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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Historikertage

liebe Abfuhr mit besondrer Schärfe. Die alte Schlange, die Frankfurter Zei¬
tung, aber hütete sich natürlich wohl, auch nur ahnen zu lassen, was man
gegen den Antrag ihrer Lieblinge vorgebracht und weshalb man dagegen ge¬
stimmt hatte, lieber sollte es so scheinen, als wäre die Versammlung der Vor¬
tage günstig gesinnt gewesen. Immer erst unsre Leut, dann die Sache!

Sie hat aber auch an sich selber erfahren müssen, daß ihr Geist und ihre
Art von Feinheit für gebildetere deutsche Mitbürger ungenießbar sind. Als
die bekanntern Historiker, die erschienen waren, am ersten Morgen in Frankfurt
aufwachten, konnten sie jeder beim Frühstück in der unvermeidlichen Frankfurter
Zeitung und der von ihr gebrachten Präsenzliste seinen eignen Namen mit
einem witzig sein sollenden LxMotoii, ornims verziert finden, und diese Epitheta
bewegten sich fast alle auf der angenehmen Linie zwischen Dreistigkeit und
Denunziation. So konnte den in der Versammlung mit anwesenden Frankfurter
Herren ein lebhafter Protest gegen diese Art Bewillkommnung in ihrer Stadt
nicht erspart werden.

Doch nun zur Sache. Überraschend geradezu war es, wie vor allem gut
deutsch die Stimmung und der Ton der Versammlung waren. Bewußtes
Nationalgefühl und echt deutsche Gesinnung bekannten sich öfter und freudiger,
als es sonst in der Regel bei Fachkongressen geschehen kann. Die beiden an¬
wesenden belgischen Vlamen waren sozusagen die Schoßkinder der Versammlung.
Die Kaiserrede des Vorsitzenden, Heigels aus München, war durch sich selbst
eine schöne, stolze Absage an Caligula und Konsorten und gab, weit inhalts¬
voller als die üblichen Majorsrcden -- wollte sagen Kaisertoaste, voll Würde
und Überzeugung dem Kaiser, was des Kaisers ist. Der Umstand, daß man
gerade in der alten Wahl- und Krönungsstadt tagte, die dann auch den
Bundestag und die Achtundvierziger beherbergte, gab auch den übrigen An¬
sprachen von Reichsdeutschen und Österreichern die stets wieder aufgenommne
Beziehung auf das Einst und Jetzt; aus ihnen allen klang eine Geschichts¬
philosophie der gesunden Logik, der Zufriedenheit mit dem Gewordnen und der
Zuversicht auf die Zukunft, wohl verträglich mit treuem Festhalten an einem
Großdeutschland der Geister und der Herzen.

Nun waren es Süddeutsche und Österreicher, die, wenn nicht die Mehr¬
heit an Zahl, so doch den stärker hervortretenden Bestandteil der Versamm¬
lung ausmachten. Am schwächsten war Preußen vertreten, immer noch besser
im Verhältnis das nichtpreußische Norddeutschland. Noch unvollständiger aber
war das Gesamtbild, wenn man lediglich die ungelenke Gelehrtenrepublik der
lebenden Historiker als solche ins Auge faßte. Warum es verschweigen? nur
durch Eingestehen kommt man weiter. Es fehlten, von allzu wenig Ausnahmen
abgesehen, die "eigentlichen Leute," die, die man zu treffen hoffte und wünschte.
Nicht bloß die großen Namen, die eigentlichen "Qualitäts" Historiker, sondern
auch der weitere Kreis der angesehenen Ordinarien und hervorragenden Ge-


Grenzboten It 1395 35
Die Zukunft der Historikertage

liebe Abfuhr mit besondrer Schärfe. Die alte Schlange, die Frankfurter Zei¬
tung, aber hütete sich natürlich wohl, auch nur ahnen zu lassen, was man
gegen den Antrag ihrer Lieblinge vorgebracht und weshalb man dagegen ge¬
stimmt hatte, lieber sollte es so scheinen, als wäre die Versammlung der Vor¬
tage günstig gesinnt gewesen. Immer erst unsre Leut, dann die Sache!

Sie hat aber auch an sich selber erfahren müssen, daß ihr Geist und ihre
Art von Feinheit für gebildetere deutsche Mitbürger ungenießbar sind. Als
die bekanntern Historiker, die erschienen waren, am ersten Morgen in Frankfurt
aufwachten, konnten sie jeder beim Frühstück in der unvermeidlichen Frankfurter
Zeitung und der von ihr gebrachten Präsenzliste seinen eignen Namen mit
einem witzig sein sollenden LxMotoii, ornims verziert finden, und diese Epitheta
bewegten sich fast alle auf der angenehmen Linie zwischen Dreistigkeit und
Denunziation. So konnte den in der Versammlung mit anwesenden Frankfurter
Herren ein lebhafter Protest gegen diese Art Bewillkommnung in ihrer Stadt
nicht erspart werden.

Doch nun zur Sache. Überraschend geradezu war es, wie vor allem gut
deutsch die Stimmung und der Ton der Versammlung waren. Bewußtes
Nationalgefühl und echt deutsche Gesinnung bekannten sich öfter und freudiger,
als es sonst in der Regel bei Fachkongressen geschehen kann. Die beiden an¬
wesenden belgischen Vlamen waren sozusagen die Schoßkinder der Versammlung.
Die Kaiserrede des Vorsitzenden, Heigels aus München, war durch sich selbst
eine schöne, stolze Absage an Caligula und Konsorten und gab, weit inhalts¬
voller als die üblichen Majorsrcden — wollte sagen Kaisertoaste, voll Würde
und Überzeugung dem Kaiser, was des Kaisers ist. Der Umstand, daß man
gerade in der alten Wahl- und Krönungsstadt tagte, die dann auch den
Bundestag und die Achtundvierziger beherbergte, gab auch den übrigen An¬
sprachen von Reichsdeutschen und Österreichern die stets wieder aufgenommne
Beziehung auf das Einst und Jetzt; aus ihnen allen klang eine Geschichts¬
philosophie der gesunden Logik, der Zufriedenheit mit dem Gewordnen und der
Zuversicht auf die Zukunft, wohl verträglich mit treuem Festhalten an einem
Großdeutschland der Geister und der Herzen.

Nun waren es Süddeutsche und Österreicher, die, wenn nicht die Mehr¬
heit an Zahl, so doch den stärker hervortretenden Bestandteil der Versamm¬
lung ausmachten. Am schwächsten war Preußen vertreten, immer noch besser
im Verhältnis das nichtpreußische Norddeutschland. Noch unvollständiger aber
war das Gesamtbild, wenn man lediglich die ungelenke Gelehrtenrepublik der
lebenden Historiker als solche ins Auge faßte. Warum es verschweigen? nur
durch Eingestehen kommt man weiter. Es fehlten, von allzu wenig Ausnahmen
abgesehen, die „eigentlichen Leute," die, die man zu treffen hoffte und wünschte.
Nicht bloß die großen Namen, die eigentlichen „Qualitäts" Historiker, sondern
auch der weitere Kreis der angesehenen Ordinarien und hervorragenden Ge-


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[0281] Die Zukunft der Historikertage liebe Abfuhr mit besondrer Schärfe. Die alte Schlange, die Frankfurter Zei¬ tung, aber hütete sich natürlich wohl, auch nur ahnen zu lassen, was man gegen den Antrag ihrer Lieblinge vorgebracht und weshalb man dagegen ge¬ stimmt hatte, lieber sollte es so scheinen, als wäre die Versammlung der Vor¬ tage günstig gesinnt gewesen. Immer erst unsre Leut, dann die Sache! Sie hat aber auch an sich selber erfahren müssen, daß ihr Geist und ihre Art von Feinheit für gebildetere deutsche Mitbürger ungenießbar sind. Als die bekanntern Historiker, die erschienen waren, am ersten Morgen in Frankfurt aufwachten, konnten sie jeder beim Frühstück in der unvermeidlichen Frankfurter Zeitung und der von ihr gebrachten Präsenzliste seinen eignen Namen mit einem witzig sein sollenden LxMotoii, ornims verziert finden, und diese Epitheta bewegten sich fast alle auf der angenehmen Linie zwischen Dreistigkeit und Denunziation. So konnte den in der Versammlung mit anwesenden Frankfurter Herren ein lebhafter Protest gegen diese Art Bewillkommnung in ihrer Stadt nicht erspart werden. Doch nun zur Sache. Überraschend geradezu war es, wie vor allem gut deutsch die Stimmung und der Ton der Versammlung waren. Bewußtes Nationalgefühl und echt deutsche Gesinnung bekannten sich öfter und freudiger, als es sonst in der Regel bei Fachkongressen geschehen kann. Die beiden an¬ wesenden belgischen Vlamen waren sozusagen die Schoßkinder der Versammlung. Die Kaiserrede des Vorsitzenden, Heigels aus München, war durch sich selbst eine schöne, stolze Absage an Caligula und Konsorten und gab, weit inhalts¬ voller als die üblichen Majorsrcden — wollte sagen Kaisertoaste, voll Würde und Überzeugung dem Kaiser, was des Kaisers ist. Der Umstand, daß man gerade in der alten Wahl- und Krönungsstadt tagte, die dann auch den Bundestag und die Achtundvierziger beherbergte, gab auch den übrigen An¬ sprachen von Reichsdeutschen und Österreichern die stets wieder aufgenommne Beziehung auf das Einst und Jetzt; aus ihnen allen klang eine Geschichts¬ philosophie der gesunden Logik, der Zufriedenheit mit dem Gewordnen und der Zuversicht auf die Zukunft, wohl verträglich mit treuem Festhalten an einem Großdeutschland der Geister und der Herzen. Nun waren es Süddeutsche und Österreicher, die, wenn nicht die Mehr¬ heit an Zahl, so doch den stärker hervortretenden Bestandteil der Versamm¬ lung ausmachten. Am schwächsten war Preußen vertreten, immer noch besser im Verhältnis das nichtpreußische Norddeutschland. Noch unvollständiger aber war das Gesamtbild, wenn man lediglich die ungelenke Gelehrtenrepublik der lebenden Historiker als solche ins Auge faßte. Warum es verschweigen? nur durch Eingestehen kommt man weiter. Es fehlten, von allzu wenig Ausnahmen abgesehen, die „eigentlichen Leute," die, die man zu treffen hoffte und wünschte. Nicht bloß die großen Namen, die eigentlichen „Qualitäts" Historiker, sondern auch der weitere Kreis der angesehenen Ordinarien und hervorragenden Ge- Grenzboten It 1395 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/281>, abgerufen am 26.08.2024.