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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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ist bildlich. Ccilderon schmückt seinen Dialog mit ausgesponnenen und Prächtigen
Vergleichungen. Lope de Vega vergleicht nichts, sondern beinahe jeder seiner Aus¬
drücke hat eine sinnliche Gewalt, und das Bild ist nicht eine Ausschmückung, sondern
die Sache selbst." "Während bei Ccilderon alles, selbst der tiefste Gedanke, auf
die Oberfläche herausgeworfen wird, hat Lope de Vega, dieser oberflächlich schei¬
nende Dichter, eine Innigkeit, die häufig bis zum Fehlerhafter geht." "Lope ist
natürlich, was aber das Übernatürliche, ja das Unmögliche nicht ausschließt; Cal-
deron ist künstlich, ohne darum auf das Unmögliche und Übernatürliche Verzicht
zu leisten. Lope geht aber von der natürlichen Empfindungsweise des Spaniers
zu jeder Zeit aus; Calderon nimmt die künstliche Verbildung seiner Zeit zum Aus¬
gangspunkt."

Was Lope bei Grillparzer über den großen dramatischen Techniker und Sen¬
tenzenlehrer Ccilderon zum Siege verhalf, scheint schließlich die Rücksicht auf die
eigne schöpferische Thätigkeit gewesen zu sein. Er fühlte sich ihm gegenüber frisch,
neu, unbefangen, während ihn Shakespeare z. B, nach einem stark ausgedrückten
Bekenntnis lahm legte. Er hütete sich vor "dem Riesen Shakespeare," der "sich
selbst an die Stelle der Natur setzte, deren herrlichstes Organ er war. Wer sich
ihm ergiebt, dem wird jede Frage, an ihn gestellt, ewig nur er beantworten. Nichts
mehr von Shakespeare!" Daß ihm Lope das Recht seiner Selbständigkeit ließ,
daß er ihn erquickte, ohne ihn etwas zu lehren, daß sich gar nichts von ihm ent¬
lehnen ließ, das dankte er ihm. Er nahm ihn ganz in sich auf, er ließ sich von
ihm "eigentlich in die Poesie einführen." Durch ihn mit Poesie gesättigt, fühlte
er sich selbst wieder Dichter. So wenig unmittelbar "Nachweisbares" die Exakten,
nach denen es immer einer vom andern hat, zwischen Grillparzer und Lope heraus-
dissertiren können, so sehr bezieht sich gerade ans Lope Grillparzers Ausspruch:
"Die Spanier regen mich zur Produktion an."

In diesem angemessenen Sinne und höherm Geiste hat nun Farinelli seine
Untersuchungen über die besondern Beziehungen zwischen den Werken der beiden
Dichter durchgeführt. Wir begegnen nicht auf Schritt und Tritt jenen entsetzlichen
"Einflüssen," die immer den Eindruck hervorrufen, als ob die Dichter gleich ihren
"litterarisch geschulten" Nachschnüfflern auf irgend einer königlichen Bibliothek
zwischen Haufen von Büchern gearbeitet hätten. Es gehört eine so ausgiebige und
genaue Kenntnis des spanischen Theaters und gar des unendlichen Lope dazu, wie
sie unserm Italiener zur Verfügung steht; es gehört ferner Takt, Geschmack und
poetischer Sinn dazu, wie sie sich nicht immer mit einer solchen Kenntnis Paare,
um in so anspruchsloser, dafür aber erschöpfender und überzeugender Weise die
Beziehungen zu sammeln, die zwischen den Schöpfungen unsers großen öster¬
reichischen Dichters und seinem spanischen Lieblingsdichter wirklich bestehen. Scherers
Meinung, Grillparzers "Phryxus in Kolchis" sei in Lopes "Columbus in der
neuen Welt" (Uuovo munäo äWoubisito xor vristoval volcm), das goldne Vließ
des Griechen im Kreuz des spanischen Entdeckers wiederzufinden, teilt Farinelli
nicht, schon aus chronologischen Gründen. Dagegen steht es ihm fest, daß für Grill¬
parzers "Ottokar" bereits die Kenntnis der Lopischen Bearbeitung dieses öster¬
reichischen Stoffs I^ce imxvrilU as Oton Vorauszusetzen sei. Ist es aber hier nur
der gleiche Stoff, über dem Farinelli die noch gänzlich von Lope freie Behandlung
des Österreichers nicht verkennt, so weist er um so entschiedner das Auftreten
Lopischer Eigentümlichkeit in Grillparzers Bankbanustragödie ("Ein treuer Diener
seines Herrn") nach. Gerade hier fehlt wieder ein stofflicher Anhalt bei Lope.
Denn nur der Grundgedanke des Stücks findet sich bei Lope wieder in dem in-


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ist bildlich. Ccilderon schmückt seinen Dialog mit ausgesponnenen und Prächtigen
Vergleichungen. Lope de Vega vergleicht nichts, sondern beinahe jeder seiner Aus¬
drücke hat eine sinnliche Gewalt, und das Bild ist nicht eine Ausschmückung, sondern
die Sache selbst." „Während bei Ccilderon alles, selbst der tiefste Gedanke, auf
die Oberfläche herausgeworfen wird, hat Lope de Vega, dieser oberflächlich schei¬
nende Dichter, eine Innigkeit, die häufig bis zum Fehlerhafter geht." „Lope ist
natürlich, was aber das Übernatürliche, ja das Unmögliche nicht ausschließt; Cal-
deron ist künstlich, ohne darum auf das Unmögliche und Übernatürliche Verzicht
zu leisten. Lope geht aber von der natürlichen Empfindungsweise des Spaniers
zu jeder Zeit aus; Calderon nimmt die künstliche Verbildung seiner Zeit zum Aus¬
gangspunkt."

Was Lope bei Grillparzer über den großen dramatischen Techniker und Sen¬
tenzenlehrer Ccilderon zum Siege verhalf, scheint schließlich die Rücksicht auf die
eigne schöpferische Thätigkeit gewesen zu sein. Er fühlte sich ihm gegenüber frisch,
neu, unbefangen, während ihn Shakespeare z. B, nach einem stark ausgedrückten
Bekenntnis lahm legte. Er hütete sich vor „dem Riesen Shakespeare," der „sich
selbst an die Stelle der Natur setzte, deren herrlichstes Organ er war. Wer sich
ihm ergiebt, dem wird jede Frage, an ihn gestellt, ewig nur er beantworten. Nichts
mehr von Shakespeare!" Daß ihm Lope das Recht seiner Selbständigkeit ließ,
daß er ihn erquickte, ohne ihn etwas zu lehren, daß sich gar nichts von ihm ent¬
lehnen ließ, das dankte er ihm. Er nahm ihn ganz in sich auf, er ließ sich von
ihm „eigentlich in die Poesie einführen." Durch ihn mit Poesie gesättigt, fühlte
er sich selbst wieder Dichter. So wenig unmittelbar „Nachweisbares" die Exakten,
nach denen es immer einer vom andern hat, zwischen Grillparzer und Lope heraus-
dissertiren können, so sehr bezieht sich gerade ans Lope Grillparzers Ausspruch:
„Die Spanier regen mich zur Produktion an."

In diesem angemessenen Sinne und höherm Geiste hat nun Farinelli seine
Untersuchungen über die besondern Beziehungen zwischen den Werken der beiden
Dichter durchgeführt. Wir begegnen nicht auf Schritt und Tritt jenen entsetzlichen
„Einflüssen," die immer den Eindruck hervorrufen, als ob die Dichter gleich ihren
„litterarisch geschulten" Nachschnüfflern auf irgend einer königlichen Bibliothek
zwischen Haufen von Büchern gearbeitet hätten. Es gehört eine so ausgiebige und
genaue Kenntnis des spanischen Theaters und gar des unendlichen Lope dazu, wie
sie unserm Italiener zur Verfügung steht; es gehört ferner Takt, Geschmack und
poetischer Sinn dazu, wie sie sich nicht immer mit einer solchen Kenntnis Paare,
um in so anspruchsloser, dafür aber erschöpfender und überzeugender Weise die
Beziehungen zu sammeln, die zwischen den Schöpfungen unsers großen öster¬
reichischen Dichters und seinem spanischen Lieblingsdichter wirklich bestehen. Scherers
Meinung, Grillparzers „Phryxus in Kolchis" sei in Lopes „Columbus in der
neuen Welt" (Uuovo munäo äWoubisito xor vristoval volcm), das goldne Vließ
des Griechen im Kreuz des spanischen Entdeckers wiederzufinden, teilt Farinelli
nicht, schon aus chronologischen Gründen. Dagegen steht es ihm fest, daß für Grill¬
parzers „Ottokar" bereits die Kenntnis der Lopischen Bearbeitung dieses öster¬
reichischen Stoffs I^ce imxvrilU as Oton Vorauszusetzen sei. Ist es aber hier nur
der gleiche Stoff, über dem Farinelli die noch gänzlich von Lope freie Behandlung
des Österreichers nicht verkennt, so weist er um so entschiedner das Auftreten
Lopischer Eigentümlichkeit in Grillparzers Bankbanustragödie („Ein treuer Diener
seines Herrn") nach. Gerade hier fehlt wieder ein stofflicher Anhalt bei Lope.
Denn nur der Grundgedanke des Stücks findet sich bei Lope wieder in dem in-


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[0255] Litteratur ist bildlich. Ccilderon schmückt seinen Dialog mit ausgesponnenen und Prächtigen Vergleichungen. Lope de Vega vergleicht nichts, sondern beinahe jeder seiner Aus¬ drücke hat eine sinnliche Gewalt, und das Bild ist nicht eine Ausschmückung, sondern die Sache selbst." „Während bei Ccilderon alles, selbst der tiefste Gedanke, auf die Oberfläche herausgeworfen wird, hat Lope de Vega, dieser oberflächlich schei¬ nende Dichter, eine Innigkeit, die häufig bis zum Fehlerhafter geht." „Lope ist natürlich, was aber das Übernatürliche, ja das Unmögliche nicht ausschließt; Cal- deron ist künstlich, ohne darum auf das Unmögliche und Übernatürliche Verzicht zu leisten. Lope geht aber von der natürlichen Empfindungsweise des Spaniers zu jeder Zeit aus; Calderon nimmt die künstliche Verbildung seiner Zeit zum Aus¬ gangspunkt." Was Lope bei Grillparzer über den großen dramatischen Techniker und Sen¬ tenzenlehrer Ccilderon zum Siege verhalf, scheint schließlich die Rücksicht auf die eigne schöpferische Thätigkeit gewesen zu sein. Er fühlte sich ihm gegenüber frisch, neu, unbefangen, während ihn Shakespeare z. B, nach einem stark ausgedrückten Bekenntnis lahm legte. Er hütete sich vor „dem Riesen Shakespeare," der „sich selbst an die Stelle der Natur setzte, deren herrlichstes Organ er war. Wer sich ihm ergiebt, dem wird jede Frage, an ihn gestellt, ewig nur er beantworten. Nichts mehr von Shakespeare!" Daß ihm Lope das Recht seiner Selbständigkeit ließ, daß er ihn erquickte, ohne ihn etwas zu lehren, daß sich gar nichts von ihm ent¬ lehnen ließ, das dankte er ihm. Er nahm ihn ganz in sich auf, er ließ sich von ihm „eigentlich in die Poesie einführen." Durch ihn mit Poesie gesättigt, fühlte er sich selbst wieder Dichter. So wenig unmittelbar „Nachweisbares" die Exakten, nach denen es immer einer vom andern hat, zwischen Grillparzer und Lope heraus- dissertiren können, so sehr bezieht sich gerade ans Lope Grillparzers Ausspruch: „Die Spanier regen mich zur Produktion an." In diesem angemessenen Sinne und höherm Geiste hat nun Farinelli seine Untersuchungen über die besondern Beziehungen zwischen den Werken der beiden Dichter durchgeführt. Wir begegnen nicht auf Schritt und Tritt jenen entsetzlichen „Einflüssen," die immer den Eindruck hervorrufen, als ob die Dichter gleich ihren „litterarisch geschulten" Nachschnüfflern auf irgend einer königlichen Bibliothek zwischen Haufen von Büchern gearbeitet hätten. Es gehört eine so ausgiebige und genaue Kenntnis des spanischen Theaters und gar des unendlichen Lope dazu, wie sie unserm Italiener zur Verfügung steht; es gehört ferner Takt, Geschmack und poetischer Sinn dazu, wie sie sich nicht immer mit einer solchen Kenntnis Paare, um in so anspruchsloser, dafür aber erschöpfender und überzeugender Weise die Beziehungen zu sammeln, die zwischen den Schöpfungen unsers großen öster¬ reichischen Dichters und seinem spanischen Lieblingsdichter wirklich bestehen. Scherers Meinung, Grillparzers „Phryxus in Kolchis" sei in Lopes „Columbus in der neuen Welt" (Uuovo munäo äWoubisito xor vristoval volcm), das goldne Vließ des Griechen im Kreuz des spanischen Entdeckers wiederzufinden, teilt Farinelli nicht, schon aus chronologischen Gründen. Dagegen steht es ihm fest, daß für Grill¬ parzers „Ottokar" bereits die Kenntnis der Lopischen Bearbeitung dieses öster¬ reichischen Stoffs I^ce imxvrilU as Oton Vorauszusetzen sei. Ist es aber hier nur der gleiche Stoff, über dem Farinelli die noch gänzlich von Lope freie Behandlung des Österreichers nicht verkennt, so weist er um so entschiedner das Auftreten Lopischer Eigentümlichkeit in Grillparzers Bankbanustragödie („Ein treuer Diener seines Herrn") nach. Gerade hier fehlt wieder ein stofflicher Anhalt bei Lope. Denn nur der Grundgedanke des Stücks findet sich bei Lope wieder in dem in-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/255>, abgerufen am 22.12.2024.