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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Her Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle

oft maßlos übertrieben und jede ruhige Betrachtung und Würdigung der viel¬
fachen Ursachen mit Geschrei und phrasenhaften Schlagwörtern totzumachen
versucht, weil ihr sachliche Gründe nicht in so hohem Maße zur Verfügung
stehen wie Lungenkraft, Der heutige größere Grundbesitz erfreut sich schon sehr
lange nicht mehr der Stabilität eines rooksr as dronos, als den mau ihn jetzt
hinzustellen beliebt. Ein neuer Beweis dafür könnte uns zwar erlassen
werden, denn es ist eine alte Geschichte, daß die alten Rittergüter, die ja von
sehr verschiedner Größe sind, seit vierzig bis fünfzig Jahren zum größten Teil
ihre Besitzer durch Verkauf gewechselt haben. Schon Rodbertus hat für die
Zeit vou 1835 bis 1864 das Schicksal von 11000 Rittergütern untersucht
und gefunden, daß sie in diesen dreißig Jahren zweimal den Besitzer gewechselt
haben, und zwar Vierzehntausendmal durch Verkauf; und Rudolf Meyer stellte
fest, daß vor 36 Jahren noch 271 eidliche Geschlechter in Pommern auf Ritter¬
gütern saßen; heute sind es nur noch 176. Aber uns liegt daran, zu zeigen,
inwieweit ein paar Hauptschlagwörter der Herren Plötz, Mirbach, Wangenheim
und Genossen berechtigt sind, ohne die es sast in keiner der sogenannten "Be-
rnhigungsreden," denn Agitationsreden sollen es ja bekanntlich nicht sein, ab¬
geht. Es heißt da immer: 1. Die heutigen bis in die Knochen königstreucn,
vaterlandsliebenden Grundbesitzer müssen das Erbe ihrer Bäter "mit dem
weißen Stäbe" verlassen! 2. Die Nachfolger, das wird eine schöne Gesellschaft
sein: Krethi und Plethi, vaterlandslose Juden und dergleichen unzuverlässige
Subjekte, auf die sich kein Hohenzoller stützen kann, internationale Margnrine-
fabritanten, die durch unlautern Wettbewerb die wertefchaffenden Landwirte um
ihren sauern Verdienst betrogen haben. Wo will denn das Vaterland, das
Herrscherhaus seine Beamten hernehmen, wo seine Offiziere?

Gemach, ihr Herren! Die Hand aufs Herz! Wie viele von euch sind
nicht heute schon Krethi und Plethi, oder von Krethi und von Plethi! Will
man darüber ins Reine kommen, so muß man jeden Einzelnen ins Auge fassen,
mit den Allgemeinheiten ist nichts gesagt und nichts bewiesen, die sind gut
für große Reisereden, bei denen die Debatte ausgeschlossen ist oder dumme,
unbequeme Frager zur Ruhe geschrieen werden. Die Verhältnisse sind ja
oft so verschleiert, daß man schwer hinter die Wahrheit kommen kann, aber
bei dem Ritterguts- oder Herrsch aftsbesitzer "Ostelbiens" muß man immer
erst fragen: Wo ist der Kommerzienrcit, wo ist der Jude? Irgend in einem
Winkel des Ahnenschlosses sitzt einer von beiden bestimmt, manchmal beide zu¬
sammen. Um das zu beweisen, wollen wir von zwei in einer preußischen Pro¬
vinz liegenden Kreisen X und I die ersten hundert Rittergüter nach Ausschluß
aller der Güter, die als Staatsdomänen. Majorate u. dergl. nicht verkäuflich
sind, prüfen. Da finden wir folgendes überraschende Ergebnis. In den letzten
zwanzig Jahren haben von diesen 100 Gütern 28 ihren Besitzer nicht ge¬
wechselt; dagegen sind 24 im Erbgange und 48 durch Verkauf in andre Hände


Her Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle

oft maßlos übertrieben und jede ruhige Betrachtung und Würdigung der viel¬
fachen Ursachen mit Geschrei und phrasenhaften Schlagwörtern totzumachen
versucht, weil ihr sachliche Gründe nicht in so hohem Maße zur Verfügung
stehen wie Lungenkraft, Der heutige größere Grundbesitz erfreut sich schon sehr
lange nicht mehr der Stabilität eines rooksr as dronos, als den mau ihn jetzt
hinzustellen beliebt. Ein neuer Beweis dafür könnte uns zwar erlassen
werden, denn es ist eine alte Geschichte, daß die alten Rittergüter, die ja von
sehr verschiedner Größe sind, seit vierzig bis fünfzig Jahren zum größten Teil
ihre Besitzer durch Verkauf gewechselt haben. Schon Rodbertus hat für die
Zeit vou 1835 bis 1864 das Schicksal von 11000 Rittergütern untersucht
und gefunden, daß sie in diesen dreißig Jahren zweimal den Besitzer gewechselt
haben, und zwar Vierzehntausendmal durch Verkauf; und Rudolf Meyer stellte
fest, daß vor 36 Jahren noch 271 eidliche Geschlechter in Pommern auf Ritter¬
gütern saßen; heute sind es nur noch 176. Aber uns liegt daran, zu zeigen,
inwieweit ein paar Hauptschlagwörter der Herren Plötz, Mirbach, Wangenheim
und Genossen berechtigt sind, ohne die es sast in keiner der sogenannten „Be-
rnhigungsreden," denn Agitationsreden sollen es ja bekanntlich nicht sein, ab¬
geht. Es heißt da immer: 1. Die heutigen bis in die Knochen königstreucn,
vaterlandsliebenden Grundbesitzer müssen das Erbe ihrer Bäter „mit dem
weißen Stäbe" verlassen! 2. Die Nachfolger, das wird eine schöne Gesellschaft
sein: Krethi und Plethi, vaterlandslose Juden und dergleichen unzuverlässige
Subjekte, auf die sich kein Hohenzoller stützen kann, internationale Margnrine-
fabritanten, die durch unlautern Wettbewerb die wertefchaffenden Landwirte um
ihren sauern Verdienst betrogen haben. Wo will denn das Vaterland, das
Herrscherhaus seine Beamten hernehmen, wo seine Offiziere?

Gemach, ihr Herren! Die Hand aufs Herz! Wie viele von euch sind
nicht heute schon Krethi und Plethi, oder von Krethi und von Plethi! Will
man darüber ins Reine kommen, so muß man jeden Einzelnen ins Auge fassen,
mit den Allgemeinheiten ist nichts gesagt und nichts bewiesen, die sind gut
für große Reisereden, bei denen die Debatte ausgeschlossen ist oder dumme,
unbequeme Frager zur Ruhe geschrieen werden. Die Verhältnisse sind ja
oft so verschleiert, daß man schwer hinter die Wahrheit kommen kann, aber
bei dem Ritterguts- oder Herrsch aftsbesitzer „Ostelbiens" muß man immer
erst fragen: Wo ist der Kommerzienrcit, wo ist der Jude? Irgend in einem
Winkel des Ahnenschlosses sitzt einer von beiden bestimmt, manchmal beide zu¬
sammen. Um das zu beweisen, wollen wir von zwei in einer preußischen Pro¬
vinz liegenden Kreisen X und I die ersten hundert Rittergüter nach Ausschluß
aller der Güter, die als Staatsdomänen. Majorate u. dergl. nicht verkäuflich
sind, prüfen. Da finden wir folgendes überraschende Ergebnis. In den letzten
zwanzig Jahren haben von diesen 100 Gütern 28 ihren Besitzer nicht ge¬
wechselt; dagegen sind 24 im Erbgange und 48 durch Verkauf in andre Hände


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/306>, abgerufen am 25.08.2024.