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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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schreibt nun der Komponist eine sich wiederholende, einfach gehaltene, anmutige
Chormelvdie, die sich in den Satz des Orchesters einfügt, als ob das so sein
müßte. Man schüttelt beim Durchlesen den Kopf, liest wieder und wieder und
muß sich schließlich gestehen, daß der Italiener in seinem dunkeln Drange eben
doch etwas wahr gemacht hat, was keiner unsrer deutschen Komponisten so
leicht gewagt Hütte. Er erreicht sein Ziel nicht ohne Härten, aber er erreicht
es doch so, daß man ihm Zustimmung, vielleicht auch etwas Bewunderung
nicht versagen kann. Denn seine Härten entspringen hier wie überall sonst
nicht etwa der Sucht, originell zu sein, sondern sie sind Ausfluß einer rück¬
sichtslosen Kraft, die schnurgerade ihren Weg geht, unbekümmert um das, was
sie unter ihren Füßen zertritt, da sie noch nicht von einer sich selbst klar-
gewordnen künstlerischen Einsicht gezügelt wird.

Daß Maseagni auch ungetrübt schöne Musik in sich trügt, beweist das
Chorsätzchen der Frauen "O süße Lenzesluft" und das der Männer "Eurer
feurigen Augen Glanz." Beide Perioden umfassen jn nur je acht Takte, ent¬
halten aber in diesen engen Grenzen Musik, die vom Herzen kommt und zum
Herzen spricht. Des dreifachen und doppelten Kontrapunktes am Schluß des
Chors sei nur Erwähnung gethan als einer "Spielerei," zu der eben doch
nicht jeder das Zeug hat.

Das das Auftreten Santnzzas begleitende instrumentale Largo mag viel¬
leicht Bedenken erregen wegen der Verwendung der Busse. Wie will Maseagni
den tragischen Bösewicht charakterisiren, wenn er seine Bässe schon bei den
Weibern ausgiebt? Aber man darf nicht vergessen, über diesem Tadel den
sonstigen Vorzügen des kurzen Jnstrumentalsatzes gerecht zu werden, der einer
ernsten Stimmung Ausdruck giebt, harmonische Gedanken von Wert enthält
und auch das erstemal jenes kurze, süße Motiv bringt, das wohl Santuzzas
unglückliche Liebe charcckterisireu soll. Im Gespräche mit der Mutter wirkt
Santuzza rührend durch die schlichte Einfachheit ihrer Bitten, und nun tritt
auch schon stellenweise jenes breite Pathos und ein Anflug jenes tragischen
Ernstes hervor, der Maseagni auszeichnet.

Das Lied des Fuhrmanns Alfio, das sich unmittelbar anschließt, ist eine
der seltsamsten Erfindungen, die ich kenne. Erst diese Einleitung! Man würde
sich verpflichtet fühlen, fortwährend mißbilligend den Kopf zu schütteln, wenn
nicht alles so blitzschnell vorüberrauschte, daß man gar keine Zeit hat, sich um¬
ständlich zu beschweren. Und überdies, wenn das abschließende L-moU im
Sturm erreicht ist, muß man sich zwar sagen, daß es über Stock und Stein
ging, und daß der Wagen in allen Fugen krachte, daß die Fahrt aber doch
kühn und kraftvoll war. Und in derselben Art geht es weiter bis zum Schluß.
Rauheiten, Härten, harmonische Kühnheiten, Stellen, die selbst einem Meister
ersten Ranges zur Ehre gereichen würden (die harmonischen Folgen über den
Vaßtriolen), und ein unaufhaltsam hinstürmender melodischer Fluß vereinigen


Grenzboten II 189S 24
Moderne Gpern

schreibt nun der Komponist eine sich wiederholende, einfach gehaltene, anmutige
Chormelvdie, die sich in den Satz des Orchesters einfügt, als ob das so sein
müßte. Man schüttelt beim Durchlesen den Kopf, liest wieder und wieder und
muß sich schließlich gestehen, daß der Italiener in seinem dunkeln Drange eben
doch etwas wahr gemacht hat, was keiner unsrer deutschen Komponisten so
leicht gewagt Hütte. Er erreicht sein Ziel nicht ohne Härten, aber er erreicht
es doch so, daß man ihm Zustimmung, vielleicht auch etwas Bewunderung
nicht versagen kann. Denn seine Härten entspringen hier wie überall sonst
nicht etwa der Sucht, originell zu sein, sondern sie sind Ausfluß einer rück¬
sichtslosen Kraft, die schnurgerade ihren Weg geht, unbekümmert um das, was
sie unter ihren Füßen zertritt, da sie noch nicht von einer sich selbst klar-
gewordnen künstlerischen Einsicht gezügelt wird.

Daß Maseagni auch ungetrübt schöne Musik in sich trügt, beweist das
Chorsätzchen der Frauen „O süße Lenzesluft" und das der Männer „Eurer
feurigen Augen Glanz." Beide Perioden umfassen jn nur je acht Takte, ent¬
halten aber in diesen engen Grenzen Musik, die vom Herzen kommt und zum
Herzen spricht. Des dreifachen und doppelten Kontrapunktes am Schluß des
Chors sei nur Erwähnung gethan als einer „Spielerei," zu der eben doch
nicht jeder das Zeug hat.

Das das Auftreten Santnzzas begleitende instrumentale Largo mag viel¬
leicht Bedenken erregen wegen der Verwendung der Busse. Wie will Maseagni
den tragischen Bösewicht charakterisiren, wenn er seine Bässe schon bei den
Weibern ausgiebt? Aber man darf nicht vergessen, über diesem Tadel den
sonstigen Vorzügen des kurzen Jnstrumentalsatzes gerecht zu werden, der einer
ernsten Stimmung Ausdruck giebt, harmonische Gedanken von Wert enthält
und auch das erstemal jenes kurze, süße Motiv bringt, das wohl Santuzzas
unglückliche Liebe charcckterisireu soll. Im Gespräche mit der Mutter wirkt
Santuzza rührend durch die schlichte Einfachheit ihrer Bitten, und nun tritt
auch schon stellenweise jenes breite Pathos und ein Anflug jenes tragischen
Ernstes hervor, der Maseagni auszeichnet.

Das Lied des Fuhrmanns Alfio, das sich unmittelbar anschließt, ist eine
der seltsamsten Erfindungen, die ich kenne. Erst diese Einleitung! Man würde
sich verpflichtet fühlen, fortwährend mißbilligend den Kopf zu schütteln, wenn
nicht alles so blitzschnell vorüberrauschte, daß man gar keine Zeit hat, sich um¬
ständlich zu beschweren. Und überdies, wenn das abschließende L-moU im
Sturm erreicht ist, muß man sich zwar sagen, daß es über Stock und Stein
ging, und daß der Wagen in allen Fugen krachte, daß die Fahrt aber doch
kühn und kraftvoll war. Und in derselben Art geht es weiter bis zum Schluß.
Rauheiten, Härten, harmonische Kühnheiten, Stellen, die selbst einem Meister
ersten Ranges zur Ehre gereichen würden (die harmonischen Folgen über den
Vaßtriolen), und ein unaufhaltsam hinstürmender melodischer Fluß vereinigen


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[0193] Moderne Gpern schreibt nun der Komponist eine sich wiederholende, einfach gehaltene, anmutige Chormelvdie, die sich in den Satz des Orchesters einfügt, als ob das so sein müßte. Man schüttelt beim Durchlesen den Kopf, liest wieder und wieder und muß sich schließlich gestehen, daß der Italiener in seinem dunkeln Drange eben doch etwas wahr gemacht hat, was keiner unsrer deutschen Komponisten so leicht gewagt Hütte. Er erreicht sein Ziel nicht ohne Härten, aber er erreicht es doch so, daß man ihm Zustimmung, vielleicht auch etwas Bewunderung nicht versagen kann. Denn seine Härten entspringen hier wie überall sonst nicht etwa der Sucht, originell zu sein, sondern sie sind Ausfluß einer rück¬ sichtslosen Kraft, die schnurgerade ihren Weg geht, unbekümmert um das, was sie unter ihren Füßen zertritt, da sie noch nicht von einer sich selbst klar- gewordnen künstlerischen Einsicht gezügelt wird. Daß Maseagni auch ungetrübt schöne Musik in sich trügt, beweist das Chorsätzchen der Frauen „O süße Lenzesluft" und das der Männer „Eurer feurigen Augen Glanz." Beide Perioden umfassen jn nur je acht Takte, ent¬ halten aber in diesen engen Grenzen Musik, die vom Herzen kommt und zum Herzen spricht. Des dreifachen und doppelten Kontrapunktes am Schluß des Chors sei nur Erwähnung gethan als einer „Spielerei," zu der eben doch nicht jeder das Zeug hat. Das das Auftreten Santnzzas begleitende instrumentale Largo mag viel¬ leicht Bedenken erregen wegen der Verwendung der Busse. Wie will Maseagni den tragischen Bösewicht charakterisiren, wenn er seine Bässe schon bei den Weibern ausgiebt? Aber man darf nicht vergessen, über diesem Tadel den sonstigen Vorzügen des kurzen Jnstrumentalsatzes gerecht zu werden, der einer ernsten Stimmung Ausdruck giebt, harmonische Gedanken von Wert enthält und auch das erstemal jenes kurze, süße Motiv bringt, das wohl Santuzzas unglückliche Liebe charcckterisireu soll. Im Gespräche mit der Mutter wirkt Santuzza rührend durch die schlichte Einfachheit ihrer Bitten, und nun tritt auch schon stellenweise jenes breite Pathos und ein Anflug jenes tragischen Ernstes hervor, der Maseagni auszeichnet. Das Lied des Fuhrmanns Alfio, das sich unmittelbar anschließt, ist eine der seltsamsten Erfindungen, die ich kenne. Erst diese Einleitung! Man würde sich verpflichtet fühlen, fortwährend mißbilligend den Kopf zu schütteln, wenn nicht alles so blitzschnell vorüberrauschte, daß man gar keine Zeit hat, sich um¬ ständlich zu beschweren. Und überdies, wenn das abschließende L-moU im Sturm erreicht ist, muß man sich zwar sagen, daß es über Stock und Stein ging, und daß der Wagen in allen Fugen krachte, daß die Fahrt aber doch kühn und kraftvoll war. Und in derselben Art geht es weiter bis zum Schluß. Rauheiten, Härten, harmonische Kühnheiten, Stellen, die selbst einem Meister ersten Ranges zur Ehre gereichen würden (die harmonischen Folgen über den Vaßtriolen), und ein unaufhaltsam hinstürmender melodischer Fluß vereinigen Grenzboten II 189S 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/193>, abgerufen am 22.12.2024.