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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Kapital stetig in Kolonien abgeschoben werden müsse. Was man heute bei
uns nationale Wirtschaftspolitik nennt, das ist, wie der Leser bereits bemerkt
haben wird, nicht die Politik Lifts, sondern die Politik der sieben Fehler,
vervollständigt durch einen achten, nennten und zehnten Fehler. Man will
die Bewohner von Gebieten, die dazu zu klein sind, zwingen, sich selbst zu
genügen. Anstatt den Produktivkräften des Volks freien Spielraum zu schaffen,
fesselt man sie durch Erschwerung der Auswcmdrung und durch ein Übermaß
von Polizeivorschriften und Strafgesetzen. Man will die gewerbliche Bevölke¬
rung zwingen, den Grundbesitzern hohe Preise zu zahlen, und lähmt dadurch
die Gewerbe. Man klagt über allgemeine Absatzstockung, und wenn sich die
Lohnarbeiter höhere Löhne erzwingen wollen, wodurch sie in den Stand ge¬
setzt sein würden, mehr Güter zu kaufen, so nimmt sie der Staatsanwalt beim
Ohr. Man will viel Spiritus absetzen, und möchte gleichzeitig am liebsten
alle Leute einsperren, die Schnaps trinken. Man will den Überschuß der in¬
ländischen Erzeugnisse ans Ausland absetzen, aber aus dem Auslande nichts
hereinlassen, während doch unsre Ausfuhr mit gar nichts anderm als mit
Einfuhr bezahlt werden kann. Man fordert Schutzzölle, wo kein zu schützendes
und zu erziehendes Kindlein mehr vorhanden ist, da unsre Industrie, von der
Landwirtschaft gar nicht zu reden, auf dem höchsten Gipfel der Vollkommenheit
und Konkurrenzfähigkeit angelangt ist. Nicht um die Erziehung der Industrie
handelt es sich bei der heutigen Zollpolitik, sondern um zwei ganz andre
Dinge. Erstens um Finanzzölle, die unter dem Namen von Schutzzöllen er¬
hoben werden; dieser Name ist sehr bequem, die Thatsache zu verdecken, daß
unsre Reichen dasselbe thun, wie nach Lifts Ausspruch die englischen, nämlich
sich die Kosten der Staatseinrichtungen und Unternehmungen, die vorzugs¬
weise ihnen zu gute kommen, von den Armen bezahlen lassen. Zweitens ist
die neue sogenannte Schutzzöllnerei ein Krieg auf Tod und Leben zwischen
industriell gleich starken Konkurrenten, der kein andres Ergebnis haben kann
als allgemeine Erschöpfung. Es ist ein Wettklettern auf der Tarifleiter; hat
man eine gewisse Sprosse erreicht, so muß man wieder herunterklettern, denn
keine irdische Leiter reicht bis in den Himmel. Unsre Schutzzöllner freuen sich,
daß nun auch schon in England eine starke schutzzöllnerische Bewegung in
Nuß geraten sei, d. h. sie freuen sich darüber, daß uns demnächst auch der
bis jetzt offne englische Markt nächstens vielleicht erschwert oder gesperrt
werden wird, und offenbaren damit die Klugheit des Chinesen, der sich an
seines Feindes Thür hangt, in der Hoffnung, dieser werde dafür geköpft
werden. Ein Teil des Listschen Programms ist vom Zollverein verwirklicht
worden; was die neuere Zeit gutes hinzugefügt hat, das ist die Subvention
wu Dampferlinien, die Vervollständigung des Eisenbahnnetzes, der Bau von
Kanälen; das wichtigste und schwerste bleibt noch zu thun übrig.

(Schluß folgt)


Kapital stetig in Kolonien abgeschoben werden müsse. Was man heute bei
uns nationale Wirtschaftspolitik nennt, das ist, wie der Leser bereits bemerkt
haben wird, nicht die Politik Lifts, sondern die Politik der sieben Fehler,
vervollständigt durch einen achten, nennten und zehnten Fehler. Man will
die Bewohner von Gebieten, die dazu zu klein sind, zwingen, sich selbst zu
genügen. Anstatt den Produktivkräften des Volks freien Spielraum zu schaffen,
fesselt man sie durch Erschwerung der Auswcmdrung und durch ein Übermaß
von Polizeivorschriften und Strafgesetzen. Man will die gewerbliche Bevölke¬
rung zwingen, den Grundbesitzern hohe Preise zu zahlen, und lähmt dadurch
die Gewerbe. Man klagt über allgemeine Absatzstockung, und wenn sich die
Lohnarbeiter höhere Löhne erzwingen wollen, wodurch sie in den Stand ge¬
setzt sein würden, mehr Güter zu kaufen, so nimmt sie der Staatsanwalt beim
Ohr. Man will viel Spiritus absetzen, und möchte gleichzeitig am liebsten
alle Leute einsperren, die Schnaps trinken. Man will den Überschuß der in¬
ländischen Erzeugnisse ans Ausland absetzen, aber aus dem Auslande nichts
hereinlassen, während doch unsre Ausfuhr mit gar nichts anderm als mit
Einfuhr bezahlt werden kann. Man fordert Schutzzölle, wo kein zu schützendes
und zu erziehendes Kindlein mehr vorhanden ist, da unsre Industrie, von der
Landwirtschaft gar nicht zu reden, auf dem höchsten Gipfel der Vollkommenheit
und Konkurrenzfähigkeit angelangt ist. Nicht um die Erziehung der Industrie
handelt es sich bei der heutigen Zollpolitik, sondern um zwei ganz andre
Dinge. Erstens um Finanzzölle, die unter dem Namen von Schutzzöllen er¬
hoben werden; dieser Name ist sehr bequem, die Thatsache zu verdecken, daß
unsre Reichen dasselbe thun, wie nach Lifts Ausspruch die englischen, nämlich
sich die Kosten der Staatseinrichtungen und Unternehmungen, die vorzugs¬
weise ihnen zu gute kommen, von den Armen bezahlen lassen. Zweitens ist
die neue sogenannte Schutzzöllnerei ein Krieg auf Tod und Leben zwischen
industriell gleich starken Konkurrenten, der kein andres Ergebnis haben kann
als allgemeine Erschöpfung. Es ist ein Wettklettern auf der Tarifleiter; hat
man eine gewisse Sprosse erreicht, so muß man wieder herunterklettern, denn
keine irdische Leiter reicht bis in den Himmel. Unsre Schutzzöllner freuen sich,
daß nun auch schon in England eine starke schutzzöllnerische Bewegung in
Nuß geraten sei, d. h. sie freuen sich darüber, daß uns demnächst auch der
bis jetzt offne englische Markt nächstens vielleicht erschwert oder gesperrt
werden wird, und offenbaren damit die Klugheit des Chinesen, der sich an
seines Feindes Thür hangt, in der Hoffnung, dieser werde dafür geköpft
werden. Ein Teil des Listschen Programms ist vom Zollverein verwirklicht
worden; was die neuere Zeit gutes hinzugefügt hat, das ist die Subvention
wu Dampferlinien, die Vervollständigung des Eisenbahnnetzes, der Bau von
Kanälen; das wichtigste und schwerste bleibt noch zu thun übrig.

(Schluß folgt)


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[0267] Kapital stetig in Kolonien abgeschoben werden müsse. Was man heute bei uns nationale Wirtschaftspolitik nennt, das ist, wie der Leser bereits bemerkt haben wird, nicht die Politik Lifts, sondern die Politik der sieben Fehler, vervollständigt durch einen achten, nennten und zehnten Fehler. Man will die Bewohner von Gebieten, die dazu zu klein sind, zwingen, sich selbst zu genügen. Anstatt den Produktivkräften des Volks freien Spielraum zu schaffen, fesselt man sie durch Erschwerung der Auswcmdrung und durch ein Übermaß von Polizeivorschriften und Strafgesetzen. Man will die gewerbliche Bevölke¬ rung zwingen, den Grundbesitzern hohe Preise zu zahlen, und lähmt dadurch die Gewerbe. Man klagt über allgemeine Absatzstockung, und wenn sich die Lohnarbeiter höhere Löhne erzwingen wollen, wodurch sie in den Stand ge¬ setzt sein würden, mehr Güter zu kaufen, so nimmt sie der Staatsanwalt beim Ohr. Man will viel Spiritus absetzen, und möchte gleichzeitig am liebsten alle Leute einsperren, die Schnaps trinken. Man will den Überschuß der in¬ ländischen Erzeugnisse ans Ausland absetzen, aber aus dem Auslande nichts hereinlassen, während doch unsre Ausfuhr mit gar nichts anderm als mit Einfuhr bezahlt werden kann. Man fordert Schutzzölle, wo kein zu schützendes und zu erziehendes Kindlein mehr vorhanden ist, da unsre Industrie, von der Landwirtschaft gar nicht zu reden, auf dem höchsten Gipfel der Vollkommenheit und Konkurrenzfähigkeit angelangt ist. Nicht um die Erziehung der Industrie handelt es sich bei der heutigen Zollpolitik, sondern um zwei ganz andre Dinge. Erstens um Finanzzölle, die unter dem Namen von Schutzzöllen er¬ hoben werden; dieser Name ist sehr bequem, die Thatsache zu verdecken, daß unsre Reichen dasselbe thun, wie nach Lifts Ausspruch die englischen, nämlich sich die Kosten der Staatseinrichtungen und Unternehmungen, die vorzugs¬ weise ihnen zu gute kommen, von den Armen bezahlen lassen. Zweitens ist die neue sogenannte Schutzzöllnerei ein Krieg auf Tod und Leben zwischen industriell gleich starken Konkurrenten, der kein andres Ergebnis haben kann als allgemeine Erschöpfung. Es ist ein Wettklettern auf der Tarifleiter; hat man eine gewisse Sprosse erreicht, so muß man wieder herunterklettern, denn keine irdische Leiter reicht bis in den Himmel. Unsre Schutzzöllner freuen sich, daß nun auch schon in England eine starke schutzzöllnerische Bewegung in Nuß geraten sei, d. h. sie freuen sich darüber, daß uns demnächst auch der bis jetzt offne englische Markt nächstens vielleicht erschwert oder gesperrt werden wird, und offenbaren damit die Klugheit des Chinesen, der sich an seines Feindes Thür hangt, in der Hoffnung, dieser werde dafür geköpft werden. Ein Teil des Listschen Programms ist vom Zollverein verwirklicht worden; was die neuere Zeit gutes hinzugefügt hat, das ist die Subvention wu Dampferlinien, die Vervollständigung des Eisenbahnnetzes, der Bau von Kanälen; das wichtigste und schwerste bleibt noch zu thun übrig. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/267>, abgerufen am 27.08.2024.