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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle

leidender Landwirt, sehr konservativ, annoch unadlich, besitzt das väterliche
Rittergut. Der Vater war sogenannter Patrizier in Rotwein, und die Mutter
die Tochter eines herausgekommnen Spinners oder Webers.

O. Großer Sportsman, großer stark verschuldeter Besitz, väterliches Erb¬
teil, d. h. nicht die Schulden, adlich, Sohne und Töchter noch viel adlicher,
Söhne Gardehnsnren oder Gardedragoner; können sich alle nicht mehr darauf
besinnen, daß der alte Urgroßvater noch ein sehr kleiner Krümer war.

Für gewöhnlich ist ja die Herkunft des heutigen Grundbesitzers und der
Ursprung des Geldes, das ihm seinen Besitz erst ermöglicht hat, nicht so schwer
festzustellen. Die Menschen haben nur im allgemeinen leider ein so schauderhaft
kurzes Gedächtnis, man muß sie eben von Zeit zu Zeit daran erinnern, daß
sich die Weltgeschichte immer noch zu helfen gewußt hat, und daß sie an ihrem
eignen Leibe den Beweis liefern, daß die Beständigkeit nur im Wechsel besteht.
Ablösung vor! so heißt es immer wieder. Früher wurde nur nicht so viel
dabei geschrieen wie hente, wo jeder behauptet, die Welt gehe unter, wenn ge¬
rade er seinen Posten, sein Thrönchen verlassen muß, von dem er doch vor
einer so kurzen Spanne Zeit anch erst einen andern Vertrieben hat. Nein,
deshalb geht die Landwirtschaft Deutschlands noch nicht zu Grunde!

In wie rasendem Lauf sich dieser Wechsel z. B. auch in Westpreußen
vollzogen haben muß, geht daraus hervor, daß die heutigen Herreuhausmit¬
glieder deutscher Zunge ans dieser Provinz alle lloirimss novi sind. Man
findet kaum ein Rittergut dort, das über fünfzig Jahre in der Hand einer
deutschen Familie wäre, und dieser Zeitraum gehört bekanntlich zu den Kriterien
des befestigten Grundbesitzes, der das volle Wahlrecht für das preußische
Herrenhaus verleiht. Viel hat hier wohl der Übergang dieser Provinz an
Preußen mitgewirkt, aber wie wir sehen, sind die Verhältnisse in den andern
Provinzen auch nicht anders.

Also das Alte stürzt, das Unglück des ewigen Wechsels steht fest, und
wir müssen nach einem Trost suchen, um nicht zu verzagen. Rufen wir des¬
halb die Manen des alten Attinghanscn herbei, und hoffen wir mit ihm, daß
auch diesmal, wie immer noch, aus den Ruinen neues Leben blühen werde.
Und zu dieser Hoffnung sind wir berechtigt, aus alten Erfahrungen und aus
neue" Beobachtungen.

Alle Tier- und Pflauzenzüchter kennen den wunderbaren Einfluß der
Scholle auf das, was auf ihr wächst, was auf ihr lebt; sie wissen, daß Ge-
birgsvieh ins Flachland versetzt von Geschlecht zu Geschlecht mehr und mehr
seine charakteristischen Eigenschaften verliert; daß lebhafte dauerhafte Steppen¬
pferde mit stahlharten Hufen und Knochen in graswüchsigen Flußniederungen
mit weichem Boden im Laufe der Zeit zu phlegmatischen, schwammigen Mähren
mit großen, flachen Hufen werden; daß Niederuugsvieh mit schwacher Horn¬
bildung im Viunenlande Ochsen mit geradezu schauderhaft dicken Hörnern er-


Der Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle

leidender Landwirt, sehr konservativ, annoch unadlich, besitzt das väterliche
Rittergut. Der Vater war sogenannter Patrizier in Rotwein, und die Mutter
die Tochter eines herausgekommnen Spinners oder Webers.

O. Großer Sportsman, großer stark verschuldeter Besitz, väterliches Erb¬
teil, d. h. nicht die Schulden, adlich, Sohne und Töchter noch viel adlicher,
Söhne Gardehnsnren oder Gardedragoner; können sich alle nicht mehr darauf
besinnen, daß der alte Urgroßvater noch ein sehr kleiner Krümer war.

Für gewöhnlich ist ja die Herkunft des heutigen Grundbesitzers und der
Ursprung des Geldes, das ihm seinen Besitz erst ermöglicht hat, nicht so schwer
festzustellen. Die Menschen haben nur im allgemeinen leider ein so schauderhaft
kurzes Gedächtnis, man muß sie eben von Zeit zu Zeit daran erinnern, daß
sich die Weltgeschichte immer noch zu helfen gewußt hat, und daß sie an ihrem
eignen Leibe den Beweis liefern, daß die Beständigkeit nur im Wechsel besteht.
Ablösung vor! so heißt es immer wieder. Früher wurde nur nicht so viel
dabei geschrieen wie hente, wo jeder behauptet, die Welt gehe unter, wenn ge¬
rade er seinen Posten, sein Thrönchen verlassen muß, von dem er doch vor
einer so kurzen Spanne Zeit anch erst einen andern Vertrieben hat. Nein,
deshalb geht die Landwirtschaft Deutschlands noch nicht zu Grunde!

In wie rasendem Lauf sich dieser Wechsel z. B. auch in Westpreußen
vollzogen haben muß, geht daraus hervor, daß die heutigen Herreuhausmit¬
glieder deutscher Zunge ans dieser Provinz alle lloirimss novi sind. Man
findet kaum ein Rittergut dort, das über fünfzig Jahre in der Hand einer
deutschen Familie wäre, und dieser Zeitraum gehört bekanntlich zu den Kriterien
des befestigten Grundbesitzes, der das volle Wahlrecht für das preußische
Herrenhaus verleiht. Viel hat hier wohl der Übergang dieser Provinz an
Preußen mitgewirkt, aber wie wir sehen, sind die Verhältnisse in den andern
Provinzen auch nicht anders.

Also das Alte stürzt, das Unglück des ewigen Wechsels steht fest, und
wir müssen nach einem Trost suchen, um nicht zu verzagen. Rufen wir des¬
halb die Manen des alten Attinghanscn herbei, und hoffen wir mit ihm, daß
auch diesmal, wie immer noch, aus den Ruinen neues Leben blühen werde.
Und zu dieser Hoffnung sind wir berechtigt, aus alten Erfahrungen und aus
neue» Beobachtungen.

Alle Tier- und Pflauzenzüchter kennen den wunderbaren Einfluß der
Scholle auf das, was auf ihr wächst, was auf ihr lebt; sie wissen, daß Ge-
birgsvieh ins Flachland versetzt von Geschlecht zu Geschlecht mehr und mehr
seine charakteristischen Eigenschaften verliert; daß lebhafte dauerhafte Steppen¬
pferde mit stahlharten Hufen und Knochen in graswüchsigen Flußniederungen
mit weichem Boden im Laufe der Zeit zu phlegmatischen, schwammigen Mähren
mit großen, flachen Hufen werden; daß Niederuugsvieh mit schwacher Horn¬
bildung im Viunenlande Ochsen mit geradezu schauderhaft dicken Hörnern er-


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[0308] Der Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle leidender Landwirt, sehr konservativ, annoch unadlich, besitzt das väterliche Rittergut. Der Vater war sogenannter Patrizier in Rotwein, und die Mutter die Tochter eines herausgekommnen Spinners oder Webers. O. Großer Sportsman, großer stark verschuldeter Besitz, väterliches Erb¬ teil, d. h. nicht die Schulden, adlich, Sohne und Töchter noch viel adlicher, Söhne Gardehnsnren oder Gardedragoner; können sich alle nicht mehr darauf besinnen, daß der alte Urgroßvater noch ein sehr kleiner Krümer war. Für gewöhnlich ist ja die Herkunft des heutigen Grundbesitzers und der Ursprung des Geldes, das ihm seinen Besitz erst ermöglicht hat, nicht so schwer festzustellen. Die Menschen haben nur im allgemeinen leider ein so schauderhaft kurzes Gedächtnis, man muß sie eben von Zeit zu Zeit daran erinnern, daß sich die Weltgeschichte immer noch zu helfen gewußt hat, und daß sie an ihrem eignen Leibe den Beweis liefern, daß die Beständigkeit nur im Wechsel besteht. Ablösung vor! so heißt es immer wieder. Früher wurde nur nicht so viel dabei geschrieen wie hente, wo jeder behauptet, die Welt gehe unter, wenn ge¬ rade er seinen Posten, sein Thrönchen verlassen muß, von dem er doch vor einer so kurzen Spanne Zeit anch erst einen andern Vertrieben hat. Nein, deshalb geht die Landwirtschaft Deutschlands noch nicht zu Grunde! In wie rasendem Lauf sich dieser Wechsel z. B. auch in Westpreußen vollzogen haben muß, geht daraus hervor, daß die heutigen Herreuhausmit¬ glieder deutscher Zunge ans dieser Provinz alle lloirimss novi sind. Man findet kaum ein Rittergut dort, das über fünfzig Jahre in der Hand einer deutschen Familie wäre, und dieser Zeitraum gehört bekanntlich zu den Kriterien des befestigten Grundbesitzes, der das volle Wahlrecht für das preußische Herrenhaus verleiht. Viel hat hier wohl der Übergang dieser Provinz an Preußen mitgewirkt, aber wie wir sehen, sind die Verhältnisse in den andern Provinzen auch nicht anders. Also das Alte stürzt, das Unglück des ewigen Wechsels steht fest, und wir müssen nach einem Trost suchen, um nicht zu verzagen. Rufen wir des¬ halb die Manen des alten Attinghanscn herbei, und hoffen wir mit ihm, daß auch diesmal, wie immer noch, aus den Ruinen neues Leben blühen werde. Und zu dieser Hoffnung sind wir berechtigt, aus alten Erfahrungen und aus neue» Beobachtungen. Alle Tier- und Pflauzenzüchter kennen den wunderbaren Einfluß der Scholle auf das, was auf ihr wächst, was auf ihr lebt; sie wissen, daß Ge- birgsvieh ins Flachland versetzt von Geschlecht zu Geschlecht mehr und mehr seine charakteristischen Eigenschaften verliert; daß lebhafte dauerhafte Steppen¬ pferde mit stahlharten Hufen und Knochen in graswüchsigen Flußniederungen mit weichem Boden im Laufe der Zeit zu phlegmatischen, schwammigen Mähren mit großen, flachen Hufen werden; daß Niederuugsvieh mit schwacher Horn¬ bildung im Viunenlande Ochsen mit geradezu schauderhaft dicken Hörnern er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/308>, abgerufen am 24.08.2024.