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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

die Vertreter des niedern Adels und der höhern Bürgerklasscn zurück. Im
Herrenhause wie im Reichstage, in der Staatsverwaltung wie in der Selbst¬
verwaltung überläßt sie diesen die erste Rolle. Aus den Geschlechtern, die
über erbliche Herrenhaussitze verfügen, gehören nur sieben dem deutschen Reichs¬
tage an, nur fünf dem preußischen Abgeordnetenhause, und zwei sind -- außer
dem Fürsten Bismarck -- Mitglieder des preußischen Staatsrath. Drei ihrer
Häupter sind Vorsitzende von Provinziallandtagen, zwei ihrer Familienange¬
hörigen Mitglieder von Provinzialausschüssen, drei Mitglieder eines Provinzial-
rats. Vier von ihnen haben Gesandtschaftsposten inne, zwei sind Oberpräsidenten,
einer ist Regierungspräsident, einer Kreisdeputirter, einer Amtsvorsteher, zwei
Landräte. Der jetzige Reichskanzler war bis zu seiner Ernennung zum preu¬
ßischen Ministerpräsidenten kein preußischer Staatsangehöriger.

Geschlechter, die so hoch über alle Volksgenossen gestellt sind, daß sie ein
erbliches Recht auf Mitwirkung bei der Gesetzgebung haben, sollten in der
vordersten Linie des öffentlichen Lebens zu finden sein. Ihr "Milieu" verlangt
die kräftigste Bethätigung im Staatsgetriebe. Sie sollten ihre materiellen Kräfte
und das überkommne Ansehen opferwillig in den Dienst des Staates stellen.
Sie dürften die Pflichten ihrer Ausnahmestellung nicht von sich abweisen.
Das Vorrecht, das ihnen gewährt ist, hat nicht die Natur eines privatrecht¬
lichen Privilegiums, das nach Belieben benutzt werden kann, es fordert von
den Spitzen der Aristokratie eine außergewöhnliche patriotische Hingebung. Sie
sollten sich nicht zurückziehen, fondern voranstehen. Der Aufgaben, denen sie
sich unterziehen könnten, sind viele, und jedem Einzelnen bieten sich solche,
deren Bearbeitung ihn mit Befriedigung erfüllen kann.

Die Familien des hohen preußischen Adels haben sich mit wenigen Aus¬
nahmen zu diesen Auffassungen noch nicht bequemt. Es ist ja begreiflich, daß
die Häupter der großen Häuser keine große Neigung haben, eine büreau-
kratische Beamtenkarriere zu durchlaufen. Das ist aber auch durchaus nicht
nötig: die Bekleidung der hohen und höchsten Staatsümter in der innern und
äußern Verwaltung ist nicht an diese Voraussetzung gebunden. Von den
jüngern Söhnen könnte man erwarten, daß sie häufiger, als es der Fall ist,
eine Beamtenlaufbahn wählten; aber es ist in dieser Beziehung kein sonderlicher
Trieb zu bemerken. Die Mehrzahl begnügt sich mit den flott durchlebten
Osfiziersjahren, dann treten sie mit dem Charakter als Rittmeister, Hauptmann
oder Major aus dem Militärdienst zurück, ohne eine anderweite ähnliche Dienst¬
stellung zu begehren. Bei einer ganzen Anzahl dieser Häuser scheint es auf
Überlieferung zu beruhen, dem preußischen Staate keine freiwilligen Dienste zu
leisten. Dahin gehören namentlich mehrere von denen, die zwar mit einem
Teile ihrer Besitzungen in Preußen angesessen sind, aber ihren wirtschaftlichen
Mittelpunkt, zum Teil auch lebhafte Familienbeziehungen, von Alters her in
einem andern deutschen oder außerdeutschen Staate haben. So ist z. B. in


Der hohe Adel in Preußen

die Vertreter des niedern Adels und der höhern Bürgerklasscn zurück. Im
Herrenhause wie im Reichstage, in der Staatsverwaltung wie in der Selbst¬
verwaltung überläßt sie diesen die erste Rolle. Aus den Geschlechtern, die
über erbliche Herrenhaussitze verfügen, gehören nur sieben dem deutschen Reichs¬
tage an, nur fünf dem preußischen Abgeordnetenhause, und zwei sind — außer
dem Fürsten Bismarck — Mitglieder des preußischen Staatsrath. Drei ihrer
Häupter sind Vorsitzende von Provinziallandtagen, zwei ihrer Familienange¬
hörigen Mitglieder von Provinzialausschüssen, drei Mitglieder eines Provinzial-
rats. Vier von ihnen haben Gesandtschaftsposten inne, zwei sind Oberpräsidenten,
einer ist Regierungspräsident, einer Kreisdeputirter, einer Amtsvorsteher, zwei
Landräte. Der jetzige Reichskanzler war bis zu seiner Ernennung zum preu¬
ßischen Ministerpräsidenten kein preußischer Staatsangehöriger.

Geschlechter, die so hoch über alle Volksgenossen gestellt sind, daß sie ein
erbliches Recht auf Mitwirkung bei der Gesetzgebung haben, sollten in der
vordersten Linie des öffentlichen Lebens zu finden sein. Ihr „Milieu" verlangt
die kräftigste Bethätigung im Staatsgetriebe. Sie sollten ihre materiellen Kräfte
und das überkommne Ansehen opferwillig in den Dienst des Staates stellen.
Sie dürften die Pflichten ihrer Ausnahmestellung nicht von sich abweisen.
Das Vorrecht, das ihnen gewährt ist, hat nicht die Natur eines privatrecht¬
lichen Privilegiums, das nach Belieben benutzt werden kann, es fordert von
den Spitzen der Aristokratie eine außergewöhnliche patriotische Hingebung. Sie
sollten sich nicht zurückziehen, fondern voranstehen. Der Aufgaben, denen sie
sich unterziehen könnten, sind viele, und jedem Einzelnen bieten sich solche,
deren Bearbeitung ihn mit Befriedigung erfüllen kann.

Die Familien des hohen preußischen Adels haben sich mit wenigen Aus¬
nahmen zu diesen Auffassungen noch nicht bequemt. Es ist ja begreiflich, daß
die Häupter der großen Häuser keine große Neigung haben, eine büreau-
kratische Beamtenkarriere zu durchlaufen. Das ist aber auch durchaus nicht
nötig: die Bekleidung der hohen und höchsten Staatsümter in der innern und
äußern Verwaltung ist nicht an diese Voraussetzung gebunden. Von den
jüngern Söhnen könnte man erwarten, daß sie häufiger, als es der Fall ist,
eine Beamtenlaufbahn wählten; aber es ist in dieser Beziehung kein sonderlicher
Trieb zu bemerken. Die Mehrzahl begnügt sich mit den flott durchlebten
Osfiziersjahren, dann treten sie mit dem Charakter als Rittmeister, Hauptmann
oder Major aus dem Militärdienst zurück, ohne eine anderweite ähnliche Dienst¬
stellung zu begehren. Bei einer ganzen Anzahl dieser Häuser scheint es auf
Überlieferung zu beruhen, dem preußischen Staate keine freiwilligen Dienste zu
leisten. Dahin gehören namentlich mehrere von denen, die zwar mit einem
Teile ihrer Besitzungen in Preußen angesessen sind, aber ihren wirtschaftlichen
Mittelpunkt, zum Teil auch lebhafte Familienbeziehungen, von Alters her in
einem andern deutschen oder außerdeutschen Staate haben. So ist z. B. in


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[0027] Der hohe Adel in Preußen die Vertreter des niedern Adels und der höhern Bürgerklasscn zurück. Im Herrenhause wie im Reichstage, in der Staatsverwaltung wie in der Selbst¬ verwaltung überläßt sie diesen die erste Rolle. Aus den Geschlechtern, die über erbliche Herrenhaussitze verfügen, gehören nur sieben dem deutschen Reichs¬ tage an, nur fünf dem preußischen Abgeordnetenhause, und zwei sind — außer dem Fürsten Bismarck — Mitglieder des preußischen Staatsrath. Drei ihrer Häupter sind Vorsitzende von Provinziallandtagen, zwei ihrer Familienange¬ hörigen Mitglieder von Provinzialausschüssen, drei Mitglieder eines Provinzial- rats. Vier von ihnen haben Gesandtschaftsposten inne, zwei sind Oberpräsidenten, einer ist Regierungspräsident, einer Kreisdeputirter, einer Amtsvorsteher, zwei Landräte. Der jetzige Reichskanzler war bis zu seiner Ernennung zum preu¬ ßischen Ministerpräsidenten kein preußischer Staatsangehöriger. Geschlechter, die so hoch über alle Volksgenossen gestellt sind, daß sie ein erbliches Recht auf Mitwirkung bei der Gesetzgebung haben, sollten in der vordersten Linie des öffentlichen Lebens zu finden sein. Ihr „Milieu" verlangt die kräftigste Bethätigung im Staatsgetriebe. Sie sollten ihre materiellen Kräfte und das überkommne Ansehen opferwillig in den Dienst des Staates stellen. Sie dürften die Pflichten ihrer Ausnahmestellung nicht von sich abweisen. Das Vorrecht, das ihnen gewährt ist, hat nicht die Natur eines privatrecht¬ lichen Privilegiums, das nach Belieben benutzt werden kann, es fordert von den Spitzen der Aristokratie eine außergewöhnliche patriotische Hingebung. Sie sollten sich nicht zurückziehen, fondern voranstehen. Der Aufgaben, denen sie sich unterziehen könnten, sind viele, und jedem Einzelnen bieten sich solche, deren Bearbeitung ihn mit Befriedigung erfüllen kann. Die Familien des hohen preußischen Adels haben sich mit wenigen Aus¬ nahmen zu diesen Auffassungen noch nicht bequemt. Es ist ja begreiflich, daß die Häupter der großen Häuser keine große Neigung haben, eine büreau- kratische Beamtenkarriere zu durchlaufen. Das ist aber auch durchaus nicht nötig: die Bekleidung der hohen und höchsten Staatsümter in der innern und äußern Verwaltung ist nicht an diese Voraussetzung gebunden. Von den jüngern Söhnen könnte man erwarten, daß sie häufiger, als es der Fall ist, eine Beamtenlaufbahn wählten; aber es ist in dieser Beziehung kein sonderlicher Trieb zu bemerken. Die Mehrzahl begnügt sich mit den flott durchlebten Osfiziersjahren, dann treten sie mit dem Charakter als Rittmeister, Hauptmann oder Major aus dem Militärdienst zurück, ohne eine anderweite ähnliche Dienst¬ stellung zu begehren. Bei einer ganzen Anzahl dieser Häuser scheint es auf Überlieferung zu beruhen, dem preußischen Staate keine freiwilligen Dienste zu leisten. Dahin gehören namentlich mehrere von denen, die zwar mit einem Teile ihrer Besitzungen in Preußen angesessen sind, aber ihren wirtschaftlichen Mittelpunkt, zum Teil auch lebhafte Familienbeziehungen, von Alters her in einem andern deutschen oder außerdeutschen Staate haben. So ist z. B. in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/27>, abgerufen am 25.08.2024.