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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Umsturzvorlage

oder der aktiven Marine das Heer oder die Marine oder Einrichtungen der¬
selben verächtlich macht oder . . . wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren
bestraft." Was eine Mauer "untergraben" heißt, weiß man, wenngleich auch
hier der Zweifel erlaubt ist, ob die Untergrabung schon mit der ersten cius-
gehobnen Schaufel Erde vollendet ist. Wie wir aber die deutschen Richter
kennen, find sie im allgemeinen nicht poetisch angelegt, sie werden es deshalb
einigermaßen schwierig finden, sich als zu untergrabende Gegenstände so un¬
faßbare Dinge wie Zucht und Ordnung, und als Werkzeuge der Untergrabung
Wort, Schrift, Druck oder Bild -- euer Register hat übrigens ein Loch, ihr
habt die Geberden, die Plastik und die Musik weggelassen! -- vorzustellen.
Sieht man auf deu Zweck der neu vorgeschlagnen Bestimmung: Sicherung der
Disziplin gegen Lockerungsversuche von außerhalb des Heeres, so trifft sie
nicht entfernt die Sache. Dort, wo man an dieser Lockerung ein Interesse
hat, nimmt man den sogenannten Militarismus durchaus ernst, das Heer
durchaus nicht als einen verächtlichen und verächtlich zu machenden Gegner.
Die Sozialdemokratie trachtet vielmehr, wie sie offen erklärt, auch deu Heeres¬
körper uach und nach mit ihrem Geiste zu erfüllen. Dieser Gesahr sah auch
der Regierungsentwurf mit seinen freilich ganz ungeheuerlichen Vorschlägen
fest ins Auge. Die Taktik, durch Besprechung, vielleicht auch Erfindung
unliebsamer Vorkommnisse innerhalb des Heereskörpers namentlich das Ver¬
trauen auf die gerechte Behandlung der Untergebnen zu erschüttern, ist kein
Verächtlichmachen des Heeres oder seiner Einrichtungen. Einige der jetzt gang¬
baren Wendungen, wie: Moloch des Militarismus, Ferienkolonien n. dergl.,
wird die sozialdemokratische Presse leicht zu vermeiden wissen, ohne an Agi¬
tationskraft das geringste einzubüßen. Der Erfolg des neuen Paragraphen
wird also uur sein, daß das Heer einschließlich sämtlicher militärischen Ein¬
richtungen künftig auch ohne Strafantrag gegen Beleidigungen geschützt wird,
und daß diese nur uoch mit Gefängnis geahndet werden. Denn die hierzu
geforderte Absicht: die militärische Zucht und Ordnung zu untergraben, wird
sich, wenn damit überhaupt etwas anzufangen ist, in jedem einzelnen Falle
einer absprechender Äußerung oder eines schlechten Witzes leicht konstruiren
lassen. Wird doch schon heute in der Strafrechtsprechnng ganz allgemein
"absichtlich handeln" übersetzt mit: das Bewußtsein haben, daß ein gewisser
Erfolg des Handelns eintreten könne, und doch handeln. Die Leidtragenden
des Kommissionsvorschlags werden deshalb voraussichtlich die Fliegenden
Blätter und einzelne Unvorsichtige sein, die ihren Zorn über die schönen grauen
Mäntel und die geschmackvollen neuen Schießauszeichnungen nicht zu bemeistern
wissen. Denn alles, was öffentlich gesprochen, namentlich gedruckt wird, ist
gegenüber jedermann, somit -- "wie sich der Angeklagte sagen mußte," wird
es in den Entscheidungsgrüttden heißen -- auch gegen die Angehörigen des
aktiven Heeres oder der aktiven Marine gesprochen und gedruckt. Die Kom-


Die Umsturzvorlage

oder der aktiven Marine das Heer oder die Marine oder Einrichtungen der¬
selben verächtlich macht oder . . . wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren
bestraft." Was eine Mauer „untergraben" heißt, weiß man, wenngleich auch
hier der Zweifel erlaubt ist, ob die Untergrabung schon mit der ersten cius-
gehobnen Schaufel Erde vollendet ist. Wie wir aber die deutschen Richter
kennen, find sie im allgemeinen nicht poetisch angelegt, sie werden es deshalb
einigermaßen schwierig finden, sich als zu untergrabende Gegenstände so un¬
faßbare Dinge wie Zucht und Ordnung, und als Werkzeuge der Untergrabung
Wort, Schrift, Druck oder Bild — euer Register hat übrigens ein Loch, ihr
habt die Geberden, die Plastik und die Musik weggelassen! — vorzustellen.
Sieht man auf deu Zweck der neu vorgeschlagnen Bestimmung: Sicherung der
Disziplin gegen Lockerungsversuche von außerhalb des Heeres, so trifft sie
nicht entfernt die Sache. Dort, wo man an dieser Lockerung ein Interesse
hat, nimmt man den sogenannten Militarismus durchaus ernst, das Heer
durchaus nicht als einen verächtlichen und verächtlich zu machenden Gegner.
Die Sozialdemokratie trachtet vielmehr, wie sie offen erklärt, auch deu Heeres¬
körper uach und nach mit ihrem Geiste zu erfüllen. Dieser Gesahr sah auch
der Regierungsentwurf mit seinen freilich ganz ungeheuerlichen Vorschlägen
fest ins Auge. Die Taktik, durch Besprechung, vielleicht auch Erfindung
unliebsamer Vorkommnisse innerhalb des Heereskörpers namentlich das Ver¬
trauen auf die gerechte Behandlung der Untergebnen zu erschüttern, ist kein
Verächtlichmachen des Heeres oder seiner Einrichtungen. Einige der jetzt gang¬
baren Wendungen, wie: Moloch des Militarismus, Ferienkolonien n. dergl.,
wird die sozialdemokratische Presse leicht zu vermeiden wissen, ohne an Agi¬
tationskraft das geringste einzubüßen. Der Erfolg des neuen Paragraphen
wird also uur sein, daß das Heer einschließlich sämtlicher militärischen Ein¬
richtungen künftig auch ohne Strafantrag gegen Beleidigungen geschützt wird,
und daß diese nur uoch mit Gefängnis geahndet werden. Denn die hierzu
geforderte Absicht: die militärische Zucht und Ordnung zu untergraben, wird
sich, wenn damit überhaupt etwas anzufangen ist, in jedem einzelnen Falle
einer absprechender Äußerung oder eines schlechten Witzes leicht konstruiren
lassen. Wird doch schon heute in der Strafrechtsprechnng ganz allgemein
„absichtlich handeln" übersetzt mit: das Bewußtsein haben, daß ein gewisser
Erfolg des Handelns eintreten könne, und doch handeln. Die Leidtragenden
des Kommissionsvorschlags werden deshalb voraussichtlich die Fliegenden
Blätter und einzelne Unvorsichtige sein, die ihren Zorn über die schönen grauen
Mäntel und die geschmackvollen neuen Schießauszeichnungen nicht zu bemeistern
wissen. Denn alles, was öffentlich gesprochen, namentlich gedruckt wird, ist
gegenüber jedermann, somit — „wie sich der Angeklagte sagen mußte," wird
es in den Entscheidungsgrüttden heißen — auch gegen die Angehörigen des
aktiven Heeres oder der aktiven Marine gesprochen und gedruckt. Die Kom-


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[0164] Die Umsturzvorlage oder der aktiven Marine das Heer oder die Marine oder Einrichtungen der¬ selben verächtlich macht oder . . . wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft." Was eine Mauer „untergraben" heißt, weiß man, wenngleich auch hier der Zweifel erlaubt ist, ob die Untergrabung schon mit der ersten cius- gehobnen Schaufel Erde vollendet ist. Wie wir aber die deutschen Richter kennen, find sie im allgemeinen nicht poetisch angelegt, sie werden es deshalb einigermaßen schwierig finden, sich als zu untergrabende Gegenstände so un¬ faßbare Dinge wie Zucht und Ordnung, und als Werkzeuge der Untergrabung Wort, Schrift, Druck oder Bild — euer Register hat übrigens ein Loch, ihr habt die Geberden, die Plastik und die Musik weggelassen! — vorzustellen. Sieht man auf deu Zweck der neu vorgeschlagnen Bestimmung: Sicherung der Disziplin gegen Lockerungsversuche von außerhalb des Heeres, so trifft sie nicht entfernt die Sache. Dort, wo man an dieser Lockerung ein Interesse hat, nimmt man den sogenannten Militarismus durchaus ernst, das Heer durchaus nicht als einen verächtlichen und verächtlich zu machenden Gegner. Die Sozialdemokratie trachtet vielmehr, wie sie offen erklärt, auch deu Heeres¬ körper uach und nach mit ihrem Geiste zu erfüllen. Dieser Gesahr sah auch der Regierungsentwurf mit seinen freilich ganz ungeheuerlichen Vorschlägen fest ins Auge. Die Taktik, durch Besprechung, vielleicht auch Erfindung unliebsamer Vorkommnisse innerhalb des Heereskörpers namentlich das Ver¬ trauen auf die gerechte Behandlung der Untergebnen zu erschüttern, ist kein Verächtlichmachen des Heeres oder seiner Einrichtungen. Einige der jetzt gang¬ baren Wendungen, wie: Moloch des Militarismus, Ferienkolonien n. dergl., wird die sozialdemokratische Presse leicht zu vermeiden wissen, ohne an Agi¬ tationskraft das geringste einzubüßen. Der Erfolg des neuen Paragraphen wird also uur sein, daß das Heer einschließlich sämtlicher militärischen Ein¬ richtungen künftig auch ohne Strafantrag gegen Beleidigungen geschützt wird, und daß diese nur uoch mit Gefängnis geahndet werden. Denn die hierzu geforderte Absicht: die militärische Zucht und Ordnung zu untergraben, wird sich, wenn damit überhaupt etwas anzufangen ist, in jedem einzelnen Falle einer absprechender Äußerung oder eines schlechten Witzes leicht konstruiren lassen. Wird doch schon heute in der Strafrechtsprechnng ganz allgemein „absichtlich handeln" übersetzt mit: das Bewußtsein haben, daß ein gewisser Erfolg des Handelns eintreten könne, und doch handeln. Die Leidtragenden des Kommissionsvorschlags werden deshalb voraussichtlich die Fliegenden Blätter und einzelne Unvorsichtige sein, die ihren Zorn über die schönen grauen Mäntel und die geschmackvollen neuen Schießauszeichnungen nicht zu bemeistern wissen. Denn alles, was öffentlich gesprochen, namentlich gedruckt wird, ist gegenüber jedermann, somit — „wie sich der Angeklagte sagen mußte," wird es in den Entscheidungsgrüttden heißen — auch gegen die Angehörigen des aktiven Heeres oder der aktiven Marine gesprochen und gedruckt. Die Kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/164>, abgerufen am 25.08.2024.