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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

Kraft in den Nebel hineingefahren war, wobei das fremde Schiff mitten
entzweigeschnitten wurde. Ebenso hat die eilfertige Saale einen Segler im
Nebel überrannt. Endlich erinnern wir -- um nur noch ein naheliegendes
Vorkommnis (1893) zu erwühuen -- an den Llvyddampfer Roland, dessen
Maschine trotz der Nachtzeit und der Gefährlichkeit des Weges (im Englischen
Kanal) so schlecht bedient war, daß das Kommando stopp! zu spät aus¬
geführt wurde; er stieß mit einem dünischen Dampfer zusammen, der rasch
sank. Der Kapitän der Havel entschuldigte sich mit dein Hinweis auf "vor¬
aussichtliche" baldige Hilfe von andrer Seite; der Kapitän des Roland will
an den Eintritt großer Gefahr nicht geglaubt haben, er ist der Vorschrift
entgegen sofort weitergefahren, ohne sich zu erkennen gegeben zu haben.
Und nun vergleiche man damit, wie sich die Tagespresse mit dem Fall der
Elbe abgefunden hat! In einem Leitartikel "Stimmungen aus seemänni¬
schen Kreisen" erzählte die Kölnische Zeitung, es liege thatsächlich kein ein¬
ziger beglaubigter Fall vor, daß durch schnelles Fahren der Untergang eines
Seeschiffs herbeigeführt worden sei. Nicht die Schnelldampfer brächten Gefahr,
sondern die kleinen, minderwertigen Schiffe, zumeist Kohlendampfer -- eine
Verwechslung von zu schnellem Fahren und schlechter Navigation. Man hat die
Mannschaft des Dampfers Crathie, dem das Unglück der Elbe zugeschrieben
wird, geradezu der Bestialität beschuldigt, bis der Staatssekretär v. Bötticher
im Reichstag erklärte, die Leute hätten schon wegen ihrer geringen Zahl nicht
helfen können.

Vielleicht, so sagt die nautische Fachschrift Hansa in einem frühern
Jahrgange, ginge es auf den transatlantischen Linien etwas vorsichtiger
her, wenn sie nicht in den Händen von Aktiengesellschaften wären. Diese
scheuen einen Verlust nicht so sehr wie der einzelne Geschäftsinhaber, weil
sich der Schaden auf zahlreiche Schultern verteilt; der eine kann sich mit dem
andern trösten. Die Leiter der Gesellschaften bringen, da sie hauptsächlich mit
fremdem Gelde wirtschaften, dem ehrgeizigen Streben, es der Konkurrenz gleich-
vder zuvorzuthun, eher ein übertriebnes Opfer. Die Gesellschaften machen oft
zu ihren Gunsten geltend, daß sie ihre Schiffe in Selbstversicherung nehmen
und deshalb an deren Wohlergehen ein erhöhtes Interesse hätten. Das ist
aber nur die eine Seite der Sache; die andre besteht darin, daß man sich durch
die Selbstversicherung von der Verantwortlichkeit Fremden gegenüber, die
Schwierigkeiten machen und unliebsame Angelegenheiten veröffentlichen könnten,
entbunden weiß. Endlich ist zu berücksichtigen, daß die Leiter der Gesell¬
schaften und einzelne ihnen besonders nahestehende Kreise des Großkapitals
von einer plötzlichen Verschlechterung der Geschäftslage eher Nutzen als Schaden
haben, weil sie früher als die andern Aktionäre die Sachlage übersehen und
sich darnach einrichten können.

Vom Standpunkte der thatsächlichen Verhältnisse erscheint es besonders


Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

Kraft in den Nebel hineingefahren war, wobei das fremde Schiff mitten
entzweigeschnitten wurde. Ebenso hat die eilfertige Saale einen Segler im
Nebel überrannt. Endlich erinnern wir — um nur noch ein naheliegendes
Vorkommnis (1893) zu erwühuen — an den Llvyddampfer Roland, dessen
Maschine trotz der Nachtzeit und der Gefährlichkeit des Weges (im Englischen
Kanal) so schlecht bedient war, daß das Kommando stopp! zu spät aus¬
geführt wurde; er stieß mit einem dünischen Dampfer zusammen, der rasch
sank. Der Kapitän der Havel entschuldigte sich mit dein Hinweis auf „vor¬
aussichtliche" baldige Hilfe von andrer Seite; der Kapitän des Roland will
an den Eintritt großer Gefahr nicht geglaubt haben, er ist der Vorschrift
entgegen sofort weitergefahren, ohne sich zu erkennen gegeben zu haben.
Und nun vergleiche man damit, wie sich die Tagespresse mit dem Fall der
Elbe abgefunden hat! In einem Leitartikel „Stimmungen aus seemänni¬
schen Kreisen" erzählte die Kölnische Zeitung, es liege thatsächlich kein ein¬
ziger beglaubigter Fall vor, daß durch schnelles Fahren der Untergang eines
Seeschiffs herbeigeführt worden sei. Nicht die Schnelldampfer brächten Gefahr,
sondern die kleinen, minderwertigen Schiffe, zumeist Kohlendampfer — eine
Verwechslung von zu schnellem Fahren und schlechter Navigation. Man hat die
Mannschaft des Dampfers Crathie, dem das Unglück der Elbe zugeschrieben
wird, geradezu der Bestialität beschuldigt, bis der Staatssekretär v. Bötticher
im Reichstag erklärte, die Leute hätten schon wegen ihrer geringen Zahl nicht
helfen können.

Vielleicht, so sagt die nautische Fachschrift Hansa in einem frühern
Jahrgange, ginge es auf den transatlantischen Linien etwas vorsichtiger
her, wenn sie nicht in den Händen von Aktiengesellschaften wären. Diese
scheuen einen Verlust nicht so sehr wie der einzelne Geschäftsinhaber, weil
sich der Schaden auf zahlreiche Schultern verteilt; der eine kann sich mit dem
andern trösten. Die Leiter der Gesellschaften bringen, da sie hauptsächlich mit
fremdem Gelde wirtschaften, dem ehrgeizigen Streben, es der Konkurrenz gleich-
vder zuvorzuthun, eher ein übertriebnes Opfer. Die Gesellschaften machen oft
zu ihren Gunsten geltend, daß sie ihre Schiffe in Selbstversicherung nehmen
und deshalb an deren Wohlergehen ein erhöhtes Interesse hätten. Das ist
aber nur die eine Seite der Sache; die andre besteht darin, daß man sich durch
die Selbstversicherung von der Verantwortlichkeit Fremden gegenüber, die
Schwierigkeiten machen und unliebsame Angelegenheiten veröffentlichen könnten,
entbunden weiß. Endlich ist zu berücksichtigen, daß die Leiter der Gesell¬
schaften und einzelne ihnen besonders nahestehende Kreise des Großkapitals
von einer plötzlichen Verschlechterung der Geschäftslage eher Nutzen als Schaden
haben, weil sie früher als die andern Aktionäre die Sachlage übersehen und
sich darnach einrichten können.

Vom Standpunkte der thatsächlichen Verhältnisse erscheint es besonders


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[0221] Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag Kraft in den Nebel hineingefahren war, wobei das fremde Schiff mitten entzweigeschnitten wurde. Ebenso hat die eilfertige Saale einen Segler im Nebel überrannt. Endlich erinnern wir — um nur noch ein naheliegendes Vorkommnis (1893) zu erwühuen — an den Llvyddampfer Roland, dessen Maschine trotz der Nachtzeit und der Gefährlichkeit des Weges (im Englischen Kanal) so schlecht bedient war, daß das Kommando stopp! zu spät aus¬ geführt wurde; er stieß mit einem dünischen Dampfer zusammen, der rasch sank. Der Kapitän der Havel entschuldigte sich mit dein Hinweis auf „vor¬ aussichtliche" baldige Hilfe von andrer Seite; der Kapitän des Roland will an den Eintritt großer Gefahr nicht geglaubt haben, er ist der Vorschrift entgegen sofort weitergefahren, ohne sich zu erkennen gegeben zu haben. Und nun vergleiche man damit, wie sich die Tagespresse mit dem Fall der Elbe abgefunden hat! In einem Leitartikel „Stimmungen aus seemänni¬ schen Kreisen" erzählte die Kölnische Zeitung, es liege thatsächlich kein ein¬ ziger beglaubigter Fall vor, daß durch schnelles Fahren der Untergang eines Seeschiffs herbeigeführt worden sei. Nicht die Schnelldampfer brächten Gefahr, sondern die kleinen, minderwertigen Schiffe, zumeist Kohlendampfer — eine Verwechslung von zu schnellem Fahren und schlechter Navigation. Man hat die Mannschaft des Dampfers Crathie, dem das Unglück der Elbe zugeschrieben wird, geradezu der Bestialität beschuldigt, bis der Staatssekretär v. Bötticher im Reichstag erklärte, die Leute hätten schon wegen ihrer geringen Zahl nicht helfen können. Vielleicht, so sagt die nautische Fachschrift Hansa in einem frühern Jahrgange, ginge es auf den transatlantischen Linien etwas vorsichtiger her, wenn sie nicht in den Händen von Aktiengesellschaften wären. Diese scheuen einen Verlust nicht so sehr wie der einzelne Geschäftsinhaber, weil sich der Schaden auf zahlreiche Schultern verteilt; der eine kann sich mit dem andern trösten. Die Leiter der Gesellschaften bringen, da sie hauptsächlich mit fremdem Gelde wirtschaften, dem ehrgeizigen Streben, es der Konkurrenz gleich- vder zuvorzuthun, eher ein übertriebnes Opfer. Die Gesellschaften machen oft zu ihren Gunsten geltend, daß sie ihre Schiffe in Selbstversicherung nehmen und deshalb an deren Wohlergehen ein erhöhtes Interesse hätten. Das ist aber nur die eine Seite der Sache; die andre besteht darin, daß man sich durch die Selbstversicherung von der Verantwortlichkeit Fremden gegenüber, die Schwierigkeiten machen und unliebsame Angelegenheiten veröffentlichen könnten, entbunden weiß. Endlich ist zu berücksichtigen, daß die Leiter der Gesell¬ schaften und einzelne ihnen besonders nahestehende Kreise des Großkapitals von einer plötzlichen Verschlechterung der Geschäftslage eher Nutzen als Schaden haben, weil sie früher als die andern Aktionäre die Sachlage übersehen und sich darnach einrichten können. Vom Standpunkte der thatsächlichen Verhältnisse erscheint es besonders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/221>, abgerufen am 02.10.2024.