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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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List und Larey

waren und die Einfuhr fremder Rohstoffe." List selbst sagt Seite 24: "Man
kann als Regel aufstellen, daß eine Nation um so reicher und mächtiger ist,
je mehr sie Mauufakturprodukte exportirt, je mehr sie Rohstoffe importirt und
je mehr sie an Produkten der heißen Zone konsumirt."

Den Erfolgen dieser Politik versetzte der amerikanische Unabhängigkeits¬
krieg*) den ersten, die Kontinentalsperre den zweiten Stoß. Der Krieg be¬
raubte England nicht allein eines ungeheuern Kolonialgebiets, sondern begründete
auch eine eigne Industrie in den Vereinigten Staaten, die nach Lifts Ansicht
nur den Fehler begingen, nicht folgerichtig genug beim Ausschluß englischer
Waren zu beharren. Dieselbe Wirkung brachte die Kontinentalsperre in Deutsch¬
land und Frankreich hervor; Napoleon wird daher von List als größtes poli¬
tisches Genie gefeiert, an dem nur die maßlose Herrschsucht zu beklagen sei. Um
die in Amerika, Deutschland und Frankreich neu begründeten Industrien wieder
zu vernichten, fingen jetzt die Engländer an. den Völkern die Sandhase Frei¬
handelstheorie zu predigen, denn, wie ein Amerikaner witzig bemerkt hat, die
Engländer fabriziren ihre Theorien wie ihre Waren weniger für den eignen
Bedarf als für den Export. Sie selbst machten davon nur soweit Gebrauch,
als es ihnen zuträglich schien, und führten sogar agrarische Schutzzölle ein,
womit sie allerdings nach Lifts Ansicht eine Dummheit begingen.

Zur Durchführung ihrer Handelspolitik zettelten die Engländer unzählige
Kriege an. Diese waren, wie List beweist, nicht allein als Mittel zum Zweck,
sondern an sich vorteilhaft, indem sie den Bedarf an Schiffen und Jndustrie-
erzeugnissen steigerten und den Engländern Gelegenheit gaben, ihren lieben
Bundesgenossen Subsidien zu zahlen und sie damit auszusaugen, wie vormals
die Römer die Staaten ausgesaugt hatten, die so unglücklich waren, für Freunde
des römischen Volks erklärt zu werden. Denn die gezählten Subsidien wurden
regelmäßig in englische Fabrikate umgesetzt, bereicherten so die Engländer und
erstickten das Gewerbe der Bundesgenossen, während die Feinde durch den
Krieg zur gewerblichen Selbständigkeit gezwungen wurden und so Vorteil davon
hatten. Auch die ungeheure Staatsschuld, die sich England durch seine Kriege
zugezogen hat, "wäre kein so großes Übel, als es uns jetzt scheint, wollte
Englands Aristokratie zugeben, daß diese Last von denjenigen getragen werde,
welchen der Kriegsaufwand zugute gekommen ist -- von den Reichen. Nach
M'Queen beträgt das Kapitalvermögen der drei Königreiche über 4000 Mil¬
lionen Pfund Sterl., und Martin schätzt die in den Kolonien angelegten Ka¬
pitale auf ungefähr 2600 Millionen. Hieraus ergiebt sich, daß der neunte
Teil des englischen Privatvermögens zureichen würde, die ganze Staatsschuld



*) Es ist bezeichnend für den Zustand unsrer Volksbildung, daß in verbreiteten Hand¬
büchern immer noch der Steuerstreit, der nur die Veranlassung zum Abfall war, als die
"gentliche Ursache erscheint. Was die Kolonisten erbittert hatte, war die Tyrannei, mit der
das Mutterland jeden Versuch, eine einheimische Industrie zu begründen, unterdrückte.
List und Larey

waren und die Einfuhr fremder Rohstoffe." List selbst sagt Seite 24: „Man
kann als Regel aufstellen, daß eine Nation um so reicher und mächtiger ist,
je mehr sie Mauufakturprodukte exportirt, je mehr sie Rohstoffe importirt und
je mehr sie an Produkten der heißen Zone konsumirt."

Den Erfolgen dieser Politik versetzte der amerikanische Unabhängigkeits¬
krieg*) den ersten, die Kontinentalsperre den zweiten Stoß. Der Krieg be¬
raubte England nicht allein eines ungeheuern Kolonialgebiets, sondern begründete
auch eine eigne Industrie in den Vereinigten Staaten, die nach Lifts Ansicht
nur den Fehler begingen, nicht folgerichtig genug beim Ausschluß englischer
Waren zu beharren. Dieselbe Wirkung brachte die Kontinentalsperre in Deutsch¬
land und Frankreich hervor; Napoleon wird daher von List als größtes poli¬
tisches Genie gefeiert, an dem nur die maßlose Herrschsucht zu beklagen sei. Um
die in Amerika, Deutschland und Frankreich neu begründeten Industrien wieder
zu vernichten, fingen jetzt die Engländer an. den Völkern die Sandhase Frei¬
handelstheorie zu predigen, denn, wie ein Amerikaner witzig bemerkt hat, die
Engländer fabriziren ihre Theorien wie ihre Waren weniger für den eignen
Bedarf als für den Export. Sie selbst machten davon nur soweit Gebrauch,
als es ihnen zuträglich schien, und führten sogar agrarische Schutzzölle ein,
womit sie allerdings nach Lifts Ansicht eine Dummheit begingen.

Zur Durchführung ihrer Handelspolitik zettelten die Engländer unzählige
Kriege an. Diese waren, wie List beweist, nicht allein als Mittel zum Zweck,
sondern an sich vorteilhaft, indem sie den Bedarf an Schiffen und Jndustrie-
erzeugnissen steigerten und den Engländern Gelegenheit gaben, ihren lieben
Bundesgenossen Subsidien zu zahlen und sie damit auszusaugen, wie vormals
die Römer die Staaten ausgesaugt hatten, die so unglücklich waren, für Freunde
des römischen Volks erklärt zu werden. Denn die gezählten Subsidien wurden
regelmäßig in englische Fabrikate umgesetzt, bereicherten so die Engländer und
erstickten das Gewerbe der Bundesgenossen, während die Feinde durch den
Krieg zur gewerblichen Selbständigkeit gezwungen wurden und so Vorteil davon
hatten. Auch die ungeheure Staatsschuld, die sich England durch seine Kriege
zugezogen hat, „wäre kein so großes Übel, als es uns jetzt scheint, wollte
Englands Aristokratie zugeben, daß diese Last von denjenigen getragen werde,
welchen der Kriegsaufwand zugute gekommen ist — von den Reichen. Nach
M'Queen beträgt das Kapitalvermögen der drei Königreiche über 4000 Mil¬
lionen Pfund Sterl., und Martin schätzt die in den Kolonien angelegten Ka¬
pitale auf ungefähr 2600 Millionen. Hieraus ergiebt sich, daß der neunte
Teil des englischen Privatvermögens zureichen würde, die ganze Staatsschuld



*) Es ist bezeichnend für den Zustand unsrer Volksbildung, daß in verbreiteten Hand¬
büchern immer noch der Steuerstreit, der nur die Veranlassung zum Abfall war, als die
"gentliche Ursache erscheint. Was die Kolonisten erbittert hatte, war die Tyrannei, mit der
das Mutterland jeden Versuch, eine einheimische Industrie zu begründen, unterdrückte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/259>, abgerufen am 28.08.2024.