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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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man erst Mascagni dieses Zugeständnis gemacht, so wird man auch nicht um¬
hin können, ihn für ein Talent, vielleicht sogar für ein großes Talent zu halten.

Dem Texte der Cavalleria ist von keiner Seite die Anerkennung versagt
worden, daß er in seiner Art ein kleines Meisterstück sei. Diese schlauen Ita¬
liener wußten recht wohl, daß Kürze des Witzes Seele ist, und sie haben sich,
wie der Erfolg lehrt, in ihrer Weisheit auch nicht betrogen. Was sie ge¬
schaffen haben, ist natürlich kein Drama. Eine tragische Handlung braucht
zwar nicht vierundeinhalb Stunden zu dauern, sie kann aber auch unmöglich in
einer bis anderthalb Stunden zur vollen Entwicklung gebracht werden. Kann
also auch die Cavalleria keine Tragödie heißen, so enthält sie doch immerhin
den Keim einer Tragödie, da ihre Gesamtanlage von überraschender künst¬
lerischer Vernünftigkeit Zeugnis ablegt und alle Charaktere soweit individuell
geprägt sind, als das die engen Grenzen zulassen.

Das Vorspiel ist bemerkenswert dadurch, daß es Turiddus Ständchen
und somit gewissermaßen die Exposition in sich schließt. Es ist das nicht nur
rein äußerlich betrachtet eine geschickter Einfall, sondern das Ständchen zeigt
Mascagni auch gleich von einer vorteilhaften Seite. Gewiß bietet es nur eine
einfache, anspruchslose Melodie und eine Begleitungsfigur, wie sie an jeder
Straßenecke zu finden ist. Man muß sich aber wohl hüten, über diese Musik
überlegen zu spotten. Bei aller äußern Einfachheit und Gewöhnlichkeit lebt
in ihr ein unverkennbar ernster und südlich heißer Geist. Schon die Wahl
der Tonart spricht für Maseagni. Wäre er ein sentimentaler Schwächling,
so hätte er seinen Turiddu unfehlbar zu ^s-clur, Ohs-cor oder Oes-ckur greifen
lassen.

Die Jnstrumentaleinleitung, die dem ersten Chöre vorangeht, wechselt
zwischen derb ausgelassener Heiterkeit und sanftern, tanzartig Pastoralen Klängen
und bietet so eine Art Gegenstück zu Beethovens bekannter Szene in der sechsten
Sinfonie. Natürlich kann sich Mascagni an Adel des Ausdrucks nicht mit
dem großen deutschen Meister messen; Beethoven schildert ideale Landleute,
Mascagni derbe, vielleicht auch etwas schmutzige sizilianische Bauern, die darum
aber nicht weniger feurig und warmblütig siud und sogar ihren Schalmeien
süß schmeichelnde Töne zu entlocken verstehen. Freilich raubt hier wie überall
die teilweise Roheit der Jnstrumentation den Ideen Mascagnis ihren beste"
Reiz. Jeder gewandte deutsche Kapellmeister wäre aber imstande, die schlimmsten
Fehler zu beseitigen.

Das Chorsätzchen der Frauen "Duftig erglänzen Orangen" offenbart die
Eigentümlichkeit Mascagnis zum erstenmal in ihrer ganzen Seltsamkeit. Auf
einem Lasso ostinato steigen im Orchester ungewohnte harmonische Folgen in
die Höhe und dann Schritt für Schritt wieder in die Tiefe, dabei mit einer
Keckheit und Selbstverständlichkeit über die eigentümlichsten Komplikationen
hinweggehend, die geradezu verblüfft. In diese seltsamen Harmonien hinein


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man erst Mascagni dieses Zugeständnis gemacht, so wird man auch nicht um¬
hin können, ihn für ein Talent, vielleicht sogar für ein großes Talent zu halten.

Dem Texte der Cavalleria ist von keiner Seite die Anerkennung versagt
worden, daß er in seiner Art ein kleines Meisterstück sei. Diese schlauen Ita¬
liener wußten recht wohl, daß Kürze des Witzes Seele ist, und sie haben sich,
wie der Erfolg lehrt, in ihrer Weisheit auch nicht betrogen. Was sie ge¬
schaffen haben, ist natürlich kein Drama. Eine tragische Handlung braucht
zwar nicht vierundeinhalb Stunden zu dauern, sie kann aber auch unmöglich in
einer bis anderthalb Stunden zur vollen Entwicklung gebracht werden. Kann
also auch die Cavalleria keine Tragödie heißen, so enthält sie doch immerhin
den Keim einer Tragödie, da ihre Gesamtanlage von überraschender künst¬
lerischer Vernünftigkeit Zeugnis ablegt und alle Charaktere soweit individuell
geprägt sind, als das die engen Grenzen zulassen.

Das Vorspiel ist bemerkenswert dadurch, daß es Turiddus Ständchen
und somit gewissermaßen die Exposition in sich schließt. Es ist das nicht nur
rein äußerlich betrachtet eine geschickter Einfall, sondern das Ständchen zeigt
Mascagni auch gleich von einer vorteilhaften Seite. Gewiß bietet es nur eine
einfache, anspruchslose Melodie und eine Begleitungsfigur, wie sie an jeder
Straßenecke zu finden ist. Man muß sich aber wohl hüten, über diese Musik
überlegen zu spotten. Bei aller äußern Einfachheit und Gewöhnlichkeit lebt
in ihr ein unverkennbar ernster und südlich heißer Geist. Schon die Wahl
der Tonart spricht für Maseagni. Wäre er ein sentimentaler Schwächling,
so hätte er seinen Turiddu unfehlbar zu ^s-clur, Ohs-cor oder Oes-ckur greifen
lassen.

Die Jnstrumentaleinleitung, die dem ersten Chöre vorangeht, wechselt
zwischen derb ausgelassener Heiterkeit und sanftern, tanzartig Pastoralen Klängen
und bietet so eine Art Gegenstück zu Beethovens bekannter Szene in der sechsten
Sinfonie. Natürlich kann sich Mascagni an Adel des Ausdrucks nicht mit
dem großen deutschen Meister messen; Beethoven schildert ideale Landleute,
Mascagni derbe, vielleicht auch etwas schmutzige sizilianische Bauern, die darum
aber nicht weniger feurig und warmblütig siud und sogar ihren Schalmeien
süß schmeichelnde Töne zu entlocken verstehen. Freilich raubt hier wie überall
die teilweise Roheit der Jnstrumentation den Ideen Mascagnis ihren beste»
Reiz. Jeder gewandte deutsche Kapellmeister wäre aber imstande, die schlimmsten
Fehler zu beseitigen.

Das Chorsätzchen der Frauen „Duftig erglänzen Orangen" offenbart die
Eigentümlichkeit Mascagnis zum erstenmal in ihrer ganzen Seltsamkeit. Auf
einem Lasso ostinato steigen im Orchester ungewohnte harmonische Folgen in
die Höhe und dann Schritt für Schritt wieder in die Tiefe, dabei mit einer
Keckheit und Selbstverständlichkeit über die eigentümlichsten Komplikationen
hinweggehend, die geradezu verblüfft. In diese seltsamen Harmonien hinein


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[0192] Moderne Dperu man erst Mascagni dieses Zugeständnis gemacht, so wird man auch nicht um¬ hin können, ihn für ein Talent, vielleicht sogar für ein großes Talent zu halten. Dem Texte der Cavalleria ist von keiner Seite die Anerkennung versagt worden, daß er in seiner Art ein kleines Meisterstück sei. Diese schlauen Ita¬ liener wußten recht wohl, daß Kürze des Witzes Seele ist, und sie haben sich, wie der Erfolg lehrt, in ihrer Weisheit auch nicht betrogen. Was sie ge¬ schaffen haben, ist natürlich kein Drama. Eine tragische Handlung braucht zwar nicht vierundeinhalb Stunden zu dauern, sie kann aber auch unmöglich in einer bis anderthalb Stunden zur vollen Entwicklung gebracht werden. Kann also auch die Cavalleria keine Tragödie heißen, so enthält sie doch immerhin den Keim einer Tragödie, da ihre Gesamtanlage von überraschender künst¬ lerischer Vernünftigkeit Zeugnis ablegt und alle Charaktere soweit individuell geprägt sind, als das die engen Grenzen zulassen. Das Vorspiel ist bemerkenswert dadurch, daß es Turiddus Ständchen und somit gewissermaßen die Exposition in sich schließt. Es ist das nicht nur rein äußerlich betrachtet eine geschickter Einfall, sondern das Ständchen zeigt Mascagni auch gleich von einer vorteilhaften Seite. Gewiß bietet es nur eine einfache, anspruchslose Melodie und eine Begleitungsfigur, wie sie an jeder Straßenecke zu finden ist. Man muß sich aber wohl hüten, über diese Musik überlegen zu spotten. Bei aller äußern Einfachheit und Gewöhnlichkeit lebt in ihr ein unverkennbar ernster und südlich heißer Geist. Schon die Wahl der Tonart spricht für Maseagni. Wäre er ein sentimentaler Schwächling, so hätte er seinen Turiddu unfehlbar zu ^s-clur, Ohs-cor oder Oes-ckur greifen lassen. Die Jnstrumentaleinleitung, die dem ersten Chöre vorangeht, wechselt zwischen derb ausgelassener Heiterkeit und sanftern, tanzartig Pastoralen Klängen und bietet so eine Art Gegenstück zu Beethovens bekannter Szene in der sechsten Sinfonie. Natürlich kann sich Mascagni an Adel des Ausdrucks nicht mit dem großen deutschen Meister messen; Beethoven schildert ideale Landleute, Mascagni derbe, vielleicht auch etwas schmutzige sizilianische Bauern, die darum aber nicht weniger feurig und warmblütig siud und sogar ihren Schalmeien süß schmeichelnde Töne zu entlocken verstehen. Freilich raubt hier wie überall die teilweise Roheit der Jnstrumentation den Ideen Mascagnis ihren beste» Reiz. Jeder gewandte deutsche Kapellmeister wäre aber imstande, die schlimmsten Fehler zu beseitigen. Das Chorsätzchen der Frauen „Duftig erglänzen Orangen" offenbart die Eigentümlichkeit Mascagnis zum erstenmal in ihrer ganzen Seltsamkeit. Auf einem Lasso ostinato steigen im Orchester ungewohnte harmonische Folgen in die Höhe und dann Schritt für Schritt wieder in die Tiefe, dabei mit einer Keckheit und Selbstverständlichkeit über die eigentümlichsten Komplikationen hinweggehend, die geradezu verblüfft. In diese seltsamen Harmonien hinein

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/192>, abgerufen am 26.08.2024.