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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

und im Abgeordnetenhause ist schon erwähnt. Sie darf nicht etwa auf Ver¬
trauensmangel oder gegnerische Stimmungen in der Wählerschaft zurückgeführt
werden. Es kann vielmehr als sicher gelten, daß es jenen Kreisen ein leichtes
wäre, in den beiden Häusern Wahlsitze in größerer Anzahl als bisher zu ge¬
winnen; ihr Ansehen, ihr Anhang, ihr Einfluß in dem Bezirk, wo sie re-
sidiren, ist meist so stark, daß ihre Kandidaturen, wenn ernstlich gewollt
und betrieben, häusig bestimmte Aussicht auf Erfolg haben würden. Aber
sie treten eben nur selten als Kandidaten auf. Im Verhältnis zu England
ist der schwache Prozentsatz, den unsre bevorrechtete Volksklasse in den Be¬
werbungen um ein Mandat aufweist, geradezu beschämend: dort ist es Regel,
daß sich die jüngern Söhne der Lords um Sitze im Unterhause bewerben,
hier ist es eine Ausnahme, wenn ein Mitglied einer hochadlichen Familie den
Eintritt in eine parlamentarische Körperschaft erstrebt.

Nicht zahlreicher als in den aus Wahlen hervorgehenden Parlaments¬
körpern sind unsre Grandseigneurs und deren männliche Familienmitglieder in
der Verwaltung vertreten. Auch in dieser Beziehung ist der Hinweis auf
England nicht ohne Interesse. Dort haben die meisten Barone und deren
selbständige Söhne irgend ein Grasschaftsamt inne; ein Lord ist Chef der
Grafschaftsmiliz und Vorsitzender der Friedensrichterversammlung (oustos ro-
wloruru). Mit der englischen Grafschaftsverfassung freilich, auf deren Grund¬
lage von Organen des söltzovsriuusut eine Menge Geschäfte erledigt werden,
die bei uns noch den unmittelbaren Staatsbehörden obliegen, hält die preu¬
ßische Selbstverwaltung einen Vergleich nicht aus. Die letztere ist noch eng
begrenzt und in ihrer Organisation wenig geeignet, sich aus sich selbst weiter
zu entwickeln. Als sie in den östlichen Provinzen eingeführt wurde, hatten
sich in kurzer Zeit die adlichen und bürgerlichen Junker, die Rittergutsbesitzer,
mit ihrem Anhange der Leitung der Geschäfte bemächtigt, was ihnen um so
leichter fiel, als sie bereits bei der alten Einrichtung der ländlichen Gemeinde¬
verwaltung die Hauptrolle gespielt hatten. Dennoch sollte man meinen, daß
sich mit Rücksicht auf die Natur der Angelegenheiten, in denen sich die Kreis-
und Prvvinzialverwaltnng bewegt, und die den Großgrundbesitzer vorzugsweise
berühren, der reichbegüterte hohe Adel veranlaßt sehen sollte, hier aus seiner
Zurückhaltung herauszutreten und sich nicht allein an den Versammlungen,
sondern auch an den Ämtern der Selbstverwaltungskörper thätig zu beteiligen.
Aber es ist bis ans seltene Ausnahmen nicht der Fall. In Schlesien giebt
es einen Amtsvorsteher fürstlichen Standes und einen prinzlichen Kreisdeputirten,
in der Lausitz einen Landrat, der Standesherr ist. Daß diese Beispiele wenig
Nachahmung finden, darf bei der Unterordnung der Selbstverwaltungsämter
unter die Bureaukratie und bei der Menge von Schreiberei, die mit diesen
Andern verbunden ist und nach jeder Maßregel, die sie zu vermindern bestimmt
ist, seltsamerweise zu wachsen pflegt, kein Wunder nehmen. Aber auch in den


Der hohe Adel in Preußen

und im Abgeordnetenhause ist schon erwähnt. Sie darf nicht etwa auf Ver¬
trauensmangel oder gegnerische Stimmungen in der Wählerschaft zurückgeführt
werden. Es kann vielmehr als sicher gelten, daß es jenen Kreisen ein leichtes
wäre, in den beiden Häusern Wahlsitze in größerer Anzahl als bisher zu ge¬
winnen; ihr Ansehen, ihr Anhang, ihr Einfluß in dem Bezirk, wo sie re-
sidiren, ist meist so stark, daß ihre Kandidaturen, wenn ernstlich gewollt
und betrieben, häusig bestimmte Aussicht auf Erfolg haben würden. Aber
sie treten eben nur selten als Kandidaten auf. Im Verhältnis zu England
ist der schwache Prozentsatz, den unsre bevorrechtete Volksklasse in den Be¬
werbungen um ein Mandat aufweist, geradezu beschämend: dort ist es Regel,
daß sich die jüngern Söhne der Lords um Sitze im Unterhause bewerben,
hier ist es eine Ausnahme, wenn ein Mitglied einer hochadlichen Familie den
Eintritt in eine parlamentarische Körperschaft erstrebt.

Nicht zahlreicher als in den aus Wahlen hervorgehenden Parlaments¬
körpern sind unsre Grandseigneurs und deren männliche Familienmitglieder in
der Verwaltung vertreten. Auch in dieser Beziehung ist der Hinweis auf
England nicht ohne Interesse. Dort haben die meisten Barone und deren
selbständige Söhne irgend ein Grasschaftsamt inne; ein Lord ist Chef der
Grafschaftsmiliz und Vorsitzender der Friedensrichterversammlung (oustos ro-
wloruru). Mit der englischen Grafschaftsverfassung freilich, auf deren Grund¬
lage von Organen des söltzovsriuusut eine Menge Geschäfte erledigt werden,
die bei uns noch den unmittelbaren Staatsbehörden obliegen, hält die preu¬
ßische Selbstverwaltung einen Vergleich nicht aus. Die letztere ist noch eng
begrenzt und in ihrer Organisation wenig geeignet, sich aus sich selbst weiter
zu entwickeln. Als sie in den östlichen Provinzen eingeführt wurde, hatten
sich in kurzer Zeit die adlichen und bürgerlichen Junker, die Rittergutsbesitzer,
mit ihrem Anhange der Leitung der Geschäfte bemächtigt, was ihnen um so
leichter fiel, als sie bereits bei der alten Einrichtung der ländlichen Gemeinde¬
verwaltung die Hauptrolle gespielt hatten. Dennoch sollte man meinen, daß
sich mit Rücksicht auf die Natur der Angelegenheiten, in denen sich die Kreis-
und Prvvinzialverwaltnng bewegt, und die den Großgrundbesitzer vorzugsweise
berühren, der reichbegüterte hohe Adel veranlaßt sehen sollte, hier aus seiner
Zurückhaltung herauszutreten und sich nicht allein an den Versammlungen,
sondern auch an den Ämtern der Selbstverwaltungskörper thätig zu beteiligen.
Aber es ist bis ans seltene Ausnahmen nicht der Fall. In Schlesien giebt
es einen Amtsvorsteher fürstlichen Standes und einen prinzlichen Kreisdeputirten,
in der Lausitz einen Landrat, der Standesherr ist. Daß diese Beispiele wenig
Nachahmung finden, darf bei der Unterordnung der Selbstverwaltungsämter
unter die Bureaukratie und bei der Menge von Schreiberei, die mit diesen
Andern verbunden ist und nach jeder Maßregel, die sie zu vermindern bestimmt
ist, seltsamerweise zu wachsen pflegt, kein Wunder nehmen. Aber auch in den


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[0029] Der hohe Adel in Preußen und im Abgeordnetenhause ist schon erwähnt. Sie darf nicht etwa auf Ver¬ trauensmangel oder gegnerische Stimmungen in der Wählerschaft zurückgeführt werden. Es kann vielmehr als sicher gelten, daß es jenen Kreisen ein leichtes wäre, in den beiden Häusern Wahlsitze in größerer Anzahl als bisher zu ge¬ winnen; ihr Ansehen, ihr Anhang, ihr Einfluß in dem Bezirk, wo sie re- sidiren, ist meist so stark, daß ihre Kandidaturen, wenn ernstlich gewollt und betrieben, häusig bestimmte Aussicht auf Erfolg haben würden. Aber sie treten eben nur selten als Kandidaten auf. Im Verhältnis zu England ist der schwache Prozentsatz, den unsre bevorrechtete Volksklasse in den Be¬ werbungen um ein Mandat aufweist, geradezu beschämend: dort ist es Regel, daß sich die jüngern Söhne der Lords um Sitze im Unterhause bewerben, hier ist es eine Ausnahme, wenn ein Mitglied einer hochadlichen Familie den Eintritt in eine parlamentarische Körperschaft erstrebt. Nicht zahlreicher als in den aus Wahlen hervorgehenden Parlaments¬ körpern sind unsre Grandseigneurs und deren männliche Familienmitglieder in der Verwaltung vertreten. Auch in dieser Beziehung ist der Hinweis auf England nicht ohne Interesse. Dort haben die meisten Barone und deren selbständige Söhne irgend ein Grasschaftsamt inne; ein Lord ist Chef der Grafschaftsmiliz und Vorsitzender der Friedensrichterversammlung (oustos ro- wloruru). Mit der englischen Grafschaftsverfassung freilich, auf deren Grund¬ lage von Organen des söltzovsriuusut eine Menge Geschäfte erledigt werden, die bei uns noch den unmittelbaren Staatsbehörden obliegen, hält die preu¬ ßische Selbstverwaltung einen Vergleich nicht aus. Die letztere ist noch eng begrenzt und in ihrer Organisation wenig geeignet, sich aus sich selbst weiter zu entwickeln. Als sie in den östlichen Provinzen eingeführt wurde, hatten sich in kurzer Zeit die adlichen und bürgerlichen Junker, die Rittergutsbesitzer, mit ihrem Anhange der Leitung der Geschäfte bemächtigt, was ihnen um so leichter fiel, als sie bereits bei der alten Einrichtung der ländlichen Gemeinde¬ verwaltung die Hauptrolle gespielt hatten. Dennoch sollte man meinen, daß sich mit Rücksicht auf die Natur der Angelegenheiten, in denen sich die Kreis- und Prvvinzialverwaltnng bewegt, und die den Großgrundbesitzer vorzugsweise berühren, der reichbegüterte hohe Adel veranlaßt sehen sollte, hier aus seiner Zurückhaltung herauszutreten und sich nicht allein an den Versammlungen, sondern auch an den Ämtern der Selbstverwaltungskörper thätig zu beteiligen. Aber es ist bis ans seltene Ausnahmen nicht der Fall. In Schlesien giebt es einen Amtsvorsteher fürstlichen Standes und einen prinzlichen Kreisdeputirten, in der Lausitz einen Landrat, der Standesherr ist. Daß diese Beispiele wenig Nachahmung finden, darf bei der Unterordnung der Selbstverwaltungsämter unter die Bureaukratie und bei der Menge von Schreiberei, die mit diesen Andern verbunden ist und nach jeder Maßregel, die sie zu vermindern bestimmt ist, seltsamerweise zu wachsen pflegt, kein Wunder nehmen. Aber auch in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/29>, abgerufen am 25.08.2024.