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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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interessant, auf die Verhandlungen des Reichstags vom 9. und 14. Februar,
sowie vom 16. März einen kurzen Rückblick zu werfen. Der Abgeordnete Lieber
wies darauf hin, daß der norddeutsche Llohd auf hoher See uoch kein Menschen¬
leben verloren habe. DaS ist aber weder etwas ungewöhnliches -- es giebt
Dampferlinien, die überhaupt noch keine Menschenverluste gehabt haben --,
noch etwas andres als Glücksache; denn mehrere Llohddampfcr sind unter¬
wegs in hilflosen Zustande angetroffen worden, und es ist lediglich dem
Zufall zu danken, daß die Dhnamitexplvsion im Jahre 1875 auf dem
Llohddampfer Mosel, die etwa 100 Tote (genauer: 60 Tote und 40 Ver¬
mißte) und 80 Verwundete hinterließ, sich vorzeitig am Lande und nicht
auf hoher See ereignete, wie es von dem Verbrecher beabsichtigt war. Und
dann liegt für die großen Fahrzeuge die Hauptgefahr auch gar uicht auf
dem freien Meere, sondern an der Küste. Wegen unvorsichtiger Annäherung
ans Land aber sind die Kapitäne der gestrandeten Llohddampfer Mosel
(1884), Oder (1887) und Eider (1892) vom Scegcricht verurteilt worden.
Die Oder, die bei Sokotra in öder Gegend auf ein Riff lief und ein auf
Kundschaft ausgefärbtes Boot mit Mannschaft einbüßte, gehörte zu den
subventionirten Reichspvstdampfern. Das Oberseeamt erkannte über diesen
Fall: "Der Schiffer hat die einfachsten Regeln der Navigirung nicht beachtet
und sich mit einer Reihe von unverzeihlicher Versehen und Versäumnissen be¬
lastet, die überzeugend beweisen, daß er ein Bewußtsein von der ernsten Be¬
deutung und hohen Verantwortlichkeit seines Vernfs nicht besitzt.") Ernstlich
zu rügen ist -- und das gilt der "sparsamen" Reederei -- die mangelhafte
Ausrüstung des großen Dampfers mit Segelanweisuugen und Karten, unter
welchen letzter" nicht einmal eine Spezialkarte von Svkotra war. Ferner ist
zu rügen, daß die Oder in Dienst gestellt worden ist, ohne daß zuvor mit ihr
alle diejenigen Maschinenmanöver vorgenommen worden wären, die erforderlich
sind, um Gewißheit darüber zu erlangen, daß die Maschine mit der nötigen
Sicherheit, Genauigkeit und Schnelligkeit arbeitet." Bei Strandungs- oder
Kollisivnsgefahr ist es von grundlegender Wichtigkeit, daß der Schiffer sein
Fahrzeug ganz in der Hand habe, daß er wisse, wie es sich in ruhigem und in
bewegtem Wasser verhält; ferner wie die Verschiedenheit des Tiefgangs hinsieht-



*) Von dem heimischen Gericht in Bremerhaven war der Kapitän freigesprochen worden.
Das Neichsamt des Innern läßt die Entscheidungen des Oberseeamts und der Seeämter ver¬
öffentlichen, doch nnr insoweit, als ihr Gegenstand etwas charakteristisches an sich hat. Eine
Erweiterung dieser Bekanntmachungen wäre dahin erwünscht, daß man wenigstens sehen
konnte, wie oft, weshalb und mit welchem Erfolg eine Reederei vor Gericht gekommen ist.
Ausfälligerweise sind in nautischen Kreisen die "Entscheidungen" sehr selten anzutreffen; selbst
große Aktiengesellschaften scheinen die Jahresausgabe von wenigen Mark zu scheue", obwohl
es für einen Schiffsführer einen interessantem und fruchtbringender" Lesestoff als diesen gar
nicht geben kann.

interessant, auf die Verhandlungen des Reichstags vom 9. und 14. Februar,
sowie vom 16. März einen kurzen Rückblick zu werfen. Der Abgeordnete Lieber
wies darauf hin, daß der norddeutsche Llohd auf hoher See uoch kein Menschen¬
leben verloren habe. DaS ist aber weder etwas ungewöhnliches — es giebt
Dampferlinien, die überhaupt noch keine Menschenverluste gehabt haben —,
noch etwas andres als Glücksache; denn mehrere Llohddampfcr sind unter¬
wegs in hilflosen Zustande angetroffen worden, und es ist lediglich dem
Zufall zu danken, daß die Dhnamitexplvsion im Jahre 1875 auf dem
Llohddampfer Mosel, die etwa 100 Tote (genauer: 60 Tote und 40 Ver¬
mißte) und 80 Verwundete hinterließ, sich vorzeitig am Lande und nicht
auf hoher See ereignete, wie es von dem Verbrecher beabsichtigt war. Und
dann liegt für die großen Fahrzeuge die Hauptgefahr auch gar uicht auf
dem freien Meere, sondern an der Küste. Wegen unvorsichtiger Annäherung
ans Land aber sind die Kapitäne der gestrandeten Llohddampfer Mosel
(1884), Oder (1887) und Eider (1892) vom Scegcricht verurteilt worden.
Die Oder, die bei Sokotra in öder Gegend auf ein Riff lief und ein auf
Kundschaft ausgefärbtes Boot mit Mannschaft einbüßte, gehörte zu den
subventionirten Reichspvstdampfern. Das Oberseeamt erkannte über diesen
Fall: „Der Schiffer hat die einfachsten Regeln der Navigirung nicht beachtet
und sich mit einer Reihe von unverzeihlicher Versehen und Versäumnissen be¬
lastet, die überzeugend beweisen, daß er ein Bewußtsein von der ernsten Be¬
deutung und hohen Verantwortlichkeit seines Vernfs nicht besitzt.") Ernstlich
zu rügen ist — und das gilt der »sparsamen« Reederei — die mangelhafte
Ausrüstung des großen Dampfers mit Segelanweisuugen und Karten, unter
welchen letzter» nicht einmal eine Spezialkarte von Svkotra war. Ferner ist
zu rügen, daß die Oder in Dienst gestellt worden ist, ohne daß zuvor mit ihr
alle diejenigen Maschinenmanöver vorgenommen worden wären, die erforderlich
sind, um Gewißheit darüber zu erlangen, daß die Maschine mit der nötigen
Sicherheit, Genauigkeit und Schnelligkeit arbeitet." Bei Strandungs- oder
Kollisivnsgefahr ist es von grundlegender Wichtigkeit, daß der Schiffer sein
Fahrzeug ganz in der Hand habe, daß er wisse, wie es sich in ruhigem und in
bewegtem Wasser verhält; ferner wie die Verschiedenheit des Tiefgangs hinsieht-



*) Von dem heimischen Gericht in Bremerhaven war der Kapitän freigesprochen worden.
Das Neichsamt des Innern läßt die Entscheidungen des Oberseeamts und der Seeämter ver¬
öffentlichen, doch nnr insoweit, als ihr Gegenstand etwas charakteristisches an sich hat. Eine
Erweiterung dieser Bekanntmachungen wäre dahin erwünscht, daß man wenigstens sehen
konnte, wie oft, weshalb und mit welchem Erfolg eine Reederei vor Gericht gekommen ist.
Ausfälligerweise sind in nautischen Kreisen die „Entscheidungen" sehr selten anzutreffen; selbst
große Aktiengesellschaften scheinen die Jahresausgabe von wenigen Mark zu scheue», obwohl
es für einen Schiffsführer einen interessantem und fruchtbringender« Lesestoff als diesen gar
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/222>, abgerufen am 31.08.2024.