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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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lichkeit gebracht haben, kann für diesmal beiseite gelassen werden. Auch alle
sonstigen modernen Opern können wir übergehen, entweder weil sie totgeboren
sind wie Verdis Falstaff, oder weil sie zu spät das Licht der Welt erblickt
haben wie Smetanas Verlauste Braut, oder auch, weil sie noch zu wenig ver¬
breitet siud, um allgemeines Interesse beanspruchen zu können. Nur ein ein¬
ziges Werk, das seiner hervorragenden Eigenschaften wegen eine besondre Stel¬
lung beanspruchen kann, wollen wir noch ausnehmen.

Die Aufnahme der Cavalleria rnsticana in Deutschland war geteilt. Das
große Publikum jubelte ihr zu, die Musiker von Beruf aber und die soge¬
nannten Kenner verhielten sich meist reservirt oder gar ablehnend. Sie be¬
faßten sich mit dem Werke, weil es die Mode verlangte, gaben aber ihrer
Abneigung unverhohlen Ausdruck. Dieses Verhalten hatte sicher auch bis zu
einem gewissen Grade seine Berechtigung. Der Cavalleria haften Fehler an,
die den feinern Sinn besonders empfindlich berühren. Der Kenner muß sich
bei Mascagni erst durch eine häßlich schmeckende Schale durcharbeiten, während
für den gröbern Gaumen des Nichtmusikers das Verfehlte und das Gute zu
einem unentwirrbaren Gesamteindruck zusammenfließen, in dem das Angenehme
bei weitem überwiegt. Eine Reihe von Fehlern der sogenannten großen und
der italienischen Oper, die man ein für allemal für beseitigt hielt, feiern bei
Mascagni die fröhlichste Auferstehung. Maseagni erfindet fast keine einzige
Melodie, die bei Anlegung eines ernsten deutschen Maßstabes nicht wenigstens
einen geringen Zusatz vou Trivialität aufwiese. Er genirt sich aber auch nicht,
mit Gedanken hervorzutreten, die nur trivial sind und weiter nichts. In thea¬
tralisch pathetischen Steigerungen ergeht er sich mit ganz besondrer Vorliebe,
und der häßlichen Manier, ein Thema, das nur in kleiner, anspruchsloser Ge¬
stalt Reiz hat, zum hohlen Tutti aufzubauschen, huldigt er nach Herzenslust.
Was ihn aber ganz besonders gewöhnlich erscheinen läßt, das ist seine Jn¬
strumentation, die einen Mangel an Vornehmheit des Klangsinns verrät, wie
er in unsern Tagen wirklich selten geworden sein dürfte. Namentlich das grobe
Blech behandelt Maseagni mit einer Dreistigkeit, die ihres gleichen sucht, und
die von deutschen Ohren wie eine Art persönlicher Beleidigung empfunden wird.
Man kann sicher sein, daß er bei jedem Forte und namentlich bei allen großen
Steigerungen seine ungeschlachten Posaunen aufmarschiren und alles weg¬
blasen läßt, was dem musikalischen Gedanken als solchen allenfalls von Wert
anhaftet.

Alle diese Fehler zusammengenommen lassen es nicht verwunderlich er¬
scheinen, daß viele deutsche Musiker die Cavalleria, die ihre eignen künstle¬
rischen Bestrebungen so schnöde durchkreuzte, von oben herab ansahen, und daß
sie von dem italienischen Kollegen nichts wissen wollten, den sie in längst über-
wundnen Fehlern befangen sahen. So sehr aber das große Publikum übers
Ziel hinausschoß, wenn es sich der Cavalleria wie einem Meisterwerke ruck-


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lichkeit gebracht haben, kann für diesmal beiseite gelassen werden. Auch alle
sonstigen modernen Opern können wir übergehen, entweder weil sie totgeboren
sind wie Verdis Falstaff, oder weil sie zu spät das Licht der Welt erblickt
haben wie Smetanas Verlauste Braut, oder auch, weil sie noch zu wenig ver¬
breitet siud, um allgemeines Interesse beanspruchen zu können. Nur ein ein¬
ziges Werk, das seiner hervorragenden Eigenschaften wegen eine besondre Stel¬
lung beanspruchen kann, wollen wir noch ausnehmen.

Die Aufnahme der Cavalleria rnsticana in Deutschland war geteilt. Das
große Publikum jubelte ihr zu, die Musiker von Beruf aber und die soge¬
nannten Kenner verhielten sich meist reservirt oder gar ablehnend. Sie be¬
faßten sich mit dem Werke, weil es die Mode verlangte, gaben aber ihrer
Abneigung unverhohlen Ausdruck. Dieses Verhalten hatte sicher auch bis zu
einem gewissen Grade seine Berechtigung. Der Cavalleria haften Fehler an,
die den feinern Sinn besonders empfindlich berühren. Der Kenner muß sich
bei Mascagni erst durch eine häßlich schmeckende Schale durcharbeiten, während
für den gröbern Gaumen des Nichtmusikers das Verfehlte und das Gute zu
einem unentwirrbaren Gesamteindruck zusammenfließen, in dem das Angenehme
bei weitem überwiegt. Eine Reihe von Fehlern der sogenannten großen und
der italienischen Oper, die man ein für allemal für beseitigt hielt, feiern bei
Mascagni die fröhlichste Auferstehung. Maseagni erfindet fast keine einzige
Melodie, die bei Anlegung eines ernsten deutschen Maßstabes nicht wenigstens
einen geringen Zusatz vou Trivialität aufwiese. Er genirt sich aber auch nicht,
mit Gedanken hervorzutreten, die nur trivial sind und weiter nichts. In thea¬
tralisch pathetischen Steigerungen ergeht er sich mit ganz besondrer Vorliebe,
und der häßlichen Manier, ein Thema, das nur in kleiner, anspruchsloser Ge¬
stalt Reiz hat, zum hohlen Tutti aufzubauschen, huldigt er nach Herzenslust.
Was ihn aber ganz besonders gewöhnlich erscheinen läßt, das ist seine Jn¬
strumentation, die einen Mangel an Vornehmheit des Klangsinns verrät, wie
er in unsern Tagen wirklich selten geworden sein dürfte. Namentlich das grobe
Blech behandelt Maseagni mit einer Dreistigkeit, die ihres gleichen sucht, und
die von deutschen Ohren wie eine Art persönlicher Beleidigung empfunden wird.
Man kann sicher sein, daß er bei jedem Forte und namentlich bei allen großen
Steigerungen seine ungeschlachten Posaunen aufmarschiren und alles weg¬
blasen läßt, was dem musikalischen Gedanken als solchen allenfalls von Wert
anhaftet.

Alle diese Fehler zusammengenommen lassen es nicht verwunderlich er¬
scheinen, daß viele deutsche Musiker die Cavalleria, die ihre eignen künstle¬
rischen Bestrebungen so schnöde durchkreuzte, von oben herab ansahen, und daß
sie von dem italienischen Kollegen nichts wissen wollten, den sie in längst über-
wundnen Fehlern befangen sahen. So sehr aber das große Publikum übers
Ziel hinausschoß, wenn es sich der Cavalleria wie einem Meisterwerke ruck-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/190>, abgerufen am 26.08.2024.