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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Aenntnis der englischen lveltpolitik

nach Sydney kreuzt, bedeutet praktisch nicht viel. Der große Verkehr bedient
sich fast nur der Eisenbahnen, obgleich sie mit großen Unkosten arbeiten und
ihr Netz noch recht unvollständig ist. Spät sind die Hohen der Dividing
Range überschritten worden, die das Küstenland von Neusüdwales und Viktoria
vom Innern trennen; erst 1890 wurden die Hauptstädte von Adelaide bis
Brisbane verbunden, und nördlich von Vrisbane gibt es nur isolirte Linien,
die von der Küste ins Innere führen und sich an irgend einem Punkte tot¬
laufen. Von der Energie des Vorwärtsdrängens der Vereinigten Staaten ist
gerade darin Australien weit entfernt. Mehr als die Australier zugeben
wollen, macht sich dabei die auf der allgemeinen Entwicklung des Landes
lastende Ungunst der natürlichen Verhältnisse, besonders des Klimas geltend.
20000 Kilometer Eisenbahnen sind eine ansehnliche Zahl für eine so junge
Kolonie, immerhin nur der vierzehnte Teil der Eisenbahnlinien der Vereinigten
Staaten; sie würde und müßte aber größer sein, wenn es nicht in der Natur
des Landes lüge, daß die Masse der Bevölkerung an der Küste entlang einen
Streifen von etwa 300 Kilometer Breite bildete, in dem die ganze Arbeit im
größern Stil, besonders der Weizen- und Zuckerbau, der Bergbau und die
Schafzucht betrieben werden und alle namhaften Städte liegen. Daher die
Menge von kurzen Sackbahnen und der Mangel eines großen interozeanischen
Netzes, von dem nur im Telegraphenwesen durch den berühmten Überland-
telegraphen Adelaide--Port Darwin eine Linie verwirklicht ist.

Die sanguinische Erwartung, daß Australien noch rascher als die Ver¬
einigten Staaten wachsen und nach einem Menschenalter von 50 Millionen
weißen Menschen bewohnt sein werde, wird in Australien selbst von ruhigen
Beobachtern nicht mehr geteilt. Diese werden allerdings von der urteils-
loseu Meuge überschrieen, in deren Chor leider auch die meisten Staats¬
männer dieser Kolonien einstimmen, die es als ihre Verpflichtung ansehen,
dem Volk, d. h. den Wählern nach dem Munde zu reden. Der Vergleich mit
den 150 Jahre ältern Vereinigten Staaten hinkt aus natürlichen und ge¬
schichtlichen Gründen und übersieht auch, daß deren Zunahme in den ersten
180 Jahren verhältnismäßig langsam begonnen hat und in ihrem Fortgange
ganz merkwürdige, unerwartete Erscheinungen zeigt, wie den Stillstand des
natürlichen Zuwachses in den ältern Kolonien des Nordostens; auch damit
muß man in Australien rechnen. Um soviel weiter es von Europa entfernt
ist, um soviel weniger erhält es Einwandrer; in den Jahren seit 1885 gingen
durchschnittlich viermal mehr Auswandrer aus dem Vereinigtet? Königreich nach
Nordamerika als nach Australien. Die deutsche Auswandrung nach Australien
zählt auch jetzt, bei dem lebhaften Verkehr, nur nach Hunderten; in dem Jahr¬
zehnt 1884 bis 1893 gingen nach den Vereinigten Staaten und Kanada in
runder Summe eine Million Deutsche, nach Australien 4888. Die letzte
Statistik Australiens (von 1892) zeigt für Australien einen Überschuß der


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nach Sydney kreuzt, bedeutet praktisch nicht viel. Der große Verkehr bedient
sich fast nur der Eisenbahnen, obgleich sie mit großen Unkosten arbeiten und
ihr Netz noch recht unvollständig ist. Spät sind die Hohen der Dividing
Range überschritten worden, die das Küstenland von Neusüdwales und Viktoria
vom Innern trennen; erst 1890 wurden die Hauptstädte von Adelaide bis
Brisbane verbunden, und nördlich von Vrisbane gibt es nur isolirte Linien,
die von der Küste ins Innere führen und sich an irgend einem Punkte tot¬
laufen. Von der Energie des Vorwärtsdrängens der Vereinigten Staaten ist
gerade darin Australien weit entfernt. Mehr als die Australier zugeben
wollen, macht sich dabei die auf der allgemeinen Entwicklung des Landes
lastende Ungunst der natürlichen Verhältnisse, besonders des Klimas geltend.
20000 Kilometer Eisenbahnen sind eine ansehnliche Zahl für eine so junge
Kolonie, immerhin nur der vierzehnte Teil der Eisenbahnlinien der Vereinigten
Staaten; sie würde und müßte aber größer sein, wenn es nicht in der Natur
des Landes lüge, daß die Masse der Bevölkerung an der Küste entlang einen
Streifen von etwa 300 Kilometer Breite bildete, in dem die ganze Arbeit im
größern Stil, besonders der Weizen- und Zuckerbau, der Bergbau und die
Schafzucht betrieben werden und alle namhaften Städte liegen. Daher die
Menge von kurzen Sackbahnen und der Mangel eines großen interozeanischen
Netzes, von dem nur im Telegraphenwesen durch den berühmten Überland-
telegraphen Adelaide—Port Darwin eine Linie verwirklicht ist.

Die sanguinische Erwartung, daß Australien noch rascher als die Ver¬
einigten Staaten wachsen und nach einem Menschenalter von 50 Millionen
weißen Menschen bewohnt sein werde, wird in Australien selbst von ruhigen
Beobachtern nicht mehr geteilt. Diese werden allerdings von der urteils-
loseu Meuge überschrieen, in deren Chor leider auch die meisten Staats¬
männer dieser Kolonien einstimmen, die es als ihre Verpflichtung ansehen,
dem Volk, d. h. den Wählern nach dem Munde zu reden. Der Vergleich mit
den 150 Jahre ältern Vereinigten Staaten hinkt aus natürlichen und ge¬
schichtlichen Gründen und übersieht auch, daß deren Zunahme in den ersten
180 Jahren verhältnismäßig langsam begonnen hat und in ihrem Fortgange
ganz merkwürdige, unerwartete Erscheinungen zeigt, wie den Stillstand des
natürlichen Zuwachses in den ältern Kolonien des Nordostens; auch damit
muß man in Australien rechnen. Um soviel weiter es von Europa entfernt
ist, um soviel weniger erhält es Einwandrer; in den Jahren seit 1885 gingen
durchschnittlich viermal mehr Auswandrer aus dem Vereinigtet? Königreich nach
Nordamerika als nach Australien. Die deutsche Auswandrung nach Australien
zählt auch jetzt, bei dem lebhaften Verkehr, nur nach Hunderten; in dem Jahr¬
zehnt 1884 bis 1893 gingen nach den Vereinigten Staaten und Kanada in
runder Summe eine Million Deutsche, nach Australien 4888. Die letzte
Statistik Australiens (von 1892) zeigt für Australien einen Überschuß der


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[0314] Zur Aenntnis der englischen lveltpolitik nach Sydney kreuzt, bedeutet praktisch nicht viel. Der große Verkehr bedient sich fast nur der Eisenbahnen, obgleich sie mit großen Unkosten arbeiten und ihr Netz noch recht unvollständig ist. Spät sind die Hohen der Dividing Range überschritten worden, die das Küstenland von Neusüdwales und Viktoria vom Innern trennen; erst 1890 wurden die Hauptstädte von Adelaide bis Brisbane verbunden, und nördlich von Vrisbane gibt es nur isolirte Linien, die von der Küste ins Innere führen und sich an irgend einem Punkte tot¬ laufen. Von der Energie des Vorwärtsdrängens der Vereinigten Staaten ist gerade darin Australien weit entfernt. Mehr als die Australier zugeben wollen, macht sich dabei die auf der allgemeinen Entwicklung des Landes lastende Ungunst der natürlichen Verhältnisse, besonders des Klimas geltend. 20000 Kilometer Eisenbahnen sind eine ansehnliche Zahl für eine so junge Kolonie, immerhin nur der vierzehnte Teil der Eisenbahnlinien der Vereinigten Staaten; sie würde und müßte aber größer sein, wenn es nicht in der Natur des Landes lüge, daß die Masse der Bevölkerung an der Küste entlang einen Streifen von etwa 300 Kilometer Breite bildete, in dem die ganze Arbeit im größern Stil, besonders der Weizen- und Zuckerbau, der Bergbau und die Schafzucht betrieben werden und alle namhaften Städte liegen. Daher die Menge von kurzen Sackbahnen und der Mangel eines großen interozeanischen Netzes, von dem nur im Telegraphenwesen durch den berühmten Überland- telegraphen Adelaide—Port Darwin eine Linie verwirklicht ist. Die sanguinische Erwartung, daß Australien noch rascher als die Ver¬ einigten Staaten wachsen und nach einem Menschenalter von 50 Millionen weißen Menschen bewohnt sein werde, wird in Australien selbst von ruhigen Beobachtern nicht mehr geteilt. Diese werden allerdings von der urteils- loseu Meuge überschrieen, in deren Chor leider auch die meisten Staats¬ männer dieser Kolonien einstimmen, die es als ihre Verpflichtung ansehen, dem Volk, d. h. den Wählern nach dem Munde zu reden. Der Vergleich mit den 150 Jahre ältern Vereinigten Staaten hinkt aus natürlichen und ge¬ schichtlichen Gründen und übersieht auch, daß deren Zunahme in den ersten 180 Jahren verhältnismäßig langsam begonnen hat und in ihrem Fortgange ganz merkwürdige, unerwartete Erscheinungen zeigt, wie den Stillstand des natürlichen Zuwachses in den ältern Kolonien des Nordostens; auch damit muß man in Australien rechnen. Um soviel weiter es von Europa entfernt ist, um soviel weniger erhält es Einwandrer; in den Jahren seit 1885 gingen durchschnittlich viermal mehr Auswandrer aus dem Vereinigtet? Königreich nach Nordamerika als nach Australien. Die deutsche Auswandrung nach Australien zählt auch jetzt, bei dem lebhaften Verkehr, nur nach Hunderten; in dem Jahr¬ zehnt 1884 bis 1893 gingen nach den Vereinigten Staaten und Kanada in runder Summe eine Million Deutsche, nach Australien 4888. Die letzte Statistik Australiens (von 1892) zeigt für Australien einen Überschuß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/314>, abgerufen am 25.08.2024.