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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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monischer Durchgänge, wie sie in solcher Güte nur einem wahren Talent ge¬
lingen. Dann zwei kleine. langsame Zwischensätzchen, von denen das hübsche
erste, dem spätern Liede des Bajazzo entnommen ist. Für das zweite, das die
frevelhafte Liebe Neddas und - Silvios charakterisiren soll,, hat Leoncavallo
offenbar große Vorliebe, denn er bringt es , wo es nur immer möglich ist.
Er täuscht sich, aber sehr über seineu musikalischen Wert. Würe ^ die Liebe der
beiden nicht ernner zu nehmen als dieser weichliche, empfindsame, mufikglische
Gedanke, dann brauchte sich üanio wahrlich nicht lo aufzuregen. Leoncav.allo
hält sich aber nicht lange auf; nach kurzer Wiederholung des schon. Da¬
gewesenen führt er Tonio als Prolog ein. - ! ' ^

z ^ Jede der einzelnen aneinandergereihten Phrasen unterscheidet sich von der
andern nach Wesen und Wert, so.daß eine, eingehende Kritik auch jede einzelne
zu beurteilen hätte. Doch^ würde das viel zu weit führen; es genüge der Hin¬
weis, daß in den ersten Sätzen etwas Unnatur, etwas Sentimentalität und zan-
genehmer, natürlicher Ausdruck dicht bei einander zu finden sind. Um die ganz
unkomponirbären ästhetischen Lehrsätze drückt sich Leoncavallo zunächst leidlich
herum, dann greift er zu recitativischer Ausdrucksweise, die, in der, harmo¬
nischen Grundlage geschraubt und gezwungen ausgefallen ist. Die Erinnerung
an das im Drama darzustellende Erlebnis wendet sich zu einem angenehmen,
natürlichen Ton zurück, der aber wieder nicht lange vorhält. Sobald Leon¬
cavallo den "Haß wüten" und "die Hölle mit heiseren Lachen ihren, Lohn"
fordern läßt, ist alle Natürlichkeit verschwunden, und wir gewahren nur, noch
einen Menschen, der sich mit Gewalt Kraft des Ausdrucks, abringen will, die
ihm doch nun einmal versagt ist. Und wie es meist zu gehen pflegt, so folgt
auch hier der Affektation unmittelbar weichliche Sentimentalität. Das Herz,
das sich in der Brust des Gauklers "voll Lust und Leid" regt, sieht dem
zum Verwechseln ähnlich, das uns aus Neßlers Trompeter so süß entgegen¬
schlägt. Der ganze Unterschied besteht darin, daß Leoncavallos Sentimen¬
talität anspruchsvoll auftritt und modern aufgeputzt erscheint wie eine ,alte
Kokette in modischen Gewände; dem innern Gehalt nach ist es ein und das¬
selbe Wesen, mit dem wir es hier wie dort zu thun-haben.

So offenbart uns schon der Prolog Leoncavallos musikalische Art, nach
ihren guten und schlechten Seiten. , Das breiten dramatische Pathos, das Mas-
cagni auszeichnet, ist ihm fremd, ohne daß es ihm darum in guten Augen¬
blicken an Krqft fehlte. Doch ist seine Kraft anders beschaffen, sie ist schärfer,
> weniger breit und schneidiger. Wo Mascagni nicht mehr weiter kann, wird er
trivial; Affektation aber ist ihm fremd, auch seine Trivialität bleibt mel.odios
und natürlich. Er verführt immerumch dem Grundsatze: "Ein Schelm, ,der mehr
giebt, als er hat," denn er ist eine ästheMch. .ehrliche Natur. Leoncavallo,Da¬
gegen, greift,, wo ihn die. Erfindung im Stiche läßt/ nicht bloß zur Trivialität,
sondern er wird außerdem schwülstig und geschraubt, er geberdet sich großartig


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monischer Durchgänge, wie sie in solcher Güte nur einem wahren Talent ge¬
lingen. Dann zwei kleine. langsame Zwischensätzchen, von denen das hübsche
erste, dem spätern Liede des Bajazzo entnommen ist. Für das zweite, das die
frevelhafte Liebe Neddas und - Silvios charakterisiren soll,, hat Leoncavallo
offenbar große Vorliebe, denn er bringt es , wo es nur immer möglich ist.
Er täuscht sich, aber sehr über seineu musikalischen Wert. Würe ^ die Liebe der
beiden nicht ernner zu nehmen als dieser weichliche, empfindsame, mufikglische
Gedanke, dann brauchte sich üanio wahrlich nicht lo aufzuregen. Leoncav.allo
hält sich aber nicht lange auf; nach kurzer Wiederholung des schon. Da¬
gewesenen führt er Tonio als Prolog ein. - ! ' ^

z ^ Jede der einzelnen aneinandergereihten Phrasen unterscheidet sich von der
andern nach Wesen und Wert, so.daß eine, eingehende Kritik auch jede einzelne
zu beurteilen hätte. Doch^ würde das viel zu weit führen; es genüge der Hin¬
weis, daß in den ersten Sätzen etwas Unnatur, etwas Sentimentalität und zan-
genehmer, natürlicher Ausdruck dicht bei einander zu finden sind. Um die ganz
unkomponirbären ästhetischen Lehrsätze drückt sich Leoncavallo zunächst leidlich
herum, dann greift er zu recitativischer Ausdrucksweise, die, in der, harmo¬
nischen Grundlage geschraubt und gezwungen ausgefallen ist. Die Erinnerung
an das im Drama darzustellende Erlebnis wendet sich zu einem angenehmen,
natürlichen Ton zurück, der aber wieder nicht lange vorhält. Sobald Leon¬
cavallo den „Haß wüten" und „die Hölle mit heiseren Lachen ihren, Lohn"
fordern läßt, ist alle Natürlichkeit verschwunden, und wir gewahren nur, noch
einen Menschen, der sich mit Gewalt Kraft des Ausdrucks, abringen will, die
ihm doch nun einmal versagt ist. Und wie es meist zu gehen pflegt, so folgt
auch hier der Affektation unmittelbar weichliche Sentimentalität. Das Herz,
das sich in der Brust des Gauklers „voll Lust und Leid" regt, sieht dem
zum Verwechseln ähnlich, das uns aus Neßlers Trompeter so süß entgegen¬
schlägt. Der ganze Unterschied besteht darin, daß Leoncavallos Sentimen¬
talität anspruchsvoll auftritt und modern aufgeputzt erscheint wie eine ,alte
Kokette in modischen Gewände; dem innern Gehalt nach ist es ein und das¬
selbe Wesen, mit dem wir es hier wie dort zu thun-haben.

So offenbart uns schon der Prolog Leoncavallos musikalische Art, nach
ihren guten und schlechten Seiten. , Das breiten dramatische Pathos, das Mas-
cagni auszeichnet, ist ihm fremd, ohne daß es ihm darum in guten Augen¬
blicken an Krqft fehlte. Doch ist seine Kraft anders beschaffen, sie ist schärfer,
> weniger breit und schneidiger. Wo Mascagni nicht mehr weiter kann, wird er
trivial; Affektation aber ist ihm fremd, auch seine Trivialität bleibt mel.odios
und natürlich. Er verführt immerumch dem Grundsatze: „Ein Schelm, ,der mehr
giebt, als er hat," denn er ist eine ästheMch. .ehrliche Natur. Leoncavallo,Da¬
gegen, greift,, wo ihn die. Erfindung im Stiche läßt/ nicht bloß zur Trivialität,
sondern er wird außerdem schwülstig und geschraubt, er geberdet sich großartig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/238>, abgerufen am 30.08.2024.