Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag
hereingeholt zu werden. Hilflose werden in Körben hinnbbefördert. Zarte Rücksichten können nicht walten; wo es den Einsatz des Lebens gilt, kommt es selbst ans einen Arm- oder Beinbruch nicht an. Oft genug schlagen die Fahr¬ zeuge wegen Überfüllung um; da sie aber nicht sinken können und Gelegenheit bieten, sich festzuhalten, erleichtern sie schwimmenden immer noch das Oben- blciben. Ist das Wetter nicht zu kalt> und finden nicht alle Personen im Boote Platz, so können die Schwimmkundigcn abwechselnd ins Meer gehen, um sich nachziehen zu lassen. Im Winter ist weniger mit den Booten an¬ zufangen, und bei Sturm gehen sie leicht schon beim Herablassen verloren, indem sie gegen daS hin- und herwiegende Schiff anprallen. Viele Matrosen verlassen sich ans die Rettungsmittel so wenig, daß sie das Schwimmcnlernen sür un¬ zweckmäßig erklären: wen daS Unglück treffen solle, den treffe es doch, die Schwimmkunst sei nur dazu angethan, den Todeskampf zu verlängern. In der That ist selbst dann, wenn fremde Hilfe dicht in der Nähe ist, Rettung oft unmöglich. Ein erschütterndes Beispiel bietet der Untergang des Anchvr- dampfers Utopia (18V1). Sein Führer war, ohne sich zuvor ordentlich umgesehen zu haben, bei Anbruch der Nacht in die Bucht von Gibraltar gesteuert, um das Schiff festzulegen. Als er andre Schiffe vorfand, suchte er die Utopia wieder herauszubringen, wobei sie, mühsam gegen Wind und Strömung ankämpfend, vor den Sporn eines ankernden englischen Kriegs¬ schiffs geriet. Gleich der Elbe ging sie bald hintenüber. Die vorn zusammen-! geknäuelt gewesenen Menschen rangen im Wasser mit einander auf Leben und! Tod, um in die aufragenden Masten zu gelangen. Das Kriegsschiff und noch ein zweites beleuchteten die Nnglücksstcitte mit ihren elektrischen Schein¬ werfern und setzten sofort alle Boote ans. Wegen des Sturms aber konnten diese der Utopia nicht nahe kommen; man mußte sich darauf beschränken, die herantreibenden Menschen aufzunehmen, was immerhin noch so schwierig war, daß mehrere der Retter ertranken. Von den 830 Fahrgüsten der Utopia, meist italienischen Auswandrern, ertranken 538, außerdem 36 von den 60 Mann der Besatzung.
Schon öfter wurde gerügt, daß der BootSraum stark besetzter Pasfagier- schiffe nicht für alle an Bord befindlichen ausreiche. Doch ist jetzt in Form von Flößen und Klappbooten immer einiger Ersatz vorhanden. In dem im Auftrage des Norddeutschen Llvhd herausgegebnen Handbuche "Der nord¬ deutsche Lloyd und seine Geschichte" ist S. 220 zu lesen: "Jeder transatlantische Dampfer des Lloyd besitzt eine Anzahl sogenannter Sheperdscher Patentslöße: große eiserne mit Luft gefüllte, an den Enden kegelförmig zugespitzte Cylinder, die durch Holzlatteuwerk verbunden siud. In diesem ist der Proviant, das Wasser und der Segelnpparat geborgen." Die Flöße können ohne Vorbereitung über Bord gesetzt werden. Wenn es die Zeit erlaubt, kann man auch ein Floß improvisiren; das Material liefern hauptsächlich die vom Schiff eigens
Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag
hereingeholt zu werden. Hilflose werden in Körben hinnbbefördert. Zarte Rücksichten können nicht walten; wo es den Einsatz des Lebens gilt, kommt es selbst ans einen Arm- oder Beinbruch nicht an. Oft genug schlagen die Fahr¬ zeuge wegen Überfüllung um; da sie aber nicht sinken können und Gelegenheit bieten, sich festzuhalten, erleichtern sie schwimmenden immer noch das Oben- blciben. Ist das Wetter nicht zu kalt> und finden nicht alle Personen im Boote Platz, so können die Schwimmkundigcn abwechselnd ins Meer gehen, um sich nachziehen zu lassen. Im Winter ist weniger mit den Booten an¬ zufangen, und bei Sturm gehen sie leicht schon beim Herablassen verloren, indem sie gegen daS hin- und herwiegende Schiff anprallen. Viele Matrosen verlassen sich ans die Rettungsmittel so wenig, daß sie das Schwimmcnlernen sür un¬ zweckmäßig erklären: wen daS Unglück treffen solle, den treffe es doch, die Schwimmkunst sei nur dazu angethan, den Todeskampf zu verlängern. In der That ist selbst dann, wenn fremde Hilfe dicht in der Nähe ist, Rettung oft unmöglich. Ein erschütterndes Beispiel bietet der Untergang des Anchvr- dampfers Utopia (18V1). Sein Führer war, ohne sich zuvor ordentlich umgesehen zu haben, bei Anbruch der Nacht in die Bucht von Gibraltar gesteuert, um das Schiff festzulegen. Als er andre Schiffe vorfand, suchte er die Utopia wieder herauszubringen, wobei sie, mühsam gegen Wind und Strömung ankämpfend, vor den Sporn eines ankernden englischen Kriegs¬ schiffs geriet. Gleich der Elbe ging sie bald hintenüber. Die vorn zusammen-! geknäuelt gewesenen Menschen rangen im Wasser mit einander auf Leben und! Tod, um in die aufragenden Masten zu gelangen. Das Kriegsschiff und noch ein zweites beleuchteten die Nnglücksstcitte mit ihren elektrischen Schein¬ werfern und setzten sofort alle Boote ans. Wegen des Sturms aber konnten diese der Utopia nicht nahe kommen; man mußte sich darauf beschränken, die herantreibenden Menschen aufzunehmen, was immerhin noch so schwierig war, daß mehrere der Retter ertranken. Von den 830 Fahrgüsten der Utopia, meist italienischen Auswandrern, ertranken 538, außerdem 36 von den 60 Mann der Besatzung.
Schon öfter wurde gerügt, daß der BootSraum stark besetzter Pasfagier- schiffe nicht für alle an Bord befindlichen ausreiche. Doch ist jetzt in Form von Flößen und Klappbooten immer einiger Ersatz vorhanden. In dem im Auftrage des Norddeutschen Llvhd herausgegebnen Handbuche „Der nord¬ deutsche Lloyd und seine Geschichte" ist S. 220 zu lesen: „Jeder transatlantische Dampfer des Lloyd besitzt eine Anzahl sogenannter Sheperdscher Patentslöße: große eiserne mit Luft gefüllte, an den Enden kegelförmig zugespitzte Cylinder, die durch Holzlatteuwerk verbunden siud. In diesem ist der Proviant, das Wasser und der Segelnpparat geborgen." Die Flöße können ohne Vorbereitung über Bord gesetzt werden. Wenn es die Zeit erlaubt, kann man auch ein Floß improvisiren; das Material liefern hauptsächlich die vom Schiff eigens
<TEI><text><body><div><divn="1"><pbfacs="#f0218"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219894"/><fwtype="header"place="top"> Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag</fw><lb/><pxml:id="ID_776"prev="#ID_775"> hereingeholt zu werden. Hilflose werden in Körben hinnbbefördert. Zarte<lb/>
Rücksichten können nicht walten; wo es den Einsatz des Lebens gilt, kommt es<lb/>
selbst ans einen Arm- oder Beinbruch nicht an. Oft genug schlagen die Fahr¬<lb/>
zeuge wegen Überfüllung um; da sie aber nicht sinken können und Gelegenheit<lb/>
bieten, sich festzuhalten, erleichtern sie schwimmenden immer noch das Oben-<lb/>
blciben. Ist das Wetter nicht zu kalt> und finden nicht alle Personen im<lb/>
Boote Platz, so können die Schwimmkundigcn abwechselnd ins Meer gehen,<lb/>
um sich nachziehen zu lassen. Im Winter ist weniger mit den Booten an¬<lb/>
zufangen, und bei Sturm gehen sie leicht schon beim Herablassen verloren, indem<lb/>
sie gegen daS hin- und herwiegende Schiff anprallen. Viele Matrosen verlassen<lb/>
sich ans die Rettungsmittel so wenig, daß sie das Schwimmcnlernen sür un¬<lb/>
zweckmäßig erklären: wen daS Unglück treffen solle, den treffe es doch, die<lb/>
Schwimmkunst sei nur dazu angethan, den Todeskampf zu verlängern. In<lb/>
der That ist selbst dann, wenn fremde Hilfe dicht in der Nähe ist, Rettung<lb/>
oft unmöglich. Ein erschütterndes Beispiel bietet der Untergang des Anchvr-<lb/>
dampfers Utopia (18V1). Sein Führer war, ohne sich zuvor ordentlich<lb/>
umgesehen zu haben, bei Anbruch der Nacht in die Bucht von Gibraltar<lb/>
gesteuert, um das Schiff festzulegen. Als er andre Schiffe vorfand, suchte er<lb/>
die Utopia wieder herauszubringen, wobei sie, mühsam gegen Wind und<lb/>
Strömung ankämpfend, vor den Sporn eines ankernden englischen Kriegs¬<lb/>
schiffs geriet. Gleich der Elbe ging sie bald hintenüber. Die vorn zusammen-!<lb/>
geknäuelt gewesenen Menschen rangen im Wasser mit einander auf Leben und!<lb/>
Tod, um in die aufragenden Masten zu gelangen. Das Kriegsschiff und<lb/>
noch ein zweites beleuchteten die Nnglücksstcitte mit ihren elektrischen Schein¬<lb/>
werfern und setzten sofort alle Boote ans. Wegen des Sturms aber konnten<lb/>
diese der Utopia nicht nahe kommen; man mußte sich darauf beschränken, die<lb/>
herantreibenden Menschen aufzunehmen, was immerhin noch so schwierig war,<lb/>
daß mehrere der Retter ertranken. Von den 830 Fahrgüsten der Utopia,<lb/>
meist italienischen Auswandrern, ertranken 538, außerdem 36 von den 60 Mann<lb/>
der Besatzung.</p><lb/><pxml:id="ID_777"next="#ID_778"> Schon öfter wurde gerügt, daß der BootSraum stark besetzter Pasfagier-<lb/>
schiffe nicht für alle an Bord befindlichen ausreiche. Doch ist jetzt in Form<lb/>
von Flößen und Klappbooten immer einiger Ersatz vorhanden. In dem im<lb/>
Auftrage des Norddeutschen Llvhd herausgegebnen Handbuche „Der nord¬<lb/>
deutsche Lloyd und seine Geschichte" ist S. 220 zu lesen: „Jeder transatlantische<lb/>
Dampfer des Lloyd besitzt eine Anzahl sogenannter Sheperdscher Patentslöße:<lb/>
große eiserne mit Luft gefüllte, an den Enden kegelförmig zugespitzte Cylinder,<lb/>
die durch Holzlatteuwerk verbunden siud. In diesem ist der Proviant, das<lb/>
Wasser und der Segelnpparat geborgen." Die Flöße können ohne Vorbereitung<lb/>
über Bord gesetzt werden. Wenn es die Zeit erlaubt, kann man auch ein<lb/>
Floß improvisiren; das Material liefern hauptsächlich die vom Schiff eigens</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[0218]
Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag
hereingeholt zu werden. Hilflose werden in Körben hinnbbefördert. Zarte
Rücksichten können nicht walten; wo es den Einsatz des Lebens gilt, kommt es
selbst ans einen Arm- oder Beinbruch nicht an. Oft genug schlagen die Fahr¬
zeuge wegen Überfüllung um; da sie aber nicht sinken können und Gelegenheit
bieten, sich festzuhalten, erleichtern sie schwimmenden immer noch das Oben-
blciben. Ist das Wetter nicht zu kalt> und finden nicht alle Personen im
Boote Platz, so können die Schwimmkundigcn abwechselnd ins Meer gehen,
um sich nachziehen zu lassen. Im Winter ist weniger mit den Booten an¬
zufangen, und bei Sturm gehen sie leicht schon beim Herablassen verloren, indem
sie gegen daS hin- und herwiegende Schiff anprallen. Viele Matrosen verlassen
sich ans die Rettungsmittel so wenig, daß sie das Schwimmcnlernen sür un¬
zweckmäßig erklären: wen daS Unglück treffen solle, den treffe es doch, die
Schwimmkunst sei nur dazu angethan, den Todeskampf zu verlängern. In
der That ist selbst dann, wenn fremde Hilfe dicht in der Nähe ist, Rettung
oft unmöglich. Ein erschütterndes Beispiel bietet der Untergang des Anchvr-
dampfers Utopia (18V1). Sein Führer war, ohne sich zuvor ordentlich
umgesehen zu haben, bei Anbruch der Nacht in die Bucht von Gibraltar
gesteuert, um das Schiff festzulegen. Als er andre Schiffe vorfand, suchte er
die Utopia wieder herauszubringen, wobei sie, mühsam gegen Wind und
Strömung ankämpfend, vor den Sporn eines ankernden englischen Kriegs¬
schiffs geriet. Gleich der Elbe ging sie bald hintenüber. Die vorn zusammen-!
geknäuelt gewesenen Menschen rangen im Wasser mit einander auf Leben und!
Tod, um in die aufragenden Masten zu gelangen. Das Kriegsschiff und
noch ein zweites beleuchteten die Nnglücksstcitte mit ihren elektrischen Schein¬
werfern und setzten sofort alle Boote ans. Wegen des Sturms aber konnten
diese der Utopia nicht nahe kommen; man mußte sich darauf beschränken, die
herantreibenden Menschen aufzunehmen, was immerhin noch so schwierig war,
daß mehrere der Retter ertranken. Von den 830 Fahrgüsten der Utopia,
meist italienischen Auswandrern, ertranken 538, außerdem 36 von den 60 Mann
der Besatzung.
Schon öfter wurde gerügt, daß der BootSraum stark besetzter Pasfagier-
schiffe nicht für alle an Bord befindlichen ausreiche. Doch ist jetzt in Form
von Flößen und Klappbooten immer einiger Ersatz vorhanden. In dem im
Auftrage des Norddeutschen Llvhd herausgegebnen Handbuche „Der nord¬
deutsche Lloyd und seine Geschichte" ist S. 220 zu lesen: „Jeder transatlantische
Dampfer des Lloyd besitzt eine Anzahl sogenannter Sheperdscher Patentslöße:
große eiserne mit Luft gefüllte, an den Enden kegelförmig zugespitzte Cylinder,
die durch Holzlatteuwerk verbunden siud. In diesem ist der Proviant, das
Wasser und der Segelnpparat geborgen." Die Flöße können ohne Vorbereitung
über Bord gesetzt werden. Wenn es die Zeit erlaubt, kann man auch ein
Floß improvisiren; das Material liefern hauptsächlich die vom Schiff eigens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/218>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.