Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
List und "Larey

legenden bietet, den Überfluß an einheimischen Agrikulturprodukten und Roh¬
stoffen gegen fremde Manufakturwaren zu vertauschen; je mehr die Nation
dabei noch in Barbarei versunken ist und einer absolut monarchischen Re¬
gierungsform und Gesetzgebung bedarf, um so förderlicher wird der freie
Handel, d. h. die Ausfuhr von Agrikulturprodukten und die Einfuhr von Manu¬
fakturwaren, ihrem Wohlstande und ihrer Zivilisation sein." (S. 260.) Erst
wenn die Produktionskräfte der Nation so weit entwickelt sind, daß sie Aus¬
sicht hat, konkurrenzfähig zu werden, darf sie anfangen, vorsichtig niedrige
Schutzzölle einzuführen, die dann in dem Maße, als die ausländischen Waren
überflüssig werden, allmählich zu erhöhen find. (Unter den Produktivkräften
nehmen die geistigen den höchsten Rang ein; daher konnten den Deutschen,
Franzosen und Nordamerikanern die Schutzzölle nützen, während die Russen
durch jede Zollsperre nur immer tiefer ins Elend geraten; sie stehen heute
noch auf jener barbarischen Stufe, die der unbeschränkten Handelsfreiheit be¬
darf.) Prohibitivzölle sind, außer als schnell vorübergehendes Kampfmittel,
verwerflich, Handelsverträge dagegen nützlich (S. 446), nur vom Standpunkte
des absoluten Freihandels kann man sie bekämpfen, wie Smith gethan hat;
wenn Schutzzöllner Feinde von'Handelsverträgen sind, so wissen sie nicht, was
sie wollen und was sie thun. Ist ein Staat konkurrenzfähig, das Erziehungs¬
mittel also überflüssig geworden, so haben die Zollschranken zu fallen. Eng¬
land habe einen großen Fehler begangen und zugleich seinen Konkurrenten
einen großen Gefallen damit erwiesen, daß es nicht rechtzeitig die Krücken voll-
stündig weggeworfen habe. Die allergrößte Thorheit aber, sagt List, hat es
mit Einführung der Kornzölle begangen. Zölle auf Nahrungsmittel und Roh¬
stoffe sind unter allen Umständen verwerflich, sie wirken ganz anders, wie die
Schutzzölle auf Erzeugnisse des Gewerbes. Ganz thöricht sei es, wenn die
Landwirte die Agrarzölle als eine ihnen gebührende Entschädigung für die
Bewilligung von Jndustriezöllen forderten. "Wenn früher die Grundbesitzer
Opfer brachten, um eine eigne Nationalmanufakturkraft zu pflanzen, so thaten
sie, was der Agriknlturist in der Wildnis thut, wenn er Opfer bringt, damit
in seiner Nähe eine Mahlmühle oder ein Eisenhammer angelegt werde. Wenn
die Grundbesitzer nunmehr auch Schutz für ihre Agrikultur verlangen, so thun
sie, was jene Grundbesitzer thun würden, wenn sie, nachdem die Mühle mit
ihrer Beihilfe errichtet worden ist, von dem Müller verlangten, daß er ihnen
ihre Felder bestellen helfe." Die Landwirte könnten ohne Gewerbe nicht wohl¬
habend werden, die Gewerbe aber könnten nicht blühen ohne billige Rohstoffe
und Lebensmittel; indem ihnen die Grundbesitzer beides verteuerten, schlachteten
sie die Henne, die ihnen goldne Eier legte. (S. 357; vgl. noch S. XXX bis
XXXI, S. 25, 28, 266 bis 267, 306 bis 309, 504.) List behandelt den
reinen Agrikulturstaat, dessen Bevölkerung arm, roh und ohnmächtig bleiben
müsse, geringschätzig, tadelt Smith und die Physiokraten, daß sie das Land-


List und «Larey

legenden bietet, den Überfluß an einheimischen Agrikulturprodukten und Roh¬
stoffen gegen fremde Manufakturwaren zu vertauschen; je mehr die Nation
dabei noch in Barbarei versunken ist und einer absolut monarchischen Re¬
gierungsform und Gesetzgebung bedarf, um so förderlicher wird der freie
Handel, d. h. die Ausfuhr von Agrikulturprodukten und die Einfuhr von Manu¬
fakturwaren, ihrem Wohlstande und ihrer Zivilisation sein." (S. 260.) Erst
wenn die Produktionskräfte der Nation so weit entwickelt sind, daß sie Aus¬
sicht hat, konkurrenzfähig zu werden, darf sie anfangen, vorsichtig niedrige
Schutzzölle einzuführen, die dann in dem Maße, als die ausländischen Waren
überflüssig werden, allmählich zu erhöhen find. (Unter den Produktivkräften
nehmen die geistigen den höchsten Rang ein; daher konnten den Deutschen,
Franzosen und Nordamerikanern die Schutzzölle nützen, während die Russen
durch jede Zollsperre nur immer tiefer ins Elend geraten; sie stehen heute
noch auf jener barbarischen Stufe, die der unbeschränkten Handelsfreiheit be¬
darf.) Prohibitivzölle sind, außer als schnell vorübergehendes Kampfmittel,
verwerflich, Handelsverträge dagegen nützlich (S. 446), nur vom Standpunkte
des absoluten Freihandels kann man sie bekämpfen, wie Smith gethan hat;
wenn Schutzzöllner Feinde von'Handelsverträgen sind, so wissen sie nicht, was
sie wollen und was sie thun. Ist ein Staat konkurrenzfähig, das Erziehungs¬
mittel also überflüssig geworden, so haben die Zollschranken zu fallen. Eng¬
land habe einen großen Fehler begangen und zugleich seinen Konkurrenten
einen großen Gefallen damit erwiesen, daß es nicht rechtzeitig die Krücken voll-
stündig weggeworfen habe. Die allergrößte Thorheit aber, sagt List, hat es
mit Einführung der Kornzölle begangen. Zölle auf Nahrungsmittel und Roh¬
stoffe sind unter allen Umständen verwerflich, sie wirken ganz anders, wie die
Schutzzölle auf Erzeugnisse des Gewerbes. Ganz thöricht sei es, wenn die
Landwirte die Agrarzölle als eine ihnen gebührende Entschädigung für die
Bewilligung von Jndustriezöllen forderten. „Wenn früher die Grundbesitzer
Opfer brachten, um eine eigne Nationalmanufakturkraft zu pflanzen, so thaten
sie, was der Agriknlturist in der Wildnis thut, wenn er Opfer bringt, damit
in seiner Nähe eine Mahlmühle oder ein Eisenhammer angelegt werde. Wenn
die Grundbesitzer nunmehr auch Schutz für ihre Agrikultur verlangen, so thun
sie, was jene Grundbesitzer thun würden, wenn sie, nachdem die Mühle mit
ihrer Beihilfe errichtet worden ist, von dem Müller verlangten, daß er ihnen
ihre Felder bestellen helfe." Die Landwirte könnten ohne Gewerbe nicht wohl¬
habend werden, die Gewerbe aber könnten nicht blühen ohne billige Rohstoffe
und Lebensmittel; indem ihnen die Grundbesitzer beides verteuerten, schlachteten
sie die Henne, die ihnen goldne Eier legte. (S. 357; vgl. noch S. XXX bis
XXXI, S. 25, 28, 266 bis 267, 306 bis 309, 504.) List behandelt den
reinen Agrikulturstaat, dessen Bevölkerung arm, roh und ohnmächtig bleiben
müsse, geringschätzig, tadelt Smith und die Physiokraten, daß sie das Land-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219939"/>
          <fw type="header" place="top"> List und «Larey</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_936" prev="#ID_935" next="#ID_937"> legenden bietet, den Überfluß an einheimischen Agrikulturprodukten und Roh¬<lb/>
stoffen gegen fremde Manufakturwaren zu vertauschen; je mehr die Nation<lb/>
dabei noch in Barbarei versunken ist und einer absolut monarchischen Re¬<lb/>
gierungsform und Gesetzgebung bedarf, um so förderlicher wird der freie<lb/>
Handel, d. h. die Ausfuhr von Agrikulturprodukten und die Einfuhr von Manu¬<lb/>
fakturwaren, ihrem Wohlstande und ihrer Zivilisation sein." (S. 260.) Erst<lb/>
wenn die Produktionskräfte der Nation so weit entwickelt sind, daß sie Aus¬<lb/>
sicht hat, konkurrenzfähig zu werden, darf sie anfangen, vorsichtig niedrige<lb/>
Schutzzölle einzuführen, die dann in dem Maße, als die ausländischen Waren<lb/>
überflüssig werden, allmählich zu erhöhen find. (Unter den Produktivkräften<lb/>
nehmen die geistigen den höchsten Rang ein; daher konnten den Deutschen,<lb/>
Franzosen und Nordamerikanern die Schutzzölle nützen, während die Russen<lb/>
durch jede Zollsperre nur immer tiefer ins Elend geraten; sie stehen heute<lb/>
noch auf jener barbarischen Stufe, die der unbeschränkten Handelsfreiheit be¬<lb/>
darf.) Prohibitivzölle sind, außer als schnell vorübergehendes Kampfmittel,<lb/>
verwerflich, Handelsverträge dagegen nützlich (S. 446), nur vom Standpunkte<lb/>
des absoluten Freihandels kann man sie bekämpfen, wie Smith gethan hat;<lb/>
wenn Schutzzöllner Feinde von'Handelsverträgen sind, so wissen sie nicht, was<lb/>
sie wollen und was sie thun. Ist ein Staat konkurrenzfähig, das Erziehungs¬<lb/>
mittel also überflüssig geworden, so haben die Zollschranken zu fallen. Eng¬<lb/>
land habe einen großen Fehler begangen und zugleich seinen Konkurrenten<lb/>
einen großen Gefallen damit erwiesen, daß es nicht rechtzeitig die Krücken voll-<lb/>
stündig weggeworfen habe. Die allergrößte Thorheit aber, sagt List, hat es<lb/>
mit Einführung der Kornzölle begangen. Zölle auf Nahrungsmittel und Roh¬<lb/>
stoffe sind unter allen Umständen verwerflich, sie wirken ganz anders, wie die<lb/>
Schutzzölle auf Erzeugnisse des Gewerbes. Ganz thöricht sei es, wenn die<lb/>
Landwirte die Agrarzölle als eine ihnen gebührende Entschädigung für die<lb/>
Bewilligung von Jndustriezöllen forderten. &#x201E;Wenn früher die Grundbesitzer<lb/>
Opfer brachten, um eine eigne Nationalmanufakturkraft zu pflanzen, so thaten<lb/>
sie, was der Agriknlturist in der Wildnis thut, wenn er Opfer bringt, damit<lb/>
in seiner Nähe eine Mahlmühle oder ein Eisenhammer angelegt werde. Wenn<lb/>
die Grundbesitzer nunmehr auch Schutz für ihre Agrikultur verlangen, so thun<lb/>
sie, was jene Grundbesitzer thun würden, wenn sie, nachdem die Mühle mit<lb/>
ihrer Beihilfe errichtet worden ist, von dem Müller verlangten, daß er ihnen<lb/>
ihre Felder bestellen helfe." Die Landwirte könnten ohne Gewerbe nicht wohl¬<lb/>
habend werden, die Gewerbe aber könnten nicht blühen ohne billige Rohstoffe<lb/>
und Lebensmittel; indem ihnen die Grundbesitzer beides verteuerten, schlachteten<lb/>
sie die Henne, die ihnen goldne Eier legte. (S. 357; vgl. noch S. XXX bis<lb/>
XXXI, S. 25, 28, 266 bis 267, 306 bis 309, 504.) List behandelt den<lb/>
reinen Agrikulturstaat, dessen Bevölkerung arm, roh und ohnmächtig bleiben<lb/>
müsse, geringschätzig, tadelt Smith und die Physiokraten, daß sie das Land-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] List und «Larey legenden bietet, den Überfluß an einheimischen Agrikulturprodukten und Roh¬ stoffen gegen fremde Manufakturwaren zu vertauschen; je mehr die Nation dabei noch in Barbarei versunken ist und einer absolut monarchischen Re¬ gierungsform und Gesetzgebung bedarf, um so förderlicher wird der freie Handel, d. h. die Ausfuhr von Agrikulturprodukten und die Einfuhr von Manu¬ fakturwaren, ihrem Wohlstande und ihrer Zivilisation sein." (S. 260.) Erst wenn die Produktionskräfte der Nation so weit entwickelt sind, daß sie Aus¬ sicht hat, konkurrenzfähig zu werden, darf sie anfangen, vorsichtig niedrige Schutzzölle einzuführen, die dann in dem Maße, als die ausländischen Waren überflüssig werden, allmählich zu erhöhen find. (Unter den Produktivkräften nehmen die geistigen den höchsten Rang ein; daher konnten den Deutschen, Franzosen und Nordamerikanern die Schutzzölle nützen, während die Russen durch jede Zollsperre nur immer tiefer ins Elend geraten; sie stehen heute noch auf jener barbarischen Stufe, die der unbeschränkten Handelsfreiheit be¬ darf.) Prohibitivzölle sind, außer als schnell vorübergehendes Kampfmittel, verwerflich, Handelsverträge dagegen nützlich (S. 446), nur vom Standpunkte des absoluten Freihandels kann man sie bekämpfen, wie Smith gethan hat; wenn Schutzzöllner Feinde von'Handelsverträgen sind, so wissen sie nicht, was sie wollen und was sie thun. Ist ein Staat konkurrenzfähig, das Erziehungs¬ mittel also überflüssig geworden, so haben die Zollschranken zu fallen. Eng¬ land habe einen großen Fehler begangen und zugleich seinen Konkurrenten einen großen Gefallen damit erwiesen, daß es nicht rechtzeitig die Krücken voll- stündig weggeworfen habe. Die allergrößte Thorheit aber, sagt List, hat es mit Einführung der Kornzölle begangen. Zölle auf Nahrungsmittel und Roh¬ stoffe sind unter allen Umständen verwerflich, sie wirken ganz anders, wie die Schutzzölle auf Erzeugnisse des Gewerbes. Ganz thöricht sei es, wenn die Landwirte die Agrarzölle als eine ihnen gebührende Entschädigung für die Bewilligung von Jndustriezöllen forderten. „Wenn früher die Grundbesitzer Opfer brachten, um eine eigne Nationalmanufakturkraft zu pflanzen, so thaten sie, was der Agriknlturist in der Wildnis thut, wenn er Opfer bringt, damit in seiner Nähe eine Mahlmühle oder ein Eisenhammer angelegt werde. Wenn die Grundbesitzer nunmehr auch Schutz für ihre Agrikultur verlangen, so thun sie, was jene Grundbesitzer thun würden, wenn sie, nachdem die Mühle mit ihrer Beihilfe errichtet worden ist, von dem Müller verlangten, daß er ihnen ihre Felder bestellen helfe." Die Landwirte könnten ohne Gewerbe nicht wohl¬ habend werden, die Gewerbe aber könnten nicht blühen ohne billige Rohstoffe und Lebensmittel; indem ihnen die Grundbesitzer beides verteuerten, schlachteten sie die Henne, die ihnen goldne Eier legte. (S. 357; vgl. noch S. XXX bis XXXI, S. 25, 28, 266 bis 267, 306 bis 309, 504.) List behandelt den reinen Agrikulturstaat, dessen Bevölkerung arm, roh und ohnmächtig bleiben müsse, geringschätzig, tadelt Smith und die Physiokraten, daß sie das Land-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/263>, abgerufen am 23.12.2024.