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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Geburten über die Sterbefülle von 80000 und der Einwandrer über die Aus¬
wandrer von 16 000. In demselben Jahre hatte Neusüdwales 1197000,
Viktoria 1167000, Queensland 421000. Südaustralien 332000, Tasmanien
153000, Westaustralien 59000 und Neuseeland 650000 Einwohner; das
sind gegen vier Millionen. Die Vereinigten Staaten sind ungefähr siebzehn¬
mal stärker bevölkert.

Wäre in diesen Zahlen nur die Entlegenheit des Antipodenlandes wirksam,
zu dessen Erreichung wir allerdings noch immer das vierfache der Zeit brauchen,
in der wir nach Nordamerika kommen, so läge in der ruhigen Entwicklung nur
Anlaß zur Befriedigung. Die Überstürzung der Vereinigten Staaten ist nicht
verlockend. Aber auch hierin zeigen sich schon jetzt die minder günstigen
Naturbedingungen des Südlands. Ein starkes Drittel von Australien liegt
im Tropengiirtel und zieht also die europäischen Auswandrer nicht an. Von
dem Rest ist nur ein Drittel gutes Ackerbau- und Viehzuchtland, ein andres
Drittel ist Steppe mit Neigung zur Wüste, zum Teil noch passend für Schaf¬
zucht in großem Stil, nämlich mit großem Kapital, und der Nest ist bare
oder, wie man dort sagt, heulende Wüste. So schön der Weizen von Süd-
culstralien, und fo lieblich der Wein von Viktoria -- ein Weinpflanzer erhielt
auf der Melbourner Weltausstellung den Ehrenpreis des deutschen Kaisers --,
ein Wüstenhauch droht bis in die paradiesischen Gefilde des Südvstens hinein,
und die kostspielige künstliche Bewässerung ist überall Lebensfrage. Ein großer
Teil Australiens, der nicht Wüste und nicht Ackerland ist, bietet nur der Vieh¬
zucht vortreffliche Bedingungen. Fleisch, Fett, Häute und Wolle werden aus
allen australischen Häfen ausgeführt, gefrornes Fleisch in den letzten Jahren
oft mehr, als die Märkte Europas aufnehmen konnten. Das Haupterzeuguis
ist überall Wolle. Die Schafe passen sich dem Steppenklima und Steppen¬
gras am besten an; wenn auch einmal in trocknen Jahren einige Millionen
verhungern und verdursten, wachsen doch ihre Herden dann in bessern Jahren
ungemein rasch'. Die Masse der ausgeführten Wolle (in den letzten Jahren
jährlich für 600 Millionen Mark) ist noch immer im Steigen, und Australien
ist jetzt unbestritten sür Wolle das erste Land der Erde. Auf seinen Märkten
finden sich auch deutsche Käufer regelmäßig ein.

Die Goldausbeute Australiens ist heute viel geringer, wenn auch sicherer
als in den Tagen, wo der Goldsand von der Oberfläche weg in die Wasch¬
troge geschaufelt wurde. In den alte" Goldbezirken, vor allen Bakkarat, ist
kein Fußbreit Boden auf dem alten Platz. Erst haben ihn die weißen
Goldwäscher durchwühlt, nach diesen die mit dem zwanzigsten Teil des Er¬
trags sich begnügenden Chinesen, zuletzt die hydraulischen Maschinen. Nun
ist man längst in die Quarzfelsen vorgedrungen, wo mit großen Kosten ein
sicherer Ertrag gewonnen wird. Die einzelnen Wäscher sind in die ödesten,
fernsten Winkel Nord- und Westaustraliens gezogen, und auf den alten Gold-


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Geburten über die Sterbefülle von 80000 und der Einwandrer über die Aus¬
wandrer von 16 000. In demselben Jahre hatte Neusüdwales 1197000,
Viktoria 1167000, Queensland 421000. Südaustralien 332000, Tasmanien
153000, Westaustralien 59000 und Neuseeland 650000 Einwohner; das
sind gegen vier Millionen. Die Vereinigten Staaten sind ungefähr siebzehn¬
mal stärker bevölkert.

Wäre in diesen Zahlen nur die Entlegenheit des Antipodenlandes wirksam,
zu dessen Erreichung wir allerdings noch immer das vierfache der Zeit brauchen,
in der wir nach Nordamerika kommen, so läge in der ruhigen Entwicklung nur
Anlaß zur Befriedigung. Die Überstürzung der Vereinigten Staaten ist nicht
verlockend. Aber auch hierin zeigen sich schon jetzt die minder günstigen
Naturbedingungen des Südlands. Ein starkes Drittel von Australien liegt
im Tropengiirtel und zieht also die europäischen Auswandrer nicht an. Von
dem Rest ist nur ein Drittel gutes Ackerbau- und Viehzuchtland, ein andres
Drittel ist Steppe mit Neigung zur Wüste, zum Teil noch passend für Schaf¬
zucht in großem Stil, nämlich mit großem Kapital, und der Nest ist bare
oder, wie man dort sagt, heulende Wüste. So schön der Weizen von Süd-
culstralien, und fo lieblich der Wein von Viktoria — ein Weinpflanzer erhielt
auf der Melbourner Weltausstellung den Ehrenpreis des deutschen Kaisers —,
ein Wüstenhauch droht bis in die paradiesischen Gefilde des Südvstens hinein,
und die kostspielige künstliche Bewässerung ist überall Lebensfrage. Ein großer
Teil Australiens, der nicht Wüste und nicht Ackerland ist, bietet nur der Vieh¬
zucht vortreffliche Bedingungen. Fleisch, Fett, Häute und Wolle werden aus
allen australischen Häfen ausgeführt, gefrornes Fleisch in den letzten Jahren
oft mehr, als die Märkte Europas aufnehmen konnten. Das Haupterzeuguis
ist überall Wolle. Die Schafe passen sich dem Steppenklima und Steppen¬
gras am besten an; wenn auch einmal in trocknen Jahren einige Millionen
verhungern und verdursten, wachsen doch ihre Herden dann in bessern Jahren
ungemein rasch'. Die Masse der ausgeführten Wolle (in den letzten Jahren
jährlich für 600 Millionen Mark) ist noch immer im Steigen, und Australien
ist jetzt unbestritten sür Wolle das erste Land der Erde. Auf seinen Märkten
finden sich auch deutsche Käufer regelmäßig ein.

Die Goldausbeute Australiens ist heute viel geringer, wenn auch sicherer
als in den Tagen, wo der Goldsand von der Oberfläche weg in die Wasch¬
troge geschaufelt wurde. In den alte» Goldbezirken, vor allen Bakkarat, ist
kein Fußbreit Boden auf dem alten Platz. Erst haben ihn die weißen
Goldwäscher durchwühlt, nach diesen die mit dem zwanzigsten Teil des Er¬
trags sich begnügenden Chinesen, zuletzt die hydraulischen Maschinen. Nun
ist man längst in die Quarzfelsen vorgedrungen, wo mit großen Kosten ein
sicherer Ertrag gewonnen wird. Die einzelnen Wäscher sind in die ödesten,
fernsten Winkel Nord- und Westaustraliens gezogen, und auf den alten Gold-


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[0315] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik Geburten über die Sterbefülle von 80000 und der Einwandrer über die Aus¬ wandrer von 16 000. In demselben Jahre hatte Neusüdwales 1197000, Viktoria 1167000, Queensland 421000. Südaustralien 332000, Tasmanien 153000, Westaustralien 59000 und Neuseeland 650000 Einwohner; das sind gegen vier Millionen. Die Vereinigten Staaten sind ungefähr siebzehn¬ mal stärker bevölkert. Wäre in diesen Zahlen nur die Entlegenheit des Antipodenlandes wirksam, zu dessen Erreichung wir allerdings noch immer das vierfache der Zeit brauchen, in der wir nach Nordamerika kommen, so läge in der ruhigen Entwicklung nur Anlaß zur Befriedigung. Die Überstürzung der Vereinigten Staaten ist nicht verlockend. Aber auch hierin zeigen sich schon jetzt die minder günstigen Naturbedingungen des Südlands. Ein starkes Drittel von Australien liegt im Tropengiirtel und zieht also die europäischen Auswandrer nicht an. Von dem Rest ist nur ein Drittel gutes Ackerbau- und Viehzuchtland, ein andres Drittel ist Steppe mit Neigung zur Wüste, zum Teil noch passend für Schaf¬ zucht in großem Stil, nämlich mit großem Kapital, und der Nest ist bare oder, wie man dort sagt, heulende Wüste. So schön der Weizen von Süd- culstralien, und fo lieblich der Wein von Viktoria — ein Weinpflanzer erhielt auf der Melbourner Weltausstellung den Ehrenpreis des deutschen Kaisers —, ein Wüstenhauch droht bis in die paradiesischen Gefilde des Südvstens hinein, und die kostspielige künstliche Bewässerung ist überall Lebensfrage. Ein großer Teil Australiens, der nicht Wüste und nicht Ackerland ist, bietet nur der Vieh¬ zucht vortreffliche Bedingungen. Fleisch, Fett, Häute und Wolle werden aus allen australischen Häfen ausgeführt, gefrornes Fleisch in den letzten Jahren oft mehr, als die Märkte Europas aufnehmen konnten. Das Haupterzeuguis ist überall Wolle. Die Schafe passen sich dem Steppenklima und Steppen¬ gras am besten an; wenn auch einmal in trocknen Jahren einige Millionen verhungern und verdursten, wachsen doch ihre Herden dann in bessern Jahren ungemein rasch'. Die Masse der ausgeführten Wolle (in den letzten Jahren jährlich für 600 Millionen Mark) ist noch immer im Steigen, und Australien ist jetzt unbestritten sür Wolle das erste Land der Erde. Auf seinen Märkten finden sich auch deutsche Käufer regelmäßig ein. Die Goldausbeute Australiens ist heute viel geringer, wenn auch sicherer als in den Tagen, wo der Goldsand von der Oberfläche weg in die Wasch¬ troge geschaufelt wurde. In den alte» Goldbezirken, vor allen Bakkarat, ist kein Fußbreit Boden auf dem alten Platz. Erst haben ihn die weißen Goldwäscher durchwühlt, nach diesen die mit dem zwanzigsten Teil des Er¬ trags sich begnügenden Chinesen, zuletzt die hydraulischen Maschinen. Nun ist man längst in die Quarzfelsen vorgedrungen, wo mit großen Kosten ein sicherer Ertrag gewonnen wird. Die einzelnen Wäscher sind in die ödesten, fernsten Winkel Nord- und Westaustraliens gezogen, und auf den alten Gold-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/315>, abgerufen am 25.08.2024.