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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

stand sind geschwunden, die Kreisordnungen haben die Mitwirkung der Me-
diatisirten bei der innern Verwaltung ihrer Standesherrschaften auf ein geringes
Maß beschränkt, und feit kurzem unterliegen sie, freilich nicht ohne hohe Ent¬
schädigung Vonseiten des Staates, der Einkommensteuerpflicht, wie alle andern
Staatsbürger außer den Angehörigen der beiden hoheuzollernschen Häuser.
Immerhin sind noch manche Rechte unangetastet geblieben, die den Mediatisirten
vor den übrigen Unterthanen eine bevorzugte Stellung im Staate gewähren.
Sie gehören familieurechtlich zum hohen Adel und siud daher den souveränen
Familien ebenbürtig, sie haben autonomische Befugnisse, sie haben ihren pri-
vilegirten Gerichtsstand in Sachen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit behalten,
den Häuptern der Familien ist in peinlichen Sachen das Recht gelassen, von
einem Gerichte von Standesgenossen abgeurteilt zu werden (Austrägalinstanz),
und alle ihre Angehörigen sind ungeachtet der allgemeinen Wehrpflicht vou
jeglichem Militärdienste befreit. Über kurz oder lang werden freilich auch diese
Überbleibsel der reichsständischen Herrlichkeit vor dem demokratischen Zuge unsrer
Gesetzgebung verschwinden. Manche unter ihnen werden von den Beteiligten
selbst kaum uoch besonders geschätzt, andre haben keine große praktische Be¬
deutung. Von dem Wehrpflichtsprivileg machen z. B. viele Familien keinen
Gebrauch: ihre männlichen Sprossen dienen, wenn es geht, mindestens einige
Jahre in der Armee.

Ein politisches Recht haben die Nachkommen der alten Dynastenfamilien,
das als das wichtigste aller ihrer staatsrechtlichen Sonderrechte gelten muß;
das ist die Erblichkeit der Pairie. Die Häupter der reichsständischen Häuser
sind als erbliche Mitglieder des preußischen Herrenhauses geborne Gesetzgeber.
Alle Ehrenvorzüge, alle privatrechtlichen Sonderrechte wollen gegenüber diesem
Rechte, das dem Besitzer persönlich politische Nechtsbefuguisse verleiht und
wegen der Vererblichkeit auch die politische Stellung der ganzen Familie er¬
höht, wenig bedeuten. Es ist das einzige Recht, das den reichsständischen
Familien einen gesetzlichen und dauernden Einfluß auf die Politik des Staates
sichert. Man kann daher sagen, daß im staatsrechtlichen Sinne die erbliche
Herrenhansstandschaft das Wesentliche des hohen Adels ist. Aber gerade dieses
bedeutendste Vorrecht, mit dem sie sich politisch am schärfsten von der Masse
der übrigen Staatsbürger absondern, teilen die Mediatisirten in Preußen
-- wie auch in andern deutschen Staaten -- mit nicht wenigen Geschlechtern
aus dem altangesessenen und reichbegüterten Landesadel. In Preußen namentlich
sind diese Geschlechter uuter den erblichen Mitgliedern des Herrenhauses viel
zahlreicher vertreten als die vormals reichsunmittelbaren Familien, die dort
mit reichsständischen Herrschaften angesessen find. Es giebt im Staatsgebiete
nur zweiundzwanzig mediatisirte Besitzungen, mit denen erbliche Sitze im Herren¬
hause verbunden sind; andre erbliche Mitglieder von unzweifelhaft reichs¬
ständischem Adel, die in Preußen zwar mit Gütern, nicht aber mit vormals


Grenzboten II 1895 2
Der hohe Adel in Preußen

stand sind geschwunden, die Kreisordnungen haben die Mitwirkung der Me-
diatisirten bei der innern Verwaltung ihrer Standesherrschaften auf ein geringes
Maß beschränkt, und feit kurzem unterliegen sie, freilich nicht ohne hohe Ent¬
schädigung Vonseiten des Staates, der Einkommensteuerpflicht, wie alle andern
Staatsbürger außer den Angehörigen der beiden hoheuzollernschen Häuser.
Immerhin sind noch manche Rechte unangetastet geblieben, die den Mediatisirten
vor den übrigen Unterthanen eine bevorzugte Stellung im Staate gewähren.
Sie gehören familieurechtlich zum hohen Adel und siud daher den souveränen
Familien ebenbürtig, sie haben autonomische Befugnisse, sie haben ihren pri-
vilegirten Gerichtsstand in Sachen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit behalten,
den Häuptern der Familien ist in peinlichen Sachen das Recht gelassen, von
einem Gerichte von Standesgenossen abgeurteilt zu werden (Austrägalinstanz),
und alle ihre Angehörigen sind ungeachtet der allgemeinen Wehrpflicht vou
jeglichem Militärdienste befreit. Über kurz oder lang werden freilich auch diese
Überbleibsel der reichsständischen Herrlichkeit vor dem demokratischen Zuge unsrer
Gesetzgebung verschwinden. Manche unter ihnen werden von den Beteiligten
selbst kaum uoch besonders geschätzt, andre haben keine große praktische Be¬
deutung. Von dem Wehrpflichtsprivileg machen z. B. viele Familien keinen
Gebrauch: ihre männlichen Sprossen dienen, wenn es geht, mindestens einige
Jahre in der Armee.

Ein politisches Recht haben die Nachkommen der alten Dynastenfamilien,
das als das wichtigste aller ihrer staatsrechtlichen Sonderrechte gelten muß;
das ist die Erblichkeit der Pairie. Die Häupter der reichsständischen Häuser
sind als erbliche Mitglieder des preußischen Herrenhauses geborne Gesetzgeber.
Alle Ehrenvorzüge, alle privatrechtlichen Sonderrechte wollen gegenüber diesem
Rechte, das dem Besitzer persönlich politische Nechtsbefuguisse verleiht und
wegen der Vererblichkeit auch die politische Stellung der ganzen Familie er¬
höht, wenig bedeuten. Es ist das einzige Recht, das den reichsständischen
Familien einen gesetzlichen und dauernden Einfluß auf die Politik des Staates
sichert. Man kann daher sagen, daß im staatsrechtlichen Sinne die erbliche
Herrenhansstandschaft das Wesentliche des hohen Adels ist. Aber gerade dieses
bedeutendste Vorrecht, mit dem sie sich politisch am schärfsten von der Masse
der übrigen Staatsbürger absondern, teilen die Mediatisirten in Preußen
— wie auch in andern deutschen Staaten — mit nicht wenigen Geschlechtern
aus dem altangesessenen und reichbegüterten Landesadel. In Preußen namentlich
sind diese Geschlechter uuter den erblichen Mitgliedern des Herrenhauses viel
zahlreicher vertreten als die vormals reichsunmittelbaren Familien, die dort
mit reichsständischen Herrschaften angesessen find. Es giebt im Staatsgebiete
nur zweiundzwanzig mediatisirte Besitzungen, mit denen erbliche Sitze im Herren¬
hause verbunden sind; andre erbliche Mitglieder von unzweifelhaft reichs¬
ständischem Adel, die in Preußen zwar mit Gütern, nicht aber mit vormals


Grenzboten II 1895 2
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[0017] Der hohe Adel in Preußen stand sind geschwunden, die Kreisordnungen haben die Mitwirkung der Me- diatisirten bei der innern Verwaltung ihrer Standesherrschaften auf ein geringes Maß beschränkt, und feit kurzem unterliegen sie, freilich nicht ohne hohe Ent¬ schädigung Vonseiten des Staates, der Einkommensteuerpflicht, wie alle andern Staatsbürger außer den Angehörigen der beiden hoheuzollernschen Häuser. Immerhin sind noch manche Rechte unangetastet geblieben, die den Mediatisirten vor den übrigen Unterthanen eine bevorzugte Stellung im Staate gewähren. Sie gehören familieurechtlich zum hohen Adel und siud daher den souveränen Familien ebenbürtig, sie haben autonomische Befugnisse, sie haben ihren pri- vilegirten Gerichtsstand in Sachen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit behalten, den Häuptern der Familien ist in peinlichen Sachen das Recht gelassen, von einem Gerichte von Standesgenossen abgeurteilt zu werden (Austrägalinstanz), und alle ihre Angehörigen sind ungeachtet der allgemeinen Wehrpflicht vou jeglichem Militärdienste befreit. Über kurz oder lang werden freilich auch diese Überbleibsel der reichsständischen Herrlichkeit vor dem demokratischen Zuge unsrer Gesetzgebung verschwinden. Manche unter ihnen werden von den Beteiligten selbst kaum uoch besonders geschätzt, andre haben keine große praktische Be¬ deutung. Von dem Wehrpflichtsprivileg machen z. B. viele Familien keinen Gebrauch: ihre männlichen Sprossen dienen, wenn es geht, mindestens einige Jahre in der Armee. Ein politisches Recht haben die Nachkommen der alten Dynastenfamilien, das als das wichtigste aller ihrer staatsrechtlichen Sonderrechte gelten muß; das ist die Erblichkeit der Pairie. Die Häupter der reichsständischen Häuser sind als erbliche Mitglieder des preußischen Herrenhauses geborne Gesetzgeber. Alle Ehrenvorzüge, alle privatrechtlichen Sonderrechte wollen gegenüber diesem Rechte, das dem Besitzer persönlich politische Nechtsbefuguisse verleiht und wegen der Vererblichkeit auch die politische Stellung der ganzen Familie er¬ höht, wenig bedeuten. Es ist das einzige Recht, das den reichsständischen Familien einen gesetzlichen und dauernden Einfluß auf die Politik des Staates sichert. Man kann daher sagen, daß im staatsrechtlichen Sinne die erbliche Herrenhansstandschaft das Wesentliche des hohen Adels ist. Aber gerade dieses bedeutendste Vorrecht, mit dem sie sich politisch am schärfsten von der Masse der übrigen Staatsbürger absondern, teilen die Mediatisirten in Preußen — wie auch in andern deutschen Staaten — mit nicht wenigen Geschlechtern aus dem altangesessenen und reichbegüterten Landesadel. In Preußen namentlich sind diese Geschlechter uuter den erblichen Mitgliedern des Herrenhauses viel zahlreicher vertreten als die vormals reichsunmittelbaren Familien, die dort mit reichsständischen Herrschaften angesessen find. Es giebt im Staatsgebiete nur zweiundzwanzig mediatisirte Besitzungen, mit denen erbliche Sitze im Herren¬ hause verbunden sind; andre erbliche Mitglieder von unzweifelhaft reichs¬ ständischem Adel, die in Preußen zwar mit Gütern, nicht aber mit vormals Grenzboten II 1895 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/17>, abgerufen am 24.08.2024.