Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Moderne Gpern
von pank Moos (Schluß)

HZuso mehr müssen alle, denen das Wohl der deutschen Musik am
Herzen liegt, Engelbert Hnmperdinck danken, daß er gerade zur
rechten Zeit mit seinem Märchenspiel Hansel und Gretel hervor¬
getreten ist. Hat er auch kein in sich gleichwertiges Werk ge¬
schaffen, so führt er doch den Beweis, daß die deutsche Musik
überall da noch im Vordertreffen steht, wo es sich um Reinheit, Adel und
Tiefe der Ideen handelt.

Den Text hat des Komponisten Schwester, Frau Adelheid Wette, her¬
gestellt -- "gedichtet" kann man beim besten Willen nicht sagen. Frau Wette
ist Dilettantin und wird es wohl selbst ablehnen, als Textdichterin großen
Stils gelten zu wollen. Es ist ihr uicht geglückt, etwas von dem Duft und
der Poesie des Volksmärchens in ihr Buch herüberzuretten. Auch ist nicht
recht einzusehen, warum sie die Handlung und die Charaktere teilweise ihrer
ursprünglichen Herbheit entkleidet und mehr oder weniger verflacht hat. Doch
sei dem, wie ihm wolle, Frau Wette hat jedenfalls mit der Wahl des Stoffes
einen guten Griff gethan und verdient unsern Dank schon dafür, daß sie durch
ihr Textbuch den Komponisten überhaupt in den Stand gesetzt hat, seine schöne
Musik zu schreiben.

Gleich der Anfang des Vorspiels läßt keinen Zweifel, mit wem man es
zu thun hat. Der Adel des Klanges, die Reinheit der harmonischen Struktur,
die Innigkeit des melodischen Flusses und der fast übergroße Reichtum an
vornehmen Einzelheiten offenbaren dem Hörer, der von den Italienern her¬
kommt, sofort eine bessere musikalische Welt. Hier ist Maß und Ziel und
künstlerischer Wohllaut. Das ganze Vorspiel ist ein ausgezeichnetes Musik¬
stück, kernig, klar und gesund. Aber es schöpft seine Vorzüge nicht etwa aus
einer Anlehnung an Wagner, o nein. Gerade dadurch ist es Humperdinck ge¬
lungen, etwas Selbständiges und Erfreuliches zu schaffen, daß er den Mut
und die Kraft gehabt hat, sich von Wagner freizumachen und nach Aus-
drucksformen und einem Inhalte zu greifen, die allein einer frischen Erfindung




Moderne Gpern
von pank Moos (Schluß)

HZuso mehr müssen alle, denen das Wohl der deutschen Musik am
Herzen liegt, Engelbert Hnmperdinck danken, daß er gerade zur
rechten Zeit mit seinem Märchenspiel Hansel und Gretel hervor¬
getreten ist. Hat er auch kein in sich gleichwertiges Werk ge¬
schaffen, so führt er doch den Beweis, daß die deutsche Musik
überall da noch im Vordertreffen steht, wo es sich um Reinheit, Adel und
Tiefe der Ideen handelt.

Den Text hat des Komponisten Schwester, Frau Adelheid Wette, her¬
gestellt — „gedichtet" kann man beim besten Willen nicht sagen. Frau Wette
ist Dilettantin und wird es wohl selbst ablehnen, als Textdichterin großen
Stils gelten zu wollen. Es ist ihr uicht geglückt, etwas von dem Duft und
der Poesie des Volksmärchens in ihr Buch herüberzuretten. Auch ist nicht
recht einzusehen, warum sie die Handlung und die Charaktere teilweise ihrer
ursprünglichen Herbheit entkleidet und mehr oder weniger verflacht hat. Doch
sei dem, wie ihm wolle, Frau Wette hat jedenfalls mit der Wahl des Stoffes
einen guten Griff gethan und verdient unsern Dank schon dafür, daß sie durch
ihr Textbuch den Komponisten überhaupt in den Stand gesetzt hat, seine schöne
Musik zu schreiben.

Gleich der Anfang des Vorspiels läßt keinen Zweifel, mit wem man es
zu thun hat. Der Adel des Klanges, die Reinheit der harmonischen Struktur,
die Innigkeit des melodischen Flusses und der fast übergroße Reichtum an
vornehmen Einzelheiten offenbaren dem Hörer, der von den Italienern her¬
kommt, sofort eine bessere musikalische Welt. Hier ist Maß und Ziel und
künstlerischer Wohllaut. Das ganze Vorspiel ist ein ausgezeichnetes Musik¬
stück, kernig, klar und gesund. Aber es schöpft seine Vorzüge nicht etwa aus
einer Anlehnung an Wagner, o nein. Gerade dadurch ist es Humperdinck ge¬
lungen, etwas Selbständiges und Erfreuliches zu schaffen, daß er den Mut
und die Kraft gehabt hat, sich von Wagner freizumachen und nach Aus-
drucksformen und einem Inhalte zu greifen, die allein einer frischen Erfindung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219962"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_219675/figures/grenzboten_341861_219675_219962_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Moderne Gpern<lb/><note type="byline"> von pank Moos</note> (Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1007"> HZuso mehr müssen alle, denen das Wohl der deutschen Musik am<lb/>
Herzen liegt, Engelbert Hnmperdinck danken, daß er gerade zur<lb/>
rechten Zeit mit seinem Märchenspiel Hansel und Gretel hervor¬<lb/>
getreten ist. Hat er auch kein in sich gleichwertiges Werk ge¬<lb/>
schaffen, so führt er doch den Beweis, daß die deutsche Musik<lb/>
überall da noch im Vordertreffen steht, wo es sich um Reinheit, Adel und<lb/>
Tiefe der Ideen handelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1008"> Den Text hat des Komponisten Schwester, Frau Adelheid Wette, her¬<lb/>
gestellt &#x2014; &#x201E;gedichtet" kann man beim besten Willen nicht sagen. Frau Wette<lb/>
ist Dilettantin und wird es wohl selbst ablehnen, als Textdichterin großen<lb/>
Stils gelten zu wollen. Es ist ihr uicht geglückt, etwas von dem Duft und<lb/>
der Poesie des Volksmärchens in ihr Buch herüberzuretten. Auch ist nicht<lb/>
recht einzusehen, warum sie die Handlung und die Charaktere teilweise ihrer<lb/>
ursprünglichen Herbheit entkleidet und mehr oder weniger verflacht hat. Doch<lb/>
sei dem, wie ihm wolle, Frau Wette hat jedenfalls mit der Wahl des Stoffes<lb/>
einen guten Griff gethan und verdient unsern Dank schon dafür, daß sie durch<lb/>
ihr Textbuch den Komponisten überhaupt in den Stand gesetzt hat, seine schöne<lb/>
Musik zu schreiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1009" next="#ID_1010"> Gleich der Anfang des Vorspiels läßt keinen Zweifel, mit wem man es<lb/>
zu thun hat. Der Adel des Klanges, die Reinheit der harmonischen Struktur,<lb/>
die Innigkeit des melodischen Flusses und der fast übergroße Reichtum an<lb/>
vornehmen Einzelheiten offenbaren dem Hörer, der von den Italienern her¬<lb/>
kommt, sofort eine bessere musikalische Welt. Hier ist Maß und Ziel und<lb/>
künstlerischer Wohllaut. Das ganze Vorspiel ist ein ausgezeichnetes Musik¬<lb/>
stück, kernig, klar und gesund. Aber es schöpft seine Vorzüge nicht etwa aus<lb/>
einer Anlehnung an Wagner, o nein. Gerade dadurch ist es Humperdinck ge¬<lb/>
lungen, etwas Selbständiges und Erfreuliches zu schaffen, daß er den Mut<lb/>
und die Kraft gehabt hat, sich von Wagner freizumachen und nach Aus-<lb/>
drucksformen und einem Inhalte zu greifen, die allein einer frischen Erfindung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0286] [Abbildung] Moderne Gpern von pank Moos (Schluß) HZuso mehr müssen alle, denen das Wohl der deutschen Musik am Herzen liegt, Engelbert Hnmperdinck danken, daß er gerade zur rechten Zeit mit seinem Märchenspiel Hansel und Gretel hervor¬ getreten ist. Hat er auch kein in sich gleichwertiges Werk ge¬ schaffen, so führt er doch den Beweis, daß die deutsche Musik überall da noch im Vordertreffen steht, wo es sich um Reinheit, Adel und Tiefe der Ideen handelt. Den Text hat des Komponisten Schwester, Frau Adelheid Wette, her¬ gestellt — „gedichtet" kann man beim besten Willen nicht sagen. Frau Wette ist Dilettantin und wird es wohl selbst ablehnen, als Textdichterin großen Stils gelten zu wollen. Es ist ihr uicht geglückt, etwas von dem Duft und der Poesie des Volksmärchens in ihr Buch herüberzuretten. Auch ist nicht recht einzusehen, warum sie die Handlung und die Charaktere teilweise ihrer ursprünglichen Herbheit entkleidet und mehr oder weniger verflacht hat. Doch sei dem, wie ihm wolle, Frau Wette hat jedenfalls mit der Wahl des Stoffes einen guten Griff gethan und verdient unsern Dank schon dafür, daß sie durch ihr Textbuch den Komponisten überhaupt in den Stand gesetzt hat, seine schöne Musik zu schreiben. Gleich der Anfang des Vorspiels läßt keinen Zweifel, mit wem man es zu thun hat. Der Adel des Klanges, die Reinheit der harmonischen Struktur, die Innigkeit des melodischen Flusses und der fast übergroße Reichtum an vornehmen Einzelheiten offenbaren dem Hörer, der von den Italienern her¬ kommt, sofort eine bessere musikalische Welt. Hier ist Maß und Ziel und künstlerischer Wohllaut. Das ganze Vorspiel ist ein ausgezeichnetes Musik¬ stück, kernig, klar und gesund. Aber es schöpft seine Vorzüge nicht etwa aus einer Anlehnung an Wagner, o nein. Gerade dadurch ist es Humperdinck ge¬ lungen, etwas Selbständiges und Erfreuliches zu schaffen, daß er den Mut und die Kraft gehabt hat, sich von Wagner freizumachen und nach Aus- drucksformen und einem Inhalte zu greifen, die allein einer frischen Erfindung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/286
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/286>, abgerufen am 26.08.2024.