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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

legirte Aristokratie mit gesichertem Familienbesitz fortbesteht und einen hervor¬
ragenden Anteil an der Gestaltung der öffentlichen Dinge nimmt, mag streitig
sein. Die bejahende Meinung ist wenigstens nicht unanfechtbar. Unter den
gegenwärtigen Zeitverhältnissen und bei der demokratischen Strömung, die die
Gesellschaft der europäischen Kulturstaaten beherrscht, hat diese Meinung heute
weit mehr Gegner als früher, wo sie von der zu Recht bestehenden ständischen
Gliederung der Bevölkerungsklassen unterstützt wurde. Die Stellung zu dieser
Frage ist nicht bloß eine staatspolitische, sie wird auch beeinflußt durch volks¬
wirtschaftliche Anschauungen, nämlich durch die Anschauungen über Zweckmäßig¬
keit oder Unzweckmäßigreit der großen Fideitommißherrschaften im modernen
Staate. Nicht nur radikale Politiker, sondern auch namhafte Vertreter der
Volkswirtschaft greifen die Unveräußerlichkeit, Unteilbarkeit und Unverschuld-
barkeit größerer Landgüter und namentlich der Gntskomplexe lebhaft und mit
Gründen an, die nicht ohne weiteres abzuweisen sind, und andre Sozialpolitiker
verlangen wenigstens, daß, um eine gerechtere Bodenverteilung in manchen
Provinzen vorzubereiten, die bestehenden übergroßen Fideikommisse auf ein ge¬
wisses Areal und neu zu bildende aus ein gesetzlich festzustellendes höchstes
Maß von Grundfläche beschränkt werden. Wir können hier auf diese sozial¬
politische Seite nicht näher eingehen. Wir halten uns an die Thatsache, daß
die großen "Herrschaften" eben noch bestehen, daß sie gebundner Familienbesitz
sind, und daß die Besitzer nebst ihren Agnaten (den Anwärtern am Besitze)
als erbliche Herrenhausmitglieder eine bevorrechtete Klasse der Staatsgesell¬
schaft ausmachen. Und da nun einmal ein hoher Adel mit politischen Vor¬
rechten besteht, so muß man wünschen, daß er seine Kräfte im Interesse der
Gesamtheit möglichst verwerte und im nationalen Leben mindestens eine leben¬
dige Rolle spiele. Vom hohen Adel gilt vor allem, was Adolf Wagner vom
Stande der großen Grundbesitzer sagt: er soll seinen vermeintlich rein privat¬
rechtlichen Rentenbezug als ein Amt, eine Besoldung betrachten, die in erster
Linie soziale Pflichten auferlegt. Es ziemt sich für seine Glieder nicht, sich
vom öffentlichen Leben des Staats abzuschließen, still auf ihren Gütern zu
fitzen oder gar ihre Tage im Auslande zu verbringen. Wer infolge seiner
Verhältnisse genötigt ist, den Rechtsschutz des Staats in besonderm Maße zu
beanspruchen, der ist auch verpflichtet, dem Staate seiue Dienste anzubieten.
Daß eine hohe, finanziell gesicherte, wenn auch heutigen Tages an Kapital
und Einkommen dem beweglichen Großbesitze nicht mehr überlegne Landaristo-
krntie unter gewissen Voraussetzungen dem Lande schätzenswerte Dienste zu
leisten, die Kulturinteresseu des Volkes im hohen Maße zu pflegen, die Volks¬
rechte gegenüber rückschrittlichen Angriffen zu wahren und zur stetigen Ent¬
wicklung der nationalen Kräfte wie zu stetigem Fortschritt überhaupt wesentlich
beizutragen geeignet ist, das wird ernstlich kaum bestritten werden können. Aber
alles das kann nur von einem Adel erwartet werden, der seine Standesvor-


Der hohe Adel in Preußen

legirte Aristokratie mit gesichertem Familienbesitz fortbesteht und einen hervor¬
ragenden Anteil an der Gestaltung der öffentlichen Dinge nimmt, mag streitig
sein. Die bejahende Meinung ist wenigstens nicht unanfechtbar. Unter den
gegenwärtigen Zeitverhältnissen und bei der demokratischen Strömung, die die
Gesellschaft der europäischen Kulturstaaten beherrscht, hat diese Meinung heute
weit mehr Gegner als früher, wo sie von der zu Recht bestehenden ständischen
Gliederung der Bevölkerungsklassen unterstützt wurde. Die Stellung zu dieser
Frage ist nicht bloß eine staatspolitische, sie wird auch beeinflußt durch volks¬
wirtschaftliche Anschauungen, nämlich durch die Anschauungen über Zweckmäßig¬
keit oder Unzweckmäßigreit der großen Fideitommißherrschaften im modernen
Staate. Nicht nur radikale Politiker, sondern auch namhafte Vertreter der
Volkswirtschaft greifen die Unveräußerlichkeit, Unteilbarkeit und Unverschuld-
barkeit größerer Landgüter und namentlich der Gntskomplexe lebhaft und mit
Gründen an, die nicht ohne weiteres abzuweisen sind, und andre Sozialpolitiker
verlangen wenigstens, daß, um eine gerechtere Bodenverteilung in manchen
Provinzen vorzubereiten, die bestehenden übergroßen Fideikommisse auf ein ge¬
wisses Areal und neu zu bildende aus ein gesetzlich festzustellendes höchstes
Maß von Grundfläche beschränkt werden. Wir können hier auf diese sozial¬
politische Seite nicht näher eingehen. Wir halten uns an die Thatsache, daß
die großen „Herrschaften" eben noch bestehen, daß sie gebundner Familienbesitz
sind, und daß die Besitzer nebst ihren Agnaten (den Anwärtern am Besitze)
als erbliche Herrenhausmitglieder eine bevorrechtete Klasse der Staatsgesell¬
schaft ausmachen. Und da nun einmal ein hoher Adel mit politischen Vor¬
rechten besteht, so muß man wünschen, daß er seine Kräfte im Interesse der
Gesamtheit möglichst verwerte und im nationalen Leben mindestens eine leben¬
dige Rolle spiele. Vom hohen Adel gilt vor allem, was Adolf Wagner vom
Stande der großen Grundbesitzer sagt: er soll seinen vermeintlich rein privat¬
rechtlichen Rentenbezug als ein Amt, eine Besoldung betrachten, die in erster
Linie soziale Pflichten auferlegt. Es ziemt sich für seine Glieder nicht, sich
vom öffentlichen Leben des Staats abzuschließen, still auf ihren Gütern zu
fitzen oder gar ihre Tage im Auslande zu verbringen. Wer infolge seiner
Verhältnisse genötigt ist, den Rechtsschutz des Staats in besonderm Maße zu
beanspruchen, der ist auch verpflichtet, dem Staate seiue Dienste anzubieten.
Daß eine hohe, finanziell gesicherte, wenn auch heutigen Tages an Kapital
und Einkommen dem beweglichen Großbesitze nicht mehr überlegne Landaristo-
krntie unter gewissen Voraussetzungen dem Lande schätzenswerte Dienste zu
leisten, die Kulturinteresseu des Volkes im hohen Maße zu pflegen, die Volks¬
rechte gegenüber rückschrittlichen Angriffen zu wahren und zur stetigen Ent¬
wicklung der nationalen Kräfte wie zu stetigem Fortschritt überhaupt wesentlich
beizutragen geeignet ist, das wird ernstlich kaum bestritten werden können. Aber
alles das kann nur von einem Adel erwartet werden, der seine Standesvor-


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[0031] Der hohe Adel in Preußen legirte Aristokratie mit gesichertem Familienbesitz fortbesteht und einen hervor¬ ragenden Anteil an der Gestaltung der öffentlichen Dinge nimmt, mag streitig sein. Die bejahende Meinung ist wenigstens nicht unanfechtbar. Unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen und bei der demokratischen Strömung, die die Gesellschaft der europäischen Kulturstaaten beherrscht, hat diese Meinung heute weit mehr Gegner als früher, wo sie von der zu Recht bestehenden ständischen Gliederung der Bevölkerungsklassen unterstützt wurde. Die Stellung zu dieser Frage ist nicht bloß eine staatspolitische, sie wird auch beeinflußt durch volks¬ wirtschaftliche Anschauungen, nämlich durch die Anschauungen über Zweckmäßig¬ keit oder Unzweckmäßigreit der großen Fideitommißherrschaften im modernen Staate. Nicht nur radikale Politiker, sondern auch namhafte Vertreter der Volkswirtschaft greifen die Unveräußerlichkeit, Unteilbarkeit und Unverschuld- barkeit größerer Landgüter und namentlich der Gntskomplexe lebhaft und mit Gründen an, die nicht ohne weiteres abzuweisen sind, und andre Sozialpolitiker verlangen wenigstens, daß, um eine gerechtere Bodenverteilung in manchen Provinzen vorzubereiten, die bestehenden übergroßen Fideikommisse auf ein ge¬ wisses Areal und neu zu bildende aus ein gesetzlich festzustellendes höchstes Maß von Grundfläche beschränkt werden. Wir können hier auf diese sozial¬ politische Seite nicht näher eingehen. Wir halten uns an die Thatsache, daß die großen „Herrschaften" eben noch bestehen, daß sie gebundner Familienbesitz sind, und daß die Besitzer nebst ihren Agnaten (den Anwärtern am Besitze) als erbliche Herrenhausmitglieder eine bevorrechtete Klasse der Staatsgesell¬ schaft ausmachen. Und da nun einmal ein hoher Adel mit politischen Vor¬ rechten besteht, so muß man wünschen, daß er seine Kräfte im Interesse der Gesamtheit möglichst verwerte und im nationalen Leben mindestens eine leben¬ dige Rolle spiele. Vom hohen Adel gilt vor allem, was Adolf Wagner vom Stande der großen Grundbesitzer sagt: er soll seinen vermeintlich rein privat¬ rechtlichen Rentenbezug als ein Amt, eine Besoldung betrachten, die in erster Linie soziale Pflichten auferlegt. Es ziemt sich für seine Glieder nicht, sich vom öffentlichen Leben des Staats abzuschließen, still auf ihren Gütern zu fitzen oder gar ihre Tage im Auslande zu verbringen. Wer infolge seiner Verhältnisse genötigt ist, den Rechtsschutz des Staats in besonderm Maße zu beanspruchen, der ist auch verpflichtet, dem Staate seiue Dienste anzubieten. Daß eine hohe, finanziell gesicherte, wenn auch heutigen Tages an Kapital und Einkommen dem beweglichen Großbesitze nicht mehr überlegne Landaristo- krntie unter gewissen Voraussetzungen dem Lande schätzenswerte Dienste zu leisten, die Kulturinteresseu des Volkes im hohen Maße zu pflegen, die Volks¬ rechte gegenüber rückschrittlichen Angriffen zu wahren und zur stetigen Ent¬ wicklung der nationalen Kräfte wie zu stetigem Fortschritt überhaupt wesentlich beizutragen geeignet ist, das wird ernstlich kaum bestritten werden können. Aber alles das kann nur von einem Adel erwartet werden, der seine Standesvor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/31>, abgerufen am 26.08.2024.