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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

standen an Umfang und Ertrag des Familienbesitzcs wenig Mediatisirten
nach. Aber ihre Erwartungen wurden nicht erfüllt, die Ereignisse des Re-
vvlutionsjahres fegten den Vereinigten Landtag und mit ihm die Herrenkurie
hinweg. Erst später, im konstitutionellen Staate, fanden viele dieser Geschlechter
eine staatsrechtlich gesicherte politische Stellung, indem ihnen wie den zur
Herrenkurie des Vereinigten Landtags berufnen Herren, jedoch einzeln und durch
besondre königliche Entschließung, das erbliche Recht auf Sitz und Stimme in
der neuorganisirten ersten Kammer, dem Herrenhause, verliehen wurde.

Das erbliche Recht auf Sitz im Oberhause ist ein politisches Vorrecht des
Geburtsstandcs. Alle die Geschlechter, in denen sich dieses Recht vererbt, bilden
daher den eigentlichen hohen Adel in Preußen. Sie erheben sich kraft dieses
in der Familie vererblichen Rechts über alle andre Staatsangehörigen. Sobald
das Haupt einer solchen Familie das dreißigste Lebensjahr erreicht hat, nimmt
es ohne weiteres den ihm gebührenden Sitz im Herrenhause ein. Darin unter¬
scheiden sie sich von den Geschlechtern der Grafen-, Ritterguts- und adlichen
Familienverbünde, deren gewählte Mitglieder zwar gleichfalls im Herren¬
hause sitzen, aber nur dann, wenn sie durch die Krone auf Präsentation be¬
sonders berufen werden. Hier bedarf es in jedem Falle eines Willensaktes
des Monarchen, dort nur der erweislichen Nachfolge in dem Familienbesitz.

Ein der Familie dauernd gesicherter Landbesitz ist für die erbliche Be¬
rechtigung zum Herrenhause wesentlich. Gebundnes Grundeigentum ist wie
in andern Ländern so auch in Preußen als ein unumgängliches Erfordernis
der Erblichkeit eines Oberhaussitzes erkannt worden. Das hat seine völlige
Berechtigung. Eine hohe Aristokratie, deren Besitzungen in der Hauptsache
nicht frei veräußerlich sind, sondern zur Erhaltung des Glanzes und des An¬
sehens der Familie stets auf einen Nachfolger vererbt werden, ist von allen
Volksklassen vorzugsweise geeignet, das stetige Element zu bilden, das
bei dem Zweikammersystem dessen Zweck entsprechend in der ersten Kammer
zur Geltung kommen muß. Wie aus den königlichen Verordnungen und Ver¬
leihungsurkunden -- auch aus der Matrikel des Hauses -- hervorgeht, sind
die erblich Berufnen sämtlich als Mitglieder eines bestimmten vinkulirten
Grundbesitzes gedacht, sie sind für einen festbegrenzten Gutskomplex ausersehen,
wenn auch ausnahmsweise -- bei zwei Mitgliedern -- die Berufung an ein
landschaftliches Erbhofamt geknüpft ist. In der Matrikel erscheinen sie als
Vertreter von Herzogtümern, Grafschaften, Fürstentümern, Ämtern, Majoraten,
Standesherrschaften, freien Herrschaften, Herrlichkeiten, Fideikommissen, Be¬
zeichnungen, die -- außer Majoraten und Fideikommissen -- ihren Rechtssinn
verloren haben und in der Gegenwart nur noch von geschichtlichem Werte sind.
Die frühern Herrschaftsrechte der Besitzer sind, abgesehen von geringen Über¬
bleibseln, auf manchen vormals reichsständischen Besitzungen seit geraumer Zeit
beseitigt, die herzoglichen, fürstlichen, gräflichen und herrschaftlichen Güter sind


Der hohe Adel in Preußen

standen an Umfang und Ertrag des Familienbesitzcs wenig Mediatisirten
nach. Aber ihre Erwartungen wurden nicht erfüllt, die Ereignisse des Re-
vvlutionsjahres fegten den Vereinigten Landtag und mit ihm die Herrenkurie
hinweg. Erst später, im konstitutionellen Staate, fanden viele dieser Geschlechter
eine staatsrechtlich gesicherte politische Stellung, indem ihnen wie den zur
Herrenkurie des Vereinigten Landtags berufnen Herren, jedoch einzeln und durch
besondre königliche Entschließung, das erbliche Recht auf Sitz und Stimme in
der neuorganisirten ersten Kammer, dem Herrenhause, verliehen wurde.

Das erbliche Recht auf Sitz im Oberhause ist ein politisches Vorrecht des
Geburtsstandcs. Alle die Geschlechter, in denen sich dieses Recht vererbt, bilden
daher den eigentlichen hohen Adel in Preußen. Sie erheben sich kraft dieses
in der Familie vererblichen Rechts über alle andre Staatsangehörigen. Sobald
das Haupt einer solchen Familie das dreißigste Lebensjahr erreicht hat, nimmt
es ohne weiteres den ihm gebührenden Sitz im Herrenhause ein. Darin unter¬
scheiden sie sich von den Geschlechtern der Grafen-, Ritterguts- und adlichen
Familienverbünde, deren gewählte Mitglieder zwar gleichfalls im Herren¬
hause sitzen, aber nur dann, wenn sie durch die Krone auf Präsentation be¬
sonders berufen werden. Hier bedarf es in jedem Falle eines Willensaktes
des Monarchen, dort nur der erweislichen Nachfolge in dem Familienbesitz.

Ein der Familie dauernd gesicherter Landbesitz ist für die erbliche Be¬
rechtigung zum Herrenhause wesentlich. Gebundnes Grundeigentum ist wie
in andern Ländern so auch in Preußen als ein unumgängliches Erfordernis
der Erblichkeit eines Oberhaussitzes erkannt worden. Das hat seine völlige
Berechtigung. Eine hohe Aristokratie, deren Besitzungen in der Hauptsache
nicht frei veräußerlich sind, sondern zur Erhaltung des Glanzes und des An¬
sehens der Familie stets auf einen Nachfolger vererbt werden, ist von allen
Volksklassen vorzugsweise geeignet, das stetige Element zu bilden, das
bei dem Zweikammersystem dessen Zweck entsprechend in der ersten Kammer
zur Geltung kommen muß. Wie aus den königlichen Verordnungen und Ver¬
leihungsurkunden — auch aus der Matrikel des Hauses — hervorgeht, sind
die erblich Berufnen sämtlich als Mitglieder eines bestimmten vinkulirten
Grundbesitzes gedacht, sie sind für einen festbegrenzten Gutskomplex ausersehen,
wenn auch ausnahmsweise — bei zwei Mitgliedern — die Berufung an ein
landschaftliches Erbhofamt geknüpft ist. In der Matrikel erscheinen sie als
Vertreter von Herzogtümern, Grafschaften, Fürstentümern, Ämtern, Majoraten,
Standesherrschaften, freien Herrschaften, Herrlichkeiten, Fideikommissen, Be¬
zeichnungen, die — außer Majoraten und Fideikommissen — ihren Rechtssinn
verloren haben und in der Gegenwart nur noch von geschichtlichem Werte sind.
Die frühern Herrschaftsrechte der Besitzer sind, abgesehen von geringen Über¬
bleibseln, auf manchen vormals reichsständischen Besitzungen seit geraumer Zeit
beseitigt, die herzoglichen, fürstlichen, gräflichen und herrschaftlichen Güter sind


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[0019] Der hohe Adel in Preußen standen an Umfang und Ertrag des Familienbesitzcs wenig Mediatisirten nach. Aber ihre Erwartungen wurden nicht erfüllt, die Ereignisse des Re- vvlutionsjahres fegten den Vereinigten Landtag und mit ihm die Herrenkurie hinweg. Erst später, im konstitutionellen Staate, fanden viele dieser Geschlechter eine staatsrechtlich gesicherte politische Stellung, indem ihnen wie den zur Herrenkurie des Vereinigten Landtags berufnen Herren, jedoch einzeln und durch besondre königliche Entschließung, das erbliche Recht auf Sitz und Stimme in der neuorganisirten ersten Kammer, dem Herrenhause, verliehen wurde. Das erbliche Recht auf Sitz im Oberhause ist ein politisches Vorrecht des Geburtsstandcs. Alle die Geschlechter, in denen sich dieses Recht vererbt, bilden daher den eigentlichen hohen Adel in Preußen. Sie erheben sich kraft dieses in der Familie vererblichen Rechts über alle andre Staatsangehörigen. Sobald das Haupt einer solchen Familie das dreißigste Lebensjahr erreicht hat, nimmt es ohne weiteres den ihm gebührenden Sitz im Herrenhause ein. Darin unter¬ scheiden sie sich von den Geschlechtern der Grafen-, Ritterguts- und adlichen Familienverbünde, deren gewählte Mitglieder zwar gleichfalls im Herren¬ hause sitzen, aber nur dann, wenn sie durch die Krone auf Präsentation be¬ sonders berufen werden. Hier bedarf es in jedem Falle eines Willensaktes des Monarchen, dort nur der erweislichen Nachfolge in dem Familienbesitz. Ein der Familie dauernd gesicherter Landbesitz ist für die erbliche Be¬ rechtigung zum Herrenhause wesentlich. Gebundnes Grundeigentum ist wie in andern Ländern so auch in Preußen als ein unumgängliches Erfordernis der Erblichkeit eines Oberhaussitzes erkannt worden. Das hat seine völlige Berechtigung. Eine hohe Aristokratie, deren Besitzungen in der Hauptsache nicht frei veräußerlich sind, sondern zur Erhaltung des Glanzes und des An¬ sehens der Familie stets auf einen Nachfolger vererbt werden, ist von allen Volksklassen vorzugsweise geeignet, das stetige Element zu bilden, das bei dem Zweikammersystem dessen Zweck entsprechend in der ersten Kammer zur Geltung kommen muß. Wie aus den königlichen Verordnungen und Ver¬ leihungsurkunden — auch aus der Matrikel des Hauses — hervorgeht, sind die erblich Berufnen sämtlich als Mitglieder eines bestimmten vinkulirten Grundbesitzes gedacht, sie sind für einen festbegrenzten Gutskomplex ausersehen, wenn auch ausnahmsweise — bei zwei Mitgliedern — die Berufung an ein landschaftliches Erbhofamt geknüpft ist. In der Matrikel erscheinen sie als Vertreter von Herzogtümern, Grafschaften, Fürstentümern, Ämtern, Majoraten, Standesherrschaften, freien Herrschaften, Herrlichkeiten, Fideikommissen, Be¬ zeichnungen, die — außer Majoraten und Fideikommissen — ihren Rechtssinn verloren haben und in der Gegenwart nur noch von geschichtlichem Werte sind. Die frühern Herrschaftsrechte der Besitzer sind, abgesehen von geringen Über¬ bleibseln, auf manchen vormals reichsständischen Besitzungen seit geraumer Zeit beseitigt, die herzoglichen, fürstlichen, gräflichen und herrschaftlichen Güter sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/19>, abgerufen am 22.12.2024.