sich aber doch nicht versagen, wiewohl sie sorgsam jede Berührung mit ihm vermeiden, sie seine Überlegenheit fühlen zu lassen, indem er zeitweilig einen kleinen Auflauf in Szene setzt, bei dem einige Chinesen totgeschlagen, ihre Wohnstätten beraubt und verbrannt werden. In Zukunft werden sich diese Helden wohl in acht nehmen, daß ihre zivilisatorischer Faustschläge nicht zufällig einen von den Japanern treffen, die in den letzten Jahren in zu¬ nehmender Zahl in das nördliche Queensland als Arbeiter in den Zucker¬ pflanzungen und -mühten eingewandert sind. Übrigens hat England alle Ver¬ anlassung, auch die Beziehungen zu China im Interesse seines enormen Handels in Ostasien — England und seine Kolonien Indien, Hongkong und die Straits settlements nahmen 1893 85 Prozent der chinesischen Einfuhr in Anspruch — so ruhig wie möglich zu erhalten. Die Aufgabe ist aber nicht leicht. Da ver¬ bietet plötzlich eine australische Kolonie die vertragsmäßig zugestandne Ein- wandrung der Chinesen, gedrängt von ihren Arbeitervertretern; chinesische Unterthanen werden mißhandelt, totgeschlagen; England droht nach Melbourne und begütigt nach Peking hin und flickt notdürftig das Loch in der Freund¬ schaft. Spricht der Leiter der englischen Politik in London eine Ansicht über solche Dinge aus, so widerspricht ihm gleich darauf der Leiter der Politik einer Kolonie mit der Rücksichtslosigkeit, die schon die alten Griechen als eine un¬ angenehme Eigenschaft der Kolonialpolitiker gekannt hatten. Diese Erfahrungen gehören auch zu denen, die der Föderation in London schon früher Freunde geworben haben. Australien, und besonders Queensland, beschäftigt außer Chinesen eine nicht geringe Zahl von Malayen, Singhalesen, Javanern, besonders aber Polh- nester und Papuas von den pazifischen Inseln. Einige Jahrzehnte waren diese in der Mehrzahl fleißigen und gelehrigen Leute der Gegenstand einer unglaub¬ lich unmenschlichen Behandlung, die die vielbeschrieenen Greuel der Sklaverei weit hinter sich ließ. Schiffe wurden ausgesandt, fast nur unter englischer Flagge, die die Archipele von Neubritannien bis zu den Paumotu durchkreuzten, mit Vorspiegelungen und Flittertand die Eingebornen an sich lockten, um sie den queensländischen Pflanzern zuzuführen, an die sie für eine bestimmte Reihe von Jahren vermietet wurden. Der Sprachen und Gesetze unkundig, waren diese armen Leute ihren Mietern ohne Schutz Preisgegeben, die willkürlich ihre Kontrakte verlängerten, bis sie der harten Arbeit oder dem Heimweh erlegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/318>, abgerufen am 25.08.2024.